29.06.2011
Share: mp3 | Embed video
Gäste: 

Immanuel Wallerstein, Senior Research Scholar an der Yale University, USA. Mitbegründer der Weltsystem-Theorie, von 1994-1998 Präsident der International Sociological Association und Autor zahlreicher Bücher

Nachdem der Kapitalismus in den neunziger Jahren weltweit triumphierte, fragen sich heute angesichts von Finanzkrise, Klimakrise und Ernährungskrise immer mehr Menschen, ob dieses Wirtschaftssystem fähig ist, die großen Zukunftsfragen zu lösen oder ob der Kapitalismus nicht eher Teil des Problems ist. Immanuel Wallerstein, weltbekannter Weltsystemtheoretiker von der Yale University in den USA, sprach mit Kontext TV auf dem Weltsozialforum in Dakar über die Grenzen des kapitalistischen Systems.

Zahlreiche lateinamerikanische und afrikanische Länder sind seit den 70er Jahren durch den Anstieg des Ölpreises und die Finanzindustrie in die Schuldenfalle getrieben worden, sagt Immanuel Wallerstein. Auch osteuropäische Länder seien davon betroffen worden. Anfang der 80er Jahre wurde zum Beispiel das verschuldete Polen vom Internationalen Währungsfonds zu sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen gezwungen. Folge waren ausbeuterische Arbeitsbedingungen, so Wallerstein. Die Solidarnosc-Bewegung entstand als Reaktion darauf. Rumänien unter Ceaucescue galt dem IWF in dieser Zeit als Musterknabe, weil es beim Schuldenabbau besonders hart gegen die eigene Bevölkerung vorging.

Seit der Finanzkrise 2007 sprechen viele über den Niedergang der USA als Supermacht. Doch dieser Prozess habe bereits früher begonnen, sagt Immanuel Wallerstein. Seit den 1970er Jahren habe der langsame Niedergang begonnen. Die USA hätten zwar die stärkste Armee der Welt, aber sie könnten sie nicht nutzen. Die Funktion des US-Militärapparates sei es vielmehr, Arbeitsplätze zu schaffen und ein gewisses Level an Ausgaben zu generieren. Er funktioniere nicht als Militärapparat, er habe eine wirtschaftliche Funktion. Diese Dysfunktionalität des US-Militärs werde heute auch bei Konservativen in den USA wahrgenommen. Der Isolationismus werde dabei wieder als eine ernstzunehmende politische Möglichkeit diskutiert.

Soziale Bewegungen haben für Wallerstein eine herausragende Rolle. Sie entschieden, ob es in Zukunft mehr Ausbeutung oder mehr Demokratie gäbe. Das Weltsozialforum sei dabei sehr wichtig. Denn es müßten Strategien und Taktiken entwickelt werden, die sowohl kurzfristig das Leiden der Menschen minimierten als auch mittelfristig die Welt veränderten. Beide Strategien müßten zusammen verfolgt werden.