19.05.2011
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Introduction: 

Heiner Flassbeck wurde beim Ausstieg Oskar Lafontaines aus dem Finanzministerium von seinem Nachfolger Hans Eichel als Staatssekretär entlassen. Was folgte war ein Kurswechsel. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder habe eine Politk des Lohndumping gegen die Gewerkschaften und eine Deregulierung des Finanzmarkts betrieben, so Flassbeck. Das habe zu enormen Handelsungleichgewichten geführt, die den Euroraum zerstört hätten. Flassbeck fordert eine Anhebungen des Spitzensteuersatzes und der Körperschaftssteuer in Deutschland.

Guests: 

Heiner Flassbeck: Chefökonom der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf

Transcript: 

Fabian Scheidler: Sie verließen als Staatssekretär im Finanzministerium 1999 zusammen mit Finanzminister Lafontaine das Kabinett Schröder. Was waren die Gründe?

Heiner Flassbeck: Staatssekretäre können nicht kündigen, sondern werden entlassen, ich bin von Herrn Eichel entlassen worden, weil Herr Eichel offensichtliche eine andere Agenda hatte, er offensichtlich eine andere Wirtschaftspolitik vorhatte, als ich sie vorhatte, auch im internationalen Bereich; ich war ja vor Allem für internationale Fragen zuständig. Das Putzige ist heute, dass jetzt gerade im Rahmen der G20 – wir beobachten das hier von Genf aus - werden genau die Fragen wieder diskutiert, die ich damals mit Lafontaine auf die internationale Agenda gesetzt habe oder setzen wollte; auch gesetzt habe, aber wir sind da nicht auf sehr viel Gegenliebe getroffen. Aber heute sind genau diese Themen wieder akut, nämlich das internationale Währungssystem ist ein großes Thema im Rahmen der G20, aber das wollte Eichel sicher nicht, dass darüber geredet wird.

David Goeßmann: Was waren die konkreten Meinungsverschiedenheiten und was waren die Folgen der Finanzpolitik, die damals unter Schröder begonnen wurde, für Deutschland und für Europa?

Heiner Flassbeck: Naja, es war nicht nur Finanzpolitik, was danach dann passierte unter der Rot-Grünen Regierung war eben dieses Lohndumping vor allem – ich habe offensiv noch dafür gekämpft als Staatssekretär, dass in Deutschland die Löhne vernünftig steigen und das ist auch zwei Jahre lang gelungen, 1999 und 2000 hatten wir vernünftige Abschlüsse; danach gab es dann eine Agenda, die nur noch darauf hinauslief, die Gewerkschaften kleinzumachen und die Löhne in Deutschland nicht mehr zu erhöhen. Die Folge ist, ist, dass jetzt der Euroraum zerstört ist, das ist eine der Folgen dieser Politik, das ist gar keine Frage; weil niemand auch nur im Ansatz daran gedacht hat, dass das vielleicht europäische Folgen haben könnte. So etwas wollte ich verhindern und im internationalen Bereich diskutieren wir jetzt wieder große Handelsungleichgewichte und Deutschland ist heute das Land mit dem zweitgrößten, unmittelbar nach China, mit den zweitgrößten Handelsplatzüberschüssen der Welt, steht also auch auf der Anklagebank international. Und auch das wollten wir damals verhindern.

David Goeßmann: Was muss Ihres Erachtens geschehen, um Europa auf einen Pfad sozialer Gerechtigkeit und stabiler Staatsfinanzen zu bringen? Die Lohnpolitik hatten Sie ja schon angesprochen.

Heiner Flassbeck: Man muss keinen Spitzensteuersatz von 42 Prozent haben, der Spitzensteuersatz kann 50 oder 55 Prozent sein, wie früher in Deutschland. Man muss keine Körperschaftssteuer von 25 Prozent haben, die kann auch wesentlich höher sein. Man muss nur so, sagen wir mal, Mindeststandards in Europa verabreden, damit man sich nicht gegenseitig runterkonkurriert, das war ja auch einer der wichtigen Punkte von Lafontaine, mir damals zu sagen, wir müssen diese Konkurrenz der Staaten, vor allem in Europa, aber auch auf der Welt, aber vor allem im Kerneuropa, das müssen wir verhindern, denn das führt zu extremen Auswüchsen. Übrigens, Irland war der extremste Auswuchs damals, wir haben das heftig kritisiert, dass Irland nur zwölf Prozent Körperschaftssteuersatz hatte. Heute wird das jetzt, nach über zehn Jahren wird das jetzt auch von Frau Merkel entdeckt und sie sagt, ja die Iren müssten ihre Körperschaftssteuer erhöhen, wenn sie niedrige Zinsen aus dem europäischen Rettungsfonds haben wollen. Also, das ist eben die Kurzsichtigkeit der Politik, man denkt immer nur bis zum nächsten Wahltag und vergisst ein bisschen, eine strategische Position aufzubauen.

Fabian Scheidler: Vielen Dank, Herr Flassbeck nach Genf. Das vollständige Interview mit Reiner Flassbeck finden Sie unter www.kontext-tv.de.