01.06.2012
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Einleitung: 

Die aktuelle Wasserkrise geht auf jahrzehntelangen Raubbau zurück. Die weltweite Übernutzung des Grundwassers hat sich zwischen 1960 und 2000 mehr als verdoppelt. Eine aktuelle Studie von Wasserunternehmen und der Weltbank stellt fest, dass im Jahr 2030 die globale Wassernachfrage das Angebot um 40 Prozent überschreiten wird. Die renommierte kanadische Wasseraktivistin Maude Barlow warnt, dass der Erde das saubere Wasser ausgehe. Die unterirdischen Grundwasserspeicher, die Aquifere, würden gnadenlos leergepumpt. Große Seen wie der Aralsee oder Tschadsee seien bereits großenteils verschwunden. Der exzessive Wasserkonsum insbesondere in den reichen Industrieländern zerstöre auch durch den Import von wasserintensiven Gütern wie Fleisch und Elektronik - das sogenannte "vituelle Wasser" - die Lebensgrundlage in vielen Teilen der Erde.

Gäste: 

Maude Barlow, Council of Canadians/Blue Planet Project, Trägerin des "Alternativen Nobelpreises"

Transkript: 

David Goeßmann: Die aktuelle Wasserkrise geht auf jahrzehntelangen Raubbau zurück. Die weltweite Übernutzung des Grundwassers hat sich zwischen 1960 und 2000 mehr als verdoppelt. Eine aktuelle Studie von Wasserunternehmen und der Weltbank stellt fest, dass im Jahr 2030 die globale Wassernachfrage das Angebot um 40 Prozent überschreiten wird. Viele Flüsse - die wichtigste erneuerbare Wasserreserve für Menschen - stehen durch abschmelzende Gletscher, leergepumpte Grundwasserspeicher und Verschmutzung vor dem Kollaps. Nach Angaben der Zeitschrift Nature leben fast 80 Prozent der Weltbevölkerung an Flüssen, deren Wasserversorgung hochgradig bedroht ist.

Fabian Scheidler: In Marseille sprachen wir mit der renommierten Wasseraktivistin Maude Barlow. Barlow ist Vorsitzende der größten kanadischen Bürgerrechtsorganisation Council of Canadians und Gründerin vom Blue Planet Project. 2005 ergielt sie den Alterativen Noibelpreis, im Jahr 2008/2009 war sie Beraterin des Präsidenten der UN-Generalversammlung in Wasserfragen. Sie ist Autorin und Co-Autorin von 16 Büchern, darunter der internationale Bestseller "Blue Covenant: The Global Water Crisis and The Coming Battle for the Right to Water".

Fabian Scheidler: Willkommen bei Kontext TV, Maude Barlow.

Maude Barlow: Danke. Ich freue mich, dabei zu sein.

Fabian Scheidler: In den letzten Jahren häufen sich mehr denn je Dürren, Wasserknappheit oder ausgetrocknete Seen. Nicht nur in Afrika, sondern auch in den USA, in Asien, ja sogar in Südeuropa geht die Süßwassermenge stark zurück. Erzählen Sie uns etwas über die Austrocknung des Planeten und die Gründe und Auswirkungen der weltweiten Wasserkrise.

Maude Barlow: Unserer Erde geht das saubere Wasser aus. Als Kinder hat man uns beigebracht, das könne nie passieren. Man erklärte uns richtigerweise, dass der Wasserkreislauf eine bestimmte Wassermenge enthalte. Diese sei zwar gering im Vergleich zur Gesamtmenge auf der Erde, könne aber nicht verloren gehen. Sie durchlaufe immer wieder den Wasserkreislauf und man könne damit machen was man wolle. Die Lehrer haben uns nicht angelogen, aber was sie sagten war falsch. Entweder verschmutzen wir das Wasser oder wir pumpen die Flüsse und das Grundwasser leer. Vor 30-40 Jahren hatten wir noch gar nicht die Technik, um das in diesem Rhythmus zu tun. Mit diesem Wasser bauen wir entweder Lebensmittel für den Weltmarkt an und exportieren es als virtuelles Wasser oder wir transportieren Wasser vom Festland in die Megastädte, von wo es als Abwasser in die Meere fließt. 
Wie eine neue Studie zeigt, wird der Anstieg des Meeresspiegels nur zum Teil vom Klimawandel verursacht. Mindestens ein Viertel dieses Anstiegs kommt daher, dass wir aufgrund der Industrie und der intensiven Landwirtschaft Wasser vom Festland in die Meere leiten. Wir müssen uns klar machen: Das Wasser befindet sich noch irgendwo auf dem Planeten aber es ist entweder verschmutzt, in den Weltmeeren, oder in Lebensmitteln und anderen Waren gespeichert, so dass wir es nicht mehr zurück bekommen. Die Dürren, die unsere Erde heimsuchen sind keine zyklischen Phänomene, sondern Teil einer Krise. Der Wasserbedarf steigt steil an, während das Angebot stark zurückgeht. Das nennt man exponentielle Ausbeutung der Ressourcen. Ich vergleiche das oft mit einer randvollen Badewanne, aus der viele Leute gleichzeitig mit Strohhalmen trinken. Den Leuten sind die Augen verbunden und sie trinken immer weiter und es scheint genug Wasser für alle da zu sein, bis plötzlich für keinen mehr Wasser da ist. So steht es um das Grundwasser und wir haben das noch nicht verinnerlicht. Wir sind mit dem Mythos vom Überfluss groß geworden und dachten, das Wasser würde uns nie ausgehen. Aber wenn wir nicht ganz schnell umdenken, dann wird daraus viel Leid entstehen.

David Goeßmann: Maude Barlow, Sie haben das Thema schon angesprochen: In Ihren Büchern schreiben Sie viel über die Ausbeutung von unterirdische Grundwasserspeicher und -adern, die sogenannten Aquifere. Könnten Sie kurz erläutern, was diese Aquifere sind und warum es so verheerend ist, sie anzuzapfen?

Maude Barlow: Aquifere sind unterirdische Wasserquellen, sozusagen Wasserbecken unter der Erde. Sie können offen oder geschlossen sein oder zu unterirdischen Flüssen gehören. Da sie kartographisch nicht vollständig erfasst sind, wissen wir nicht genau, wie sie sich regenerieren. Sicher ist aber, dass wir ihnen oft auf sehr unnachhaltige Weise Wasser entnehmen. Eine weltweite Grundwasserstudie hat kürzlich herausgefunden, dass sich die Grundwasserentnahme alle 20 Jahre verdoppelt. Und in vielen Teilen der Welt droht der Grundwasserspiegel tatsächlich auf null zu sinken, da wir das Wasser schneller abpumpen, als es sich wieder auffüllen kann. Wenn es nachfließen kann, was normalerweise möglich ist, dann ist alles in Ordnung. Aber wenn das nicht mehr möglich ist, sind wir wieder bei meiner Badewannenmetapher: Das Wasser ist weg und es wird auch nicht wiederkommen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass unsere Brunnenbohrtechnologie heute viel weiter entwickelt ist als früher.
Manche Brunnen sind so tief wie Wolkenkratzer hoch sind und saugen das Wasser aus der Erde. Der Ogallala-Aquifer in den USA war einmal der größte Aquifer der Welt. Das ist Vergangenheit. Die dortige Lebensmittelproduktion ist nur noch halb so hoch wie in den 1980ern. 200.000 Brunnen pumpen daraus rund um die Uhr Wasser nach oben. Der Aralsee in der ehemaligen Sowjetunion, der früher wegen seiner Größe als Binnenmeer bezeichnet wurde, ist verschwunden, weil man ihm für den Baumwollanbau in der Wüste sein Wasser entzogen hat. Der Tschadsee in Afrika ist ebenfalls verschwunden. Wir können große Gewässer zerstören, indem wir sie unablässig anzapfen. Und wir müssen uns das eine Lehre sein lassen, sonst passiert es immer wieder. Selbst Entwicklungshelfer und Menschenrechtsaktivisten sprechen immer noch davon mehr Brunnen zu bauen. Das mag eine Teillösung für bestimmte Gebiete sein, aber die eigentliche Antwort ist, Wasserquellen zu schützen und ihre übermäßige Ausbeutung zu verhindern.

Fabian Scheidler: Sie sprachen bereits von virtuellem Wasser. Menschen in Europa verbrauchen durchschnittlich 30 Mal so viel Wasser in Form von importierten Waren als Leitungswasser. Was ist virtuelles Wasser und welche Bedeutung hat es?

Maude Barlow: Virtuelles Wasser ist das zentrale Konzept, das wir verstehen müssen. Es ist das Wasser, das in allen Dingen unseres Lebens enthalten ist, zum Beispiel das Wasser, das zur Herstellung unserer Nahrung verwendet wurde. Wenn in einer vierköpfigen Familie jeder ein kleines Steak zu Mittag isst, konsumieren sie den Inhalt eines olympischen Schwimmbeckens. Das müssen wir uns einhämmern. Bei der Berechnung unseres täglichen Wasserverbrauchs wird virtuelles Wasser nicht mitgerechnet, sondern nur das im Haushalt benutzte Wasser. Seit mindestens zehn Jahren erklären die Vereinten Nationen und alle Experten uns immer, dass wir täglich 400 Liter pro Kopf verbrauchen. Natürlich verbraucht die Hälfte der Weltbevölkerung längst nicht so viel und die andere Hälfte oder das obere Drittel entsprechend mehr. Eine neue Studie aber hat das virtuelle Wasser berücksichtigt, also das Wasser, mit dem unsere Güter und Dienstleistungen, Strom, Nahrung, Computer und so weiter produziert werden. Demnach beträgt unser Durchschnittsverbrauch pro Kopf 4000 Liter, also das Zehnfache. Und auch hier ist die halbe Weltbevölkerung nicht mitgerechnet, weil sie nicht am Massenkonsum teilnimmt. Unser Lebensstil verschlingt gigantische Wassermengen. Daher sehe ich eine enge Verbindung zum Freihandel und zum ungebremsten Wachstum. Denn hier gilt: Immer weiter wachsen, mehr Dinge, mehr Handel, mehr Handelsabkommen, den Unternehmen mehr Rechte einräumen, weniger Möglichkeiten für Regierungen, lokale Ressourcen zu schützen. Das ist zerstörerisch, weil dabei Wasser in einem bestimmten Einzugsgebiet entnommen wird, um damit etwa Nahrungsmittel herzustellen, die nicht nur außerhalb dieses Einzugsgebiets sondern auch außerhalb des jeweiligen Landes verkauft werden. Man bittet mich oft, ein Beispiel für gute Wasserwirtschaft zu geben und dann sage ich meistens: Auf den ersten Blick ist das Europa. Europa hat dem Rest der Welt etwas voraus, weil es den Wassermangel als Problem erkannt und im Jahr 2000 ein Abkommen zur Verwaltung von Einzugsgebieten geschlossen hat. Länder mit einem gemeinsamen Einzugsgebiet müssen gemeinsam dafür die Verantwortung tragen und sich darum kümmern.  Aber Europa kann sich das nicht zuletzt deswegen leisten, weil es reich genug ist, um virtuelles Wasser in Form von Lebensmitteln, Blumen, Computern und vielem anderen aus Ländern zu importieren, die für die Herstellung ihr knappes Quellwasser verwenden. Großbritannien zum Beispiel importiert zwei Drittel des virtuellen Wassers, das es verbraucht. Daher müssen wir aufhören, Wasser nur unter dem Aspekt des unmittelbaren Tagesbedarfs zu betrachten. Ein Anlageexperte hat einmal zu Recht gesagt, dass die Kriege um Wasser künftig nicht auf dem Schlachtfeld stattfinden werden, sondern auf den Getreide- und Aktienmärkten, also innerhalb des Welthandelssystems. Dabei geht es um Wasser als Ausgangsstoff für ein lukratives Geschäft, vor allem mit Lebensmitteln, was hochgefährlich ist.

David Goeßmann: Welche Rolle spielt der Klimawandel im Hinblick auf die Wasserknappheit?

Maude Barlow: Das ist spannend: Wir alle wissen ja, dass der von fossilen Brennstoffen und Treibhausgasemissionen hervorgerufene Klimawandel sich auf das Wasser auswirkt, weil sich mit der Erwärmung der Atmosphäre auch das Wasser erwärmt. Die Eisdecken auf den Seen werden dünner und überall auf der Welt schmelzen die Gletscher. Wahrscheinlich werden im Laufe eines Jahrhunderts alle Gletscher der Welt wegschmelzen. Also betrifft die Erderwärmung auch das Wasser. Nur wenige wissen aber, dass sich unsere Wasserwirtschaft auch auf das Klima auswirkt. Denn wenn man Wasser aus einem Einzugsgebiet entfernt, dann wird dadurch der Wasserkreislauf gestört. Ein Freund von mir, der Wissenschaftler ist, verdeutlicht das mit Hilfe bunter Folien. Erst zeigt er eine gelbe Folie und erklärt  "das ist die Sonne". Dann schiebt er eine blaue Folie darüber und sagt "das Blau des Wassers und das Gelb der Sonne ergeben das Grün der Pflanzen".  Wenn man das Blau wegnimmt, bleibt nur trockener Boden, auf dem nichts wachsen kann und dann fällt auch kein Regen mehr. Wenn man einen Regen abholzt, verschwindet der Regen - das gehört zum Wasserkreislauf. Wenn wir aber die Einzugsgebiete schützen und erhalten, bleibt auch der Wasserkreislauf intakt und das hat einen stabilisierenden Einfluss auf das Klima. Einige Wissenschaftler, mit denen ich arbeite, glauben, dass der unverantwortliche Umgang mit Wasser mindestens ebenso schuld am Klimawandel ist, wie die Treibhausgase. Diesen Faktor haben wir bisher übersehen.

Fabian Scheidler: Wie schadet die Wasserkrise Menschen in aller Welt?

Maude Barlow: Wenn für ein lebensnotwendiges Gut die weltweite Nachfrage steigt, während das Angebot sinkt, dann wird dieses Gut automatisch teurer und natürlich stürzen sich die großen Konzerne darauf. Dann müssen diejenigen, die es sich nicht mehr leisten können, darauf verzichten. Wir verorten das Problem immer in den südlichen Ländern und da ist es tatsächlich am Schlimmsten: Ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation stellt fest, dass in den südlichen Ländern alle dreieinhalb Sekunden ein Kind an Krankheiten stirbt, die auf Wassermangel oder -verunreinigung zurückgehen. Allerdings haben auch in den nördlichen Ländern ähnliche Entwicklungen begonnen, vor allem in den USA. In Detroit, Michigan zum Beispiel wurde 90.000 Familien das Wasser abgestellt, weil sie die Rechnung nicht mehr bezahlen konnten. Die Wasserpreise sind gestiegen und ihnen wurde der Hahn abgedreht. Sie leben wie in der dritten Welt. Sie müssen außerhalb ihres Viertels um Wasser betteln oder öffentliche Brunnen suchen, wo sie ihre Wasserkanister füllen können. Je mehr die Kluft zwischen arm und reich wächst und die Mittelklasse schrumpft, je knapper das Wasser wird und je mehr es in die Hände von Firmen gerät, desto mehr Menschen wird der Zugang zu Wasser verwehrt werden. Darum ist es so wichtig das Menschenrecht auf Wasser anzuerkennen und Wasser als öffentliches Gut gemeinschaftlich zu verwalten.