19.05.2011
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Heiner Flassbeck: Chefökonom der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf
Sabine Reiner: Gewerkschaftssekretärin beim ver.di-Bundesvorstand im Bereich Wirtschaftspolitik
David Harvey (Vortrag): Professor für Geographie und Anthropologie an der City University of New York, bekannter Sozialtheoretiker ("The Enigma of Capital and the Crisis of Capitalism")

Während die Bundesregierung die Eurokrise als ein Problem der Überschuldung einzelner EU-Staaten wie Griechenland darstellt, sagt Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNCTAD, dass die Ursachen in der nach wie vor unbewältigten Finanzkrise liegen. Überhöhte Zinsen für Länder wie Griechenland hätten keine reale Basis in der Ökonomie sondern beruhten auf Spekulation. Dem gefährlichen Treiben im globalen Finanzcasino hätten die Regierungen bisher so gut wie keine Schranken gesetzt.

Eine gemeinsame Währung braucht eine gemeinsame Lohnpolitik in Europa anstelle einer Spirale der Konkurrenz nach unten. Doch die deutsche Politik der Lohnzurückhaltung und der Niedriglöhne hat hiesige Exporte billiger gemacht und Länder wie Griechenland an die Wand gedrängt. Mit den Sparpaketen für Griechenland und andere Krisenländer sollen nun auch dort Löhne massiv gesenkt werden. Die Folge: Eine europaweite Deflation und womöglich das Auseinanderbrechen des Euroraums und der EU, warnt Heiner Flassbeck.

Auch Portugal und Spanien sehen sich ähnlich destruktiven Sparpaketen aussetzt wie Griechenland. Irlands Krise unterscheidet sich von den anderen, weil es sich vor allem um eine Bankenkrise handelt. Doch die Maßnahmen von EU und Bundesregierung kaufen die Verursacher der Krise – die überschuldeten Banken – frei und wälzen die Kosten auf die Bevölkerung ab.
Europaweit tragen die rigorosen Sparmaßnahmen zum Aufkommen rechter Tendenzen wie in Finnland bei.

Ende März hat die EU-Gipfelkonferenz den sogenannten Euro-Plus-Pakt verabschiedet, der besonders von Gewerkschaften massiv kritisiert wurde. Auch Heiner Flassbeck sieht in dem Pakt keine Lösung des Problems sondern eine Verschärfung. Anstatt einen unsinnigen Wettbewerb aller gegen alle auszurufen, solle man das Zocken auf den Finanzmärkten verbieten. Auch einen "Haircut", also den Teilverzicht der Gläubiger bei einer Umschuldung, sowie einen "Süd-Euro" hält Flassbeck für einen falschen Weg. Vielmehr müsse die Wettbewerbslücke zwischen Deutschland und den anderen Euro-Staaten geschlossen werden.

Heiner Flassbeck wurde beim Ausstieg Oskar Lafontaines aus dem Finanzministerium von seinem Nachfolger Hans Eichel als Staatssekretär entlassen. Was folgte war ein Kurswechsel. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder habe eine Politk des Lohndumping gegen die Gewerkschaften und eine Deregulierung des Finanzmarkts betrieben, so Flassbeck. Das habe zu enormen Handelsungleichgewichten geführt, die den Euroraum zerstört hätten. Flassbeck fordert eine Anhebungen des Spitzensteuersatzes und der Körperschaftssteuer in Deutschland.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte in ihrer Regierungserklärung zum Euro-Plus-Pakt mehr Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone, um Stabilität und Wachstum für Europa zu erzielen. Mit solchen Aussagen werde die eigentliche Krisenursache jedoch vertuscht, sagt Sabine Reiner von Ver.di. Denn die liege vor allem in der Spekulation auf den Finanzmärkten. Gleichzeitig schiebe die deutsche Regierung den überforderten Länder die Verantwortung für die Finanzkrise zu. Angesichts der Krise des Kapitalismus, wie der Sozialtheoretiker David Harvey sie beschreibt, fordert Reiner ein Umdenken, eine faire Vermögensverteilung und einen Mindestlohn in Deutschland.