25.10.2013
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Einleitung: 

Todesschwadronen, CIA-Waffenlieferungen an Rebellen, Geheimoperationen mit Tötungsauftrag: Die verdeckte Kriegsführung der USA mit europäischer Beteiligung hat nach Ansicht Scahills verheerende Folgen. In Somalia formten die USA aus Warlords schlagkräftige Todesschwadronen, zerstörten die Union islamischer Gericht und ermöglichten damit den Aufstieg der Terrorgruppe al-Shabaab, die jüngst durch ein Attentat auf eine Einkaufsmall in Nairobi bekannt wurde. In Syrien lieferte die CIA Waffen an Rebellen, unter denen sich auch al-Kaida Elemente befänden, mit dem Risiko eines späteren Bumeraneffekts. Afghanistan sei ein gescheiterter und nicht gerechtfertigter Krieg, der das Leben vieler Afghanen elender gemacht habe. Die USA würden auch nach dem offiziellen Ende der Okkupation nächstes Jahr weiter Angriffe von Spezialkommandos dort exekutieren - mit europäischer Hilfe. So werfe die Ermordung von Bünyamin E. aus Wuppertal durch eine US-Drohne in Pakistan im Jahr 2010 für Scahill Fragen nach der Beteiligung der deutschen Regierung am US-Tötungsprogramm auf.

Gäste: 

Jeremy Scahill, Korrespondent beim US-Nachrichtenmagazin "The Nation". Autor von “Dirty Wars” / “Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“ und "Blackwater: Der Aufstieg der mächtigsten Privatarmee der Welt“

Transkript: 

David Goeßmann: Über den Anschlag von al-Shabaab Milizen in einer Einkaufsmall in Nairobi haben die Medien breit berichtet. Aber es wurde dabei nicht erklärt, wie diese fundamentalistische Gruppe eigentlich entstanden ist. Wie verhält es sich damit und wie schätzen Sie die den Anschlag ein?

Jeremy Scahill: Ich selbst habe Zeit in diesem Einkaufszentrum verbracht und auch in dem Kunstcafé, durch das viele der Attentäter in die West Gate Mall eingedrungen sind. Dieses Einkaufzentrum ist dafür bekannt, dass es viele westliche Besucher, Diplomaten, Wohlhabende, Geschäftsleute, Journalisten und andere aufsuchen. Deswegen denke ich, dass al-Shabaab sich dieses Ziel bewusst ausgesucht hat, um den Westen zu treffen. Ein großer Teil der Berichterstattung beschäftigte sich nur damit, dass al-Shabaab eine terroristische Organisation ist und sie verantwortlich ist für den Anschlag. Aber die Wurzeln dieser Gruppe sind sehr aufschlussreich und zu großen Teilen ein Resultat der amerikanischen Außenpolitik. Als die Regierung von Siad Barre in Somalia zu Beginn der 90er Jahre gestürzt wurde, begann eine Ära von Banden und Warlords, die Somalia übernahmen und zerstörten. Nach dem 11. September waren die U.S.A. besorgt, dass sich Elemente von al-Kaida in dem chaotischen Staat organisieren könnten. Es waren aber damals nur rund ein Dutzend al-Kaida Mitglieder in Somalia. Doch die U.S.A. wollten jedes Land von Personen bereinigen, die sie als Gefahr ansahen. Kurz nach dem 11. September hat die US-Regierung tatsächlich erwogen, in Somalia einzumarschieren, aber man hat sich dann dafür entschieden, die Warlords auf die Gehaltsliste der CIA zu setzen und islamistische Kämpfer, mutmaßliche al-Kaida Mitglieder und Terroristen, von ihnen jagen zu lassen. Die Warlords nahmen das Geld der CIA, Mit der von den USA erteilten Lizenz zum Töten U.S.A. agierten sie nun als Todesschwadronen. Sie schlachteten Menschen buchstäblich ab, sie töteten Männer mit langen Bärten, die verdächtigt wurden, irgendetwas mit al-Kaida zu tun zu haben. In einigen Fällen hackten sie ihnen den Kopf ab und brachten ihn zu einer U.S. Militärbasis in Dschibuti und sagten: “Schaut her, wir haben diesen Terroristen hier getötet.” Es war schlicht eine Mordmaschinerie. Eine Koalition aus verschiedenen Regionen Somalias, die sogenannte Union islamischer Gerichte, schloss sich daraufhin zu einer Bewegung zusammen, die die CIA- Warlords stürzen wollte und sie 2006 schließlich aus Mogadischu vertreiben konnte. Sie Union stabilisierte die Stadt zum ersten Mal seit den frühen 90er Jahren und rief eine islamische Regierung aus. Es gab zwölf islamische Gerichte und ein dreizehntes Mitglied namens Harakat al-Shabaab Mujahideen, bekannt als al-Shabaab. Es war eine relativ kleine, unbedeutende Gruppe von Radikalen, die auch einige ausländische Djihadisten aufnahm, die nach Somalia kamen, um gegen die Warlords zu kämpfen. Aber in der somalischen Politik waren sie unbedeutend, weil sie im dortigen Clan-System keine Macht hatten. Die U.S.A. unter George W. Bush hatten jedoch Angst vor allem, dass “islamisch” im Titel stehen hatte. Sie arbeiteten im Geheimen mit dem äthiopischen Militär zusammen und marschierten schließlich in Somalia ein. Sie gingen auf die Jagd nach den führenden Köpfen der islamischen Gerichte, dezimierten die Union und zerstörten die Regierung. Das Ergebnis: Die unbedeutende Gruppe al-Shabaab wurde plötzlich zur Spitze im Kampf gegen die U.S.A. und Äthiopien. Ihr Argument war, dass ein islamisches Land durch nicht-islamische Kräfte aus dem Ausland besetzt werde. So konnte Al-Shabaab ausländische Kämpfer nach Somalia holen. Somalia war vorher nie ein Land gewesen, das ausländische Kämpfer zuließ. Es war es ein unglaublicher Sieg für al-Kaida, jetzt in Somalia Fuß fassen zu können. Al-Shabaab war nun in der Lage, Gebiete in Somalia zu erobern und für einige Jahre zu halten, um sie als Basis für terroristische Operationen zu benutzen. Ohne das Eingreifen der U.S.A. und Äthiopiens wäre es kaum vorstellbar, dass al-Shabaab zu der Terrorgruppe hätte anwachsen können, die sie heute ist.

David Goeßmann: Wie schätzen Sie die Situation in Syrien ein, die Präsenz von al-Kaida dort und Obamas gescheiterten Versuch, militärisch einzugreifen?

Jeremy Scahill: Zuerst einmal: Die U.S.A. greifen momentan in Syrien ein. Die CIA gibt Waffen und strategische Unterstützung an bestimmte Fraktionen der Rebellen. Russland, der Iran, die Hisbollah, Katar, die Türkei, alle intervenieren in Syrien. Es ist ein Bürgerkrieg, in dem die Weltmächte auf verschiedenen Seiten des Konflikts eingreifen. Die U.S.A. helfen denen, die wir gemeinhin als Rebellen bezeichnen, aber es ist unklar, wer die Rebellen sind. Es gibt verschiedene Fraktionen und einige von ihnen sind, wenn nicht direkt mit al-Kaida, dann mit ihren Ideen und Visionen verbunden. Ich denke, dass die U.S.A. einem weiteren Afghanistan-Szenario gegenüber stehen, wie damals, als sie die Sowjets vertreiben wollten. Die USA unterstützten die Mudschaheddin, arabische Krieger, die aus dem Ausland nach Afghanistan geholt wurden. Sie sollten sich Jahrzehnte später gegen die USA selbst wenden. Im Englischen nennen wir das „Blow-Back“, Rückschlag. Obamas Plan Raketenangriffe auf Syrien auszuführen, traf auf heftige Gegenwehr in den Vereinigten Staaten. Die amerikanische Bevölkerung hat die Kriege satt, sie will nicht für etwas bezahlen, worin sie kein US-Interesse erkennen kann. Ich glaube, dass Obama die klare Absicht hatte, Syrien zu attackieren. Vielleicht hatte Obama den Kompromiss mit Russland bereits in der Tasche und brachte ihn erst hervor, als er feststellte, dass er den Krieg den Menschen diesmal nicht verkaufen konnte. Er benutzte den Deal mit Russland, um sein Gesicht zu wahren.

David Goeßmann: Sie sind oft nach Afghanistan gereist. Sie haben dort mit den Menschen gesprochen, ihren Geschichten und Sorgen zugehört. Was denken die Afghanen über den Krieg und die 12-jährige Okkupation? Und was ist ihre Meinung? War es ein notwendiger Krieg ohne Alternativen – wie oft in den Mainstream-Medien behauptet wird?

Jeremy Scahill: Um den letzten Teil der Frage zuerst zu beantworten: Ich glaube nicht, dass es ein notwendiger Krieg war. Vielmehr hatten die U.S.A. das Recht, die Menschen zur Rechenschaft zu ziehen, die für die Planung des 11. Septembers verantwortlich waren. Ich habe den damaligen Außenminister der Taliban Wakil Ahmed Mutawakkil interviewt. Er gehörte der Taliban-Regierung an. Er war es, der mit Osama Bin Laden über seinen Aufenthalt in Afghanistan verhandelte. Mutawakkil sagte mir, dass man den U.S.A. mitgeteilt hätte, dass die Taliban keinen Krieg wollten. Sie wären bereit gewesen, Osama Bin Laden an ein islamisches Land auszuhändigen, um vor einem Scharia-Gericht verurteilt zu werden, wenn die U.S.A. Beweise vorlegten, dass bin Laden verantwortlich gewesen sei für die 9/11-Anschläge. Die U.S.A. haben der Taliban-Regierung niemals geantwortet und erklärten, dass sie nicht mit ihnen verhandeln würden. Man muss nicht alles vorbehaltlos glauben, was die Taliban sagen, aber die U.S.A. haben nicht wirklich alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft, die es gab, um die Verantwortlichen für den 11. September bzw. die Führung von al-Kaida festzunehmen. Seit über einem Jahrzehnt sind die U.S.A. und die NATO nun in Afghanistan und es ist klar, dass es ein gescheiterter Krieg ist. Es gibt Regionen in Afghanistan, die von der US- und Nato-Präsenz profitiert haben. Es sind Regionen, in denen die Taliban bei den Bewohnern nicht beliebt sind. Frauen und Mädchen geht es in bestimmten Regionen besser. Aber für den Großteil des Landes wurde alles nur noch schlimmer. Die Afghanen werden dort nicht nur weiter von den Taliban regiert, sondern haben zudem die Tötungen und Verletzungen, die eine Militärbesetzung immer mit sich bringt, zu ertragen. In einigen Regionen haben die U.S.A. und die NATO die Situation für die Menschen drastisch verschlechtert. Es gibt nicht die afghanische Meinung zur Besatzung. Es hängt davon ab, wo man sich befindet. Aber grundsätzlich hat der Krieg das Leben der Menschen noch elender gemacht hat.

David Goeßmann: Die ausländischen Truppen verlassen Afghanistan langsam. Aber auch nach dem offiziellen Ende der Besatzung nächstes Jahr werden dort weiter US- und Nato-Truppen stationiert bleiben. Die USA wollen neun Militärbasen behalten – offiziell für Ausbildungszwecke. Was ist die Strategie dahinter?

Jeremy Scahill: Sie behaupten immer, dass es nur um Ausbildung gehe. Schauen Sie, ein großer Teil des Vietnamkriegs wurde offiziell von amerikanischen Ausbildern gekämpft. Die Strategie der U.S.A. sowohl im Irak als auch in Afghanistan ist, dass Spezialkommandos in der Region stationiert bleiben, um dort in Zukunft weiter Angriffe auszuführen. Dasselbe gilt für die CIA. Europäische Staaten werden auf die eine oder andere Weise darin involviert sein. In Pakistan verübten die U.S.A. 2010 einen Drohnenangriff in Waziristan, bei dem ein deutscher Staatsbürger, Bünyamin E. aus Wuppertal, getötet wurde. Das ist auch Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen in Deutschland. Es geht hier um wichtige Fragen: Welche Rolle spielte die deutsche Regierung bei der Tötung? Wusste sie von der Tötung? Übermittelte sie Geheimdienstinformationen an die U.S.A.? Ich kann diese Fragen nicht beantworten, aber die deutsche Regierung sollte erklären, welche Rolle sie in Tötungsoperationen spielt, sowohl in der Vergangenheit als auch zukünftig.