21.02.2013
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Einleitung: 

In seinem Buch "Days of Destruction, Days of Revolt" beschreibt Chris Hedges "geopferte Zonen" in den USA, die einer schrankenlosen ökonomischen Ausbeutung unterworfen werden: ehemalige Industriestädte wie Camden in New Jersey, das heute zu den ärmsten und gewalttätigsten Städten des Landes gehört, oder die Kohleminen von West Virginia, wo Landschaft und Gemeinden gleichermaßen verwüstet werden. Die liberalen Institutionen, darunter die Demokratische Partei, hätten die Interessen der Bevölkerung verraten und an Unternehmensinteressen verkauft. Die Clinton-Regierung sei besonders für die Deregulierung der Finanzmärkte, den Verkauf von öffentlichen Fernsehfrequenzen an private Konzerne und die nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) verantwortlich - "den größten Angriff auf Arbeiterinteressen seit 1948". Weitere Revolten wie die Occupy-Bewegung seien zu erwarten.

Gäste: 

Chris Hedges, Journalist, Pulitzer-Preisträger, Wissenschaftler am The Nation Institute, bis 2003  Büroleiter für den Mittleren Osten der New York Times, Buchautor (zuletzt "Days of Destruction, Days of Revolt")

Transkript: 

Theresia Reinhold: Willkommen bei Kontext TV, Chris Hedges, es ist mir eine Freude Sie heute hier in New York zu treffen. Ihr neustes Buch heißt „Days of Destruction, Days of Revolt" - „Tage der Zerstörung, Tage der Revolte". Sie sprechen darin über „geopferte Gebiete" in den USA. Was meinen Sie damit?

Chris Hedges: Es sind Gegenden, die gezwungen wurden vor dem Diktat der Märkte niederzuknien, wo es keine Hindernisse für den Profit von Konzernen gibt, wo Gemeinden, Individuen und die Umwelt zerstört werden. Die Kohleminen in Südwest Virginia, die Gemüseplantagen in Florida, ehemalige Industriezentren wie Camden in New Jersey, das heute die ärmste und gefährlichste Stadt in den Vereinigten Staaten ist, oder Reservate für Native Americans, wo diese ganze verrückte, grenzenlose ökonomische Ausbeutung begann. Diese Orte sind wichtig, weil wir durch sie wie durch ein Fenster sehen, was mit uns allen passieren wird. In dem Maße, wie die Begrenzungen für die Macht der großen Unternehmen aufgehoben werden, wird die Welt zur Ware. Alles wird zur Ware, Menschen sind Waren, die Natur ist eine Ware, die ausgebeutet wird, bis sie erschöpft ist und kollabiert. Wir haben über diese „geopferten Gebiete" berichtet, um den Menschen zu zeigen, was passieren wird, wenn wir den Staatsstreich der großen Konzerne, der in den USA vor sich geht, nicht aufhalten.

Theresia Reinhold: Sie schrieben in Ihrem Buch, dass „Der Amerikanische Traum, wie wir nun wissen, eine Lüge ist und wir alle geopfert werden."

Chris Hedges: Natürlich ist er eine Lüge.

Theresia Reinhold: Und dass Revolte die einzige verbleibende Hoffnung ist. Warum?

Chris Hedges: Weil die formalen Machtmechanismen, die liberalen Institutionen, die geschaffen wurden um vorwärtsgewandte und friedliche Reformen möglich zu machen, nicht länger funktionieren. Entweder wir praktizieren zivilen Ungehorsam, oder wir lassen zu, dass ein neofeudaler Unternehmensstaat geschaffen wird.

Theresia Reinhold: Sie sagten, dass die Liberalen Institutionen für die Abwärtsspirale des amerikanischen politischen Systems verantwortlich sind, und argumentieren, dass die liberale Klasse - die Presse, Universitäten, liberale religiöse Institutionen, Gewerkschaften und die Demokratische Partei - ihre Grundprinzipien verraten und an unternehmerische Interessen verkauft haben. Erklären Sie, was sie damit meinen.

Chris Hedges: Obama redet in einer traditionellen liberalen „Ich verstehe eure Sorgen"-Sprache, genauso wie Clinton. Aber er bedient Unternehmensinteressen, ebenso wie auch Clinton, unter dessen Regierung das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA verabschiedet wurde. Dieses Abkommen von 1994 war der größte Angriff auf Arbeiterinnen und Arbeiter in diesem Land seit dem Taft-Hartley Act von 1948, der es sehr schwer machte Gewerkschaften zu bilden. Es war Clinton, der die traditionelle Sozialhilfe zerstörte - und 70% der Sozialhilfe-Empfänger waren Kinder -, es war Clinton der die Telekommunikationsbehörde deregulierte, was einem halben Dutzend Unternehmen - darunter Firecom,  General Electric, Murdoch News Corp, Disney Clear Channel - erlaubte die öffentlichen Fernseh- und Radiofrequenzen aufzukaufen, und es war Clinton, der die Schutzmauer zwischen Handels- und Investmentbanken niederriss, was die nationale und globale Finanzkrise auslöste. Was bekam er dafür? Er hat einiges an Geld von den großen Unternehmen bekommen, in den 1990ern hatte die Demokratische Partei in Sachen Fundraising mit den Republikanern gleichgezogen. Und als Obama 2008 zum ersten Mal gewählt wurde, hatte sie sogar mehr als die Republikaner. Dieser sogenannte Neoliberalismus ist ein tiefer Betrug, er ist nur eine Maske für die Macht der Konzerne.

Theresia Reinhold: Den Mainstream-Medien zufolge ist die Occupy Bewegung verschwunden, niemand spricht mehr darüber. Glauben Sie, dass es eine Wiederbelebung geben wird?

Chris Hedges: Es wird etwas kommen. Es sind die herrschenden Eliten, die Revolten provozieren, weil sie nicht auf die Probleme reagieren, die die Menschen zum Beispiel zu den Occupy-Camps drängen. Und da die Dinge schlechter werden, wird etwas passieren. Was es sein wird, wie es aussehen wird, ob es sich selbst Occupy nennen wird, weiß ich nicht. Aber es wird etwas passieren.