07.02.2014
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Einleitung: 

Auch vor der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008, dem teilweisen Zusammenbruch des Systems, habe sich der Kapitalismus in einer Krise befunden. „Der Unterschied zwischen der derzeitigen Krise und der Dauerkrise ist, dass die aktuelle Krise auch die Mächtigen und Reichen trifft. Daher wird darüber geredet und öffentlich debattiert. Daher müssen Lösungen gefunden werden. Vor dem Finanzchaos starben jedes Jahr zehn Millionen Menschen weltweit, wahrscheinlich sogar hundert Millionen an vermeidbaren Krankheiten und Hunger, obwohl das vermeidbar war“, so Albert. Das Leiden vieler Menschen, die selbst in den Industrienationen wie den USA unterhalb der Armutsgrenzen lebten, sei nicht Resultat des Finanzcrashs und des Wirtschaftsabschwungs, auch wenn diese die Situation der Ausgegrenzten verschärften. Eine wirkliche Lösung der Krise könne daher nicht darin bestehen, den status quo vor der Krise wieder herzustellen, während die Eliten ihre alten Positionen bewahrten. Das sei jedoch der Weg, den die Regierungen eingeschlagen hätten. Eine alternative Krisenbewältigung müsste tatsächliche Gerechtigkeit und Fairness anstreben. Die Entwicklung und Verwirklichung von Alternativen sei notwendig. Die Proteste und Bewegungen sollten ihre Forderungen darauf ausrichten.

Gäste: 

Michael Albert, Publizist, Aktivist und Ökonom, Mitbegründer von ZMag und ZNet, Autor von  "Realizing Hope. Life Beyond Capitalism" und "Parecon" ("Participatory Economics" / "Partizipative Ökonomie")

Transkript: 

David Goessmann: Wir sehen im Moment, dass der Kapitalismus massiv gestört und dysfunktional arbeitet. Bedeutet das nicht auch, dass Alternativen wie eine partizipatorische Ökonomie eine Möglichkeit erhalten könnten, realisiert zu werden.

Michael Albert: Es ist schon eigenartig. Mit dem Platzen der Blase, der Finanzkrise, der Rezession und all diesen Dingen, der Krise in Europa wird nun gesagt, dass diese Phänomene zeigten, dass der Kapitalismus nicht funktioniere. Das ist sicherlich richtig. Die Krise macht klar, dass der Kapitalismus nicht funktioniert, wenn er aus dem Gleichgewicht kommt. Aber nichts funktioniert im Durcheinander. Wirklich kritisch ist, dass kapitalistische Systeme immer in der Krise sind. Der Unterschied zwischen der derzeitigen Krise und der Dauerkrise ist, dass die aktuelle Krise auch die Mächtigen und Reichen trifft. Daher wird darüber geredet und öffentlich debattiert. Daher müssen Lösungen gefunden werden. Vor dem Finanzchaos starben jedes Jahr zehn Millionen Menschen weltweit, wahrscheinlich sogar hundert Millionen an vermeidbaren Krankheiten und Hunger, obwohl das vermeidbar war. Das ist doch wohl eine Krise oder etwa nicht? Nein, es ist keine Krise für die Mainstream-Medien, weil andere sterben. Dass Menschen ohne Würde arbeiten, keine Kontrolle über ihre Arbeit haben, ist für sie keine Krise. Die Journalisten in den Industriestaaten haben ja Kontrolle über ihr Leben. Erst als die aktuelle Krise ausbrach und den Komfort der Eliten einzuschränken drohte, wurde es in der Öffentlichkeit zu einer Krise. Das ist das Erste, was auffällt. Was Sie sagen stimmt völlig. Die gegenwärtige Situation macht die Lage noch schlimmer, es geht einfach nicht mehr so weiter und das öffnet den Menschen die Augen. Doch man sollte genauer hinschauen. Viele Menschen, die Mitten in den amerikanischen Städten mit wenig leben müssen, haben immer eine Krise. Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, leben immer in einer Krise. Diese Krise ist nicht Resultat des Zusammenbruchs des Systems, den wir erlebt haben. Es brauchte einer solchen Krise nicht, um diesen Menschen Leiden zu verschaffen. Ihr Leiden ist alltäglich und dauerhaft. Es stimmt zwar, dass das, was nun passiert, Menschen zum Nachdenken bringt. Sie sind vielleicht offener für Alternativen. Es gibt zwei Möglichkeiten auf die gegenwärtige Krise zu blicken. Eine davon ist zu fragen, wie wir aus ihr heraus kommen, um wieder zum status quo zu gelangen, und wie die Eliten mit ihrem Reichtum und ihrer Macht erneut ihre Positionen einnehmen können, vielleicht dabei sogar besser gestellt sind als zuvor. Das ist der Weg, den die Regierungen, die durch diese Eliten repräsentiert werden, eingeschlagen haben. Das ist in Europa und den USA der Fall. Darüber gibt es kaum Uneinigkeit. (…) Aber es gibt einen anderen Weg, mit der Krise umzugehen. Man könnte fragen, wie wir aus der Krise kommen,  ohne in die gleiche Situation zu geraten, sondern Gleichheit und Gerechtigkeit befördern, so dass die, die bisher den Kürzeren gezogen haben, fair behandelt werden. Die Frage ist, ob wir die Situation umkehren, Missverhältnisse ausgleichen bzw. ausmerzen können? Es wäre ein alternativer Weg der Krisenbewältigung. Je mehr Menschen darüber nachdenken, umso mehr Menschen denken nicht nur darüber nach, gegen das System Widerstand zu leisten, egal ob in den Straßen von Madrid, Berlin, Wisconsin oder New York, sondern versuchen tatsächlich zu begreifen, wohin wir gehen sollten, welche Änderungen wir benötigen, welche Forderungen wir stellen sollten, welche Strukturen aufgebaut werden müssen, um eine völlig neue Gesellschaft aufzubauen. Diese Suche nach Alternativen ist offensichtlich der Ort, wo meine Interessen liegen.