10.03.2016
Share: mp3 | Embed video
Einleitung: 

Dürren und Starkkregen in Südafrika, verheerende Hurrikans in der Karibik, verschwindende Gletscher in den Anden, Regen statt Schnee am Polarkreis: Die rasche Veränderung des Klimas untergräbt schon heute die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen. Reis- und Maisernten könnten bei fortschreitender Erwärmung um bis zu 40% einbrechen. Besonders gefährlich sind Kipppunkte im Erdsystem, etwa das Abschmelzen der Permafrostböden, das enorme Mengen des Treibhausgases Methan freisetzen würde. Um solche Kettenreaktionen zu vermeiden, müssen wir weit schneller aus Kohle, Gas und Öl aussteigen als bisher geplant, so Kevin Anderson vom renommierten Tyndall Centre.

Gäste: 
Kayah George, Lummi Nation, USA
Aile Javo, Präsidentin des Saami-Rates, Norwegen
Themba Austin Chauke, La Via Campesina, Südafrika
Mariama Williams, The South Centre, Genf / Jamaika
Pablo Solón, ehem. Chef-Klimaunterhändler für Bolivien
Alice Bows-Larkin, Klimawissenschaftlerin, Tyndall Centre (GB)
Kevin Anderson, Klimawissenschaftler, Co-DIrektor des Tyndall Centre
Transkript: 

Fabian Scheidler: Willkommen bei Kontext TV. Der Klimagipfel in Paris liegt hinter uns. Aber wie sieht die Zukunft aus? Klimawissenschaftler sagen, dass wir uns mit den bisherigen Versprechen von Regierungen auf eine katastrophale Klimaveränderung mit einer Erwärmung von mehr als 3 Grad zubewegen.

David Goeßmann: Welche Auswirkungen wir das auf Menschen und die übrige Natur haben? Wer leidet am meisten unter dem Klimawandel? Wer ist verantwortlich dafür, dass die Antworten darauf bisher vollkommen unzureichend sind? Und welche alternativen Wege gibt es aus der Klimakrise?

Fabian Scheidler: Laut Weltgesundheitsorganisation kostet der Klimawandel schon heute mindestens 150.000 Menschen pro Jahr das Leben. Und das bei einer Erwärmung von gerade einmal 1 Grad. Wir sprachen in Paris mit VertreterInnen von indigenen Bewegungen, mit Klimawissenschaftlern und -aktivisten über die Auswirkungen eines beschleunigten Klimawandels.

Kayah George: Mit unserer Gemeinschaft gehören wir zu den ersten, die die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen. Wir sind komplett von unserem Land abhängig, von der Welt, die uns umgibt: den Tieren, dem Ozean, den Bergen, dem Wasser. Und wir sehen, wie sich alles verändert.

Aile Javo: In der Arktis bemerken wir einen höheren Temperaturanstieg als im Rest der Welt. Manche Wissenschaftler sagen, dass wenn sich der Rest der Welt um 2° erwärmt, dann erwärmt sich die Arktis um 8 °C. Seit längerer Zeit bemerken wir die Auswirkungen des Klimawandels. Wir sind traditionell Rentierzüchter. Die Temperaturen im Winter gehen rauf und runter. Das bedeutet, dass es regnet, wenn es eigentlich nicht regnen sollte. Schnee wird zu Eis. Unsere Rentiere haben Mühe, das Eis zu durchbrechen und Nahrung zu finden.

Themba Austin Chauke: Bei uns gibt es Dürre; unser Vieh stirbt. Wir sind in einer sehr verwundbaren Lage. Wenn es mal regnet, dann so massiv, dass ein Sturm daraus wird, der unsere Häuser zerstört. Wir sind schon jetzt hohen Risiken ausgesetzt. Unsere Wasserreserven trocknen aus. Die Aquifere, die unterirdischen Wasserspeicher, versiegen.

Mariama Williams: Jamaika steht als kleine Insel vor vielen Herausforderungen, die mit dem Meer zu tun haben. Die Korallenriffe zum Beispiel bleichen aus. Wir erleben einen steigenden Meeresspiegel, auch wenn das etwas weniger stark ist als im Pazifik, auf Tuvalu, den Marshall-Inseln oder dergleichen. Die Auswirkungen im Alltag offenbaren sich für die Jamaikaner auf zweierlei Arten. Einerseits die Dürre, das Vorherrschen von Dürreperioden. Wie der Weltklimarat berechnet hat, regnet es in manchen Regionen immer weniger, je wärmer es wird. In anderen Regionen wiederum nimmt der Regen zu. Der Klimawandel verläuft also widersprüchlich. Deswegen glauben wohl viele auch nicht daran. Manche Orte werden dasselbe erleben wie wir in der Karibik: Wir sind von Wasser umgeben – und haben Schwierigkeiten, Wasser zu finden! Zum Trinken; zum Kochen. In Afrika schreitet die Versalzung des Wassers fort. Das wiederum betrifft ganz besonders die Frauen. In Afrika kümmern sich Frauen und Mädchen darum, Wasser zu besorgen. Wenn die Wasserquellen in der Nähe austrocknen oder versalzen, müssen sie weiter und weiter von zuhause weg. Das ist gefährlich für sie, ihre Sicherheit wird gefährdet. Und ihre Arbeitslast wird deutlich erhöht. Sie sind aber nicht diejenigen, die von der Klimafinanzierung profitieren. Das Geld geht an große Mega-Projekte. Deswegen gibt es hier in Paris den Versuch, das „Gender“-Thema im Abkommen zu verankern.

Pablo Solón: In Bolivien kann man im Gebirge Orte besuchen, an denen es einst Gletscher gab, vor 10 Jahren. Jetzt sind sie verschwunden. In den Anden haben wir etwa 30-50% aller Gletscher verloren. Mit den Gletschern verschwinden auch die Frischwasserquellen. Das wird große Auswirkungen auf das Menschenrecht auf Wasser haben; in der Landwirtschaft; in Sachen Biodiversität. Wir erleben eine Katastrophe im Hochgebirge und in den Gletscherregionen.

Mariama Williams: In der Karibik haben wir es auch mit Hurrikanen zu tun. Die Insel Dominica zum Beispiel wurde im Oktober von schweren Regenfällen und Überflutungen heimgesucht. Wie die Weltbank letzte Woche bekannt gegeben hat, wurde dabei 90 % des BIP der Insel zerstört. Das kann ein einzelnes Wetterereignis anrichten – und es war ja nicht einmal der Hurrikan selbst, sondern die Regenfälle im Nachgang des Hurrikans, die Brücken und Gebäude weggeschwemmt haben. Deswegen ist das Thema „loss and damage“, also Schäden und Verluste, für uns so ein wichtiger Streitpunkt. Als Bedingung für die Berücksichtigung der Schäden und Verluste im Abkommen haben die USA aber gefordert, dass die Entwicklungsländer und kleinen Inselstaaten sich darauf verständigen müssen, den Punkt „Verantwortung und Kompensation“ (liability and compensation) fallen zu lassen.

Pablo Solón: Wir werden das Phänomen des El Niño erleben, das auf Südamerika treffen wird. Die Wissenschaft, die NASA, alle sagen übereinstimmend: Dieses Mal wird es noch viel härter kommen als die letzten Male. Es wird ein El Niño Godzilla. Von enormem Ausmaß. Es handelt sich dabei nicht um ein Phänomen, das einmal auftaucht und dann 5 oder 7 Jahre pausiert. Es kann viel öfter auftreten. Die Auswirkungen in Form von Überschwemmung und Dürre werden tragisch sein. Noch hat es nicht wirklich begonnen. Und dennoch beobachten wir jetzt schon Naturkatastrophen in ganz Amerika, insbesondere Lateinamerika. Das ist nur der Anfang. Und noch immer treffen wir nicht die richtigen Maßnahmen.

Alice Bows-Larkin: Wenn wir uns Studien anschauen, die von einem Temperaturanstieg von 3-4° ausgehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass dies ja nur weltweite Durchschnittswerte sind. Aufgrund der thermischen Trägheit der Ozeane steigt die Meerestemperatur langsamer an, sodass der Anstieg an Land effektiv höher ist. Was wir als Menschen wahrnehmen sind ja nicht globale Durchschnittstemperaturen, sondern Wetterlagen oder extreme Wetterereignisse. Also müssen wir uns daran orientieren. Der heißeste Tag eines Jahres, in einer Hitzewelle, könnte bei einem 4-Grad-Szenario 6, 8, 10 Grad wärmer ausfallen. Man stelle sich vor: man lebt in einer Großstadt und eines Tages ist es 6-10 Grad wärmer als jemals zuvor. Derartige Temperaturanstiege haben große Auswirkungen auf die Landwirtschaft und damit auf unsere Ernährungssicherheit. Wenn die Temperatur um 4 Grad ansteigt, könnte das einen Rückgang der Mais- oder Reisernten um 30-40 % bewirken. Das wäre verheerend für die weltweite Ernährungssicherheit.

Kevin Anderson: Mit den steigenden Temperaturen schmilzt der Permafrost. Die Tundra in großen Teilen Russlands beginnt zu tauen. In dem Boden der Tundra sind große Mengen Methan gebunden. Unmengen an Methan. Methan ist ein sehr starkes Treibhausgas. Wenn nun also die Tundra auftaut, steigen wiederum die Temperaturen. Mehr Methan gelangt in die Atmosphäre. Dieses Methan hat wiederum einen weiteren Treibhauseffekt zur Folge, was den Permafrost noch schneller zum Schmelzen bringt und noch mehr Methan freisetzt. Eine andere Kettenreaktion geht von den Meeren aus: Mit der globalen Erwärmung erwärmen sich auch die Weltmeere. Und je wärmer sie werden, desto mehr gebundenes CO2 geben sie in die Atmosphäre ab. Es folgt also ein ganzer Kette von möglichen Rückkopplungen, die die Situation immer weiter verschlimmern. Und das kann am Ende sogar noch mehr Gewicht haben als unsere eigenen CO2-Emissionen. Ich finde es sehr unklug, dass wir diesen Aspekt in unsere jetzigen politischen Maßnahmen nicht berücksichtigen – obwohl wir wissen, dass es diese Kettenreaktionen gibt, diese „Kipppunkte“ im Klimasystem, die die Gesamtsituation verheerend beeinflussen können. Allerdings wissen wir in den Klimawissenschaften noch nicht im Detail, wann genau diese Reaktionen auftreten werden. Es gibt zum Beispiel immer noch unterschiedliche Meinungen dazu, welcher Temperaturanstieg in der westlichen Antarktis welche Schmelzgeschwindigkeiten hervorruft; oder in Grönland; oder eben beim Permafrost und dem Ausstoß von Methan. Es ist noch unklar, ob das bei einem konstanten Temperaturanstieg von 1 oder 1,5 Grad geschieht; oder ob wir bis zu einem Anstieg von 2,5 oder 3 Grad relativ sicher sind. Diese Fragen sind noch nicht ausreichend verstanden, um in den Klimamodellen präzise abgebildet zu werden. Wir müssen also vorsichtig sein und können nicht sagen, dass dies bei 1,5, 2 oder 2,5 Grad der Fall sein wird. Wir wissen aber, dass ein weiterer Temperaturanstieg die Wahrscheinlichkeit für solche Kettenreaktionen mit ihren verheerenden Auswirkungen weiter erhöhen wird. Jede einigermaßen kluge, umsichtige Gesellschaft – mal angenommen, das sind wir – jede einigermaßen kluge Politik würde sich für den sicheren Weg entscheiden. Wir haben nur diesen einen, einzigen Planeten und sollten mit ihm keine Experimente anstellen. Wenn wir also Hinweise darauf haben, dass diese Phänomene relativ früh auftreten können – Hinweise, wie sie James Hansen liefert – dann sollten wir diese Hinweise als Grundlage unserer politischen Entscheidungen benutzen. – Denn wenn wir die Kettenreaktionen, von denen ich sprach, berücksichtigen, dann verringert sich unser CO2-Budget auf einen Schlag radikal, also die Menge an Treibhausgasen, die wir noch emittieren dürfen, ohne gefährliche Schwellen zu überschreiten. Dieses Budget würde zusammenschrumpfen, weil die Natur selbst bereits einen Großteil davon in Anspruch nehmen würde.