16.10.2015
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Einleitung: 

Einer der Chefs der amerikanischen Denkfabrik Stratfor nannte den Putsch in Kiew vom 22. Februar 2014 den „wohl unverhohlensten Putsch in der Geschichte der Menschheit“. Der Staatsstreich sei von US-Geheimdiensten mit Hilfe westlicher Geheimdienste und „Proto-Faschisten als Speerspitze des Maidan-Putsches“ organisiert worden, so McGovern. Das konnte Russlands Präsident Vladimir Putin nicht hinnehmen. Es sei vielversprechend, so McGovern weiter, dass die USA bei den Vierergesprächen ausgeschlossen wurden. Sie seien jedoch durch die „US-Marionette“ Poroschenko vertreten. Wenn Merkel und Holland sich im Fall Ukraine nicht gegen die USA durchsetzen können, dann „haben wir echte Probleme“. Das Minsk-Abkommen sei gut, müsse aber jetzt umgesetzt werden. Es sei notwendig, dass Kiew der Ostukraine eine gewisse Autonomie zuspricht. Es gehe ja dort nicht, wie immer wieder behauptet werde, um eine Abspaltung oder einen Anschluss an Russland, sondern um Regionalautonomie.

Gäste: 
Elizabeth Murray, ehem. US-Geheimdienstanalystin mit Schwerpunkt Naher Osten beim "National Intelligence Council"; Mitglied beim "Veteran Intelligence Professionals for Sanity".
Ray McGovern, ehem. CIA-Analyst mit Schwerpunkt russische Außenpolitik, verantwortlich für die tägliche Lagebesprechung beim US-Präsidenten und die "National Intelligence Estimates"; Mitglied des Lenkungsausschusses der "Veteran Intelligence Professionals for Sanity".
Transkript: 

Theresia Reinhold: Wir möchten uns einer anderen Konfliktzone zuwenden: der Ukraine. Gegenwärtig ist eine Waffenruhe in Kraft, dennoch scheint eine Lösung der Krise nicht in Sichtweite zu sein. Die Wirtschaft bröckelt und die Menschen leiden. Wie schätzen Sie die Situation ein und welche Rolle spielen die USA, die NATO, die EU und wahrscheinlich Deutschland auf der einen und Russland auf der anderen Seite?

Ray McGovern: Was die Medien den Menschen nicht erzählen, ist die Tatsache, dass wir angefangen haben. Der Chef eines der namhaftesten Think-Tanks überhaupt, Stratfor, sprach im Dezember über den Putsch in Kiew und nannte jenen 22. Februar 2014 den wohl unverhohlensten Putsch in der Geschichte der Menschheit. Warum hat er das gesagt? Es gibt diesen Ausdruck, dass „die Revolution nicht im Fernsehen gezeigt wird“. Nun, dieser Staatsstreich wurde zweieinhalb Wochen zuvor bereits „auf YouTube gezeigt“. Ich beziehe mich auf das abgefangene Telefonat zwischen Victoria Nuland, einer hochrangigen Vertreterin des Außenministeriums und Geoffrey Pyatt, dem US-Botschafter in Kiew. Sie sagte: „Das Ding ist am Laufen, Yats (also Arsenij Jazenjuk) ist unser Mann“, und Pyatt sagte: „Okay, Yats“. Ich wache also am Tag danach auf, mache das Radio an – und wer ist der neue Premierminister? Yats! Ich schrieb einen Artikel mit dem Titel: „Igitt, es ist Yats!“. Damals also Jazenjuk. Aber wer ist jetzt, also eineinhalb Jahre später Premierminister? Yats! Was ich sagen will, ist dass es sich hierbei um einen Staatsstreich handelt, der von den US-Geheimdiensten mit Hilfe einiger Geheimdienste westlicher Staaten organisiert wurde, mit einigen Proto-Faschisten als Speerspitze des Maidan-Putsches. Das war der Auslöser des Ganzen. Falls sie dachten, Präsident Putin würde einfach nur dasitzen und sagen: „Wie schön, Jazenjuk will der NATO beitreten. Toll!“ Wenn sie wirklich dachten, dass das so ablaufen würde, dann müssen sie verrückt sein. Putin hat – und ich würde es ihm wohl gleich tun – seinem Sicherheitsapparat gesagt: „So Leute, es gab einen Putsch, die USA wollen die Ukraine in die NATO holen. Das Problem: unsere einzige Frischwasserquelle, unser einziger eisfreier Hafen, Stützpunkte und Flughäfen liegen auf der Krim– also, was unternehmen wir dagegen?“ Sie haben sich also gesagt: Vielleicht müssen wir die Bewohner der Krim einfach fragen, ob sie für oder gegen das Putsch-Regime sind. Und der Volksentscheid endete mit einem Ergebnis von 90%. Das war zu erwarten. Was hat Russland also getan? Sie haben die Krim schlicht annektiert. Aber was wird den Amerikanern erzählt?  Dass Russland in die Halbinsel Krim und die Ukraine einmarschiert sei – ein Haufen Lügen. Aber, Sie wissen ja: Wer zuerst lügt, gewinnt.

Theresia Reinhold: Sehen Sie die Möglichkeit einer friedlichen Lösung der Ukraine-Krise? Was sollte unternommen werden?

Ray McGovern: Ja, ich sehe vielversprechende Anzeichen. Erstens: Dank Angela Merkel und Hollande wurden die USA von den Vierergesprächen ausgeschlossen. Die Gespräche führen Poroschenko, Putin, Merkel und Hollande. Das ist der einzige Weg, um einen wesentlicher Fortschritt zu erzielen. Die USA sind in diesen Vierergesprächen durch die US-Marionette Poroschenko vertreten. Die Schwierigkeit für Merkel und Co. liegt nun darin, Poroschenko zu überzeugen: „Es ist an der Zeit, dass wir den Waffenstillstand durchsetzen und dass wir der Ostukraine in der Verfassung eine gewisse Autonomie einräumen. Das Blutvergießen muss aufhören.“ Wenn er nun aus Washington hört: „Ach, hör‘ nicht auf die. Wir unterstützen dich, komme was wolle.“ – Dann haben wir echte Probleme. Merkel und Hollande müssen Washington zureden: „Ihr habt dieses Sache vom Zaun gebrochen und das Ergebnis ist nicht annähernd so, wie ihr es euch vorgestellt habt, weil ein Putsch-Regime nun einmal bei der Bevölkerung unbeliebt ist.“ Das Abkommen von Minsk muss umgesetzt werden. Es ist ein gutes Abkommen; jetzt fehlt nur noch, dass es die Leute durchziehen. Der Waffenstillstand hat in den letzten Tagen so gehalten wie lange nicht mehr. Wenn die Streitkräfte wie vorgesehen abgezogen würden und außerdem – und das ist ausschlaggebend – die ukrainische Regierung der Ostukraine eine gewisse Autonomie zuspricht, dann werden diese nicht länger Pro-Russische Separatisten genannt. Was ja eine Fehlbezeichnung ist: Separatisten? Sie wollen sich nicht von der Ukraine abspalten, und Russland will sie auch nicht aufnehmen. Putin hat das von Anfang an klargestellt. Sind sie Pro-Russland? Nun, die meisten unter ihnen sprechen Russisch, viele haben russische Wurzeln. Aber was sie ausmacht, ist nicht ihre pro-russische Haltung; sondern, dass sie gegen den Putsch sind. Man sollte sie also nicht die ganze Zeit prorussische Separatisten, sondern stattdessen Anti-Putsch-Föderalisten nennen. Denn sie fordern eine föderalistischere Regionalautonomie, damit sie ihre Angelegenheiten selbst regeln können, anstatt sich Poroschenko und  seinen proto-faschistischen Anhängern unterzuordnen.