In über 1000 Workshops diskutierten Teilnehmende aus 127 Ländern auf dem Weltsozialfoum vom 26. bis 30. März über Widerstand gegen neoliberale Politik und Militarisierung weltweit. Zentrale Themen waren die Migrationspolitik der EU, an deren Grenzen seit 1993 mehr als 16.000 Menschen gestorben sind, Frauenrechte, Alternativen zur Austeritätspolitik in Europa und Afrika sowie die Besatzung Palästinas. Auch die Suche nach neuen Strategien für Klimagerechtigkeit nach dem Scheitern der bisherigen UN-Verhandlungen bildeten einen wichtigen Schwerpunkt. Das Forum fand – zwei Jahre nach Beginn des arabischen Frühlings – erstmals in einem arabischen Land statt. 80 Prozent der Teilnehmenden kamen aus Tunesien selbst.
Willkommen bei Kontext TV. In der heutigen Sendung berichten wir vom 11. Weltsozialforum, das vom 26. bis 30 März in Tunis auf dem Campus der Al Manar Universität stattfand. Unter dem Motto "Würde" diskutierten 50.000 Teilnehmer aus 127 Ländern über Themen wie den Arabischen Frühling, Frauenrechte, Migration, Freihandelspolitik oder Klimawandel. Schwerpunkte des Forums waren dieses Jahr die revolutionären Entwicklungen in Nordafrika und die Situation in Palästina. An dem Eröffnungsmarsch im Zentrum von Tunis nahmen nach Angaben des Veranstalters rund 25.000 Menschen teil – ein Großteil aus Tunesien selbst und benachbarten Ländern.
Kontext TV hat auf dem Forum mit zahlreichen Teilnehmern, Aktivistinnen und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen gesprochen, darunter Aminata Traore, ehemalige Kultur- und Tourismusministerin von Mali, Firoze Manji, Gründer von Pambazuka Press und ehemaliger Leiter von Amnesty International Afrika.
Der schwierige Weg in die Unabhängigkeit und Freiheit: In unserer Sendung wollen wir, zweieinhalb Jahre nach Ausbruch des arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten, mit unseren Gästen Bilanz ziehen: Was hat sich in der Region verändert, was sind die gesellschaftlichen Auswirkungen der Revolutionen, wie ist der Erfolg des politischen Islam im Zuge der Umbrüche zu erklären? Unsere Gäste erläutern zudem, was hinter dem sogenannten "African Awakening", dem Erwachen Afrikas steckt, sie analysieren die Ereignisse in Mali und die zunehmende Militarisierung des afrikanischen Kontinents.
Zudem war Migration ein zentrales Thema auf dem Weltsozialforum. Wir werden der Situation von Flüchtlingen aus Afrika und arabischen Ländern eine eigene Sendung widmen, die wir in einigen Wochen veröffentlichen werden.
In rund 1000 Veranstaltungen konnten sich die angereisten Teilnehmerinnen und Aktivisten austauschen, sich mit anderen Bewegungen und Gruppen vernetzen.
Forumsteilnehmerin 1: Ich komme aus Mauretanien und bin hier, um meine Stimme mit den Stimmen anderer Frauen aus der ganzen Welt zu vereinigen, für eine gerechtere Welt, in der ein würdevolles Leben möglich ist – wo es mehr Respekt für die Rechte der Frauen gibt und weniger Gewalt gegen Frauen.
Forumsteilnehmerin 2: Ich bin aus dem Tschad und Marokko hierhergekommen, um mich für die Rechte der Menschen südlich der Sahara einzusetzen, besonders für die Migranten, deren Rechte oft mit Füßen getreten werden. Ich hoffe, hier Unterstützung dafür zu finden, damit wir in dieser Sache Fortschritte machen können.
Forumsteilnehmerin 3: Wir sind ein Kollektiv aus Frankreich. Für uns ist es eine große Gelegenheit, nach der tunesischen Revolution hier zu sein. Wir erleben Tunesien in ganz anderen Farben als vorher, mit einer anderen Luft zu atmen – in Freiheit.
Forumsteilnehmerin 4: Ich bin Studentin hier in Tunis, an der Fakultät für Recht und Politikwissenschaften. Ich bin hier, um eine Vorstellung davon zu bekommen, worum es beim Weltsozialforum geht. In Tunesien sind wir stolz, Gastgeber des Forums zu sein. Und wir sind solidarisch gegen Krieg und gegen die Arroganz der Politik. Ob Araber oder Europäer, Muslime oder Christen: wir sind solidarisch für den Frieden und soziale Gerechtigkeit.
Auf der Abschlussdemonstration am 30. März zogen nach Angaben des Veranstalters 15.000 Teilnehmer in Solidarität mit den Palästinensern durch die Innenstadt Tunis. Wir sprachen auf dem Forum mit Frank Barat. Er ist Mitorganisator des „Russel Tribunal on Palestine“, einem zivilgesellschaftlichen Prozess in der Tradition des Russel Tribunals zum Vietnamkrieg. Das prominent besetzte Tribunal hatte im März auf der vierten und abschließenden Sitzung in Brüssel seine Untersuchungsergebnisse vorgestellt.
Frank Barat:
Angesichts der Gefahren des Klimawandels richtete das Weltsozialforum zum ersten Mal in seiner Geschichte ein eigenes “Climate-Space” ein. Dort fanden durchgängig Diskussionen über Nahrungsmittel-Souveränität, Wassergerechtigkeit und indigene Rechte statt. In den Workshops zum Klimawandel wurden falsche Lösungen, unterstützt von Regierungen und Unternehmen, wie Agrosprit, Gentechnik oder Geo-Engeneering, zurückgewiesen. Genevieve Azam von Attac Frankreich und Mitglied im Koordinierungskomitee des Forums:
Geneviève Azam: Die Klimakrise behandeln wir dieses Jahr zum ersten Mal in einem getrennten Themenblock. Warum wir das Thema Klima getrennt diskutieren wollten? Vom Klima ausgehend können wir viele Themen diskutieren, beispielsweise die Agrarwirtschaft oder das Wasser. Es gibt hier einige Bewegungen gegen die Privatisierung des Wassers. Auch weitere Fragen wie die Landverteilung, das Problem der Dürre, die ökologische Konversion der Wirtschaft oder der Ressourcenraubbau können hier diskutiert werden. Hier sieht man auch die Verknüpfung der einzelnen Problemkreise. Das ist extrem wichtig. Gerade eben haben wir uns beispielsweise mit dem französischen Minister für Entwicklung getroffen. Mitgekommen ist außerdem ein Vertreter einer tunesischen Vereinigung, die sich hier vor Ort gegen Fracking, also den Abbau von Schiefergas, einsetzt. Wir haben dem Minister ausdrücklich gesagt, dass wir keinen Abbau von Schiefergas wollen. Nicht in Frankreich, nicht in Tunesien und auch nicht in Algerien oder Marokko. In Bezug auf die Klimakrise mussten wur unsere Strategie ändern. Denn heute wissen wir, dass ein internationales Abkommen mit nindender Wirkung im Rahmen der Vereinten Nationen vermutlich nicht möglich ist. Die UN ist heute größtenteils von der Lobby der Industrie und der Finanzwelt kolonisiert. Das haben wir beim Rio+20-Gipfel gesehen. Und aus diesem Grunde wollen wir unsere Agenda und unsere Arbeitsthemen nicht mehr der UN anpassen. 2015 werden wir ein großer Kimagipfel in Frankreich stattfinden, der ein internationales Abkommen ermöglichen soll. Daran glauben wir aber nicht sonderlich. Deswegen ist das Weltsozialforum für uns als Franzosen eine Möglichkeit, international Kontakt aufzunehmen, um einen Gegengipfel für 2015 vorzubereiten.