25.03.2010
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Einleitung: 

Die USA und europäische Länder üben seit einiger Zeit schon Druck auf den Iran aus. Sie sehen Iran als eine Hauptbedrohung für Stabilität aufgrund des iranischen Urananreicherungsprogamms. Demgegenüber werden Länder wie Indien, Pakistan und Israel nicht unter Druck gesetzt, obwohl sie bereits Atomwaffen besitzen und den Atomwaffensperrvertrag anders als der Iran nicht unterzeichnet haben. Wie beurteilen Sie die außenpolitische Strategie der Vereinigten Staaten und Europas in Bezug auf den Iran?

Gäste: 

Noam Chomsky, Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge/USA und politischer Aktivist

Transkript: 

David Goeßmann: Die USA und europäische Länder üben seit einiger Zeit schon Druck auf den Iran aus. Sie sehen Iran als eine Hauptbedrohung für Stabilität aufgrund des iranischen Urananreicherungsprogamms. Demgegenüber werden Länder wie Indien, Pakistan und Israel nicht unter Druck gesetzt, obwohl sie bereits Atomwaffen besitzen und den Atomwaffensperrvertrag anders als der Iran nicht unterzeichnet haben. Wie beurteilen Sie die außenpolitische Strategie der Vereinigten Staaten und Europas in Bezug auf den Iran?

Noam Chomsky: Iran ist eine Bedrohung, weil es Befehlen nicht gehorcht. Militärisch ist diese Bedrohung so gut wie nicht gegeben. Anders als die Staaten, die sie genannt haben, Israel, Indien and Pakistan, hat Iran sich in hunderten von Jahren nicht aggressiv verhalten. Den einzigen aggressiven Akt, den Iran begangen hat, war in den 1970er Jahren unter dem Schah, unterstützt von den USA. Man besetzte damals zwei arabische Inseln.

Niemand will, dass Iran oder irgendein anderer Staat Nuklearwaffen bekommt. Das Land wird unbezweifelbar von einem scheußlichen Regime regiert. Aber wendet man die Standards von Staaten, die die Vereinigten Staaten unterstützen, an, stellt sich die Sache anders dar. Angesichts von Saudi Arabien und Ägypten kann man Iran in Sachen Menschenrechte kaum kritisieren. Israel ist mit Unterstützung der USA in den letzten dreißig Jahren fünf Mal in den Libanon einmarschiert, ohne glaubhaften Vorwand. Der Iran hat nichts dergleichen gemacht.

Iran stellt eine Bedrohung dar, weil es eine Abschreckung und ein Hindernis bedeutet. Iran ist ein unabhängiges Land, ein großes Land, ein reiches Land. Wenn man dort einen unabhängigen Weg verfolgt, dann untergräbt das Stabilität.

Aber Stabilität hat eine technische Bedeutung in internationalen Beziehungen. Es beinhaltet die Unterwerfung unter Befehle. Dieser Gebrauch ist so extrem, dass der Herausgeber von “Foreign Affairs”, einer der zentralen liberalen Intellektuellen und politischen Analysten, tatsächlich feststellte, dass die Vereinigten Staaten Chile unter Salvador Allende destabilisieren mußten, um Stabilität herzustellen. Und das war kein Widerspruch. Man mußte die Allende-Regierung stürzen, die destabilisierende Kraft, um Stabilität zu wahren, d.h. um sie wieder unter US-Befehlsgewalt stellen zu können.

Und es ist dasselbe in der Golfregion. Iran widersetzt sich Befehlen. Daher gefährdet es die Stabilität. Es ist interessant, dass die USA und Europa, wie Sie richtig sagen, weitere Sanktionen fordern und sich Sorgen über den Iran machen. Sie nennen sich manchmal die internationale Gemeinschaft oder die Welt. Aber das ist eine sehr seltsame Definition der Welt. Die meisten Länder der Erde sind blockfreie Staaten. Die meisten Länder, der größte Teil der Weltbevölkerung unterstützen energisch Irans Recht, Uran anzureichern, für friedliche Ziele. Die blockfreien Staaten haben das oft wiederholt. Aber sie sind nicht Teil der Welt. In einer Umfrage vor einigen Jahren zeigte sich: Die amerikanische Bevölkerung unterstützt ebenfalls klar und deutlich dieses Recht. Aber auch sie sind nicht Teil der Welt. Zur Welt gehört, wer Washingtons Befehlen folgt. Das beinhaltet der Begriff.

Die Vereinigten Staaten und Israel bedrohen Iran. Diese Bedrohung ist ernst zu nehmen. Das festzustellen bedeutet nicht, das Regime im Iran zu rechtfertigen. Es ist wie gesagt verrottet. Zwei Länder, die an den Iran direkt grenzen, sind militärisch besetzt von den Vereinigten Staaten. Das ist eine ziemlich ernsthafte Bedrohung. Israel hat im Moment hunderte von Atomwaffen und Trägersysteme. Tatsächlich sind die Trägersysteme, die am gefährlichsten sind, aus Deutschland. Deutschland lieferte atomwaffenfähige Dolphin-U-Boote nach Israel, die praktisch nicht ortbar sind. Sie können bestückt werden mit Raketen, die Nuklearsprengköpfe tragen. Und Israel setzt diese U-Boote auch im Golf tatsächlich ein. Dank der ägyptischen Diktatur konnte ein israelisches U-Boot den Suezkanal passieren und die USA unterstützt das natürlich. Das ist gegen den Iran gerichtet.

Ich weiß nicht, ob es hier in Deutschland berichtet wird, aber ein paar Wochen zuvor gaben die USA, die Navy, bekannt, dass sie eine Atomwaffenbasis auf der Insel Diego Garcia aufbauen werden. Diego Garcia ist eine Insel im Indischen Ozean. Sie ist eigentlich Teil von Afrika. Aber die USA und Großbritannien insistieren, dass sie nicht Teil Afrikas ist. Denn Afrika hat eine nuklearwaffenfreie Zone und die USA und Großbritannien wollen diese Insel behalten als eine Atomwaffenbasis. Und sie wird benutzt. Es ist eine der militärischen Hauptbasen, von der aus die Bombardierungen im Nahen Osten und Zentralasien unternommen wurden. Also die Insel wird kontinuierlich genutzt.

Vor ein paar Wochen gaben die Vereinigten Staaten bekannt, dass sie atomwaffenfähige U-Boote nach Diego Garcia schicken wollen. Vor ein paar Tagen wurde angekündigt, dass die Obama Administration sogenannte Bunkerknacker dorthin schicken werde, die größten Bomben im Waffenarsenal, 13 Tonnen schwere Bomben, die angeblich hunderte Meter dickes Panzerbeton durchbrechen können. Sie sind einzig für den Einsatz im Iran geplant, eine nicht zu unterschätzende Bedrohung. In den USA wird das nicht berichtet, aber es handelt sich um öffentliche Informationen.

Der führende israelische Militärhistoriker Martin Levi van Creveld, ein ziemlich konservativer Historiker, veröffentlichte einen Artikel direkt nach der Invasion des Irak. Er sagte darin, nach dieser Invasion wäre der Iran verrückt, keine Atomwaffen zu entwickeln. Wie anders wolle man eine amerikanische Invasion verhindern? Als ein Mitglied der Achse des Bösen, marschierten die USA in den Irak ein. Nicht in Nordkorea. Die haben nämlich ein Abschreckungsinstrument. Das ist offensichtlich. Aber die Chancen – noch einmal: niemand will, dass Iran Nuklearwaffen hat – dass der Iran Atomwaffen tatsächlich benutzen würde, wenn sie welche hätten, sind winzig. Man kann das bei US-Geheimdienstanalysten nachlesen. Bestückte der Iran eine Rakete mit Waffen, würde das Land möglicherweise ausgelöscht. Wie schlimm auch immer die herrschenden islamischen Geistlichen im Iran sind, sie haben bisher keine suizidalen Impulse gezeigt. Sie wollen keinen Selbstmord begehen und das ganze Land zerstört sehen, eingeschlossen der Reichtümer der persischen Kultur, wie in Teheran, Isfahan und so weiter. Doch das wäre der unmittelbare Effekt, wenn sie irgendetwas unternehmen würden. Daher bewerten US-Geheimdienst-Spezialisten die militärische Bedrohung des Iran ungefähr auf ein Prozent. Zu klein, um ernsthaft darüber zu reden. Aber Europa und die USA mögen die Pläne des Iran nicht, weil es ihre eigenen Aktionen behindern könnte. Deutschland ist beteiligt an diesen direkten Bedrohungen gegen den Iran. Im Westen scheint das alles gut und richtig, aber für die potentiellen Opfer ist das nicht so.

Im übrigen, ein paar Tage, nachdem Obama den Friedensnobelpreis erhielt, gab das Pentagon bekannt, dass sie die Entwicklung der Bunkerknacker beschleunigen werden. Das Programm begann unter Bush. Es dümpelte dann so vor sich hin. Obama, sobald er im Amt war, beschleunigte das Programm. Die Entwicklung dieser Bomben ist schlicht eine Drohung gegen den Iran. Und gleich nach dem Nobelpreis hieß es, dass diese Bomben innerhalb der nächsten drei Jahre nicht eingesetzt würden. Jetzt schicken sie die Bomben nach Diego Garcia, wo die Britten die Ur-Einwohner brutal verjagten, da die USA dort einen Marinestützpunkt einrichten wollten.

Die militärische Nutzung von Diego Garcia unterminiert die nuklearfreie Zone Afrikas. Wenn man wirklich daran interessiert ist, die Bedrohung durch Atomwaffen zu reduzieren, sollte eine zentrale Priorität der Politik sein, solche nuklearfreien Zonen aufzubauen. Nun, da ist eine in Afrika. Aber die USA blockiert sie, weil sie Atomwaffen auf Diego Garcia behalten wollen. Es gibt eine Südpazifik-Zone. Aber die USA blockiert sie, zuvor waren es die Franzosen, weil sie dort Atomtests durchführen wollten. Dann beendeten die Franzosen die Tests. Nun sind es die USA, die es blockieren, weil sie die pazifischen Inseln haben wollen, um dort Nuklearwaffen zu stationieren. Also ist diese nuklearfreie Zone passé.

Und die wichtigste atomwaffenfreie Zone wird erst gar nicht diskutiert. Das ist der Nahe Osten. Wenn man sich dafür einsetzen würde, das würde die Bedrohungen durch mögliche iranische und reale israelische Atomwaffen schwächen, möglicherweise beenden.

Auch die US-Truppen, die im Nahen Osten stationiert sind, dürften keine Atomwaffen haben. Das wäre sehr bedeutsam. Auch wenn es wenig diskutiert wird, die USA und Großbritannien sind einer nuklearfreien Zone Naher Osten stark verpflichtet. Sie sagen das nicht, aber sie sind es.

Der Grund ist simpel. Als die USA und Großbritannien in den Irak Anfang der 1990er Jahre einmarschierten, versuchten sie einen juristischen Vorwand zu konstruieren. Den Vorwand, den sie benutzten, war eine Resolution des UN-Sicherheitsrates 687. Das war 1991. Die Resolution forderte den Irak auf, seine Massenvernichtungswaffen zu vernichten. Die USA und Großbritannien sagten, der Irak hätte es nicht getan. Es stellte sich nachher heraus, dass das falsch war, aber man behauptet es einfach. Damit habe man das Recht einzumarschieren.

Wenn man einen Blick auf Artikel 14 der Resolution wirft, dann steht da, dass die Unterzeichner dazu verpflichtet sind, eine nuklearfreie Zone im Nahen Osten aufzubauen. Das betrifft vor allem die USA und Großbritannien. Die amerikanische Bevölkerung ist mit großer Mehrheit für diese Zone, Iran will sie, aber wir erfahren davon nichts.

Wenn wir nur ein wenig in diese Richtung gehen würden, könnte man die Spannungen in der Region reduzieren. Aber es ist nicht das Ziel der USA, die Spannungen abzubauen. Das Ziel ist, ein sich widersetzendes Regime zu bedrohen.

Und Iran ist nicht der einzige Fall. Nehmen wir Kuba. Warum halten die USA an ihrer weitreichenden ökonomischen Kriegsführungen gegen Kuba fest? Die Antwort ist den freigegebenen Dokumenten für die Kennedy-Jahre zu entnehmen. Die Kennedy-Leute warfen Kuba “erfolgreichen Trotz” gegen die US-Politik vor, wie sie die Monroe-Doktrin festschrieb. Es ging also nicht um die Russen, sondern schlicht darum, dass Kuba den US-Befehlen nicht gehorchte.

Die amerikanische Bevölkerung ist vehement für das Ende des Embargos, bereits seit drei Jahrzehnten. Die Welt ist in großer Mehrheit für ein Ende. Nimmt man die Abstimmungen der Vereinten Nationen, dann sind die USA, Israel und einige pazifischen Inseln die einzigen in der Welt, die einem Ende des Embargos widersprechen.

Das Land stellt keinerlei Gefahr für irgendjemanden dar. Doch Kuba muss aus der Sicht der USA bestraft werden wegen seines “erfolgreichen Trotzes”. Die Mafia-Doktrin ist eines der wenigen geltenden Prinzipien in internationalen Angelegenheiten. Der Pate akzeptiert keinen Ungehorsam. Das ist zu gefährlich.

Wenn ein kleiner Ladenbesitzer sein Schutzgeld nicht bezahlt, dann geht es nicht eigentlich um das verlorene Geld, sondern ums Beispiel. Das System von Dominanz und Kontrolle könnte erodieren. Daher muss man den Abtrünnigen bestrafen. Daher schickt man auch seine Schläger hin, um den Schuldner zu Brei zu schlagen. Das ist die Mafia-Doktrin. Das ist eines der zentralen Prinzipien internationaler Beziehungen.

Wenn man auf die Geschichte des Kalten Krieges schaut, sieht man, dass die regelmäßigen Invasionen und Interventionen meistens auf dieser Grundlage stattfanden, einschließlich Vietnam, einem großer Krieg, aber das gleiche gilt auch für Guatemala, Iran und andere Interventionen.

Oder nehmen wir den Sturz der parlamentarischen Ordnung 1953 im Iran und die Einsetzung des Schahs: Die Herausgeber der New York Times waren damals für den US-gestützten Coup. Sie sagten, dass werde ein Lehrbeispiel für andere Länder, die fanatischem Nationalismus anhängen und versuchen, Kontrolle über ihre eigenen Rohstoffe zu erlangen. Man könne so etwas nicht akzeptieren. Also stürzen wir die Regierung und installieren einen Tyrannen.

Die Iraner sehen diese US-Intervention nicht als vergangene Geschichte. Sie sorgen sich daher.