14.02.2018

Zwei vor zwölf: Wie die US-Regierung auf einen Krieg mit Nordkorea zusteuert

Von: Fabian Scheidler

Victor Cha ist ein außenpolitischer Falke, ein Hardliner. Er diente George W. Bush als Chefberater zum Thema Nordkorea. Und nun sollte er eigentlich US-Botschafter in Südkorea werden. Doch für die Trump-Regierung ist er nicht mehr akzeptabel. Der Grund: Cha sprach sich Ende Januar in einem Artikel für die Washington Post gegen einen Angriffskrieg der USA aus.[1] Sein Argument lautet, dass dabei hunderttausende US-Zivilisten, die sich in der Region aufhalten, sterben könnten, weil man sie nicht rechtzeitig evakuieren kann. Nicht mit einem Wort erwähnt Cha in seinem langen Beitrag die Millionen von Koreanern – und womöglich auch Japanern und Chinesen –, die in einem solchen Krieg potenziell zu Tode kämen. Das sind im rechten US-Establishment offenbar keine relevanten Personen. Chas Beitrag sagt viel über die Kälte und Skrupellosigkeit, mit der in Washington über Leben und Tod von Millionen Menschen gedacht und gesprochen wird. Und dieser Mann ist nun für die Trump-Administration zu soft. Das ist beunruhigend.

Teile der US-Regierung, darunter der nationale Sicherheitsberater H. R. McMaster, treiben seit Monaten eine „bloody-nose-strategy“ gegen Nordkorea voran: US-Luftschläge gegen Raketenbasen in Nordkorea würden, so der Plan, Kim Jong-un so weit einschüchtern, dass er sein Atom- und Raketenprogramm einstellt. Diese absurde Strategie ist nicht nur Rhetorik, ebenso wenig wie Trumps Drohung in der UN-Vollversammlung, Nordkorea mit „Feuer und rasender Wut, wie es die Welt noch nicht gesehen hat“ zu überziehen. Längst laufen konkrete Kriegsvorbereitungen auf Hochtouren. Die Waffenlager der US-Pazifik-Basis in Guam werden massiv aufgestockt. Drei Flugzeugträger-Verbände sowie mit Atomwaffen bestückte U-Boote und Bomber wurden in die Region verlegt, umfangreiche Übungen mit scharfen Atombomben finden unmittelbar an Nordkoreas Grenzen statt. Währenddessen werden selbst erzkonservative Kritiker eines Erstschlages, wie etwa Victor Cha, ausgebootet. Und nicht nur das: Selbst die einfachsten militärischen Sachargumente werden vom Tisch gefegt, etwa der Umstand, dass ein beträchtlicher Teil der nordkoreanischen Atomraketen an unbekannten Orten tief unter der Erde lagert und einem US-Luftschlag gar nicht zugänglich ist.

Die Gefahr eines US-Erstschlages wird dadurch erhöht, dass Donald Trump der unbeliebteste Präsident der jüngeren US-Geschichte ist. Um von seinen innenpolitischen Debakeln abzulenken, könnte er, so befürchten viele Beobachter, sich in einen Krieg flüchten – einen Krieg, der sich leicht zu einem asiatischen oder gar planetaren Inferno ausweiten könnte.

Ansätze eines innerkoreanischen Friedensprozesses

Die Olympischen Winterspiele in Südkorea haben der Welt indes eine kurze Atempause verschafft. In überraschender und bewegender Weise lief zur Eröffnung ein Team von hunderten süd- und nordkoreanischen Athleten gemeinsam im Stadion ein, mit einer koreanischen Einheitsfahne. Die einflussreiche Schwester von Kim Jong-un, Kim Yo-jong, traf sich später, zusammen mit weiteren Delegierten Nordkoreas, mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in. Es war das erste Mal, dass ein Mitglied der Kim-Familie überhaupt südkoreanischen Boden betrat. Hinter den Kulissen bahnen sich erste zarte Ansätze für einen Friedensprozess zwischen Südkorea und Nordkorea an, die mangels Friedensvertrag offiziell noch immer im Krieg sind – seit 1950. Anfang Januar nahm die nordkoreanische Führung ein Angebot der Südkoreaner zur Aufnahme von Friedensgesprächen an.[2] Die Haltung der südkoreanischen Bürger gegenüber Nordkorea ist zwar sehr gemischt, aber ein Wunsch ist allgegenwärtig: zu überleben. Und die meisten Südkoreaner sehen inzwischen als größte Bedrohung für diesen Wunsch nicht mehr Kim Jong-un, sondern die Trump-Regierung.

Rückblick: Der Korea-Krieg und die Spirale der Gewalt

So verwerflich das nordkoreanische Regime auch ist, seine Handlungen sind keinesfalls irrational. Das Gedächtnis der US-Bombardements im Koreakrieg (1950-53), dem Hunderttausende, wenn nicht Millionen Koreaner zum Opfer fielen, ist noch sehr gegenwärtig. Die Washington Post schrieb im Rückblick auf den Krieg: „Die Bombardierung war lange und gnadenlos, selbst in der Einschätzung der US-Führung.“ General Curtis LeMay, der damalige Chef der Strategic Air Command im Koreakrieg, gab zu Protokoll: „Über einen Zeitraum von etwa drei Jahren haben wir etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausgelöscht.“ Dean Rusk, ein Befürworter des Krieges und späterer Außenminister, fügte hinzu: „Wir bombardierten in Korea alles, was sich bewegte, jeden Stein, der noch auf einem anderen stand.“ Als die USA keine Städte mehr zum Bombardieren fanden, weil alle ausgelöscht waren, gingen sie dazu über, Staudämme zu sprengen und damit die Felder zu fluten – mit der Folge massiver Hungersnöte. Lange vor dem Vietnamkrieg setzten die USA außerdem bereits massiv Napalm gegen die Zivilbevölkerung ein.[3]

Es ist bemerkenswert, dass diese Geschehnisse kaum in der deutschen Presse Erwähnung finden, obwohl sie zu einem historischen Verständnis der gegenwärtigen Lage äußerst wichtig sind. Das nordkoreanische Regime konnte außerdem über Jahrzehnte beobachten, wie die USA auf der ganzen Welt missliebige Regierungen, die über keine Atomwaffen verfügten, beseitigte, zuletzt mit der Invasion im Irak. Aus Sicht des koreanischen Regimes sind Atomwaffen daher die einzige Möglichkeit, seine Macht zu erhalten. Je mehr die USA mit Krieg drohen, desto zwingender wird diese Logik.

Die Strategie des „maximalen Drucks“ mit verschärften Sanktionen hat diesen Kreislauf bisher keineswegs durchbrochen, sondern im Gegenteil zugespitzt und uns einem Krieg noch näher gebracht. Die Sanktionen sind dabei nicht nur nutzlos, sondern tödlich, gerade für die verwundbarsten Menschen, vor allem Kinder. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF warnte Ende Januar davor, dass 60.000 nordkoreanische Kinder in den nächsten Monaten infolge der Sanktionen an Hunger sterben könnten.[4]

Verhandlungen – der einzige Weg

Um aus der Logik von Provokationen und Aufrüstung herauszukommen, führt kein Weg an ernsthaften Verhandlungen vorbei, so schwierig sie auch sein mögen. Im Laufe der letzten 25 Jahre gab es mehrere langwierige, zeitweise auch sehr erfolgreiche diplomatische Prozesse. Nachdem Nordkorea 1993 angekündigt hatte, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen, nahmen die US-Regierung unter Bill Clinton und die nordkoreanische Regierung Verhandlungen auf, die 1994 in das Genfer Rahmenabkommen („Agreed Framework“) mündeten. Der Vertrag sah vor, dass Nordkorea die Produktion von atomwaffenfähigem Brennmaterial unterlässt und auch keine dazu geeigneten Reaktoren baut, wieder in den Atomwaffensperrvertrag eintritt und Inspektionen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) zulässt. Im Gegenzug sicherten die USA zu, Leichtwasserreaktoren und Öl zu liefern, um die Energieversorgung sicherzustellen. Zugleich wurden, die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, der Abbau von Sanktionen, Sicherheitsgarantien der USA sowie Initiativen für den nord-südkoreanischen Dialog vereinbart.

Dieses über Jahre erfolgreiche Abkommen geriet allerdings mit der ersten Regierungszeit von George W. Bush unter Beschuss. Bush rief bekanntlich Anfang 2002 eine „Achse des Bösen“ aus, zu der auch Nordkorea gehörte, ein Land, das er beschuldigte, Massenvernichtungswaffen zu produzieren. Sein eigener Außenminister, Colin Powell, widersprach dem jedoch wenige Wochen später, als er bekanntgab, Nordkorea halte sich an das Abkommen.[5] Einige Monate später behauptete dagegen eine US-Delegation, dass Nordkorea heimlich wieder mit der Herstellung von atomwaffenfähigem Material begonnen habe – ohne dafür indes handfeste Beweise zu liefern. Das renommierte Institute for Science and International Security, dessen Chef David Albright einst selbst Atomwaffeninspektor für die IAEO war, kam 2007 in einem Bericht zu dem Schluss, dass die Beschuldigungen der US-Regierung, insbesondere der CIA, keine gesicherte Grundlage hatten.[6] Infolge der Zerwürfnisse stieg Nordkorea 2003 aus dem Vertrag aus und erklärte, nun Atomwaffen bauen zu wollen. Die Vorbereitungen für den Irak-Krieg liefen derweil auf Hochtouren – ein deutlicher Warnhinweis für Nordkorea, was Staaten der „Achse des Bösen“ geschehen würde, die keine Atomwaffen besaßen.

Ein weiterer Verhandlungsprozess, an dem auch China, Japan, Russland und Südkorea beteiligt waren, wurde kurze Zeit danach in Gang gesetzt und brachte 2005 erneut ein Abkommen hervor. 2009 – unter der ersten Obama-Regierung mit Hilary Clinton als Außenministerin – entflammte allerdings Streit über einen nordkoreanischen Raketenstart. Nordkorea gab an, dass es sich um die Beförderung eines Satelliten handele, die USA behaupteten, es gehe um Trägersysteme für potentielle Atomwaffen. Der Streit gipfelte in dem erneuten Ausstieg Nordkoreas aus dem Atomwaffensperrvertrag.

Die Beispiele zeigen, dass Verhandlungen trotz aller Rückschläge durchaus möglich sind und auch Erfolge bringen können, selbst wenn sie fragil sind. Gleich wie steinig dieser Weg sein mag: Es ist der einzige, der es etwas wahrscheinlicher macht, dass wir, unsere Kinder und unsere Enkel noch eine Weile das Licht dieser Erde erblicken dürfen.

Iran: der nächste Kandidat für einen Angriffskrieg

Nordkorea ist währenddessen nicht das einzige Ziel möglicher US-geführter Angriffskriege. Auch der Iran wird von der Trump-Regierung als mögliches Kriegsziel aufgebaut. Sollte die Regierung mit der Aufkündigung des Iran-Deals Ernst machen, der einen Verzicht Irans auf Atomwaffen sichert, könnte das die Schleusen für einen weiteren verheerenden Nahost-Krieg öffnen. Die engen US-Verbündeten Saudi-Arabien und Israel drängen seit Jahren darauf.

Die Methoden, mit denen ein solcher Krieg vorbereitet wird, erinnern in beängstigender Weise an das Vorspiel zum Irak-Krieg. Darauf wies nicht zuletzt Lawrence Wilkerson hin, ehemaliger Assistent von US-Außenminister Colin Powell, der 2003 die gefakten Geheimdienstberichte über Massenvernichtungswaffen für seinen Chef aufbereitete – und dies später bitter bereute.[7] Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, präsentierte kürzlich vor geladenen Journalisten Teile einer Rakete angeblich aus iranischer Produktion, die, wie sie behauptete, von jemenitischen Huthi-Rebellen auf Saudi-Arabien abgeschossen worden sei. Das eigentliche Ziel sei der Flughafen von Riad gewesen. Belege für all das lieferte sie keine. Haley verstieg sich dabei sogar in groteske postfaktische Szenarien: dass etwa der Iran bald mit solchen Raketen (die nur für Kurzstrecken taugen) US-Städte angreifen würde.

Nach all den erfundenen Geschichten, mit denen Kriege in den letzten Jahrzehnten gerechtfertigt wurden, und dem Desaster des Irakkriegs sollte man meinen, dass sich die US-Öffentlichkeit durch solche durchschaubaren Bluffs nicht für neue Feldzüge mobilisieren lässt. Aber sich darauf zu verlassen, wäre höchst fahrlässig, zumal die Trump-Regierung auch vor unpopulären Wahnsinnstaten nicht zurückschreckt. Noam Chomsky hat die republikanische Partei nicht ohne Grund als die „gefährlichste Organisation in der Geschichte der Menschheit“ bezeichnet: eine radikale Sekte mit einem Arsenal von tausenden Atomsprengköpfen, die alles dafür tut, den Weg der Menschheit ins Verderben zu beschleunigen.[8] In der Außenpolitik nicht anders als in der Klimapolitik.

Wo sind die westlichen Friedensbewegungen?

Obwohl die führenden Atomwissenschaftler der Erde davor warnen, dass die Gefahr eines Atomkriegs so hoch ist wie seit 1953 nicht mehr, als die erste Wasserstoffbombe gezündet wurde, ist von einer ernstzunehmenden Friedensbewegung weder in den USA noch in Europa etwas zu sehen. Waren 2003 allein in Berlin 500.000 Menschen auf der Straße, um gegen den sich anbahnenden Irak-Krieg zu demonstrieren – weltweit waren es viele Millionen Menschen –, rührt sich, abgesehen von einigen recht einsamen Aktivisten, in Europa und den USA nur sehr wenig. Dabei gäbe es wichtige Anknüpfungspunkte: der Friedensnobelpreis für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), den UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen, an dem 122 Staaten beteiligt sind (während sich die Bundesregierung auf Geheiß der USA weigert, auch nur mitzuverhandeln) und die Keimzellen neuer Friedensgespräche in den beiden Koreas.

Fabian Scheidler ist Mitbegründer von Kontext TV und Autor der Bücher "Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation" und "Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen".

[1] Washington Post, 30.1.2018

[2] CNN, 5.1.2018

[3] Blaine Harden: The U.S. war crime North Korea won’t forget, Washington Post, 24.3.2015

[4] Reuters, 30.1.2018

[5] Eine detaillierte Chronologie der Beziehungen zwischen den US und Nordkorea bietet die Arms Control Association: https://www.armscontrol.org/factsheets/dprkchron#2017

[6] David Albright: North Korea’s Alleged Large-Scale Enrichment Plant: Yet Another Questionable Extrapolation Based on Aluminum Tubes, The Institute for Science and International Security (ISIS), 23.2.2007

[7] Interview auf Democracy Now, 9.2.2018

[8] Noam Chomsky: Requiem for the American Dream: The 10 Principles of Concentration of Wealth and Power, New York 2017