22.06.2012

Bonanza für Miethaie

Von: Fabian Scheidler

Wie Immobilieninvestoren in Berlin höhere Renditen als Bernard Madoff erzielen

 

Berlin erlebt derzeit in einigen Bezirken drastische Mietsteigerungen von bis zu 20 Prozent pro Jahr. Das lässt sich den Statistiken einschlägiger Immobilienanbieter im Internet entnehmen. Im noch vor kurzen als Problemkiez gebrandmarkten Neukölln beispielweise ist die Durchschnittsmiete im Vergleich zum 1. Quartal 2011 um 16 Prozent gestiegen. Bei neuen Verträgen steigt die Kaltmiete oft schlagartig um 50 Prozent, nicht selten wird sie sogar verdoppelt. Ein vom Bündnis Mietenstopp in Umlauf gebrachtes Video zeigt einen Immobilienberater, der seinem Publikum erklärt, wie man die Miete einer Neuköllner Wohnung in kürzester Zeit von 450 auf 850 Euro steigern und damit eine Eigenkapitalrendite von 23 Prozent erwirtschaften kann. Das habe, so der Redner, nicht einmal der größte Finanzbetrüger der Geschichte, Bernie Madoff, bieten können.

Der Berliner Wohnungsmarkt ist zu einem Eldorado für Renditejäger geworden, und der Senat aus SPD und CDU schaut untätig zu. Dabei hätte er die Möglichkeit einzugreifen. Würde der Senat einen Wohnungsnotstand erklären, dann dürften die Preise für Neuvermietungen die Oberwerte des Mietspiegels nicht überschreiten. Obwohl der Mietspiegel selbst stark ansteigt – nicht zuletzt weil er Mietverträge, die länger als 4 Jahre laufen, nicht berücksichtigt –, könnten damit doch einige der gegenwärtigen Exzesse eingedämmt werden. Doch der Senat verweist auf leerstehenden Wohnraum – in den Plattenbausiedlungen von Hohenschönhausen und Marzahn. Klaus Wowereit begrüßt die steigenden Mieten sogar. Im November erklärte er der Berliner Morgenpost: „Man muss sich entscheiden, ob man das niedrige Niveau halten oder die Stadt nach vorne bringen will.

Wird diese Politik fortgesetzt, dann erlebt Berlin in den nächsten Jahren einen dramatischen sozio-kulturellen Wandel. Familien mit mittlerem und geringem Einkommen werden nach und nach in die Wohnsilos am Stadtrand ausweichen müssen, Subkulturen und alternative Lebensentwürfe auf Dauer austrocknen. Kreuzberg wird absehbar zum Disneyland einer alternativen Szene, deren Schöpfer zurzeit vertrieben werden.

Dazu trägt auch die Praxis von Hausverwaltungen und Eigentümern bei, nicht nur die Miete bei jedem neuen Vertrag massiv zu erhöhen, sondern auch die Ansprüche an die Bewerber. Ein Familieneinkommen von 2500 Euro netto für die Anmietung einer Dreizimmerwohnung in Neukölln oder Kreuzberg reicht in den Augen der meisten Vermieter nicht mehr aus: Das Einkommen muss mindestens das Dreifache der Warmmiete betragen – und die liegt inzwischen bei 900 bis 1.000 Euro für 90 Quadratmeter.

Mieter müssen also nicht einfach einen höheren Anteil ihres Einkommens für Wohnraum bezahlen; eine Familie mit einem durchschnittlichen Nettoeinkommen bekommt die meisten Wohnungen gar nicht erst. Arbeitssuchende haben praktisch überhaupt keine Chance in den Innenstadtbezirken. Statt dessen wird der solide McKinsey- oder BND-Angestellte nun am Görlitzer Park einziehen.

Wer sich darüber beklagt, bekommt oft zu hören, dass Berlin noch immer billig sei gegenüber Paris, London, Hamburg oder Franfurt. Das stimmt in Bezug auf deutsche Städte allerdings nur noch sehr bedingt, in Bezirken wie Prenzlauer Berg und auch Kreuzberg nähern sich die Mieten Hamburger Verhältnissen, mit zehn, zwölf, teilweise vierzehn Euro pro Quadratmeter. Aber selbst wo Berliner Mieten noch günstiger sind, ist das Argument aus zwei Gründen irreführend.

Erstens verfügen Berliner nicht annähernd über ein Einkommen, das mit dem eines Hamburgers vergleichbar wäre. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist in Hamburg doppelt so hoch wie in Berlin. Der durchschnittliche Berliner hat kaum mehr als sein Mitbürger aus Mecklenburg-Vorpommern in der Tasche, und damit nur halb so viel Geld wie ein Hamburger oder Münchener.

Zweitens sind die hohen Mieten auch anderswo nicht zu rechtfertigen. Die  Instandhaltung von Wohnraum kostet in München Schwabing kaum mehr als in Dortmund Nord – aber die Miete beträgt das Dreifache. Natürlich gibt es auch eine Untergrenze für Mieten, unterhalb derer ein Erhalt der Bausubstanz und sinnvolle Modernisierungen nicht mehr finanzierbar sind, aber diese Grenze liegt eher bei sechs Euro als bei zehn Euro pro Quadratmeter. In jedem Fall sind plötzliche Hungertode von Vermietern, die sechs Euro Kaltmiete nehmen, noch nicht berichtet worden. Die hohen Mieten in vielen Ballungsräumen sind daher vor allem eines: Gelddruckmaschinen für Immobilienbesitzer. Das hat eine ganze Reihe von negativen sozialen, kulturellen und ökonomischen Effekten. 

1. Zu hohe Mieten sind volkswirtschaftlich schädlich. Ein großer Teil der Gewinne aus Immobilieneigentum fließt in die Finanzmärkte und bläht dort spekulative Geschäfte auf, die letztlich zu Crashs wie im Jahr 2008/2009 führen. Das Geld, das sich in den Blasen sammelt, fehlt wiederum den Bürgern. Gerade auch in Berlin schädigen zu hohe Mieten massiv die Binnenwirtschaft, weil die Bürger immer größere Teile ihres – meist stagnierenden – Einkommens für Miete ausgeben müssen und weniger für das Restaurant oder die Theateraufführung übrig haben. Das de-industrialisierte Berlin aber lebt zu guten Teilen von Gastronomie, Kultur und Kleingewerbe.

2. Hohe Mieten zerstören Vielfalt und Kreativität in der Stadt. Paris beispielsweise ist vom Mietboom, der in den 70er Jahren begann und in der Ära Sarkozy explodierte, kulturell geradezu verwüstet worden. Bei Mietpreisen von 30 bis 40 Euro pro Quadratmeter und mehr ist von dem lebhaften interlektuellen und künstlerischen Leben, für das Paris einst berühmt war, wenig übriggeblieben. Arbeiterschichten und ihre Kulturen sind fast vollständig aus dem Stadtgebiet verschwunden. Ähnliches gilt von Manhattan, Rom und vielen anderen einstmals vitalen Metropolen, die jetzt fest in der Hand des großen Geldes sind.

3. Hohe Mieten sind ein Gleichschaltungsinstrument. Da Wohnen lebensnotwendig ist, steigt mit den Mieten der Druck, jede Beschäftigung anzunehmen. Menschen werden gezwungen, so viel Geld wie irgend möglich zu verdienen und sich um Fragen des Sinns und des gesellschaftlichen Nutzens ihrer Tätigkeit keine Gedanken zu machen. Eine Kultur des Opportunismus macht sich breit. Wer nicht mitmacht, wird entwohnt.

4. Zu hohe Mieten machen krank. Der hohe Verdienstdruck begünstigt Überlastung und Burn-outs. Menschen, die hohe Mieten nicht aufbringen können, werden gezwungen, an laute Durchgangsstraßen oder andere gesundheitsschädliche Orte zu ziehen – oder extrem lange Fahrwege in Kauf zu nehmen. Wer seinen Job verliert oder eine Zeit lang weniger Aufträge hat, muss gleich um seine Wohnung fürchten, Existenzängste nehmen zu.

5. Zu hohe Mieten behindern notwendigen gesellschaftlichen Wandel. Eine Entschleunigung und sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft kann nur gelingen, wenn die Menschen Spielräume für Lebensentwürfe jenseits der 40-Stunden-Woche haben und nicht im Hamsterrad von Job und Miete gefangen sind. Arbeitsmarktpolitisch und ökologisch sinnvolle Halbzeittätigkeiten werden unattraktiv, sie reichen einfach nicht für die Miete. In letzter Konsequenz bedeuten Mieten, die schneller steigen als die Inflation, dass wir mehr arbeiten müssen, um den selben Lebensstandard zu halten – ein sinnloses Wirtschaftswachstum, das nur dazu dient, die Renditewünsche von Anlegern zu befriedigen.

Aus all diesen Gründen ist Widerstand gegen überhöhte Mieten dringend geboten, in Berlin ebenso wie in anderen Städten. Ein so existenzielles Gut wie der Wohnraum darf nicht dem freien Wildwest-Spiel der Marktkräfte überlassen werden. Das betrifft sowohl Obergrenzen für die Mieten als auch die Schaffung von neuem Wohnraum.

Vom rot-schwarzen Berliner Senat ist allerdings nicht zu erwarten, dass er die Interessen der Mehrheit der Berliner vertreten wird. Zu tief sind SPD und CDU seit Jahrzehnten in den Berliner Immobilienfilz verstrickt. Wer erinnert sich nicht an den ehemaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus-Rüdiger Landowsky, der nach dem Berliner Bankenskandal wegen Untreue vor Gericht stand, weil er Milliardenkredite an windige Immobilienspekulanten genehmigte? Oder an den Mann mit dem roten Schal, den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD), der neben seiner politischen Tätigkeit auch als Immobilienberater tätig war und später eine eigene Firma in der Branche gründete, die Momper Projektentwicklungs GmbH? Auch an den Justiz- und Verbraucherschutzsenator Michael Braun (CDU) könnte man denken, der aufgrund einer mutmaßlichen Verstrickung in illegale Geschäfte mit Schrottimmobilien im Dezember 2011 zurücktreten musste. Dass Klaus Wowereit eine Neuauflage der Großen Koalition, die 2001 in den Berliner Bankenskandal mündete, installiert hat, obwohl 75 % der BerlinerInnen im letzten Jahr für eine Politk links der Mitte votiert hatten, fügt sich ins Bild. Schließlich geht es in den nächsten Jahren um milliardenschwere Immobilien- und Bauvorhaben, von Mediaspree über das Tempelhofer Feld bis zur A100, wo man mit den Freunden aus der Branche unter sich bleiben und Querulanten raushalten will.

Doch die Büger haben durchaus Mittel, um sich gegen die Übernahme der Stadt durch Baulöwen und Miethaie zu wehren. Nicht nur mit Demonstrationen, wie am 18.6. in Berlin, wo eine Gruppe von Demonstranten die Jahrestagung der Immobilienwirtschaft mit subversiven Aktionen störte. Immerhin wollen die Immobilienbesitzer jeden Monat Geld von ihren Mietern. Was wäre, wenn sie einfach eine Weile nicht zahlen? Unrealistisch? Mieterstreiks gab es schon oft, zum Beispiel in Berlin 1932. Auch in New York und Barcelona gab es solche Streiks, an denen sich Zehntausende beteiligten – und das mit Erfolg. Vielleicht ist die Zeit wieder reif dafür, Politik und Wirtschaft daran zu erinnern, wem eigentlich diese Stadt gehören sollte: ihren Bewohnern.

22.6.12