17.09.2021

Die große Erpressung: Wie Journalisten Klimaaktivist*innen diffamieren

Von: David Goeßmann

Programmbeschwerde Radio Eins / RBB / Kommentar Hajo Schumacher 17. September 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte eine Programmbeschwerde einlegen.

Der Journalist und Kommentator Hajo Schumacher hat heute in einem Kommentar auf Radio Eins über die Hungerstreikenden gesprochen: https://www.radioeins.de/programm/sendungen/der_schoene_morgen/kommentar.... Dieser Kommentar zieht nicht nur falsche und diffamierende Vergleiche, sondern bedient Stereotype, die dazu angetan sind, die bereits stattfindende Hetze, einschließlich Morddrohungen, gegen Klimaaktivist*innen zu befördern.

Im Kommentar vergleicht Schumacher den Hungerstreik der Klimaaktivist*innen mit der Entführung von Peter Lorenz 1975 und dem darauf folgenden RAF-Terror, bei dem Buback, Ponto, Schleyer ermordet wurden.

Er spricht von „Zynismus romantischer Kids, die sich mit dem Hungerstreik als politischer Waffe wenig beschäftigt haben. So Fame um jeden Preis“.

Dann fährt Schumacher fort:

„Hungerstreik ist nichts anderes als eine Erpressung des Staates, also wenn ihr nicht tut, was ich sage, dann passiert etwas ganz Fürchterliches. Das ist ja ähnlich wie eine Entführung. Wie soll ein Staat darauf reagieren auf so was oder Spitzenkandidaten. Im Deutschen Herbst Mitte der 70er Jahre gab es diese Situation mehrfach. 1975, ich erinnere, Peter Lorenz, kurz vor der Abgeordnetenhaus-Wahl, war Spitzenkandidat für die CDU für das Amt des Regierenden. Und der ist auch entführt worden und die Entführer forderten mehrjährig inhaftierte Terroristen freizulassen im Tausch gegen Lorenz. Darunter, das nur am Rande, war auch Horst Mahler, der heute auf der völlig anderen Seite steht. Die Gefangenen wurden dann tatsächlich frei gelassen und in den Jemen geflogen. Lorenz wurde auch frei gelassen. Der Bundeskanzler damals, Helmut Schmidt, hat seine Entscheidung als großen, großen Fehler bezeichnet. Warum? Weil sich der Staat als erpressbar erwiesen hat. Die Lorenz-Entführung, sagen manche Zeitzeugen, war wohmöglich der Auftakt für den Deutschen Herbst: mit Buback, Ponto, Schleyer und Mogadischu, mit Stammheim. Das wird leider zu selten im Geschichtsunterricht durchgenommen. Das Nachgeben, sagt Helmut Schmidt, das hat vielleicht für den ganzen Deutschen Herbst den Weg bereitet. Ein unnachgiebiger Staat, klingt zwar hart, und brutal und gemein, dann wäre vermutlich Peter Lorenz getötet worden. Es ist ein grausames auswegloses Dilemma. Wir haben es hier mit einem anderen Fall zu tun, aber mit einem ähnlichen Szenario. Nur mal angenommen, die drei Spitzenkandidat*innen würden auf die Forderungen eingehen, was wäre denn die Konsequenz? Nächste Woche stehen da drei Identitäre auf einem Hochhaus und fordern alle Österreicher auszuweisen. (…) Wir Medien sind eigentlich die Ermöglicher solcher Aktionen, weil wir darüber berichten. Ich würde sagen: Keine Öffentlichkeit, die Internetzelle direkt über den Zelten abdrehen, damit es keine Möglichkeiten mehr gibt, mit diesem Hungerstreik mediale Aufmerksamkeit zu erzielen. Es gibt die stillschweigende Abmachung unter allen ernstzunehmenden Medien, dass wir über Suizide oder Suizidversuche nicht berichten, um keine Nachahmer zu ermuntern. Jetzt muss man nur noch Marc Zuckerberg davon überzeugen, dass die nicht live auf Facebook oder Instagram übertragen, das wird schon schwieriger. Aber dieser Hungerstreik ist ja eine Art von versuchtem Suizid. Daher keinerlei Öffentlichkeit. Deswegen höre ich jetzt auch auf.“

Es ist nicht nur sachlich falsch, sondern diffamierend, die Hungerstreikenden mit der Entführung und Tötung von Politikern und Menschen des öffentlichen Lebens zu vergleichen, um Gefangene freizupressen. Und das tut der Kommentar: „das ist ja ähnlich wie eine Entführung“, „Im Deutschen Herbst Mitte der 70er Jahre gab es diese Situation mehrfach“, haben es zu tun „mit einem ähnlichen Szenario“.

Was immer man von Hungerstreik als Mittel denkt, Schumacher spricht nicht über Hungerstreik. Er spricht über die RAF und ihren Terror, um den Hungerstreik der Jugendlichen auf diese Weise zu denunzieren. Wenn der Kommentierende über Hungerstreik als politische Waffe hätte sprechen wollen (was er vorgibt), warum spricht er dann nicht über Hungerstreik? Zum Beispiel den von Ghandi und zahlreichen anderen auch in Demokratien, die legitime Missstände adressierten (und zum Teil überwinden halfen), die mit anderen Mitteln keine Aufmerksamkeit erhielten. Der Hungerstreik wurde von ihnen als letztes Mittel ergriffen.

Was die politischen Ziele angeht: Auch hier gibt es keine Schnittmenge mit dem RAF-Terror. Die Hungerstreikenden verlangen ein öffentliches Gespräch mit den Kandidatinnen und einen Bürger*innenrat. Das sind bescheidene, zudem zivile Forderungen. Natürlich würden die Hungerstreikenden sofort aufhören, wenn die Politik der Wissenschaft folgt. Aber diese Forderung stellen sie nicht einmal. Sie sind bescheiden: nur ein Gespräch, nur ein Rat.

Ich gehe hier nicht darauf ein, dass keine Partei im Bundestag oder irgendeine Regierung in den Industriestaaten ein Angebot macht, dass 2-Grad-kompatibel ist. Siehe DIW, siehe Bundesverfassungsgericht und SRU. Siehe die Berechnungen der Klimaforscher Kevin Anderson und Alice Larkin vom Tyndall Center for Climate Change Research. Es bleiben nur noch wenige Jahre zum Umsteuern. Der IPCC geht davon aus, dass noch in diesem Jahrzehnt die 1,5-Grad-Schwelle überschritten wird. Seit Jahrzehnten wird gemahnt, demonstriert, werden Petitionen geschrieben, Klimalobbyismus organisiert, informiert, gestreikt, gewählt usw. usw. Diese Mittel werden auch weiter genutzt. Aber die Zeit läuft weg und die politisch Verantwortlichen reagieren weiter nicht auf die Wissenschaft. Das ist der Grund für den Hungerstreik. Er wird aber vom Radio-Eins-Kommentar nicht erwähnt.

Die „Internetzelle direkt über den Zelten“ abzudrehen, „damit es keine Möglichkeiten mehr gibt, mit diesem Hungerstreik mediale Aufmerksamkeit zu erzielen“ und die Medien aufzurufen, nicht mehr über den Hungerstreik zu berichten, ist eine Maßnahme, die in autoritären und diktatorischen Staaten angewendet wird. Es ist eine extreme, antidemokratische Meinung. Damit verstärkt der Kommentar seine Botschaft, dass der Streik gefährlich ist, und man daher sogar die Meinungsfreiheit in Frage stellen sollte (Abschalten des Internet-Zugangs und orchestrierte mediale Blockade).

Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass Klimaaktivist*innen in diesem Land Morddrohungen erhalten und vielfach denunziert werden. Die Hetze nicht nur im Netz ist gefährlich und sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Schüler*innnen werden zudem tagtäglich sexuell in Kommentaren entwürdigt und als Schlampen, Huren etc. bezeichnet. Es gibt Zeichen von steigender Aggressionen gegen die Aktivist*innen.

Ich verlange vom RBB, Radio Eins und dem Journalisten Hajo Schumacher, dass man klarstellt, dass die Hungerstreikenden nichts mit RAF-Terroristen zu tun haben. Zudem verlange ich eine Entschuldigung für die Diffamierung, nicht nur um die Denunzierten Lina, Mephisto, Jakob und die anderen „Kids“ vom Schmutz zu befreien, der mit dem Kommentar auf sie geworfen wurde, sondern auch, um mögliche „Nachahmer“ und Aufgehetzte, ganz im Sinne von Schumachers Sorge, nicht zu „ermuntern“. Ich erinnere an Rudi Dutschke.

Bitte teilen Sie mir Ihre Entscheidung mit.

Mit besten Grüßen,

David Goeßmann

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Antwort der Redaktion von Radio Eins / RBB, 20. September 2021

Sehr geehrter David Goeßmann,

vielen Dank für Ihr Schreiben an uns. radioeins ist ein streitbares Programm. Wir regen gerne zum Nachdenken und auch Diskutieren an und es geht aber auch darum, unterschiedliche Meinungen und Blickwinkel in unserem Programm abzubilden. Der Beitrag von Hajo Schumacher, den Sie kritisieren, läuft in unserer Rubrik „Der Kommentar“. Täglich um 08:05 Uhr kommentieren Kolleg*innen ganz unterschiedliche Themen. Grundsätzlich gilt: In einem Kommentar geht es um eine Haltung, einen Zwischenruf, vielleicht auch um eine Polarisierung zu einem Thema. Unsere Kommentator*innen sind aufgerufen, ihre Meinung zum jeweiligen Thema zu präsentieren. Und jetzt komme ich zum eigentlichen Punkt: Diese Meinung muss fundiert sein. Sie werfen Herrn Schumacher vor, er habe die Hungerstreikenden mit der RAF gleichgestellt. Das sieht er nicht so. Aus seiner Sicht beschäftigte er sich eher mit der Frage: Ist ein Hungerstreik ein legitimes Mittel um seine Ziele zu erreichen? Für die Erklärung machte er dann diesen historischen Exkurs. Ich habe heute noch mal mit Herrn Schumacher gesprochen und er schickte uns folgendes:

Ich habe länger mit dem Verfassungsrechtler Prof. Alexander Thiele gesprochen, der den Hungerstreik in einer Demokratie für ein völlig unangemessenes Instrument hält, weil hier Freiheit wie Würde des Menschen beeinträchtigt werden. Ein Hungerstreik ist das absichtsvolle Heraufbeschwören eines Dilemmas wie eine Entführung auch. Um auf undemokratische Art seine Ziele durchzusetzen, wird der Staat eiskalt in eine moralische Zwangslage gebracht, wie es die RAF et. al. vormachte. Und darum ging es, auch, in meinem Kommentar: Wie reagieren die Repräsentanten des Staats auf diese Erpressung? Baerbock, Laschet, Scholz stehen wie seinerzeit Helmut Schmidt, vor der dramatischen, aber eben absichtsvoll zugespitzten Frage: Nachgeben und möglicherweise weitere Hungerstreiks heraufbeschwören oder, im schlimmsten Fall, verhungern lassen? Mein Vorschlag: Wie beim Thema Suizid auch gibt es eine Übereinkunft aller Medien, über diese Erpressungsszenarien nicht zu berichten, um erstens Nachahmer nicht zu ermutigen, zweitens den Treibstoff solcher Aktion abzuklemmen - die Öffentlichkeit und drittens, um nicht maximal undemokratisches Verhalten auch noch zu belohnen.

Journalistisch betrachtet ist das Ganze ein fundierter Kommentar und gleichzeitig die Meinung von Hajo Schumacher. Manchmal muss man das aushalten. Ich hoffe, dass unsere Erläuterungen ein wenig Licht ins Dunkel gebracht haben.

Mit freundlichen Grüßen,

Rolf Kunz

Teamchef „Der schöne Morgen“

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Antwort von David Goeßmann, 7. Oktober 2021

Sehr geehrter Herr Kunz,

entschuldigen Sie die späte Antwort. Danke für die Rückmeldung und die Erklärungen. Leider entkräftet die Antwort von Hajo Schumacher nicht den Vorwurf, sein Kommentar vergleiche auf unangemessene Weise die Hungerstreikenden der letzten Generation mit RAF-Terror.

Schumacher sagt, er habe beides nicht gleichgesetzt. Der Vorwurf ist, dass der Kommentar den Klima-Hungerstreik von Jugendlichen mit RAF-Terrormethoden vergleicht und in einen Topf wirft. Die Verbindung wird ausdrücklich hergestellt und betont: „Das ist ja ähnlich wie eine Entführung. Wie soll ein Staat darauf reagieren auf so was oder Spitzenkandidaten. Im Deutschen Herbst Mitte der 70er Jahre gab es diese Situation mehrfach. (..) Wir haben es hier mit einem anderen Fall zu tun, aber mit einem ähnlichen Szenario.“

Ich forderte Hajo Schumacher und die Redaktion von Radio Eins nach diesen Vergleichen auf, klarzustellen, dass die Hungerstreikenden nichts mit RAF-Terroristen zu tun haben. Sie haben das explizit in der Antwort nicht getan.

Im Gegenteil. In seiner Replik vergleicht Schumacher weiter den Hungerstreik mit RAF-Terror, was Sie als „fundiert“ bezeichnen.

Er wendet gegen die Beschwerde ein (und Sie folgen ihm hier), dass er nur klar machen wollte, dass ein Hungerstreik ein undemokratisches Mittel sei, um politische Ziele zu erpressen. Das ist aber nicht Gegenstand der Programmbeschwerde. Es geht nicht darum, dass Schumacher Hungerstreik als problematisches Mittel und politische Erpressung einschätzt. Darüber kann man streiten. Die Beschwerde richtet sich explizit dagegen, dass der Kommentar den Klima-Hungerstreik von Jugendlichen (im Gegensatz zu dem von Nawalny) mit RAF-Terrormethoden und Entführungen zur Freipressung von Gefangenen vergleicht.

Politische Erpressung und politischer Terror sind zwei sehr unterschiedliche Methoden. In allen Staaten der Welt, auch in Demokratien, wird tagtäglich zum Teil auf offener Bühne politisch erpresst. Konzerne erpressen Regierungen, drohen mit „Fürchterlichem“ (Massenentlassungen, Divestment und Kapitalentzug, Standortverlagerungen, politischen Gegenfeuer-Kampagnen usw.). Auch Nawalny, Schumachers Beispiel für legitimen Hungerstreik, erpresst den Staat. Sein Hungerstreik ist keineswegs, wie Schumacher weismachen will, alternativlos. All das hat nichts mit politischem Terror zu tun. Niemand vergleicht das mit RAF-Methoden.

Ich erwarte weiter von Hajo Schumacher und Radio Eins eine Klarstellung, dass die Hungerstreikenden und RAF-Terroristen nichts miteinander zu tun haben.

Mit freundlichen Grüßen,

David Goeßmann