27.04.2017
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Einleitung: 

Europa befindet sich in einer tiefen Krise. Die Lage sei "besorgniserregend", sagt Srećko Horvat. Die Eliten und Regierungen in der EU seien aber nicht fähig und gewillt, Antworten darauf zu geben. Auch die Linke in Europa habe bisher versagt, den Menschen Alternativen zu bieten. Die Rechte profitiere nun vom Frust der Arbeiter und Mittelschichten. Die pan-europäische Bewegung DiEM25 versucht die Lücke zu füllen, progressive Vorschläge zur Krisenlösung zu entwickeln und linke Parteien wieder mit Bewegungen und Bürgern in Verbindungen zu bringen, um ein anderes Europa jenseits von Neoliberalismus, Massenarbeitslosigkeit und Flüchtlingsabwehr zu ermöglichen.

Gäste: 

Srećko Horvat: Mitbegründer von DiEM25, kroatischer Philosoph, Aktivist und Buchautor

Die pan-europäische Bewegung DiEM25, gegründet u.a. von Srećko Horvat und Yanis Varoufakis, dem ehemaligen griechischen Finanzminister, versuche Brücken zu bauen zwischen Parteien in Europa und progressiven Bewegungen. Linke Parteien wie die Labour Party unter Jeremy Corbyn oder Podemos in Spanien dürften den Kontakt zur Basis nicht verlieren, sonst passiere das gleiche wie in Griechenland unter Syriza, so Horvat. Viele Probleme könnten zudem nicht auf einer rein nationalen Ebene gelöst werden. Ein linker Ausstieg aus dem europäischen Projekt sei daher die falsche Antwort. Das gelte für die Finanz- und Wirtschaftspolitik in der EU, den Klimawandel oder die Flüchtlingskrise. Die Linke in Europa habe jedoch versagt, den Menschen Alternativen zum neoliberalen Angriff auf die Gesellschaft anzubieten. Davon haben die rechte Bewegungen und Parteien profitiert, die die Wut der Arbeiter für sich nutzen konnten. Der Zustand in der EU sei „sehr schlecht“. Nun gehe es darum, ein „progressives, international ausgerichtetes Europa“ aufzubauen.

Die Scheitern der progressiven Partei Syriza zeige, so Horvat, dass die Probleme in der EU nicht isoliert national betrachtet und angegangen werden können. Denn Syriza sei an der Eurozone gescheitert. Diese Art von Problemen könnten selbst von radikal linken Regierungen nicht allein gelöst werden. Zudem seien die Krisen in der EU vielfach miteinander verbunden. Der Spardruck insbesondere in den Südländern, aber auch in der EU insgesamt, verschärfe die Wirtschaftskrise, die wiederum mehr und mehr Investitionen aus China oder den Golfstaaten nach sich ziehe, die die Lücke füllten. Am Ende erodierten Arbeitsrechte und soziale Standards sowie die gesellschaftliche Akzeptanz, Flüchtlinge aufzunehmen. „All das zeigt die Verflechtung von Problemen und die begrenzte Handlungsmacht von nationalen linken Regierungen. Die Situation ist besorgniserregend. Es gibt viele Widersprüche, die letztlich Widersprüche des Kapitalismus sind.“

Nicht Nationalismus habe Jugoslawien zusammenbrechen lassen. Vielmehr sei die Eruption des Nationalismus Folge des Zusammenbruchs Jugoslawiens gewesen. Das Selbstverwaltungsprojekt in dem Balkanland unter Tito sei durch die schrittweise Integration in den globalen Markt zur Implosion gebracht worden. Flankiert wurde diese Integration duch eine Reihe von neoliberalen Politiken wie die Finanzialisierung der Wirtschaft oder die Kommerzialisierung von staatlichen Dienstleistungen. Am Ende von Privatisierungswellen und Ausverkäufen standen Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit und der Vormarsch von rechtem Chauvinismus auf dem Balkan. Während Jugoslawien einmal einer der größten Autohersteller Europas gewesen sei, gebe es heute zwischen Wien und Athen keine Fabriken mehr. „Die Situation der Europäischen Union gleicht in vielem der Jugoslawiens in den 90er Jahren. Auch das jugoslawische System hatte ein Zentrum, Serbien-Kroatien, und eine Peripherie wie den Kosovo, es gab eine Reihe von Sparmaßnahmen und so weiter, die am Ende die politische Einheit erodierten. Wir sollten daraus unsere Lehren ziehen.“

Schon vor den Occupy-Protesten in den USA oder Spanien gründeten sich auf dem Balkan Direkte-Demokratie-Bewegungen. Von Slowenien über Serbien und Bosnien bis Mazedonien organisieren sich seit vielen Jahren Graswurzel-Proteste, Bürgerräte und Widerstand gegen Regierungspolitik. Es kam zu Fabrikbesetzungen und -übernahmen durch Arbeiter, die wie in Tuzla nun Betriebe selbst verwalten. In Belgrad organisieren sich seit langem tausende Einwohner gegen die Modernisierung des dortigen Hafenviertels. Investoren aus den Arabischen Emiraten wollen in Belgrad mit 2 Milliarden Euro ein „neues Dubai“ errichten. Überall finde sich jedoch eine gut organisierte und vernetzte Protestbewegung, so Horvat. Das sollte Europa inspirieren und den Kontinent von seinem zynischen Kurs insbesondere gegenüber Flüchtlingen abbringen. Der Umgang der EU mit Flüchtlingen sei heuchlerisch. „Es ist, als ob wir uns die Hand vor die Augen halten. Wir wollen nicht sehen, welche Verantwortung Europa an den Zuständen in Syrien oder Libyen hat.“