Der Trump-Schock
Die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten hat eine Schockwelle in der politischen und intellektuellen Klasse in den USA und Europa ausgelöst. In den deutschen Leitmedien liest man jetzt vom „großen Spalter“, einer „Gefahr für die Demokratie“, die „Rache des weißen ungebildeten Mannes“, der „nationalistischen Abwendung von der Welt“, dem Ende des „American Way of Life“ usw.
Bei der Entrüstung in den Massenmedien fallen zwei Dinge sofort ins Auge – oder sollten zumindest.
1. Das Phänomen Trump ist u.a. das Ergebnis der neoliberalen Verwüstung der amerikanischen Gesellschaft über die letzten Jahrzehnte von der Amtszeit Ronald Reagans bis der Barack Obamas. Die Politik machte es möglich. Enorme Mengen an Geld und Wohlstand sind in dieser Zeit von unten nach ganz oben abgesaugt worden. Die soziale Ungleichheit im Land wächst stetig weiter. Ganze Regionen sind deindustrialisiert worden u.a. durch das Freihandelsabkommen NAFTA. Die Infrastruktur und die soziale Absicherung sind am Boden. Viele Amerikaner haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schlicht aufgegeben. Die Medien haben diesen neoliberalen Angriff auf die Gesellschaft als alternativlos dargestellt und gestützt, nicht nur in den USA. Sie forderten immer mehr Wohlfahrtsstaat für die Unternehmen und mehr Marktdisziplin für die Arbeiter, um Amerika voran zu bringen (ein Codewort für mehr Profite). Andere Optionen werden als wirtschaftsschädlich oder sozialistisch diffamiert und lächerlich gemacht, siehe die herablassende Behandlung des progressiven demokratischen Kandidaten Bernie Sanders durch die Presse. Die Mainstreammedien und die intellektuelle Klasse sind also nicht unbeträchtlich an der Hoffnungslosigkeit und Wut mitverantwortlich, die Trumps Kampagne für sich zu nutzen verstand.
2. Trump erhielt über zwei Jahre seiner Kampagne ein enormes Forum in den Massenmedien. Jede Twittermeldung von ihm wurde von den US-Networks in den USA zu einer journalistischen Nachricht aufgebauscht. Seine Schlammschlacht wurde in allen Details in Endlosschleife diskutiert. Auch die europäischen Medien machten mit, während sie die Nase rümpften über den dreckigen Wahlkampf, um sogleich weiter im Morast mit zu wühlen. Der Vorstandsvorsitzende des TV-Networks CBS Leslie Moonves prahlte während des Wahlkampfs, dass es “vielleicht nicht gut für Amerika” sei, aber “verdammt gut für CBS”. Das Geld ströme nur so herein. Es werde ein sehr gutes Jahr für CBS. Und Moonves fuhr fort: “Es ist schrecklich zu sagen, aber zeig‘s uns Donald. Geh‘ voran. Mach weiter so.”
Alternative Kandidaten wie Jill Stein von den Grünen kamen in den Mainstreammedien praktisch nicht vor. Ende 2015, als der Kandidat Bernie Sanders von den Demokraten und Donald Trump ähnliche Zustimmungswerte in den USA hatten, erhielt Trump auf einem der größten TV-Networks, nämlich ABC, 240 mal mehr Berichterstattung als Sanders. Die Berichterstattung über den Wahlkampf wurde dabei von jeglicher ernst zu nehmenden Diskussion über politische Inhalte gereinigt. Das gilt auch für die deutschen Medien, die sich fast ausschließlich auf das „horse race“ konzentrierten. Die Folgen dieser „election extravaganza“, der Wahlextravaganza, wie Noam Chomsky es nennt, ist ein sozial hetzender, rassistischer, sexistischer Milliardär im mächtigsten Amt der Welt, der der Meinung ist, dass der Klimawandel eine chinesische Verschwörung ist und jeglichen Klimaschutz daher verhindern will.
Die Medien geben sich also geschockt über etwas, das sie mit herbeigeführt haben und mit dem sie Quote und Geld eingefahren haben. Die Schuld wird den dummen Arbeitern in Amerikas Hinterland gegeben. Das Titelblatt der Berliner Zeitung nach der Wahl zeigt das Foto von Trump mit geballter Siegesfaust und darüber die trotzige Frage: „Warum er?“. Eine Antwort, die die links-liberale Hauptstadtzeitung im Text gibt, ist u.a.: das Internet. Es würde, so die Berliner Zeitung, die Möglichkeit zerstören, sich miteinander zu verständigen und hätte die Wut ungehindert wachsen lassen. Im Klartext: Nicht Politik und Massenmedien sind für die Wut verantwortlich sondern die Digitalisierung. Eine bequeme Antwort, die ähnlich funktioniert wie die Formel „die Globalisierung“.
Worin wurzelt nun der Trump-Schock in der intellektuellen und politischen Klasse? Liegt es an der Sorge, dass die USA unter Trump einen anderen politischen Kurs einschlagen werden, der fatal wäre? Das würde voraussetzen, dass Trump eine ganz andere Politik anvisiert und die Entrüstung politisch motiviert ist.
Man sieht bereits an den Namen von möglichen Nominierungen für Ämter (vom radikalen Republikaner wie Newt Gingrich bis zu Wall Street Vertretern), dass das Establishment vom „polternden Volkstribun“ Trump keineswegs übergangen wird – wie zu erwarten. Es wird, anders als Trumps populistische Rhetorik im Wahlkampf suggerierte, keinen Kurswechsel geben, sondern Kontinuität mit den Vorgänger-Regierungen, wobei sich einige Verschärfungen schon jetzt abzeichnen. In seinem Programm kündigte Trump z.B. an, die Steuerquote für Unternehmen von 35 auf 15 Prozent zu senken. Im Gesundheitssektor will er die dysfunktionale, asoziale und aggressive Versicherungsindustrie von den leichten Einschränkungen der Minireform Obamas wieder befreien, während er die Umweltbehörde EPA und ihre Regulierungen schleifen will. Asthmakranke an den in vielen US-Städten wie um die Stahlwerke und Fabriken in Memphis/Tennessee werden die Folgen dieser verschärfenden Politik zu spüren bekommen. Dass viele trotzdem Trump gewählt haben, liegt daran, wie Politik in der Öffentlichkeit den Opfern dieser Politik erklärt wird (siehe oben), entweder gar nicht oder irreführend.
Den Staatssektor will Trump insgesamt schrumpfen. Natürlich nicht dort, wo Konzerne wie Maden im Speck vom Staats-Wirt seit Jahrzehnten durchgefüttert werden, also im 550 Milliarden Dollar starken Militärhaushalt. Der soll unter Trump weiter wachsen: Mehr Soldaten, mehr Kriegsschiffe, eine vergrößerte Luftwaffe. Die Steuerzahler dürfen für die enormen Profitmargen der Rüstungsunternehmen weiter zahlen, die, wie Lookheed Martin, in jedem Bundesstaat der Vereinigten Staaten strategisch Fabriken gebaut haben, um Kongressabgeordnete und Senatoren nicht auf die Idee kommen zu lassen, die Axt ans Pentagon-Budget zu legen. Die gefährliche Konfrontation mit Russland könnte sich jedoch unter Trump entspannen. Es gibt Anzeichen dafür. Doch noch ist vieles unklar.
Eine der größten Gefahren stellt Trumps Energiepolitik dar, unterstützt vom republikanisch dominierten Klimaleugner-Kongress in den Vereinigten Staaten. In den Medien erfährt man darüber jedoch wenig. Es ist kein Thema. Seine Vision formuliert Donald Trump in seinem politischen Programm so: „Unleash America’s $50 trillion in untapped shale, oil, and natural gas reserves, plus hundreds of years in clean coal reserves” (“Wir werden die in Amerika schlummernden Schiefer- bzw. Erdgas-, Öl- und hunderte Jahre ausreichenden Kohlevorkommen im Wert von 50 Billionen Dollar freisetzen.“). Nach der Wahl gingen die Kurse für fossile Energieunternehmen in den USA scharf nach oben. Die Botschaft ist klar: Die Republikaner wollen den Planeten verbrennen. Das ist gut für die Profiteure von Exxon, Chevron, General Motors & Co. und die Finanziers der fossilen Brennstoffindustrie wie die Deutsche Bank. Jedenfalls kurzfristig betrachtet.
Die „World Meteorological Organization“ stellt in einer aktuellen Studie fest, dass der Meeresspiegel aufgrund der Temperaturrekorde der letzten Jahre und des drastischen Abschmelzens des arktischen Eisschilds weiter steigen wird. In Bangladesch wird befürchtet, dass dutzende Millionen Menschen aus den niedrig gelegenen Gebieten in den nächsten Jahren wegen der Effekte des Klimawandels fliehen müssen. Ein führender Klimawissenschaftler aus Bangladesch sagt: „Diese Migranten sollten das Recht haben, in die Länder zu gehen, von denen die Treibhausgase kommen. Millionen sollten das Recht haben in die USA zu gehen“. In Indien leiden schon jetzt Millionen unter Wasserkrisen, die sich mit dem weiteren Abschmelzen des Himalaya-Gletscher, die die großen Flüsse dort speisen, weiter verschärfen werden. Sind die USA und die anderen Hochemittenten-Industrienationen bereit, Verantwortung für die Klimamigranten, die nicht einmal Schutz unter der Genfer Flüchtlingskonvention genießen, zu übernehmen? Man erinnere sich an die Hysterie in Europa angesichts der „Flüchtlingskrise“ im letzten Jahr, die Abschottungspolitik unter deutscher Führung und die Verweigerung der Vereinigten Staaten unter dem liberalen Wohlfühl-Präsidenten Barack Obama, fliehende Syrer, Afghanen oder Iraker aufzunehmen. Warum flüchten die Menschen noch einmal aus dem Nahen Osten?
Auch die Asthmakranken in der Bronx direkt am Hudson River werden beim nächsten Hurrikan über New Yorks Küste und dem steigenden Meeresspiegel vor ihrer Haustür nach Alternativen für ihren zerstörten Lebensraum Ausschau halten müssen. Ebenso die Trump-Wähler an anderen Küstenzonen. Nach einer Einschätzung des Weißen Haus von 2014 verschlingt der steigende Meeresspiegel bis zur Mitte des Jahrhunderts (bei einer Annahme von 60 cm Anstieg des Meeresspiegels an der US-Ostküste) rund 6.000 Quadratmeilen an Land in den USA mit einem Eigentums- und Strukturwert von rund 1 Billionen US-Dollar. Die Hälfte davon befindet sich in der Gegend um Florida, Virginia und New Orleans, also Gebiete, in denen Trump die Mehrheit der Stimmen bei der Präsidentschaftswahl gewinnen konnte. In Alabama, Mississippi, Louisiana oder Texas, allesamt „Trump-Land“, werden weiter steigende Milliardenschäden pro Jahr durch vom globalen Temperaturanstieg mitverursachte Unwetter vorausgesagt. Auch das sind konservative Prognosen des Weißen Haus. Die Trump-Wähler, die ihre Häuser verlieren, die Asthma-Kranken ohne Krankenversicherung an den Schloten und Schutthalden der US-Städte, die Bangladeschis, die vor dem steigenden Meer fliehen: Werden sie Aufnahme finden in irgendeinem der Trump Towers? Wieviel Debatte gibt es in den Mainstreammedien diesseits und jenseits des Atlantiks über die generelle Verantwortungslosigkeit der politischen Klasse in den USA?
Kurzum: Der Trump-Schock in den Mainstreammedien wurzelt kaum in Politik. Eine Debatte über Politik fand ja während des Wahlkampfs gar nicht statt – von einer ernsthaften Erörterung von Alternativen ganz zu schweigen. Die Medien echauffieren sich auch nicht über die kontinuierliche Schurkenpolitik der US-Regierung, wie man an der Behandlung von US-Folter, Drohnenterror, Kriegen und Kriegsverbrechen, Vollkaskoversicherung für Banken und unterlassener Hilfeleistung für Millionen Opfer der Banken unter der Obama-Administration sehen kann. Als Trump ankündigte, nur zwei Millionen illegale Einwanderer aus den USA zu weisen, atmeten die Journalisten auf. Das seien ja nicht mehr als Obama des Landes verwiesen habe.
Nein, es gibt andere Gründe für die Entrüstung. Liberale Intellektuelle in den USA und Europa ziehen Präsidenten wie John F. Kennedy, Bill Clinton oder Barack Obama schlicht vor, weil es ihre Arbeit enorm erleichtert und sich gut und richtig anfühlt. Richard Nixon, Georg W. Bush und jetzt Donald Trump sind für die intellektuelle Klasse reine PR-Desaster. Wie soll man die von ihnen verkörperte Politik in eine liberale Sprache fassen, eine humanistisch-demokratische Verpackung geben oder in einer Ideologie der guten Absichten erklären? Das war schwierig bei Bush, das wird nicht leichter bei Trump. Die Medien sind zudem geschockt, weil das Volk sich ihrer Wahlempfehlung für Establishment-Hillary Clinton und dem Votum der Wall Street einfach widersetzte. Dieser partielle Kontrollverlust, der selbst innerhalb der republikanischen Partei stattfand, versetzt die intellektuelle Klasse in eine Art Panik.
Die liberale Heuchelei durchzieht auch den Umgang mit rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien in Europa. Die intellektuelle Elite ist schlicht nicht fähig und willens, über die legitimen Missstände hinter dem Rechtspopulismus zu sprechen und sie ernsthaft zu adressieren. Im Gegenteil, sie attackiert jede Abweichung vom Kurs, ob in Griechenland (Syriza), Spanien (Podemos), Großbritannien (Corbyn) oder auch in Deutschland. Die Blockadehaltung der politischen Klasse hat Konsequenzen. Aus Hoffnungslosigkeit wird jetzt überall Hass gezüchtet. Trump und Rechtspopulisten in Europa erreichen die „Asthmakranken“ mit ihren materiellen Sorgen, geben ihnen (wenn auch trügerische) Hoffnung und bieten emotionale Ventile für den Frust. Können progressive Bewegungen und Linke das ändern? Davon wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten viel abhängen.