28.10.2011
Share: mp3 | Embed video
Einleitung: 

Nnimmo Bassey fordert ein internationales Tribunal gegen Klimaverbrechen nach dem Modell des Internationalen Gerichtshofs. Umweltverschmutzung sei eine Form des Völkermords, sagt Bassey. Die Verantwortlichen für Klima- und Umweltverbrechen wie im Fall Shell in Nigeria oder der BP-Katastrophe im Golf von Mexiko müßten persönlich haftbar gemacht werden. Dafür bedürfe es einer Reform des Rechtssystem. Auch sei es notwendig, die unterdrückten Kosten der fossilen Brennstoffe wie Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung einzupreisen.

Gäste: 

Nnimmo Bassey, Vorsitzender von Friends of the Earth International und Träger des "Alternativen Nobelpreises", Nigeria

Transkript: 

Fabian Scheidler: Sie haben sich in beim alternativen Klimagipfel in Cochabamba, Bolivien, 2010 für ein internationales Tribunal gegen Klimaverbrechen nach dem Modell des Internationalen Gerichtshofs ausgesprochen. Was hat es mit damit auf sich?

Nnimmo Bassey: Ja, wissen Sie, die Konferenz zum Klimawandel in Cochabamba im April 2010 war sehr wichtig. Denn über einen Zeitraum von zwei Tagen trafen sich Menschen aus der ganzen Welt, aus 142 Ländern, mit 58 nationalen Delegationen - 35.000 Menschen insgesamt - in Cochabamba und haben ein Abkommen geschlossen. Eine der Hauptforderungen dieser Vereinbarung war die Schaffung eines Tribunals für Klimaverbrechen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zeit für ein solches Gericht gekommen ist, ein Gericht, um diejenigen, die die Umwelt zerstören und verschmutzen, für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Denn Umweltverschmutzung ist auch Völkermord. In Nigeria zum Beispiel beträgt die Lebenserwartung der Bevölkerung in der Nähe der Ölfelder nur noch 41 Jahre. Stellen Sie sich das vor! Manche Leute würden erwidern: "Nun, die Kindersterblichkeit ist halt sehr hoch". Aber warum ist die Kindersterblichkeit so hoch? Wegen der Verschmutzung! Und die Leute, die die Umwelt verschmutzen, laufen frei herum, niemand zieht sie zur Rechenschaft. Niemand macht sie verantwortlich. Die Verantwortlichen bauen vielleicht eine Schule oder ein Krankenhaus, aber gleichzeitig vergiften sie uns. So ein Krankenhaus ist ein Witz, es ist überflüssig, denn es hilft uns nicht. Sie spritzen Gift in unsere Venen und geben uns dann ein Scherzmittel. Das macht keinen Sinn. Aber das wird dann als soziale Unternehmensverantwortung gefeiert. "Wir haben ihnen doch ein Krankenhaus gebaut, wir tun alles, was in unserer Macht steht". Und dann fühlen sie sich gut. Unsere Regierung darf dann bei der feierlichen Einweihung der Klinik das Band durchschneiden. Das ist eine Beleidigung der Menschen. Die Regierung schützt uns nicht. Und aus diesem Grund fordern wir eine internationale Gerichtsbarkeit für Umweltverbrechen, wo Unternehmen und Manager dieser Unternehmen persönlich haftbar gemacht werden können, damit sie sich nicht länger hinter den Unternehmen verstecken können. Unternehmen sind vor Gericht juristische Personen, sie sind im Firmenregister Personen, nicht aber wenn es um die Haftung geht. Deshalb müssen wir diese Praxis beenden. Die Menschen, die verschmutzen, oder wie im Fall BP erlauben, im Golf von Mexiko Öl zu fördern, müssen persönlich haftbar gemacht werden, nicht nur der Konzern BP selbst. Wir brauchen weltweit eine Reform des Rechtssystems. Das wird nicht leicht sein. Ecuador ist dafür ein gutes Beispiel. In Ecuador gibt es seit 2008 in der Verfassung einen Artikel, der es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, die Rechte von "Mutter Erde" einzuklagen. Es gab einen Präzedenzfall. Am 26. November 2010 war ich mit Vandana Shiva und einigen Aktivisten aus Peru und Mexiko in Ecuador. Auch Aktivisten aus Ecuador und der ehemalige Vorsitzende der verfassungsgebenden Versammlung von Ecuador, Alberto Acosta, waren da. Wir haben am ecuadorianischen Verfassungsgericht Klage gegen BP wegen Schädigung und Verschmutzung von "Mutter Erde" erhoben. Die Klage gegen BP wurde angenommen. Wir haben jetzt also diesen Fall in Ecuador. Und das Interessante ist, dass wir keine Forderung nach finanzieller Entschädigung gestellt haben. Sonst würden vielleicht einige sagen: "Ok, wir wollen Mutter Erde ein wenig Geld geben." Das ist aber nicht, was wir wollen. Wir sind Geschöpfe dieser Erde und es ist beruhigend zu wissen, dass es ein Land gibt, das es uns ermöglicht, die Rechte der "Mutter Erde" zu verteidigen. Es ist ein sehr innovatives Gesetz, und wir hoffen, dass andere Länder es übernehmen, damit wir weltweit ein System haben, mit dem wir der Umwelt helfen können. Eine der zentralen Forderungen der Klage gegen BP ist, die Ölkonzerne zu zwingen, genaue Angaben darüber zu machen, wieviel Erdöl in den Golf von Mexiko gelangt ist. Niemand weiß, wie viel ins Meer geflossen ist. Sie haben die Menge immer wieder erhöht. Es begann bei 1000 Barrel pro Tag, dann waren es 5000 Barrel pro Tag, bis hin zu 10.000 Barrel am Tag. Je mehr Druck es gab, umso höher wurden die Angaben. Sie wussten aber vom ersten Tag, wie viel es war. Aber sie haben es uns nicht gesagt. Deshalb wollen wir wissen, wie viel Öl es war. Wenn das feststeht, fordern wir, dass auf die Förderung genau dieser Menge Öl an anderer Stelle auf der Welt verzichtet wird. Eine Entschädigung an "Mutter Erde" für das, was sie ihr angetan haben. Außerdem wollen wir, dass BP bekannt gibt, wie viel Chemikalien eingesetzt wurden, um das Rohöl zu binden. Es handelt sich um eine große Menge. Wir wollen genau wissen, wie viel eingesetzt wurde, und wir wollen auch wissen, wie viele Wissenschaftler bezahlt wurden, um Untersuchungen zur Verschmutzung der Region durchzuführen. Wir brauchen eine Liste dieser Menschen und ihre Namen, so dass die ganze Welt erfährt, wer diejenigen sind, die mit BP gemeinsam Sache machen, um die Welt zu täuschen. Das sind einige unserer Forderungen.

David Goeßmann: Sie sprechen sich für einen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen aus. Wie könnte ein solcher Ausstieg aussehen? Und würde das für die Menschen in Afrika und Europa bedueten?

Nnimmo Bassey: Ja, ich glaube, dass die heutigen Krisen auf der Welt vor allem auf unsere "Kultur der fossilen Brennstoffe" zurückzuführen ist. Wenn man sich heutzutage die Kriege anschaut, die auf der Welt geführt werden, stellt man fest, dass sie sich um die Frage drehen: "Wer hat Kontrolle über die fossilen Energieträger auf der Welt?". Und wir wissen auch, dass die Entdeckung der mit Benzin angetriebenen Fahrzeuge zu einer Technisierung des Krieges geführt hat. Seitdem gibt es Truppentransporte, Düsenjäger und so weiter. Der Krieg hat eine verheerende Wendung genommen durch die technischen Entwicklungen im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen. Und der Klimawandel wird hauptsächlich durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht. Wir schlagen vor, das Problem an der Wurzel anzupacken. Daraus folgt, dass wir unsere Produktionsmethoden, unser Konsumverhalten ändern müssen. Aber wenn wir Nachhaltigkeit wollen, und in die Zukunft schauen, müssen wir erkennen, dass das Bohren nach Öl in empfindlichen Ökosystemen, das Bohren nach Öl in Naturschutzgebieten oder zukünftig selbst die Ölförderung am Nordpol, wo der Klimawandel das Polareis wegschmilzen läßt und es deshalb möglich ist, dort zu bohren, unsere Probleme nur größer macht. Es ist keine Lösung und treibt uns immer weiter in die Krise. Deshalb ist die Abkehr von fossilen Brennstoffen eine große Herausforderung für alle. Denn es scheint, dass fossile Brennstoffe eine sehr günstige Energieform darstellen. Allerdings ist diese Energie nur deshalb günstig, weil die tatsächlichen Kosten nicht eingepreist sind, wie zum Beispiel Kosten der Umweltverschmutzung oder die Menschenrechtsverletzung. Wenn alle Einbußen der lokalen Bevölkerungen weltweit aufsummiert würden, wären fossile Brennstoffe extrem teuer. Dann wäre die Welt vielleicht viel eher bereit, sich von der "Kultur der fossilen Brennstoffe" zu verabschieden. Aber weil die Kosten für Menschen anfallen, die nicht im Licht der westlichen Medien stehen, sieht niemand, was dort vor sich geht. Alle fahren einfach mit ihren Autos zur Tankstelle, man sieht nicht einmal das Benzin, das man tankt, man sieht die Ölpest nicht, man sieht überhaupt nichts. Die Autofahrer verschließen den Tank und fahren los und haben einen schönen Nachmittag, mit einem Pfeifen auf den Lippen. Wir müssen unsere Lebensweise umstellen, die erneuerbaren Energien ernst nehmen und tatsächlich in Nachhaltigkeit investieren, in das, was unseren Kindern eine Chance zum Überleben gibt. Momentan leben wir als gäbe es kein Morgen. Wir sollten sicherstellen, dass gegen Ende unseres Lebens noch genügend fossile Brennstoffe vorhanden sind. In den nächsten paar Jahrzehnte werden sie noch nicht komplett ausgeschöpft sein, also könnten wir einfach weitermachen. Aber was ist mit unseren Kindern? Was ist mit unseren Enkeln? Fossile Brennstoffe erneuern sich nur über einen Zeitraum von Milliarden von Jahren. Öl ist keine erneuerbare Energiequelle.

Fabian Scheidler: Einige schlagen in dieser Situation vor, fossile Brennstoffe einfach durch Agrar-Kraftstoffe zu ersetzen. Sie haben die Probleme dieser Kraftstoffe bereits angesprochen. Können sie fossile Brennstoffe wirklich ersetzen?

Nnimmo Bassey: Die Behauptung, fossile Brennstoffe könnten durch Bio-Kraftstoffe ersetzt werden, ist eine Lüge. Diejenigen, die das vorschlagen, wissen genau, dass es auf der ganzen Erde nicht genug Land gibt, um genügend Pflanzen für diese Bio-Kraftstoffe anzubauen. Das kann bestenfalls eine Ergänzung der fossilen Brennstoffe sein. Darüber hinaus denke ich, dass die Bio-Kraftstoffe deshalb so attraktiv erscheinen, weil sie die gleichen Paradigmen benutzen, dem gleichen Mechanismus wie fossile Brennstoffe unterliegen. Sie benötigen die gleichen Pipelines, die gleichen Tanker, die gleichen Raffinerien und natürlich die gleichen Leute. Die selben Ölfirmen werden weiterhin an der Herstellung der Kraftstoffe beteiligt sein. In Nigeria hat die Nigerian National Petroleum Corporation die Politik in diese Richtung gedrängt. Solche Unternehmen sind es dann, die Grund und Boden in Nigeria aufkaufen, um Nahrungspflanzen für die Bio-Kraftstoff-Produktion anzubauen. Und das stellt wirklich ein Problem dar - es beeinträchtigt die Lebensmittelversorgung des Landes. Bio-Kraftstoffe erscheinen so attraktiv, weil sie den Status quo erhalten. Die gleichen Leute verdienen daran und es zwingt niemanden dazu, das alte System der Energieerzeugung zu überdenken und umzustellen auf ein neues. Wir müssen uns aber so schnell wie möglich verabschieden von fossilen und Agrar-Brennstoffen. Unter Umständen können wir fossile Brennstoffe auf kommunaler Ebene in kleinen Mengen einsetzen. Agro-Brennstoffe sollten nur benutzt werden, wenn sie nachhaltig sind. Aber nicht in großem Maßstab, nicht für große Maschinen und nicht, um Millionen von Autos anzutreiben.

Fabian Scheidler: Das war Nnimmo Bassey aus Nigeria, Vorsitzender von Friends of the Earth International.

David Goeßmann: Das war Kontext TV. Um unsere Unabhängigkeit zu wahren, akzeptiert Kontext TV keine Werbung und kein Sponsorung. Wir sind daher auf die Unterstützung unserer Zuschauerinnen und Zuschauer angewiesen.

Fabian Scheidler: Sie können Fördermitglied werden oder uns durch Spenden unterstützen,. Mehr Informationen auf unserer Website www.kontext-tv.de. Danke fürs Zuschauen und Zuhören und bis zum nächsten Mal. Es verabschieden sich David Goeßmann und Fabian Scheidler.)