15.02.2016
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Einleitung: 

Der Crash der EU finde längst statt. So kollabiere das Schengen-System offener Grenzen im Zuge der Flüchtlingskrise. Politiker forderten einerseits die Türkei auf, ihre Grenzen für Flüchtlinge aus Syrien zu öffnen, während sie gleichzeitig Griechenland drängten, die Grenzen zur Türkei abzuschotten. "Was haben sie vor? Soll die griechische Marine auf Flüchtlinge schießen ...? Oder wollen sie in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ein Konzentrationslager für Flüchtlinge schaffen, damit diese nicht nach Paris gehen können?" Das "Bild einer zerfallenden Europäischen Union" zeige sich auch an der Wirtschaftsfront. Der Bankensektor in der Eurozone zersplittere zunehmend und werde beherrscht von extremen Ungleichgewichten. "Unsere Politiker nennen etwas eine Bankenunion, die gar keine ist. Es ist eine Täuschung. Wir haben eine Desinformationskampagne über das, was wir tun. Das sind Orwellsche Zustände. Und die Leute denken: "Oh, jetzt haben wir eine Bankenunion!". Haben wir aber nicht. Wir sehen den Zerfall in Echtzeit."

Gäste: 

Yanis Varoufakis: Ehemaliger Finanzminister Griechenlands und Mitbegründer von "Democracy in Europe Movement 2025" (DiEM25)

Transkript: 

David Goeßmann: Sie sagen, dass es ohne Veränderung der EU-Institutionen wahrscheinlich in den nächsten Jahren einen Crash geben wird. Was untermauert diese pessimistische Prognose? Und wie ist der Crash zu verhindern?

Yanis Varoufakis: Das ist keine Prognose. Es ist eine Beschreibung. Schauen Sie hin. Sehen Sie, was mit Schengen passiert. Das System kollabiert. Wenn ich verantwortliche Politiker sagen höre, dass die Türkei ihre Grenzen für die Flüchtlinge aus Aleppo in Syrien öffnen soll, aber Griechenland seine Grenzen mit der Türkei schließen muss – dann denke ich: "Oh mein Gott, was passiert mit Europa?!". Was haben sie vor? Soll die griechische Marine auf Flüchtlinge schießen, wenn sie sich nähern? Oder wollen sie in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ein Konzentrationslager für Flüchtlinge schaffen, damit diese nicht nach Paris gehen können? Das ist das Bild einer zerfallenden Europäischen Union. Zur wirtschaftlichen Front – ich könnte von vielen Fronten berichten: Sagen wir, ich schenke Ihnen 10 Millionen Euro. Sie haben die Möglichkeit, zwischen einem Frankfurter Bankkonto und einem portugiesischen zu wählen. Ich bin mir sicher, dass Sie eine Präferenz haben. Sie würden das Geld in Frankfurt anlegen, wo es sicherer wäre. Wenn Sie in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien 10 Millionen US-Dollar bzw. Pfund haben, spielt es keine Rolle, auf welchem Bankkonto sich das Geld befindet, weil sie alle gleich sind. Denn sie haben eine echte Bankenunion. Wir haben keine Bankenunion. Und das Schlimmste: Unsere Politiker nennen etwas eine Bankenunion, die gar keine ist. Es ist eine Täuschung. Wir haben eine Desinformationskampagne über das, was wir tun. Das sind Orwellsche Zustände. Wir nehmen eine Nicht-Union der Banken und nennen es Union. Und die Leute denken: "Oh, jetzt haben wir eine Bankenunion". Haben wir nicht! Wir sehen vor uns den Zerfall in Echtzeit. DiEM versucht, die Menschen in ganz Europa zu vereinen. Unabhängig von ihrer Nationalität oder politischen Parteizugehörigkeit. Wir sagen: Leute, wir haben hier ein ernsthaftes Problem. Wollen wir etwas dagegen tun? Sonst werden wir uns vor der Geschichte verantworten müssen. In 10, 20 Jahren werden unsere Kinder zu uns sagen: "Warum hast du nichts getan, um den Zerfall zu verhindern?".

David Goeßmann: Vielen Dank, Yanis Varoufakis.