07.06.2013
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Einleitung: 

„Sehr zur Genugtuung der Vereinigten Staaten und seiner Verbündeten gab es im Prinzip keinen Wandel in den Hauptzentren der Ölproduktion, also Saudi Arabien und der Golfregion. Die Diktaturen sind weiter fest im Sattel“, sagt Noam Chomsky. Es habe Versuche der Bevölkerung dort gegeben, sich dem Arabischen Frühling anzuschließen, aber sie wurden mit der Unterstützung des Westens schnell und hart niedergeschlagen. Der Irak sei hingegen ein herber Verlust für die USA, das Land folge nicht mehr den Befehlen der USA und werde nun vom Iran beeinflusst, z.B. bei Unterstützungslieferungen an das Assad-Regime in Syrien. In anderen Regionen wie Ägypten und Tunesien habe der arabische Frühling jedoch Erfolge gefeiert. Gleichzeitig würden die islamistischen Regierungen den neoliberalen Programmen des Westens folgen. Die beiden militärisch besetzten Gebiete der Region, die Westsahara und Palästina, habe man abgeschirmt gegenüber Veränderungen. Die Umwälzungen im arabischen Raum befänden sich derzeit nicht in einem Stillstand, vielmehr in einer Warteperiode, sagt Chomsky. „Ich denke, dass es dort einen Machtwechsel geben wird. Es ist viel schwerer geworden, die Bevölkerungen einfach zu missachten, wie es der Fall unter den vom Westen gestützten Diktaturen war. Selbst in den Öl-Diktaturen müssen die Machthaber nun der Bevölkerung ein wenig mehr Beachtung schenken.“

Gäste: 

Noam Chomsky, Linguist, Aktivist und Buchautor (u.a. "Manufacturing Consent", "Profit over People" und "Occupy"). Chomsky ist offizieller Unterstützer von Kontext TV.

Transkript: 

David Goeßmann: Inwiefern haben die Kriege in Irak, Afghanistan und der Arabische Frühling und der Regierungswechsel in arabischen Staaten die geopolitische Landkarte in der Öl reichen Region des Nahen und Mittleren Ostens verändert? Haben die USA weiter Kontrolle über die Rohstoffe in der Region?

Noam Chomsky: Sehr zur Genugtuung der Vereinigten Staaten und seiner Verbündeten gab es im Prinzip keinen Wandel in den Hauptzentren der Ölproduktion, also Saudi Arabien und der Golfregion. Die Diktaturen sind weiter fest im Sattel. Es gab Versuche der dortigen Bevölkerung, sich dem Arabischen Frühling anzuschließen, aber sie wurden mit der stillschweigenden und manchmal gar nicht so stillschweigenden Unterstützung des Westens schnell und hart niedergeschlagen. Die Ordnung ist in diesen Ländern sichergestellt. An anderen Orten ist das nicht so. Der Irak ist natürlich eine absolute Verwüstung. Doch es gab auch einen Sieg, eine nicht sehr überraschende Folge des Kriegs: Der Irak wurde zerstört, die USA wurden im Großen und Ganzen besiegt und mussten ihre Kriegsziele aufgeben, aber der Iran kam gut dabei weg. Der Iran kontrolliert den Irak zwar nicht, aber er beeinflusst das Land substanziell. Er ist nun der bedeutendste äußere Einflussfaktor auf den Irak. Daher kooperiert der Irak mit dem Iran bei der Genehmigung von Unterstützungslieferungen an die Assad-Regierung in Syrien. Der Irak folgte nicht mehr den Befehlen der USA. Das ist ein herber Verlust für die Vereinigten Staaten. Man kann darüber diskutieren, was das für die Region bedeutet.
Die Länder Nordafrikas, Tunesien und Ägypten, die die Zentren des Arabischen Frühlings bildeten, erlebten wirkliche Erfolge: Es gibt dort nun weit mehr Redefreiheit und mehr Rechte für Arbeiter, sich zu organisieren. Auf der anderen Seite wurden die Länder von islamistischen Kräften übernommen, diejenigen, die sich einzig unter den früheren, vom Westen unterstützten Diktaturen organisieren konnten. Sie sind formell an der Macht, ganz im Sinne der USA und des Westens. Diese Regierungen folgen der neoliberalen Politik, wie sie u.a. von der Weltbank, dem Internationalen Währungsfond und dem Finanzministerium durchgesetzt wird. Das ist für die USA die Hauptsache. Offen gesagt bezweifle ich, dass die Islamisten die Aufstände oder Revolutionen, wenn man so will, zurückhalten können. Die Umwälzungen befinden sich nicht in einem Stillstand, vielmehr in einer Warteperiode und ich vermute, dass wir bald mehr sehen werden. Was auch immer das sein wird, man kann es genauso wenig vorhersagen wie das, was geschah. In anderen Ländern hat die Entwicklung mit dem Arabischen Frühling seinen eigenen Verlauf genommen. Über einige Länder reden wir nicht einmal. Es gibt zwei Länder in der Region, die militärisch besetzt sind: die Westsahara und Palästina. Der Arabische Frühling begann eigentlich in der Westsahara mit Zeltstadt-Protesten gegen die marokkanische Besatzungsmacht. Der Protest wurde gewaltsam niedergeschlagen. Die indigenen Sahrawis in der Westsahara trugen die Angelegenheit zum UN Sicherheitsrat. Die Westsahara steht unter der Schutzherrschaft des Sicherheitsrats. Es ist die letzte Kolonie Afrikas. Sie ist immer noch im Dekolonisierungsprozess. Frankreich intervenierte und blockierte jegliche Diskussion über die Westsahara im Sicherheitsrat. Die USA unterstützten Frankreich. Man ignoriert das einfach, man liest nichts darüber. Der andere Fall ist natürlich Palästina, das abgeschirmt wurde gegenüber dem Arabischen Frühling, zumindest was konkrete Handlungen angeht. Auch dort gibt es diverse Formen der Repression. Man könnte noch länger darüber sprechen, was dort passiert. Aber Palästina ist bisher nicht wirklich Teil der Veränderungen, die in der Region stattfinden. Im Gegenteil: Man befindet sich dort eher in einer Rückwärtsbewegung.

David Goeßmann: Also hat es keine Machtverschiebung in der arabischen Welt gegeben?

Noam Chomsky: Ich denke, dass es dort einen Machtwechsel geben wird. Es ist viel schwerer geworden, die Bevölkerungen einfach zu missachten, wie es der Fall unter den vom Westen gestützten Diktaturen war. Selbst in den Öl-Diktaturen müssen die Machthaber nun der Bevölkerung ein wenig mehr Beachtung schenken. Und tatsächlich gab es in Bahrain, wo harsche Repressionen herrschten, einige ermutigende Schritte in Richtung Reform. Auf einige Forderungen der Bevölkerung ging man ein. Die Situation war eine Weile lang ziemlich bedenklich. Direkt gegenüber Bahrein, auf dem Festland im östlichen Saudi Arabien, einer zentrale Region, die von Schiiten dominiert wird, wurden viele Proteste sehr brutal niedergeschlagen. In diesem Teil Saudi Arabien befindet sich übrigens der größte Teil der Ölreserven, also eine kritische, neuralgische Gegend. Aber im Moment ist sie unter westlicher Kontrolle bzw. kontrolliert durch Kräfte, die dem Einfluss und der Macht des Westens freundlich gegenüber stehen.