06.06.2011
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Einleitung: 

Wirtschaftswachstum gilt für die meisten Politiker und Ökonomen als unabdingbar für die Lösung fast aller Krisen der Gegenwart, ob es die Arbeitslosigkeit, die Schuldenkrise oder die weltweite Armut ist. Doch seit dem Club-of-Rome-Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 gibt es auch Zweifel daran, ob die Wirtschaft immer weiter wachsen kann. Schon heute verbraucht die Menschheit so viele Ressourcen, als ob sie über 1,5 Planeten verfügen würde, Klimawandel und Zerstörung der Biodiversität schreiten rasant voran. Tim Jackson, Berater der englischen Regierung und Autor des Buches „Wohlstand ohne Wachstum“, erläutert, warum Technik allein uns nicht aus dem Dilemma befreien kann.

Gäste: 

Tim Jackson, Professor für Ökonomie an der Universität Surrey, Autor des Buchs "Wohlstand ohne Wachstum"

Transkript: 

David Goeßmann: Willkommen zu Kontext TV. Wirtschaftswachstum  gilt für die meisten Politiker als unabdingbar für die Lösung fast aller Krisen der Gegenwart, ob es die Arbeitslosigkeit, die Schuldenkrise oder die weltweite Armut ist.

Fabian Scheidler: Doch seit dem Club-of-Rome-Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 gibt es auch Zweifel daran, ob die Wirtschaft immer weiter wachsen kann. Schon heute verbraucht die Menschheit so viele Ressourcen, als ob sie über 1,5 Planeten verfügen würde. Aber es gibt nur einen Planeten. Und auf dem schwinden Wälder, Fischgründe, Gletscher, Tier- und Pflanzenarten in atemberaubendem Tempo.

David Goeßmann: Der Bundestag beschäftigt sich nun in einer Enquetekommission mit der Frage, ob Wachstum tatsächlich mit Wohstand gleichzusetzen ist. Und Attac veranstaltet an diesem Wochenende einen Kongress, der sich der Frage widmet, ob und wie eine Wirtschaft „Jenseits des Wachstums“ möglich ist. Hier ein Auszug aus der Eröffnungsrede von Vandana Shiva.

Vandana Shiva: Wir haben zwei Möglichkeiten vor uns: Entweder wir erkennen an, dass es Grenzen für die Erde gibt, dass wir Teil der Erde sind, und beginnen, eine Erdgemeinschaft und Erddemokratie aufzubauen. Oder wir erlauben die vollkommene Verwüstung des Planeten und mit dieser Verwüstung die Auslöschung der menschlichen Art – und das mit sehr schnellem Wirtschaftswachstum. Das einzige, wo uns das Wachstumsmodell hinführt, ist unsere eigene Auslöschung. Keine andere Art ist so dumm gewesen, so etwas zu tun.  Die Menschheit sollte sicherlich in der Lage sein, sich zu höherer Intelligenz aufzuschwingen, zu höheren Gefühlen, Liebe und höheren Werten. Ich weiß, dass wir das können. Dieser Dinosaurier eines falschen Modells muss zusammenbrechen; lasst uns den Weg dafür ebnen, bevor er zu viel Zerstörung anrichtet. Vielen Dank.

Fabian Scheidler: Unser erster Gast ist Unser erster Gast ist Tim Jackson. Jackson ist Professor für nachhaltige Entwicklung im Zentrum für Umweltstrategien an der Universität Surrey in England. Er war Leiter der wirtschaftlichen Führungsgruppe der Kommission für nachhaltige Entwicklung, einem unabhängigen Beirat der britischen Regierung. Sein Buch „Wohlstand ohne Wachstum“ erschien im April 2011 auf Deutsch. Wir sprachen mit Tim Jackson auf dem Kongress “Jenseits des Wachstums” an der Technischen Universität in Berlin. Willkommen bei Kontext TV, Tim Jackson.

Tim Jackson: Vielen Dank

Fabian Scheidler: Erklären Sie, was mit dem Wort „Wachstum“ oder „Wirtschaftswachstum“ gemeint ist. Und was hat es mit dem Bruttoinlandsprodukt auf sich, mit dem dieses Wachstum gemessen wird. Was genau wird da gemessen und was nicht? Was wächst, wenn wir sagen, „die Wirtschaft“ wächst?

Tim Jackson: Das BIP ist ein Maß für die Wirtschaftsleistung und die Produktion von Gütern und Dienstleistungen Weil diese Güter und Dienstleistungen von Menschen gekauft und benutzt werden, dient das BIP auch als Maß für den Konsum. Es beziffert den ökonomischen Wert dessen was wir herstellen und konsumieren. Und es gibt auch an, wieviel Einkommen wir aus der Produktion beziehen, das wir dann wieder für den Konsum der Güter ausgeben können. Es ist also eine Art Bilanz, ähnlich wie der Kontoauszug eines Haushalts. Es zeigt die Höhe des Einkommens an, die verschiedenen Ausgaben und was für das
Sparbuch übrig bleibt. Eben nur auf die gesamte Volkswirtschaft übertragen. Wirtschaftswachstum bedeutet demnach einen stetigen Anstieg des Einkommens, der Güter- und Dienstleistungsproduktionund der Menge dessen, was wir konsumieren. Und das ist heute Gegenstand einer hitzigen Debatte über die Nachhaltigkeit eines Modells, das von einem stetigen Anstieg des BIP ausgeht.

Fabian Scheidler: Was wird nicht im BIP gemessen?

Tim Jackson: Da gibt es einiges. Die Umweltverschmutzung durch die Herstellung dieser Güter und Dienstleistungen wird nicht gemessen. Ebensowenig der Wert der Hausarbeit, der Arbeit, die außerhalb der formellen Wirtschaft  geleistet wird. Auch nicht die Qualität der Güter, obwohl das BIP trotzdem ein Stück weit als Qualitätsmaßstab betrachtet wird. Im Wesentlichen ist es jedoch der quantitative Güterdurchsatz einer Volkswirtschaft. Welche Güter wir kaufen, um uns gegen die bei der Produktion anderer Güter verursachten Umweltschäden zu schützen, wird hingegen nicht erfasst. Diese Schutzausgaben werden vielmehr auch als Plus gewertet. Sie werden nicht vom BIP abgezogen. Jeglicher Beitrag zum BIP gilt als positiv. Auch Autounfälle sind gut für das BIP, weil dadurch mehr Krankenhäuser, mehr Werkstätten und mehr neue Autos benötigt werden. Doch die Auswirkungen für das Leben der Menschen fließen nicht ein. Das BIP ist also ein sehr grobes Maß für die Geschäftigkeit in der Wirtschaft aber nicht für Qualität, schon gar nicht für Lebensqualität.

David Goeßmann: 1972 wurde die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ vom Club of Rome veröffentlicht, eine neue Version erschien 2004. In den Studien wird ein globaler Zusammenbruch bis zum Jahr 2100 vorausgesagt. Was haben Donella and Dennis Meadow und ihre Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology herausgefunden? Wie zuverlässig sind die Daten und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Tim Jackson: Sie erwähnen zu Recht, dass die Prognose des Zusammenbruchs sich auf 2100 bezog. Viele dachten ja, es ginge um das Jahr 2010, und als nichts passierte, hat man den Autoren vorgeworfen, sich geirrt zu haben. Tatsächlich hat die Studie erstmals darauf hingewiesen, dass unser Wirtschaftswachstum Rohstoffe benötigt und nur unter der Voraussetzung einer intakten Umwelt  aus Klima, Wasser, Böden und so weiter funktioniert. Sie haben im Prinzip die Expansionsrate der Wirtschaft, die verfügbaren Rohstoffreserven und die Geschwindigkeit der Ausbeutung dieser Rohstoffe miteinander verglichen, um daraus abzuleiten, wann diese Ressourcen voraussichtlich aufgebraucht oder verpufft sein würden oder wann die Degenerierung der Umwelt ein weiteres Wachstum unmöglich machen würde. Sie stellten zwei Szenarien auf: In dem einen führt das exponentielle Wachstum des Materialdurchsatzes zum Zusammenbruch. Das andere  Szenario war eines steigender Effizienz und des Übergangs zu natürlichen Zyklen und damit zu einer nachhaltigeren Wirtschaft. Keines von beiden ist bisher eingetreten. Bemerkenswert ist aber, dass die Arbeiten von 2004 und ein früherer Bericht aus dem Jahr 2000 die statistische Übereinstimmung der Prognosen der Meadows-Studie Grenzen des Wachstums mit der tatsächlichen Entwicklung bewiesen haben. Ihre Voraussagen sind also zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit hoher Genauigkeit eingetroffen. Und jetzt beobachten wir die selben Ressourcenprobleme, die sie erstmals in ihrem Bericht im Jahr 1972 vorhergesagt haben. Sie haben demnach große Weitsicht bewiesen und die Grundlage für eine wichtige Diskussion geschaffen, nämlich darüber, ob das Wirtschaftswachstum vom Rohstoffverbrauch entkoppelt werden kann. Denn eines ist sicher: Wir können dem Planeten nicht mehr an Rohstoffen abnehmen, als er besitzt.

Fabian Scheidler: Was sind die ökologischen Grenzen des Wachstums, in Bezug auf Klimwandel, Biodiversität, Degradation von Böden und andere Faktoren.

Tim Jackson: Hier geht es gewissermaßen um die physischen Eigenschaften des Systems. Man entnimmt der Erde Rohstoffe, und stellt daraus Produkte her, die verkauft und irgendwann weggeworfen werden. Das bringt einen immensen Materialdurchsatz mit sich, der höher ist als in den Kreisläufen der Natur. Dieser Materialdurchsatz schadet der Umwelt und führt zur Degenerierung der natürlichen Ressorucen. Ein Beispiel ist der Klimawandel: Wie kommt es dazu? Indem wir fossile Energieträger födern, sie verbrennen und dabei Kohlendioxid in die Atmosphäre entweichen Lassen. Dadurch verändert sich die Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre und das löst den Klimawandel aus. Das ist wohl das bekannteste Umweltproblem. Die Wissenschaft geht davon aus,dass wir unsere CO2-Emissionen in den nächsten 40 Jahren um etwa 80% senken müssen. In einer von fossilen Brennstoffen abhängigen Wirtschaft ist das kein Kinderspiel. Das bedeutet einen riesige Herausforderung, vor allem technologischer Art. Aber leider ist ja der Klimawandel noch das einfacherere Problem. Der Verlust der Artenvielfalt ist deutlich schwerer aufzuhalten und die Wissenschaft ist sich darin einig, dass dieser noch schwerwiegendere Auswirkungen haben könnte als der Klimawandel. Wir sind weiter denn je davon entfernt, das Artensterben einzudämmen und auch weiter als von einem wirksamen Klimaschutz. Dabei geht es um die Konsequenzen der menschlichen Entwicklung auf den Lebensraum der anderen Arten, mit denen wir den Planeten teilen. Wir messen diesen Arten vielleicht keinen großen Wert bei, aber das Fortbestehen unserer Ökosysteme hängt von der Vielfalt dieser Arten ab. Durch ihre fortgesetzte Zerstörung gefährden wir beispielsweise unsere Nahrungsversorgung. Außerdem sind Artenvielfalt und Klima ja eng miteinander verbunden. All diese Probleme hängen unmittelbar zusammen. Wir stehen derzeit vor ökologischen Herausforderungen, wie sie die Menschheit noch nie zuvor gekannt hat.

Fabian Scheidler: Viele Politiker und Ökonomen glauben, dass technologische Innovationen das Problem lösen werden. Sie sprachen bereits über Entkopplung. Viele denken, dass man mit Technologie alle Grenzen des Wachstums, z.B. in der Energieversrgung, überwinden könne. Wie sehen Sie das?

Tim Jackson: Unter Entkopplung versteht man die Loslösung des messbaren Anstiegs der Wirtschaftsleistung, also des BIP, von dessen materiellen Auswirkungen. Das ließe sich unter anderem durch eine effizientere Herstellung von Gütern und Dienstleistungen bewerkstelligen. Oder aber durch die Verlagerung der Produktion -  von Gütern, die viele Rohstoffe benötigen, hin zu Dienstleistungen, die mit weniger auskommen. Damit würden wir, so hofft man, den Rohstoffverbrauch unserer Wirtschaft senken, ohne auf Wachstum verzichten zu müssen. Wir könnten Umweltschäden und Rohstoffabbau zurückschrauben und somit ein nachhaltiges Wachstum erreichen. Sie fragen mich nach meiner Meinung dazu? Ich halte es für unbedingt notwenig, unsere Wirtschaftsaktivität vom Ressourcenverbauch zu entkoppeln. Aber wird das Wachstum dadurch nachhaltig werden? Ich denke nicht. Das ist nichts als Wunschdenken und Technikgläubigkeit, der Glaube an die Überlegenheit des menschlichen Verstands, der jedes Problem durch die passende Technologie beheben kann. In Wirklichkeit sind wir damit in der Vergangeneheit immer wieder gescheitert. Was wir von der Technologie erwarten, ist sagenhaft, es ist eine Form des magischen Denkens, dass wir all diese Probleme durch Technik lösen könnten.Mehr noch, ich bin der Meinung, dass Gesellschaften wie die unseren keineswegs in der Lage sind, die Entkopplung so schnell zu vollziehen, wie es für eine Nachhaltigkeit erforderlich wäre.

Fabian Scheidler: Warum ist das so?

Tim Jackson: An der speziellen Systemdynamik, die ihnen zugrunde liegt: der Dynamik des Wachstums. Das Wachstum ist mehr als nur eine Größe des Rechungswesens. Es ist nicht nur eine Variable, die in den Bilanzen als BIP auftaucht. Es ist mehr als nur Technik – es betrifft die Organisation unserer Gesellschaften. Unsere Gesellschaften sind auf  Wachstum gepolt. Wir haben Anreizstrukturen geschaffen, augrund derer Firmen wachsen müssen, um zu bestehen. Banken schaffen solche Wachstumsanreize, indem sie Kredite vergeben, deren Zinsen nur durch Wachstum abbezahlt  werden können. Auch die Verbraucher haben wir davon überzeugt, dass ein erfülltes Leben einen Überfluss an materiellen Gütern bedeutet, die unaufhörlich durch neue ersetzt werden. Diese Anreizstrukturen wurden nicht zuletzt aufgrund der Wachstumsvernarrtheit der Politik geschaffen, aber sie führen uns in die Irre. Sie eichen das System auf eine Expansion, nicht nur des BIP sondern auch der materiellen Güter und Dienstleistungen. Wir decken vieles mit diesen Gütern ab. Nicht nur unseren Bedarf an Nahrung und Kleidung, sondern auch unser Sozialleben, unsere Teilnahme an der Gesellschaft, unsere seelische Gesundheit und den Sinn unseres Lebens. Alles hängt an diesem materialistischen Wachstumsgedanken. In einer solchen Gesellschaft wird sich die Entkopplung nicht von selbst ergeben.