02.12.2021
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Einleitung: 

Die Regierungen, oft gekauft von fossilen Industrien, bieten wie gewohnt nur Trippelschritte an, aber keine nachhaltige Transformation. Doch es gibt auch eine Welle an Widerstand gegen den falschen Kurs außerhalb der Verhandlungen. Naidoo unterstützt die Initiative "Non-Proliferation Treaty for Fossil Fuels", getragen von hunderten zivilgesellschaftlichen Gruppen und Nobelpreisträger*innen, für einen Nichtverbreitungsvertrag für fossilie Brennstoffe. Jeder Cent, der noch in Fossile investiert werde, bedeute nämlich weitere Schulden für unsere Kinder. Die COP in Glasgow sei die exklusivste, elitärste Weltklimakonferenz. Die fossile Delegation stelle mit über 500 Vertretern die größte Delegation. Das sei, als würde bei einem Kongress der Anonymen Alkoholiker die Alkoholindustrie die größte Delegation stellen.

Gäste: 

Kumi Naidoo ist ein südafrikanischer Umwelt- und Menschenrechtsaktivist. Er war Generalsekretär von Amnesty International und Direktor von Greenpeace. Im Moment ist er Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin.

Transkript: 

Kumi Naidoo: Die Öl- und Gasunternehmen stellen doppelt so viele Delegierte wie die größte Regierungsdelegation, die der britischen Regierung. Stellen Sie sich vor, die anonymen Alkoholiker hätten eine weltweite Konferenz und die größte Delegation auf dieser Konferenz wäre die Alkoholindustrie. So wahnsinnig ist diese COP und deshalb hat Mary Robinson Recht, wenn sie sagt, dass diese COP männlich, blass und fade ist und außerdem die elitärste und exklusivste COP, die wir jemals hatten.

David Goeßmann: Greta Thunberg hat auch gesagt, dass diese COP die exklusivste sei, wenn es um Vertreter*innen aus dem globalen Süden und von indigenen Völkern geht. Warum ist das so?

Kumi Naidoo: Der Grund ist, dass unser globales Verwaltungssystem, einschließlich der Vereinten Nationen, weiterhin von den reichsten Ländern dominiert wird. Sie sagen das eine – so sagt die britische Präsidentschaft, dies sei die inklusivste und vielfältigste COP – aber die Wahrheit ist das genaue Gegenteil. Sie gehen davon aus, dass die Leute das wirklich glauben, wenn sie es oft genug sagen. Letztendlich dreht sich alles um Macht. Wer Macht hat, ist dabei. Und die Teilnahmekosten sind sehr hoch, viele erhalten keine Genehmigung. Ich habe zum Beispiel eine Geschichte über eine Künstlerin aus dem globalen Süden gehört, deren Kunstwerk innerhalb der COP ausgestellt wurde, sie aber keine Zulassung erhalten hat, um ihre eigene Kunst sehen zu können. Auch andere Gruppen haben es schwer, und das zu einer Zeit, in der die Weisheit gerade indigener Völker benötigt wird, um der Klimakrise zu entkommen, denn sie verstehen seit Jahrtausenden, dass es der Menschheit nur gutgeht, wenn sie mit der Natur in Beziehung bleibt. Und wenn wir das nicht schaffen, dann werden wir nicht gewinnen. Vertreter*innen aus dem globalen Süden und Gemeinschaften an der Klimafront, die an den Verhandlungen teilnehmen, sagen das Umbequeme, wie zum Beispiel, dass die meisten unserer sogenannten „Leader“ im Prinzip Agenten der Ölindustrie sind. Transparency International in Berlin hat nur zehn Tage, bevor die Klimakonferenz anfing, die britische Präsidentschaft dazu aufgefordert, bei der Planung der COP nicht mit der Ölindustrie zusammenzuarbeiten. Ölindustrielobbyisten waren also bei der Planung der Konferenz beteiligt. Die Machtdynamik auf der COP schließt gleichzeitig die Mehrheit der Menschen aus. Aber die Regierungsdelegationen spüren langsam, dass die ganze Welt zusieht und sie nicht ewig damit durchkommen, sich Ausreden auszudenken, sich auf die Schultern zu klopfen und selbst zu loben. Sicher, das wird auch diesmal geschehen. Leider werden selbst die armen Länder gezwungen sei vorzugeben, dass wir Fortschritte gemacht haben, während die Wissenschaft sagt, dass wir weit von dem entfernt sind, was notwendig ist. Deshalb müssen wir den Widerstand ausweiten und die Bewegungen stärken. Anders gesagt: Unsere Regierungen müssen erkennen, dass sie politischen Poker mit der Zukunft unserer Kinder spielen. Sie müssen verstehen, dass die Natur nicht verhandelt. Wir können die wissenschaftlichen Fakten nicht ändern. Das einzige, was wir verändern können, ist der politische Wille und glücklicherweise ist dieser in vielen Ländern ein erneuerbarer Rohstoff in dem Sinn, dass wir Leute aus dem Amt werfen können, wenn sie keine Resultate liefern. Und ich hoffe, dass die Regierungsparteien, die hier nichts liefern, von ihren Bürger*innen bei der nächsten Wahl aus dem Amt gewählt und durch Leute ersetzt werden, die den Ernst der Klimakrise verstehen.

David Goeßmann: Sprechen wir über Klimafinanzierung, die für ärmere Länder unbedingt erforderlich ist. Südafrika hat gerade 8,5 Milliarden Dollar bekommen, um aus der Kohle auszusteigen und in erneuerbare Energien zu investieren. Wie bedeutsam ist diese Finanzierung und könnte sie Ihrer Meinung nach einen echten Wandel einläuten?

Kumi Naidoo: Diese Unterstützung ist ein gutes, positives Signal. Aber nur, wenn die reichen Länder wirklich halten, was sie versprechen, was in 80% der Fälle nicht der Fall ist. In 2009 haben die Industriestaaten in Kopenhagen gesagt, sie würden den Grünen Klimafonds pro Jahr mit 100 Milliarden Dollar ausstatten. Jetzt haben wir 2021, ein Jahr später, und die Summe ist nicht erreicht. Das Geld für Anpassungsmaßnahmen gegen die Klimakrise, das armen Ländern versprochen wurde, fließt immer noch nicht. Sollte die Unterstützung für Südafrika pünktlich geliefert werden, bedingungslos und ohne politische Manipulationen, dann wird das positiv sein und wir hoffen, dass es geschieht. Denn Südafrika, mein Land, tut sich schwer beim Klimaschutz und die Unterstützung könnte helfen, uns schneller von der Kohle zu verabschieden, was wir absolut tun müssen. Das andere Problem ist, was passiert, wenn das Geld ankommt. Es muss sichergestellt werden, dass die südafrikanische Regierung offenlegt, wie das Geld – jeder Cent – ausgegeben wird. Als Bürger Südafrikas werde ich das fordern und darauf drängen. Und ich verlange von Präsident Ramaphosa, wie schon in anderen Interviews, Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft, den Religionsgemeinschaften und so weiter zusammenzubringen, damit sie überwachen können, dass das Geld richtig ausgegeben wird. Denn leider gibt es in Südafrika jede Menge Korruption. Es wäre naiv zu glauben, dass, nur weil Geld da ist, das Geld genauso ausgegeben wird, wie es der Fall sein sollte.

David Goeßmann: Lassen Sie uns zum Problem der Kohlenstoff-Ungleichheit kommen. Eine kürzlich erschienene Studie zeigt, dass der CO2-Fussabdruck des reichsten 1% der Weltbevölkerung fast dreißig Mal höher ist als der Wert, der nötig wäre, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Was folgt Ihrer Ansicht nach daraus?

Kumi Naidoo: Wir müssen den Überkonsum von denjenigen an der Spitze der Gesellschaft, der die Klimakrise anheizt, in den Fokus nehmen. Als ich Direktor von Greenpeace war, haben mich Leute, einschließlich Greenpeace-Mitglieder in reichen Ländern, oft gefragt: „Kumi, ist das große Problem nicht die Überbevölkerung? Die Leute in Afrika und Asien haben einfach zu viele Kinder.“ Übrigens glaube ich, dass wir uns tatsächlich mit der Überbevölkerung beschäftigen müssen. Die Lösung dafür ist die Gleichstellung der Frauen. Das ist der Schlüssel für das Bevölkerungswachstum. Aber wenn man nur auf das Bevölkerungswachstum schaut und nicht auf den Konsum, dann bekommt man ein völlig falsches Bild. Zum Beispiel verbraucht ein Kind in Berlin so viel wie über hundert Kinder in einem afrikanischen Dorf. Diese Tatsache weist auf eine Ungleichheit hin. Die schlimmste Krankheit, die die Menschheit bedroht, sind nicht COVID, Grippe oder irgendein anderes Virus, sondern eine Krankheit, die wir „Affluenza“ – Wohlstandskrankheit – nennen. Das ist eine pathologische Krankheit, bei der Menschen glauben, dass ein gutes, sinnvolles und akzeptables Leben auf mehr und mehr materiellen Anschaffungen beruht. Wir können aber die Klimakrise nicht lösen, wenn wir das momentane Wirtschaftssystem intakt lassen. Dieses Wirtschaftssystem ist es, was uns an den Rand der Klimakatastrophe gebracht hat. Wir brauchen grundlegende Änderungen unseres Wirtschaft-, Energie-, Ernährungs- und Verkehrssystems . Wer glaubt, dass es nur um ein paar geringfügige Änderungen geht, der täuscht sich. Vor allem, da wir uns so lange Zeit gelassen haben. Wenn Regierungen schon Anfang der 90er Jahre auf das, was die Wissenschaft damals sagte, reagiert hätten, dann wäre heute alles einfacher. Aber jetzt haben wir extremen Nachholbedarf. Das Schreckliche für jemanden wie mich, der aus Afrika kommt, ist es, zu sehen, dass die Menschen auf meinem Kontinent und die Menschen im globalen Süden so wenig zum Problem beigetragen haben, aber jetzt als erste und am heftigsten dafür büßen. Es sterben bereits Menschen, wir verlieren Infrastruktur. Und dann schauen Sie sich diese COP an! Wo sind diese Menschen? Unser Problem ist auch Klima-Apartheid. Die Teile der Welt, die am meisten zum Problem beigetragen haben, sind weiß. Die Teile der Welt, die als erste und am heftigsten darunter leiden, sind mehrheitlich nicht weiß. Und wieso ist das so? Auch in der Corona-Krise verhalten sich die reichen Länder ungerecht gegenüber dem Rest der Welt, sogar gegen die Wünsche ihrer eigenen Bürger*innen. Die Impf-Apartheid ist nicht einmal in ihrem eigenen Interesse, weil dadurch arme Länder wie in Afrika zu einer Variantenfabrik gemacht werden, die möglicherweise Mutationen produzieren, die die Impfstoffe nicht mehr bekämpfen können. In Europa und Nordamerika bekommen manche schon ihre dritte Impfdosis, während in Afrika gerade einmal fünf Prozent der Menschen geimpft sind. Dieser Rassismus ist auch in den Klimaverhandlungen sichtbar. Und wir müssen ihn ansprechen, weil er Ursache der Ungerechtigkeit ist. Die Welt ist nicht einfach eine große Familie, auch wenn sie auf der COP als eine solche inszeniert wird.

David Goeßmann: Sie fordern gemeinsam mit hunderten von zivilen Organisationen und Nobelpreisträgern einen Sperrvertrag für fossile Brennstoffe. Erzählen Sie uns bitte mehr darüber und warum Sie glauben, dass das den Druck auf der Industriestaaten erhöhen kann.

Kumi Naidoo: Die Wissenschaft ist eindeutig, die Unwetter sind es noch mehr. Zuerst gab es extreme Temperaturschwankungen, Dürren und Überflutung hauptsächlich im Süden. Sogar in einem Land wie Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt, sterben nun Menschen an den Klimaauswirkungen. Im globalen Süden geschieht das in einem größeren Ausmaß. Die Wissenschaft sagt: Eine Investition von nur einem Cent in neue fossile Brennstoffprojekte ist eine Investition in den Tod unserer Kinder. Und in den Tod der Zukunft. 2015 war ich bei Präsident Anote Tong von der Pazifikinsel Kiribati zu Gast. Sie zeigten mir, was der Meeresspiegelanstieg dort bewirkt. Das Land fordert eindringlich von den reichen Ländern ein Kohlemoratorium. Wir wissen, dass Öl, Kohle und Gas unser Aussterben bedeuten werden. Daher muss deren Nutzung eingestellt werden. Das ist einfach zu verstehen. Und es gibt Alternativen für die schmutzige Energie. Ich behaupte nicht, dass wir für den Übergang nur mit den Fingern schnipsen müssen und das war’s. Aber mit politischem Willen, mit der Bereitstellung der Mittel können wir es schaffen. Ich bin der Meinung, dass ein Sperrvertrag über fossile Brennstoffe diesen Prozess unterstützen kann. Ich hoffe, dass in den nächsten Monate viele kleinere Länder, vor allem die an der Klimafront, den Aufruf unterschreiben werden. Wir appellieren an die Moral der reichen Länder. Die Europäer glauben, dass sie bei der Umwelt führend sind und auf der richtigen Seite stehen. Wenn die Europäer in Sachen Klima so gut sind, wie sie meinen, und wirklich die Ansichten ihrer Bürger*innen vertreten, dann sollten sie den Sperrvertrag über fossile Brennstoffe unterschreiben und anfangen, endlich das das zu tun, was sie schon längst hätten machen sollen. Da ich in verschiedensten Ländern gearbeitet habe, kann ich gut einschätzen, dass die Bürger*innen Europas mehr Umweltschutz wollen, mehr als in anderen Regionen der Welt, sie aber von ihren Regierungen nicht richtig vertreten werden.