13.08.2015
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Einleitung: 

Die EZB sei hauptverantwortlich für die Schließung griechischer Banken nach dem Referendum im Juli. Hauptaufgabe der EZB sei es, Banken liquide zu halten, sie habe in der Krise aber das Gegenteil getan und damit die griechische Wirtschaft weiter destabilisiert. Für die EZB sei es ein Leichtes, die Schuldenkrise Griechenlands zu beenden, immerhin würde die Zentralbank jeden Monat für 60 Mrd. € Schulden anderer Euro-Länder aufkaufen. Doch die EZB sei von Marktradikalen dominiert und nutze die Krise, um den europäischen Wohlfahrtsstaat auf ein Minimum zu reduzieren.

Gäste: 

Harald Schumann, investigativer Journalist (Der Tagesspiegel), Buchautor ("Die Globalisierungsfalle", "Der globale Countdown") und Protagonist der Filme "Staatsgeheimnis Bankenrettung" und "Macht ohne Kontrolle"

Transkript: 

Fabian Scheidler: Welche Rolle hat die europäische Zentralbank in den Verhandlungen mit Griechenland gespielt? Auf dem Papier, theoretisch soll sie ja nicht politisch agieren. De facto hat sie aber natürlich politisch agiert, indem sie den griechischen Banken beispielsweise Liquidität entzogen hat.

Harald Schumann: Ja, die Rolle der europäischen Zentralbank ist widersprüchlich, muss man sagen. Dadurch dass die Euro-Regierungen über so lange Zeit nicht gehandelt und nicht reformiert haben und kein eigenes Geld in die Hand nehmen wollten, um wirklich wieder Wachstum anzuschieben, während die EZB als genuine Euroinstitution ja auch ums eigene überleben kämpft, musste die EZB versuchen, überall dagegenzuhalten. Deswegen versucht sie einerseits, die Konjunktur anzukurbeln, im klassisch kenianischen Sinne durch Vermehrung der Geldmenge, Verbesserung des Angebots und Erniedrigung der Zinsen.

Gleichzeitig sind aber sämtliche Führungsposten in der EZB durch Männer besetzt – es sind ja nur Männer –, die selber hartleibige, marktgläubige Marktradikale sind. Und da die Eurofinanzminister sie ja ausdrücklich eingeladen haben, an der Gestaltung der Krisenpolitik mitzuwirken, haben sie diese Rolle natürlich auch gerne angenommen. Das heißt, sie haben mit der einen Hand über sogenannte Strukturreformen und natürlich die Austeritätsmaßnahmen europaweit die Nachfrage gedrückt, so dass sogar die Financial Times, also das Organ der Finanzanleger, von einem europäischen Nachfragemangelsyndrom spricht; und auf der anderen Seite versuchen sie verzweifelt, die Nachfrage zu stärken, dadurch, dass sie mehr Geld in Umlauf bringen. Das ist eine sehr widersprüchliche Position.

Was ich fatal finde, ist, dass sie sich dadurch Stück für Stück in eine Position haben lavieren lassen, in der sie jetzt ihre eigentliche Funktion, nämlich Zentralbank zu sein und für die Stabilität des Bankensystems und des Finanzsystems zu sorgen, nicht mehr einhalten können. Das sieht man am Beispiel Griechenland gerade ganz aktuell. Es ist die zentrale Aufgabe einer Zentralbank – das ist überhaupt, warum Zentralbanken erfunden wurden –, Bankenkrach zu verhindern, also einen Bank-Run, die Panik zu verhindern, die die Menschen ergreift, wenn sie das Gefühl haben: Meine Bank ist Pleite und meine Einlagen sind weg. Diese Angst hat aber die EZB durch die Begrenzung der Liquiditätsversorgung der griechischen Banken selber dramatisch verstärkt. Das heißt, sie haben nicht nur den Bank-Run nicht verhindert, sondern sie haben ihn selber erzeugt. Das halte ich für hochproblematisch.

Und was mich verblüfft, ist, dass darüber kaum diskutiert wird. Es gibt gar keine Auseinandersetzung darüber, sondern es wird immer gesagt: Den griechischen Banken mussten die Liquiditätskredite begrenzt werden, weil das ja ein Fass ohne Boden wäre. Die Griechen schafften ihr Geld außer Landes und die EZB ersetze es durch frisches Zentralbankgeld und betreibe damit im Grunde Staatsfinanzierung. Das ist Quatsch. Die griechischen Banken finanzieren den griechischen Staat nur zu einem ganz kleinen Ausmaß. Von ihrem Gesamtkreditportfolio machen die Kredite an den Staat weniger als zehn Prozent aus – nicht wirklich relevant. Das heißt, diese Begründung ist falsch.

Und das Verrückte ist: Wenn Herr Draghi nur ein einziges Mal gesagt hätte, „die EZB wird dafür sorgen, dass keine griechische Bank Pleite geht, und es werden keine Einlagen beschlagnahmt“, hätten die Griechen von demselben Moment an aufgehört, ihr Geld abzuheben und ins Ausland zu schaffen. Im Gegenteil: Wahrscheinlich wäre sogar Geld zurück gekommen. Das große Drama in Griechenland ist, dass das Währungsrisiko permanent aufrechterhalten wird, sodass alle nicht wissen, ob im nächsten Jahr der Euro immer noch die griechische Währung sein wird. Damit schafft man ein solches Ausmaß an wirtschaftlicher Unsicherheit, dass jede Art von Investitionstätigkeit zum Stillstand kommt und die Menschen eben Angst um ihre Rücklagen kriegen. Das ist wirklich fatal, muss ich sagen, und es ist auch rücksichtslos – und menschenfeindlich. Denn die Folgen für die Menschen in Griechenland sind richtig schlimm. Wir erzeugen künstlich einen gescheiterten Staat und eine Verelendung, die ganz leicht aufzuhalten gewesen wäre.

Man muss sich mal überlegen: Zur selben Zeit, wo das passiert, schöpft die EZB jeden Monat 60 Milliarden frische Euro aus dem Nichts, um damit die Staatsanleihen anderer Eurostaaten aufzukaufen und de facto ja stillzulegen. Denn wenn die Zentralbank Staatsanleihen hat, dann kassiert sie dafür zwar Zinsen, aber diese gehen in ihren Gewinn ein, und dieser Gewinn wird zurücküberwiesen an die Regierungen. Mit anderen Worten: Der Staat leiht sich selber Geld. Es findet im Grunde eine Monetisierung der Staatsschuld statt, auch wenn das bestritten wird – es ist so. 60 Milliarden im Monat! Wenn sie das nur zwei Monate lang für Griechenland gemacht hätten, wäre die gesamte griechische Schuldenkrise vorbei gewesen! Das ist ein unerträglicher Widerspruch.

Fabian Scheidler: Und die Motive dafür?

Harald Schumann: Die EZB-Leute glauben daran, dass man diese Krise dafür nutzen muss, um den europäischen Wohlfahrtsstaat auf ein Minimum zusammenzuschrumpfen und mehr, wenn man so will, amerikanischen Verhältnissen anzugleichen. Ich meine, Herr Draghi hat das in einem Interview mit dem Wall Street Journal schon 2011 einmal gesagt. Da wurde er gefragt, ob denn die Eurokrise jetzt zeige, dass das europäische Sozialmodell ins Schwanken gerät. Da hat er ganz lässig gesagt: „Das europäische Sozialmodell ist ja schon gescheitert, das sehen wir doch.“ Mit anderen Worten: Das, was die Europäer bisher gemeint haben, was sie von vielen anderen Gegenden der Welt unterscheidet, nämlich dass sie auf soziale Gerechtigkeit achten, Absicherung für schwere Lebenslagen – das war eine Auszeichnung des sogenannten Rheinischen Kapitalismus, der aber doch in ganz Europa Rückhalt hatte, außer vielleicht in Großbritannien –, dieses Modell soll im Grunde geschliffen werden. Damit hat man in den Krisenstaaten ja schon weitgehend Erfolg, und das wird sich natürlich von der Peripherie zum Zentrum fortsetzen – und da machen auch die EZB-Leute mit.