09.12.2014
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Einleitung: 

Auf der 4. Internationalen Degrowth-Konferenz in Leipzig diskutierten mehr als 3000 Teilnehmende aus aller Welt über Alternativen zur Wachstumsökonomie. Angesichts von Klimachaos und chronischen Wirtschaftskrisen sei, so waren sich die Teilnehmenden einig, die Zeit reif für eine tiefgreifende gesellschaftliche Transformation. Kontext TV sprach mit Aktivisten und Wissenschaftlern von vier Kontinenten über die Möglichkeiten, die Ökonomie neu zu erfinden.

zu Teil 1 der Sendung

Gäste: 
Barbara Muraca, Philosophin an der Universität Jena, Autorin des Buches "Gut Leben. Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums"
Michel Bauwens, Gründer der Peer-to-Peer Foundation (P2P)
Tony Greenham, New Economics Foundation, London / Transition Network
Sarah Ackerbauer, Transition Town / Dresden im Wandel
Benjamin Best, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Ashish Kothari, Vorsitzender von Greenpeace India / Radical Ecological Democracy Network
Joan Martinez-Alier, Ökonom, Autonome Universität Barcelona, Mitbegründer der Gesellschaft für Ökologische Ökonomik
Helge Peukert, Prof. für Finanzwissenschaft, Universität Erfurt
Nnimmo Bassey, Environmental Rights Action/Friends of the Earth Nigeria, Träger des "Alternativen Nobelpreises"

In den vergangenen 20 Jahren ist im Bereich der freien Software-Entwicklung ein internationales Netzwerk entstanden, das patentfreie, offene Programme und Betriebssysteme wie Linux entwickelt. Aufbauend auf den Prinzipien des geteilten Wissens und der Gemeingüter (Commons) hat sich mittlerweile auch ein weltweites Netzwerk zur Herstellung von Gebrauchsgütern (Open Source Hardware) gebildet. Michel Bauwens, einer der führenden Pioniere auf diesem Gebiet, sieht darin eine Keimform für eine andere Wirtschaft und Gesellschaft jenseits von Markt und Staat, die auf frei zugänglichem Wissen und einer dezentralen Verteilung von Produktionsmitteln beruht.

Angesichts von Klimawandel, Finanzkrisen und knapp werdenden Ressourcen („Peak Oil“/“Peak Everything“) tun sich in immer mehr Gemeinden weltweit Menschen zusammen, um einen Wandel von unten einzuleiten. In den sogenannten „Transition Towns“ geht es beispielsweise darum, Bereiche wie Energieversorgung, Landwirtschaft, Verkehr und Finanzen soweit als möglich aus der globalisierten Wirtschaft herauszulösen und in die Hand von Bürgern zu bringen. Dieser Wandel wird von vielen nicht als eine Sache des Verzichts sondern als ein Gewinn an Lebensqualität und als Revitalisierung gemeinschaftlichen Lebens erfahren.

Die real existierende parlamentarische Demokratie sei keine echte Demokratie, sagt Ashish Kothari, Vorsitzender von Greenpeace Indien. Statt nur alle vier oder fünf Jahre zu wählen und die Entscheidungen dann einer kleinen Elite zu überlassen, die oft gegen die Interessen ihrer eigenen Bevölkerung handelt, sei es notwendig, dass jeder einzelne Verantwortung übernimmt. Die Bewohner des indischen Dorfes Mendha-Lekha etwa praktizieren erfolgreich eine „radikale ökologische Demokratie“, in der alle an den Entscheidungen, die die Gemeinschaft betreffen, beteiligt sind. Eine solche Basisdemokratie sei dringend notwendig; Indiens Wirtschaftswachstum habe in den letzten Jahrzehnten zu massiven ökologischen Verwüstungen und einer tiefen sozialen Spaltung des Landes geführt: Regierung und Großunternehmen kolonisierten ökonomisch sowohl die eigenen indigenen Bevölkerungen als auch andere Länder, etwa durch „land grabbing“, so Kothari.

Die Finanzkrise 2008 sei bedauerlicher Weise nicht für eine notwendige radikale Reform des Bankensystems genutzt worden, so der ehemalige Investmentbanker Tony Greenham. Banken müssten eine soziale und ökologische Ausrichtung erhalten, sie müssten kleiner werden wie z.B. die deutschen Sparkassen. Regulierungen könnten Anreize schaffen, in den "grünen Wandel" zu investieren; auch eine Reform der Eigentumsstrukturen sei notwendig. Untersuchungen zeigten, dass Banken in gemeinschaftlichem Besitz resistenter gegen Krisen seien, weniger spekulierten und sich mehr an Allgemeinwohl und Ökologie orientierten. In Großbritannien kämpfe man darum, die "Royal Bank of Scotland", die in der Krise verstaatlicht wurde, nicht wieder zu privatisieren. Doch der Übergang von Privatbanken zu einem gemeinwohlorientierten Bankensystem stoße auf viele Widerstände; für den Fall einer erneuten Finanzkrise gelte es, vorbereitet zu sein, um Regierungen zu einem solchen Umbau zu drängen.

Angesichts des Klimawandels und der stetig steigenden CO2-Emissionen erhält die Idee der "nicht-verwertbaren fossilen Brennstoffe" immer mehr Relevanz. Öl, Kohle und Gas sollen danach im Boden bleiben, so eine zentrale Forderung von Klimabewegungen und einigen südamerikanischen Regierungen. Ecuador bot z.B. an, große Ölvorkommen im Yasuni-Nationalpark im Boden zu lassen, die Realisierung scheiterte jedoch an der fehlenden finanziellen Kompensation durch die Industrieländer. Der Kampf, die fossilen Brennstoffe im Boden zu lassen, müsse weitergehen, z.B. im Fall der deutschen Braunkohlevorkommen am Rhein oder beim  Fracking, so Joan Martinez-Alier. "Wir brauchen einen dauerhaften Widerstand, insbesondere an den Tatorten der Klimaverbrechen. Jedes Kohlekraftwerk ist ein Tatort, jedes Kohlebergwerk und jedes Ölfeld", sagt Nnimmo Bassey, der für seinen Kampf gegen die Umweltverbrechen von Shell in Nigeria mit dem "Alternativen Nobelpreis" ausgezeichnet wurde.