02.03.2011
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Einleitung: 

Das Weltsozialforum in Dakar war mit bis zu 90.000 Teilnehmenden eine der größten Veranstaltungen in der Geschichte des westlichen Afrikas. Das Forum war geprägt von den Revolutionen in Ägypten und Tunesien. Dazu haben wir Stimmen von Aktivisten aus Ägypten und Tunesien eingefangen und mit Nnimmo Bassey, Vorsitzender von Friends of the Earth International und Träger des „Alternativen Nobelpreises“, darüber gesprochen, ob der Funken nach Süden überspringen könnte.

Gäste: 
Wangui Mbatia, People's Parliament, Nairobi
Mamdouh Habashi, International Forum for Alternatives, Kairo
Nnimmo Bassey, Vorsitzender von Friends of the Earth International, Nigeria
Nicola Bullard, Focus on the Global South, Thailand
Susan George, Transnational Institute/Attac France
Transkript: 

Wangui Mbatia: Wenn man zum Forum komm, merkt man, dass man nicht verrückt ist - oder dass die anderen noch verrückter sind als man selbst.

Mamdouh Habashi: Es leben die ägyptische Revolution!

Susan George: Historisch gesehen sind zehn Jahre nichts. Ein derartiges Forum ist bisher noch nie ausprobiert worden.

Nicola Bullard: Das Weltsozialforum hat den einzigen globalen Raum hergestellt, der uns gehört. Das ist etwas, was wir sehr stark verteidigen müssen.

Fabian Scheidler: Willkommen zu Kontext TV. Unsere heutige Sendung ist dem Weltsozialforum gewidmet, das vom 6. bis 11. Februar in Dakar, Senegal stattfand. 90.000 Menschen nahmen nach Angaben des Veranstalters an diesem Ereignis teil. Kontext TV war vor Ort, um mit Besucherinnen, Aktivisten, Vordenkerinnen und Organisatoren darüber zu sprechen, wofür sie kämpfen und was das größte Treffen sozialer Bewegungen auf der Welt für sie bedeutet.

David Goeßmann: Das erste Forum fand vor 10 Jahren in Porto Alegre, Brasilien, unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ statt – als Gegenentwurf zum Weltwirtschaftsforum in Davos, Schweiz, wo sich jährlich Führungskräfte aus Wirtschaft, Militär und Politik in elitärem Kreis treffen. Seither ist das Weltsozialforum für viele Menschen rund um den Globus zu einem Symbol der Hoffnung auf eine gerechtere Welt geworden. Wir wollen diesen 10. Geburtstag zum Anlass nehmen, auch einen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte zu werfen, kritisch Bilanz zu ziehen und einen Ausblick auf die Zukunft des Forums zu wagen.

Fabian Scheidler: Das Forum in Dakar war geprägt von einer beeindruckenden Beteilung afrikanischer Organisationen und Aktivisten. Aber auch Tausende von Gästen aus Lateinamerika, Europa, Asien und Nordamerika waren dabei. Die Auftaktdemonstration geriet mit 80.000 Teilnehmenden zur größten Kundgebung seit Jahrzehnten im Senegal. Wir sprachen mit einigen Teilnehmenden darüber, warum sie zum Forum kamen und was sie sich davon erhoffen.

WSF-Teilnehmer: Wir  sind hier, um die Menscheit zu verteidigen. Weil die Welt ungleich aufgeteilt ist. Die Reichen übervorteilen die Armen immer weiter. Alles, was der Allgemeinheit gehören sollte, wird von einer Minderheit für sich genutzt. Die Situation wird immer schlechter. Die Armen müssen den Reichen sagen: Was ihr macht ist nicht in Ordnung. Das gehört uns allen. Damit die Welt besser wird, denn "Eine andere Welt" ist möglich. Und ich glaube, dass wir so eine andere mögliche Welt schaffen können. Wir können anders leben, als wir das jetzt tun. Die Armen können besser leben. Auch die Reichen können leben – mit den Armen. Deswegen sind wir hier: um unsere Stimmen hörbar zu machen, damit in den Köpfen der Regierenden etwas geschieht, damit sie begreifen, dass sie etwas verändern müssen. Die Leute vor dem Fernseher und anderswo sollen verstehen, dass man anders leben kann, dass eine andere Welt möglich ist. Aber im Moment wird die Welt von einem kleinen Kreis von Leuten regiert, und die große Masse von Menschen ist draußen, die Welt wird reduziert auf Präsidenten, Minister und dergleichen.

WSF-Teilnehmerin: Ich war bei den Weltsozialforen in Nairobi und in Brasilien. Die Menschen interessieren sich mehr und mehr dafür. Und das bringt unsere Regierenden zum Nachdenken. Sie können die sozialen Bewegungen nicht mehr ignorieren. Sie können es einfach nicht mehr.

WSF-Teilnehmer: Ich arbeite für das World Rainforest Movement. Das ist ein internationales Netzwerk, das versucht, die Lebensgrundlage von Waldbewohnern und anderen Menschen zu sichern, die durch Großprojekte wie Bergbau, große Staudämme oder Monokulturen bedroht sind. Ich nehme nun zum dritten Mal teil und finde, dass das Forum immer eine Veranstaltung ist, bei der man von vielen Leuten, die die Welt verändern möchten, Energie bekommt, um gegen das System zu kämpfen. Und genau das ist sehr wichtig, dass wir motiviert sind diesen Kampf weiterzuführen. Andererseits wollen wir dieses Forum nutzen, unsere Netzwerke zu stärken und neue Kontakte zu machen. Das heißt also, dass wir neben den Veranstaltungen hier noch eine ganze Reihe von Netzwerk-Treffen haben. Es gibt einige Organisationen, die wir schon immer in Afrika treffen wollten, und die sind nun hier. Deshalb haben wir versucht, diese zu kontaktieren, um dann auch nach dem Forum in der Lage zu sein mehr gemeinsam zu unternehmen."

David Goeßmann: Eine besondere Rolle spielten auch die Revolutionen in Ägypten und Tunesien, die in zahlreichen Foren diskutiert wurden.

Eine Demonstration von Forumsteilnehmern vor der ägyptischen Botschaft in Dakar forderte den Rücktritt Mubaraks und bekundete Soldarität mit den Freiheitsbestrebungen der Ägypter.

Mamdouh Habashi: Ich bin jetzt sehr stolz, Ihnen den großartigen Sieg der tapferen Ägypter im Kampf um Demokratie zu verkünden. Aber das ist nur ein kleiner Schritt auf einem langen Weg, um die Forderungen der Revolution zu erreichen. Wir haben gerade erst begonnen. Das Hauptziel der Revolution ist es, das Regime zu stürzen – und nicht nur Mubarak. Es ist keine farbige Revolution. Es ist keine grüne, keine orangefarbene. Es ist eine ganz klare anti-imperiale Revolution. Daher haben die USA, die diversen Regierungen und all die Staaten der Europäischen Union so reagiert: Am Anfang unterstützten sie noch das Regime. Und damit wurde schließlich klar, dass sie in Ägypten seit über dreißig Jahren eine Politik des doppelten Standards betrieben haben. – Es lebe die ägyptische Revolution!

David Goeßmann: Kurz vor der Abschlusskundgebung kam dann die Nachricht vom Rücktritt Mubaraks.

Nicola Bullard: Ich denke, was in Tunesien und Ägypten in den letzten Monaten passiert ist, hat einen starken Eindruck gemacht und wirkt nach. Es gibt das Gefühl, dass jetzt alles möglich ist. Wenn das passieren kann, dann gibt es noch Möglichkeiten für uns alle.

Nnimmo Bassey: Für mich ist das, was in Tunesien geschah, sehr bedeutsam. Wie fing das Ganze an? Die Leuten setzten sich nicht hin, um lange Diskussionen zu führen. Ein junger Mann war arbeitslos und versuchte einen ehrlichen Berufs zu ergreifen, um sich zu ernähren. Er verkaufte Obst. Die Regierung sagte, dass er diesen Job nicht ausüben dürfe. Er brauche dafür eine spezielle Erlaubnis. Der Mann versuchte eine Erlaubnis zu bekommen, im Kampf ums Überleben. Er bekam die Erlaubnis nicht. Er ofperte sich also, indem er sich verbrannte, unglücklicherweise. Daraus ging ein spontaner Aufstand hervor, aus der Opferung eines Lebens. Und das zeigt, dass Menschen reagieren, um die Würde menschlichen Lebens zu schützen, in Solidarität mit jemanden, der ums Überleben kämpfte und sich am Ende selbst tötete. Das ist sehr lehrreich. Es zeigt, dass Menschen Leben wertschätzen. Sie wertschätzen ihre Freiheit, den Wert und die Würde der Arbeit. Menschen wollen nicht Bettler sein. Sie wollen etwas tun, um sich zu ernähren. Wenn man sie nicht arbeiten läßt, wenn man ihnen nicht erlaubt, sich selbst einen Job zu suchen, dann werden viele Menschen an die Wand gedrückt. Daher ist Tunesien so emblematisch. Und ich bin glücklich, dass sie so schnell Erfolg hatten.

Fabian Scheidler: Auch eine große tunesische Delegation war vertreten. Neben der Freude über den Sturz Ben Alis und der Suche nach neuen politischen Perspektiven ging es auch um die ökonomischen Hintergründe der Verarmung Tunesiens, die eine der zentralen Ursachen für die Revolution war. In ländlichen Gebieten Tunesiens liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei bis zu 60 %. Besonders die Verantwortung westlicher Regierungen, die Ben Ali stützen, und des Internationalen Währungsfonds, der dem Land seit 1986 harte Strukturanpassungsmaßnahmen verordnet hatte, wurden diskutiert.

Tunesischer Aktivist: Es lebe die Revolution in Ägypten, in Tunesien, in der ganzen arabischen Welt und der Welt insgesamt! Wir Tunesier sind sehr stolz, dass wir auf diesem Weltsozialforum dazu beitragen konnten, die heuchlerischen Reden der Internationalen Organisationen zu demaskieren, die die Diktatur in Tunesien für ihre angeblichen ökonomischen Leistungen unterstützt und gelobt haben. Wir haben gezeigt, dass es ein glückliches Paradox gibt: Trotz dieser angeblichen ökonomischen Leistungen hat das tunesische Volk nein zu neoliberalen Rezepten gesagt und die Heuchelei demaskiert, die für Armut, Plünderung, Arbeitslosigkeit und die Verelendung einer ganzen Region verantwortlich ist – trotz der angeblichen ökonomischen Leistungen. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass die internationalen Organisationen Konsequenzen aus diesen Lektionen ziehen müssen.