23.11.2016

Nichts gelernt: Wie Christ- und Sozialdemokraten die europäische Demokratie untergraben und rechten Demagogen die Tür öffnen

Von: Fabian Scheidler
Nicht mal debattieren darf das Europäische Parlament. Das hat das Parlament selbst beschlossen. Die konservativen Fraktionen blockierten jüngst eine Debatte über das umstrittene Handels- und Investitionsschutzabkommen CETA zwischen der EU und Kanada. Es ging darum, ob das EU-Parlament eine Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofes zu dem Abkommen einholen wird. Man sollte meinen, die Befragung des höchsten Gerichtes sei in einer Demokratie, in der Gewaltenteilung eine zentrale Rolle spielt, selbstverständlich. Zumal bei einem Vertragswerk, das tief in die Struktur des Rechtsstaates eingreift und eine Paralleljustiz für Konzerne schaffen soll. Nun aber darf darüber im Parlament nicht einmal mehr gesprochen werden. Auch die Ausschüsse für Umwelt und Soziales und sogar der Wirtschaftsausschuss dürfen sich damit nicht befassen und Stellungnahmen abgeben. Das haben nicht nur die Christdemokraten sondern auch die Sozialdemokraten durchgesetzt. Damit wird eine ernsthafte parlamentarische Bewertung von CETA verhindert. Stattdessen wird der 2200 Seiten lange Vertrag nun im Eilverfahren durchgepeitscht. Eine Schlüsselfigur dabei: der als potentieller Kanzlerkandidat gehandelte Martin Schulz (SPD), Präsident des EU-Parlaments. Er und seine Fraktion setzen sich damit über die Beschlüsse des SPD-Parteikonventes hinweg, der eine ausführliche Prüfung des Abkommens durch die Parlamente gefordert hatte.
 
Der Vorgang ist nur der jüngste in einer langen Reihe von antidemokratischen Schachzügen, an denen die SPD und ihre europäische Fraktion S&D zusammen mit den Christdemokraten federführend mitgewirkt haben. Jahrelange Geheimverhandlungen von TTIP, CETA und TiSA, intransparente Bankenrettungen, die Unterstützung der Troika, die ohne jede Rechenschaftspflicht die griechische Ökonomie in den Abgrund gesteuert hat – die SPD hat all das gedeckt. Für die französischen „Sozialisten“ und die meisten anderen sozialdemokratisch geprägten Parteien in der EU gilt Ähnliches. Die Sozialdemokratie trägt damit gemeinsam mit den Konservativen entscheidend dazu bei, dass die Bürger die EU im Wesentlichen als ein schmutziges Geschäft betrachten, das ihren Interessen schadet.
 
Die daraus resultierende Verachtung und Wut werden immer wirkungsvoller von rechten Demagogen kanalisiert. Siehe Brexit. Und auch die Trump-Wahl sollte als warnendes Lehrstück begriffen werden, schließlich hat sie entscheidend damit zu tun, dass Hilary Clinton als Repräsentantin eines Establishments wahrgenommen wurde, das mit „Big Money“ zutiefst verfilzt ist - nicht zuletzt weil sie über Jahrzehnte konzernfreundliche Handelsabkommen wie NAFTA, TTIP und TPP unterstützt hat. Doch selbst nach den Desastern in Großbritannien und den USA macht die SPD weiter wie gehabt. Die Parteigranden nehmen dabei sehenden Auges den Untergang der eigenen Partei in Kauf. Mit 20 Prozent wird auf Dauer längst nicht der Boden erreicht sein. Der französische „Sozialist“ Hollande rangiert in den Umfragen für die Wahl 2017 knapp über zehn Prozent und die griechische SPD-Schwesterpartei Pasok hat es gar schon auf unter fünf Prozent gebracht (nachdem sie 2009 noch 44 Prozent der Stimmen erreicht hatte). Die Gabriels und Schulzes dieser Welt interessiert das aber offenbar kaum. Ihre Vorgänger Schröder und Steinbrück  haben ihnen schließlich vorgemacht, dass sie mit einem goldenen Fallschirm rechnen können, wenn sie die eigene Partei an die Interessen von Großunternehmen und Supereichen verkaufen. Konservative können das natürlich genauso gut, etwa Ex-Kommissionschef Barroso, der sein Insider-Wissen ungestraft an Goldman Sachs verkaufen kann.
 
Weitaus gravierender aber als der Niedergang einer Partei, die sich überflüssig macht, ist der Ruin Europas, der uns eine Wiederkehr autoritärer, nationalistischer oder gar faschistischer Regime bescheren kann. Die SPD hat bereits zweimal in ihrer Geschichte entscheidend dazu beigetragen, Europa in den Abgrund zu steuern: 1914, als sie die Kriegskredite bewilligte. Und 1918, als in Deutschland eine Revolution ausbrach, die wesentlich von einer sozialdemokratisch orientierten Arbeiterschaft getragen wurde und basisdemokratische Räte einführte. Damals beschloss Reichspräsident Ebert (SPD), die eigenen Leute zusammenschießen zu lassen. Sein Wehrminister und Parteifreund Noske trommelte die einzigen Soldaten zusammen, die noch bereit waren, auf ihre Landsleute zu schießen: die ultrarechten Freikorps. Viele von ihnen trugen damals schon das Hakenkreuz an ihren Armen. Die SPD hat diese Ursünde nie wirklich aufgearbeitet. Sie sonnt sich bis heute in dem Mythos, immer auf der richtigen Seite gestanden zu haben. Dabei wäre es dringend notwendig, aus dieser verheerenden Geschichte zu lernen, damit Europa nicht ein drittes Mal zerrissen wird.
 
Solange die SPD weiterhin auf nationaler und EU-Ebene daran arbeitet, ernsthafte Debatten zu einer Überwindung neoliberaler Wirtschaftspolitik zu verhindern, macht sie sich mitschuldig, wenn die EU schließlich unter dem Druck neuer Nationalismen zerbrechen wird. Was ein solches Zerbrechen für Folgen haben wird, kann niemand absehen.
 
Fabian Scheidler ist Mitbegründer von Kontext TV und Autor des Buches "Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation" (www.megamaschine.org).