Warum die Klimakrise auch eine Medienkrise ist
Einleitung:
Der Journalist und Mitbegründer von Kontext TV zeigt in seinem Vortrag auf der Hamburger Klimawoche, wie die Medien bei der Klimakrise versagt haben. Die Klimakrise landete meist auf den hinteren Seiten in der Wissenschaftsrubrik. Bei keinem Wahlkampf in den letzten Jahrzehnten wurde über Klimapolitik debattiert. Sie war nach einer Studie von 2004 bis 2018 nur einmal, 2007, unter den Topnews in den Fernsehnachrichten. In den Polit-Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender kam die Krise bis zu den Klimaprotesten 2019 praktisch nicht vor. Zudem wurde immer wieder Stimmung gegen Klimaschutz gemacht. Schon 1990, bei der Verabschiedung des Berichts der Erdatmosphären-Enquettekommission des Bundestages zum Beispiel, schrieb die Wochenzeitung Die Zeit, „dass uns die Umweltschützer mit ihren Horrorbildern allmählich auf die Nerven gehen“. Schmelzende Polarkappen, Meeresfluten, Hungersnöte, Klimaflüchtlinge – das „Jahr ihrer Wiedervereinigung“ lassen sich die Deutschen jedenfalls „nicht durch düstere Prognosen vergällen“. Wer die Energiewende zum Thema machte, wurde abgestraft, siehe den grünen Wahlkampf Ende der 90er Jahre. Selbst nach dem Klimaprotestjahr, als Millionen gegen die Klimapolitik auf die Straßen gingen, nach Hitze- und Dürresommern auch in Deutschland, stellten die Hauptstadtkorrespondent*innen den Spitzenpolitiker*innen keine einzige Frage zur Klimapolitik. Auch bei der Sommer-Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel im letzten Jahr sahen die Hauptstadtkorrespondenten über die Klimakrise und den Kurs Klimakollaps der Bundesregierung hinweg. Auf Kritik und konstruktive Anregungen reagieren die Medien nicht selten mit Wagenburgmentalität. So versucht eine Initiative inspiriert von den Klimabewegungen, eine Sendung »Klima vor Acht« entsprechend der »Börse vor Acht« in die öffentlich-rechtlichen Sender zu bringen. ZDF-Intendant Thomas Bellut antwortete: »Ich würde es nicht machen. Klima ist wichtig, aber danach kommt das nächste Thema. Themen ändern sich ständig. Ich finde es falsch, so etwas vorzugeben, denn damit macht man Politik. Ist das unsere Aufgabe? Nein.« Die ARD erteilte dem von rund 20.000 Bürger*innen unterstützten Vorschlag, darunter Prominente wie Carolin Kebekus, Bastian Pastewka, Luisa Neubauer, Bjarne Mädel und ARD-Meteorologe Karsten Schwanke ebenfalls eine Absage. Es ist das Verdienst der Klimaproteste der letzten Jahren, die Klimakrise stärker auf die Agenda gebracht zu haben. Es wird nun öfter über Klimaschutz berichtet als zuvor, wenn auch weiter viel zu wenig sowie dem Notstand nicht angemessen, während die notwendige Kursänderung oft negativ gerahmt wird als ökonomische Belastung und Zumutung für die Bürger*innen. Wenn sich daran nichts ändert, so Goeßmann, wird es schwierig, die Kursänderung in den nächsten Jahren politisch zu ermöglichen.
Aufgezeichneter Vortrag in der HafenCity, 22.09.2021, 13. Hamburger Klimawoche. Nach dem Vortrag folgen drei Lieder gesungen von Dota Kehr, die für die Klimawoche aufgenommen wurden.
Weitere Infos zum Buch "Kurs Klimakollaps. Das große Versagen der Politik" von David Goeßmann unter: https://www.eulenspiegel.com/verlage/das-neue-berlin/titel/kurs-klimakol....
Transkript:
Wir haben schlimme Überschwemmungen in Deutschland mit vielen Toten gesehen. In Südeuropa und der Welt haben Brände ganze Landstriche vernichtet. Dazu 50 Grad Celsius in Kanada und Hitzewellen bis zum Polarkreis. In Madagaskar sind aufgrund von Dürren über eine Million Menschen vom Hungertod bedroht.
Es sind zudem erneut klimawissenschaftliche Berichte veröffentlicht worden, die zeigen, dass der Golfstrom sich bereits verlangsamen könnte, andere Kipppunkte wie das Abschmelzen des Antarktischen Eisschilds wahrscheinlich schneller erreicht und Wetterextreme in der Zukunft wohl schlimmer sein werden als bisher erwartet. Und das alles, während das Treibhausgas-Budget für das 1,5 bis 2 Grad-Ziel in den nächsten Jahren verbraucht sein wird, wenn nicht umgesteuert wird.
Gleichzeitig stellt Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet klar, dass man wegen „so einem Tag“, also den Überschwemmungen, „nicht die Politik ändert“. Und SPD-Kandidat Olaf Scholz propagiert 1,5 Grad als Obergrenze, um im gleichen Atemzug die damit vollkommen unvereinbare Aussage zu verbinden, den Kohleausstieg von 2038 nicht vorzuziehen, vom Ausstieg aus der Gasverstromung ganz zu Schweigen. Aber trotz solcher Harakiripolitik spricht niemand – jenseits der sogenannten „radikalen“ Klimaschützer*innen – solchen Kandidaten die Regierungsfähigkeit ab.
Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung.
Klimaproteste und Kampagnen haben in den letzten zwei, drei Jahren die Klimakrise stärker auf die Agenda bringen können, den Diskurs gedreht, von Europa bis Nordamerika. In den Medien wird nun öfter über die Krise berichtet als zuvor, wenn auch weiter viel zu wenig und dem Notstand nicht angemessen. Regierungen stehen in ihren Ländern unter Druck, endlich zu handeln. Die meisten Parteien versprechen vor der Bundestagswahl, mehr fürs Klima zu tun.
Das ist der Erfolg von Bewegungen. Sie haben es auch mit einer Klage geschafft, dass das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung aufforderte, früher aus den Treibhausgasen auszusteigen als bisher geplant.
Aber selbst das daraufhin leicht korrigierte Klimaziel Deutschlands ist weit entfernt vom Notwendigen. Selbst fürs 2°C-Ziel reicht es nicht, während kaum noch Zeit zum Umsteuern bleibt. Es ist eine Bankrotterklärung im Klimanotstand – ganz abgesehen davon, dass die Bundesregierung dem Ziel keine entsprechenden Maßnahmen folgen lässt und mit sogenannten negativen Emissionen trickst.
Doch die Abendnachrichten beruhigen: Die Politik hat verstanden, alles wird gut. Am Tag des deutschen Klimabankrotts, als das neue, unzureichende Ziel mitgeteilt wurde, regten sich die meisten Medien lieber darüber auf, dass das Münchener Fußballstadion beim EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn nicht in Regenbogenfarben beleuchtet werden durfte. Die Politik versagt, die Medien kehren es unter den Teppich.
Die Weltrettungs-Farce von Regierungen ist bei weitem nicht neu, die Strategien des Wegschauens und Einschläferns altbekannt. Die Notwendigkeit einer Kehrtwende wird seit Jahrzehnten mit hohlen Versprechen sediert und mit Attacken gegen Abweichler bekämpft. 1998, als die Grünen zum ersten Mal Regierungsverantwortung anstrebten (und auch erlangten), machte sie eine 5-Mark-pro-Liter-Benzin-Kampagne politisch handzahm. Die von ihnen angedachte Verkehrswende wurde im Wahlkampf beerdigt, die Grünen kamen mit 6,7 Prozent gerade so über die 5-Prozent-Hürde. Seitdem hat niemand mehr eine Verkehrswende angepackt. Heute sind es 16 Cents mehr pro Liter, um Klimaschutz, der natürlich sozial ausgestaltet werden muss, zu diskreditieren.
Immer wieder wurde Stimmung gegen Klimaschutz gemacht. 1990, bei der Verabschiedung des Berichts der Erdatmosphären-Enquettekommission des Bundestages zum Beispiel, schrieb die Wochenzeitung Die Zeit, „dass uns die Umweltschützer mit ihren Horrorbildern allmählich auf die Nerven gehen“. Schmelzende Polarkappen, Meeresfluten, Hungersnöte, Klimaflüchtlinge – das „Jahr ihrer Wiedervereinigung“ lassen sich die Deutschen jedenfalls „nicht durch düstere Prognosen vergällen“. Danach hat die Die Zeit wie die meisten Medien den Kurs Klimakollaps der Politik grün gewaschen und von der Agenda geschoben.
Einlullen, Tricksen, Attackieren, Heucheln: Die Illusionsmaschinerie läuft in der politischen Öffentlichkeit weiter, wenn auch nicht mehr so krass wie in der Vergangenheit, während sich die Klimakrise verschärft. Fest steht: Die Blockierer und Bremser der Energierevolution werden gewinnen, sollte Verantwortung wie zuvor an Parteien, Medien und auch Umweltverbände delegiert werden.
Die Kursänderung wird auch dann nicht automatisch vom Himmel fallen, wenn die Grünen in Regierungsverantwortung kommen sollten. Auch ihre Angebote reichen nicht, das Schlimmste zu verhindern, das zeigen uns Studien. Die Energiewende-Gegner sind zu einflussreich und die erforderliche Wende zu rasant, um sie dem politischen Normalbetrieb zu überlassen – trotz aller positiven Entwicklungen auch auf den Energiemärkten und einem geänderten Diskurs seit den Klima-Protesten von 2019.
Tatsache ist: Die Kehrtwende braucht in den nächsten Jahren massiven Druck aus der Zivilgesellschaft, weil in zentralen Institutionen weiter jede Menge Klimaschmutzmitläufer und Bremser sitzen: in Regierungsorganen, Parlamenten, Parteien, Behörden, Medienhäusern oder Gewerkschaften. Die Klimaschmutzlobby (wie die Journalistinnen Annika Joeres und Susanne Goetze es nennen) ist weit verzweigt und einflussreich. Sie reicht von der fossilen Brennstoffindustrie über den Bauernverband, die Chemie- und Stahlindustrie bis hin zur Auto- und Luftfahrtbranche.
Selbst in Umweltverbänden und klimawissenschaftlichen Politikberatungsgremien dämpft man viel zu oft in der Öffentlichkeit die Stimme. Auch die Kirchen belassen es bei Apellen.
Was muss sich also ändern? Die unangenehme Wahrheit ist: Die Industriestaaten haben heute keine Rechte mehr auf weitere Emissionen. Sie sind, wie eine Studie des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen schon 2009 feststellte, durch ihre ständige Übernutzung der Atmosphäre „kohlenstoffinsolvent“.
Aber selbst, wenn man das verbleibende Restbudget für das 2-Grad-Ziel auf alle Länder fair aufteilt, heißt es für die industrialisierten Staaten, dass sie bis spätestens 2035 aus Kohle, Gas und Öl aussteigen müssen. Also jedes Jahr müssen die Emissionen ab sofort um mindestens 10 Prozent sinken, eine historische Herkulesaufgabe.
Im Corona-Rezessionsjahr, wo die Wirtschaftstätigkeit auf ein Minimum heruntergefahren wurde, konnte in Deutschland eine Minderung von 8,7 Prozent erreicht werden. Daran kann man erkennen, was in den nächsten Jahren in den Industriestaaten ansteht: Ab jetzt wird jedes verlorene Jahr ein Sargnagel für die Verhinderung gefährlicher Erderhitzung sein. Das ist keine Dramatisierung, sondern ergibt sich, wenn man 1 und 1 zusammenzählt.
Die Entwicklungsländer müssen gleichzeitig auch ab 2025 schnell Richtung Null-Emissionen kommen, in Siebenmeilenschritten. Auch dort dürfen ab Mitte des Jahrhunderts Kohle, Öl und Gas nicht mehr für die Energieerzeugung genutzt werden. Für diese Wende bei steigendem Energiebedarf brauchen die armen Länder Unterstützung von den reichen Ländern, nach einer Reihe von Studien rund eine Billion Dollar jedes Jahr an Anschubfinanzierung für die Energierevolution und Anpassungsmaßnahmen gegen Klimaschäden.
Ohne diese Hilfe wird die Kursänderung in den Entwicklungsländern nicht stattfinden können. Dann steigen die Emissionen global weiter, auch wenn sie in den Industriestaaten sinken. Die Klimagelder sind auch keine Almosen. Denn die industrialisierten Staaten sind, wie schon gesagt, aufgrund ihrer historischen Klimaschulden durch die Übernutzung der Atmosphäre schon lange im sogenannten Emissionssoll.
Von der notwendigen Kursänderung sind wir aber bis heute weit entfernt. Unbeirrt von Hitzewellen, Dürren, Stürmen und Überschwemmung steuern die Regierungen der reichen Länder Richtung 3 bis 4 Grad-Erderhitzung. Dieser Kurs ergibt sich, wenn alle Staaten die Versprechungen vom Pariser Klimagipfel 2015 einhalten.
Für uns Bewohner auf dem Planeten wird es bedeuten: In achtzig Jahren sind viele niedrige und mittlere Lagen wegen des Hitzestresses und der Dürren nicht mehr bewohnbar. Die meisten Bevölkerungen werden kaum mehr Zugang zu Trinkwasser haben. So wird die Welt aussehen, wenn alle Staaten ihre gegebenen Versprechen einhalten. Wenn sie es nicht tun, wird es schlimmer.
Die Konsequenzen einer 3 bis 4 Grad-Erderhitzung sind derart erschreckend, dass Forscher nicht darüber nachdenken oder gar eine »Überlebensstrategie« entwerfen wollen. Die Landfläche wird zum Beispiel schrumpfen, während die Größe der Menschheit zunimmt. 11 Milliarden statt der heute knapp 8 Milliarden Menschen bis Ende des Jahrhunderts werden prognostiziert.
Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, stellt vor diesem Hintergrund fest: »Es ist kaum vorstellbar, wie es möglich sein soll, acht Milliarden Menschen oder selbst die Hälfte davon zu versorgen ”. Also viele, wahrscheinlich Milliarden Menschen, werden in den nächsten Jahrzehnten nicht überleben, wenn es keine Kursänderung gibt. Wenn sogenannte Kipppunkte im Erdsysteme überschritten werden – wie das Auftauen der Permafrostböden, wodurch große Mengen an Methan freigesetzt werden, was zu einem sich selbst verstärkende Kreislauf führen könnte –, heißt es am Ende Game-Over für die Spezies Mensch.
Gibt es Hoffnung, das Schlimmste noch zu verhindern? Tatsächlich kündigen die USA auf dem Weg zum nächsten Klimagipfel in Glasgow an, die Klimaziele aufzustocken. Auch die EU und Deutschland wollen das Tempo anziehen, während Parteien im Wahlkampf versprechen, mehr fürs Klima zu tun. Doch die Angebote, wie schon gesagt, reichen längst nicht.
So wollen sich die USA bis 2050 Zeit lassen und haben in ihren Reduktionsfahrplänen noch enormen Mengen an sogenannten negativen Emissionen eingerechnet (CCS, BECCS), also die übliche kreative Buchhaltung auf dem Papier. Die EU hat sich ein ähnliches Klimaneutralitätsziel gesetzt. Keine Partei im Bundestag hat in den Wahlprogrammen einen mit Maßnahmen hinterlegten Reduktionskurs, der mit dem 2-Grad-Ziel nur annähernd kompatibel ist. Es gibt bisher nur leichte Kurskorrekturen, aber nicht die notwendige Kursänderung.
Es wäre daher fatal, sich erneut falschen Hoffnungen hinzugeben. Immer wieder wurde die Weltrettung versprochen. US-Präsident George Bush Senior kündigte angesichts der Erderwärmung 1987 einen »Weißes-Haus-Effekt« an, Barack Obama zwanzig Jahre später eine nationale Energiewende. Die Bundesregierung legte 1990 einen globalen Plan für den fossilen Ausstieg vor und folgt ihm bis heute als »Klimavorreiter«. Der Plan war von Anfang an eine Mogelpackung, wie ich im Buch „Kurs Klimakollaps“ analysiere, aber darüber wurde der Mantel des Schweigens gebreitet.
Auf internationalen Klimagipfeln werden seit einem Vierteljahrhundert immer wieder historische Abkommen gefeiert. Die Umweltverbände betreiben seit dreißig Jahren Umweltlobbyismus und verlangen von Regierungen, etwas mehr zu tun, nie aber, das Notwendige zu tun. Sie haben zu keiner Zeit ihre Mobilisierungsmacht genutzt, um echten Druck für die Kursänderung aufzubauen.
Während tausende klimawissenschaftliche Studien wie Rauchmelder Alarm schlagen, haben leider auch renommierte Forscher als Politikberater in der Öffentlichkeit ihre Stimme gedämpft und die Klimaziele der EU und Deutschlands grüngewaschen.
All das führte dorthin, wo wir uns jetzt befinden, an den Rand des Abgrunds. Die Treibhausgase liegen heute 60 Prozent höher als 1990, nicht 60 Prozent niedriger, wie deutsche Meteorologen und Physiker in einem gemeinsamen Aufruf Mitte der 80er Jahre forderten. Wir sind buchstäblich die erste Generation, die die Spezies Mensch in Frage stellen könnte. Der Dachstuhl des Hauses brennt. Wir entscheiden in den nächsten zehn Jahren nun, ob das ganze Haus abbrennt oder nur der Dachstuhl.
Dabei ist die Krise Jahrzehnte alt, alles Wesentliche ist schon in den 60er, 70er Jahren bekannt gewesen. Aber Bevölkerung und Gesellschaft sind immer wieder Beruhigungspillen verabreicht worden: von fossilen Interessengruppen, Politik und Presse. Verpackt in Slogans wie: Wir sind Klimavorreiter, Wind- und Sonnenenergie bedeuten Luxusstrom, China ist an allem schuld.
Bei keinem Wahlkampf in den letzten Jahrzehnten spielten Klimaschutz und die benötigte Kursänderung eine Rolle. Wer die Energiewende zum Thema machte, wurde abgestraft, siehe den grünen Wahlkampf Ende der 90er Jahre. Der bereits verstorbene Hermann Scheer von der SPD, Mitautor des Erneuerbaren Energien Gesetzes und unermüdlicher Kämpfer für die Energiewende, erkannte früh, dass der Kampf für die Wende eng verbunden ist mit dem Kampf um die öffentliche Meinung.
Und dieser Kampf wurde immer wieder verloren. Die meisten, die Einfluss auf die veröffentlichte Meinung haben, gingen auf Tauschstation, trommelten auf den Wirtschaftsseiten von Zeitungen zur Klimaschutzblockade oder lenkten die Bürger*innen vom Notwendigen ab. Die Stromwende, die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz kraftvoll eingeleitet wurde, wurde von der Presse kaputtgeredet und dann politisch abgewrackt. Von 2009 bis 2019 stagnierten daher die Treibhausgase in Deutschland. Der Crashkurs der eigenen Regierung und der mächtigen Industriestaaten wurde in einer Mischung aus Desinteresse und Desinformation immer wieder massenmedial durchgewinkt.
Die Klimakrise landete meist auf den hinteren Seiten in der Wissenschaftsrubrik. Klimapolitik und die voranschreitende Klimakrise waren nach einer Studie des Instituts für empirische Medienforschung von 2004 bis 2018 nie unter den Top 10 bzw. Top 20 der Themen in den Abendnachrichten im Fernsehen – mit der Ausnahme von 2007, als Al Gore und der Weltklimarat IPCC den Nobelpreis erhielten.
Nach dem Pariser Klimagipfel von 2015, der als historische Wende von Taz bis Greenpeace bejubelt wurde, stiegen die Treibhausgase global ungehindert weiter an. Kein Wunder, der „Klimadurchbruch“ war eine medial inszenierte Politshow. Die Industriestaaten änderten ihre Reduktionsziele in Paris nicht, die Kompassnadel zeigte weiter Richtung Kollaps.
In Großbritannien wurde nach dem Jubel-Gipfel der Ausbau des Flughafens Heathrow gegen starke Widerstände durchgedrückt. In Deutschland baut man stoisch weiter an Flughäfen, Kohlekraftwerken und Gaspipelines, als ob nichts wäre, im Verkehrssektor, Agrarsektor, Heizsektor das gleiche Trauerspiel.
Trotz der sich zuspitzenden planetaren Dramatik spielten Klimaschutz und Kurs Klimakollaps nach Paris bis zu den Klimaprotesten praktisch keine Rolle in der politischen Öffentlichkeit. Der damalige SPD-Abgeordnete Marco Bülow untersuchte zum Beispiel 204 Sendungen der fünf relevantesten Polit-Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender (Maischberger, Anne Will, Hart aber fair, Jauch und Maybrit Illner) für den Zeitraum von Oktober 2015 bis März 2017. In 1,5 Jahren beschäftigte sich keine einzige Sendung mit der Klimakrise.
Auch im Bundestagswahlkampf 2017 war Klimapolitik kein Thema. Von den 95 Minuten des TV-Duells zwischen Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) stellten die Journalisten die Hälfte der Zeit Fragen zur Flüchtlings- und Asylsituation. Das Thema Klimakrise ging erneut leer aus. In den Sommerinterviews von ARD und ZDF 2018 übergingen die Journalisten erneut die Klimakrise (wie auch viele andere wichtige Themen, zum Beispiel Armut, kaum Aufmerksamkeit erhielten).
Selbst nach dem Klimaprotestjahr 2019, als Millionen gegen die Klimapolitik auf die Straßen gingen, nach Hitze- und Dürresommern auch in Deutschland, brachten es die Journalisten der Fernsehsender fertig, den Spitzenpolitiker*innen keine einzige Frage zur Klimapolitik zu stellen. Auch bei der 90-minütigen Sommer-Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel im letzten Jahr sahen die Hauptstadtkorrespondenten über die Klimakrise und den Kurs Klimakollaps der Bundesregierung hinweg. Nur die Journalisten der unabhängigen Plattform Jung & Naiv brachten das Thema auf.
Auf Kritik und selbst konstruktive Anregungen reagiert die Medienelite mit Wagenburgmentalität. So versucht eine Initiative inspiriert von den Klimabewegungen, eine Sendung »Klima vor Acht« entsprechend der »Börse vor Acht« in die öffentlich-rechtlichen Sender zu bringen. ZDF-Intendant Thomas Bellut antwortete: »Ich würde es nicht machen. Klima ist wichtig, aber danach kommt das nächste Thema. Themen ändern sich ständig. Ich finde es falsch, so etwas vorzugeben, denn damit macht man Politik. Ist das unsere Aufgabe? Nein.«
Die ARD erteilte dem von rund 20.000 Bürger*innen unterstützten Vorschlag, darunter Prominente wie Carolin Kebekus, Bastian Pastewka, Luisa Neubauer, Bjarne Mädel und ARD-Meteorologe Karsten Schwanke schließlich eine Absage.
All das zeigt: Der politische Kampf um die Energierevolution wird kein Spaziergang und muss viele Hürden überwinden. Aber es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.
Die Sunrise-Kampagne und die Green-New-Deal-Bewegung um Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders machen in den USA weiter Druck auf die Biden-Regierung, den Infrastrukturumbau Richtung Null-Treibhausgase zu beschleunigen. Im Moment versuchen progressive Demokraten, das 3,5 Billionen US-Dollar umfassende Programm gegen die Blockade der Republikaner im Kongress durchzubringen. Es ist ein Machtkampf mit offenem Ende.
Die EU ist ebenfalls in Zugzwang und musste wegen der Protestwelle bereits nachlegen. Es liegt zudem ein echter Green New Deal für Europa auf dem Tisch, angeführt vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Er will dem viel zu laschen EU-Klimaprogramm unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Beine machen.
Währenddessen sieht man in der Finanzindustrie zunehmend die Risiken, die mit fossilen Anlagen verbunden sind, und die Erneuerbaren Energien werden auf den Märkten immer billiger.
In den Medien erhält Klimapolitik seit den Fridays-for-Future-Streiks zumindest etwas mehr Aufmerksamkeit als zuvor. Die Vorschläge von Bürger-Konvents in Deutschland oder Frankreich sowie diverse Bevölkerungsbefragungen zeigen, dass die Menschen für die notwendige Kursänderung bereit sind.
Überall finden sich positive Initiativen, die den Unterschied machen könnten. Der Runde Tisch Erneuerbare Energien, ein Zusammenschluss von unterschiedlichen NGO’s, fordert in seiner Kampagne bis 2030 100 Prozent Erneuerbare. Die Kampagne kann sich auf Studien vom Wuppertal Institut und der Energy Watch Group unter Klimapionier Hans-Josef Fell stützen. Sie zeigen, dass eine schnelle Dekarbonisierung bis 2030 bzw. 2035 machbar ist.
In Berlin tritt mit der Klimaliste Berlin zudem eine neue Partei bei den Landtagswahlen im September an, die eine rasante Energiewende einfordert. Auch politisch bewegt sich also etwas.
Die Bedingungen für eine Kursänderung, für einen radikalen Green New Deal, der den Menschen zu Gute kommen wird, sind tatsächlich so gut wie nie zuvor. Was fehlt ist der Zündfunke. Der Druck für die rasante Energierevolution muss förmlich aus allen Poren der Gesellschaft kommen. Das ist die einzige Hoffnung für die Verhinderung gefährlicher, sich selbst verstärkender Erdüberhitzung: gut organisierte Bewegungen und Kampagnen, politische Mobilisierung für die technologische Kehrtwende.
Wie der Schweizer Soziologe und ehemalige UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler einmal sagte: Die »Waffen der Demokratie« liegen vor unseren Füßen, wir müssen sie nur aufheben: Informieren, Versammeln, Organisieren, Streiken, Wählen und so weiter.
Vor allem diejenigen mit Einfluss müssen ihre Spielräume nutzen. Das sind Wissenschaftlerinnen und Lehrer, Beamte und Politikerinnen, Manager und Journalistinnen, oder die, die etwas in Gewerkschaften, Kirchen und Denkfabriken zu sagen haben. An der politischen Seitenlinie zu verharren und zuzuschauen, wie die Erde den Bach runter geht, ist längst keine Option mehr (und war es auch nie) angesichts der drohenden Gefahren und der Herkulesaufgabe der Wende.
Politikwandel oder Klimakollaps, das ist die Wahl, vor der wir als Gesellschaft stehen. Ob die Verantwortlichen dazu gebracht werden können, den Kurs rechtzeitig zu ändern, lässt sich nicht sagen.
Sicher ist jedoch: Die nächste Protestwelle wird kommen, und sie wird größer sein als die letzte. Ob sie früh genug kommt, die Kaimauer schon beim nächsten Mal überschlägt und die Klimaschmutzlobby hinwegspülen kann, hängt davon ab, wie viele Menschen bereit sind, ihre Stimme zu erheben, sich zu organisieren und wie gesagt die Waffen der Demokratie vor ihren Füßen aufzuheben.