Alberto Acosta hat als Umweltminister von Ecuador die Initiative zur Rettung des Yasuni-Parks entscheidend mitgeprägt. Als Präsident der verfassungsgebenden Versammlung war er außerdem dafür verantwortlich, dass die Rechte der Natur in der Verfassung verankert werden. Im Kontext-Interview spricht Acosta darüber, wie der Reichtum an Ressourcen ein Land arm machen kann, wie der Raubbau gestoppt werden könnte und wie eine Wirtschaft aussehen kann, die der Gerechtigkeit und dem “guten Leben” (buen vivir) verpflichtet ist.
Alberto Acosta, ehem. Energieminister und Präsident der verfassungsgebenden Versammlung, Ecuador
David Goeßmann: Vielen Dank, Frau Bangert.
Fabian Scheidler: Unser nächster Gast ist Alberto Acosta, mit dem wir am Rande des Kongresses „Jenseits des Wachstums“ im Mai diesen Jahres in Berlin sprachen. Acosta ist Ökonom und war 2007 Energieminister von Ecuador. Als Präsident der verfassungsgebenden Versammlung von Ecuador war er maßgeblich daran beteiligt, die „Rechte der Natur“ in die Verfassung aufzunehmen. Er hat außerdem die Initiative zur Rettung des Yasuni-Parks maßgeblich mitentwickelt. Wir sprachen mit Acosta über Wege aus der Erdölfalle und ein ganz anderes Wirtschaften.
David Goeßmann: Willkommen zu Kontext TV, Mr. Acosta.
Fabian Scheidler: In Ecuador findet viel Rohstoff-Förderung statt. Ihr Land ist abhängig von Öl, Gas, Blei oder Litium. Beschreiben Sie, was Sie mit dem "Fluch des Reichstums" meinen.
Alberto Acosta: Ecuador war und ist durch verschiedene Epochen seiner Wirtschaft immer vom Export weniger Produkt abhängig. Das Land war lange der größte Produzent und Exporteur von Kakao in der Welt. Auch von Bananen. Allerdings haben wir nie wirkliche Entwicklung erlebt. Ecuador exportiert Bananen, Kakao, Kaffee, Schrimps, Blumen, Obst, Spargel undsoweiter. Auch Öl exportieren wir. Ecuador sehr reich an natürlichen Ressourcen. Es gibt aber ein Paradox: Wir sind wahrscheinlich ein armes Land, weil wir reich an natürlichen Ressourcen sind. Die Tatsache, dass wir abhängig von natürlichen Produkten sind, die für den Weltmarkt bestimmt sind, hat die Armut und das Elend gefördert. Ich glaube, dass diese Angelegenheit sehr komplex ist und nicht nur mit staatlicher Kontrolle dieser natürlichen Ressourcen gelöst werden kann. Eine andere Verteilung der natürlichen Ressourcen und eine größere Teilnahme an dem Gewinn, eine größere Beteiligung ist notwendig. Wir müssen diese ganze Logik neu überdenken, um diesen Fluch des Überflusse zu beenden: Dass wir arm sind, weil wir reich an natürlichen Ressourcen sind.
David Goeßmann: Herr Acosta, Sie fordern den Eintritt in ein Postölzeitalter. Was meinen Sie damit?
Alberto Acosta: Ich denke, dass es eine unbedingte Notwendigkeit für Ecuador ist. Es gibt dafür mehrere Gründe: Das Öl wird zu Ende gehen. Ecuador hat schon mehr als 4.000 Millionen Barrel gefördert. Außerdem ist die Nutzung von diesen Erdöl-Ressourcen ein Problem für das Klima. Wir zerstören auf internationalische Ebene die natürlichen Gleichgewichte und das macht unser Leben auf Dauer kaputt. Wir müssen eine post-extraktive Logik entwickeln. Wir müssen aufhören, ein Bananland zu sein. Wir müssen ein Land der Intelligenz werden. Die menschlichen Kenntnisse, die Kapazitäten von jeder Gemeinde müssen entwickelt werden, um mehr Vielfalt zu schaffen und weg von der Exportorientierung zu kommen. Wir müssen uns auf einen Weg jenseits des Öls machen und jenseits des Ressourcenraubbaus.
David Goeßmann: Können Sie kurz schildern wie sich die Gesellschaft und die Wirtschaft in Ecuador umstellen müsste, wenn sie nicht mehr so abhängig sein kann vom Öl und wäre nicht die Gefahr gegeben, dass die Wirtschaft nach unten sinkt und damit Arbeitslosigkeit entstehen könnte?
Alberto Acosta: An erster Stelle müssen wir im eigenen Haus aufräumenm, einige perverse Situationen korrigieren, die im Land bestehen. Ecuador hat Erdöl und fördert dieses Erdöl aus dem Untergrund. Ecuador exportiert dieses Erdöl und da für eine Verarbeitung die genügenden Kapazitäten fehlen, werden Erdölderivate importiert. Wir exportieren billiges Rohöl und importieren relativ teure Erdölderivate. Diese Importe werden in Ecuador zu einem großen Teil wiederum verbrannt für die Energiegewinnung. Mit dieser perversen Situation müssen wir Schluss machen. Die Erdölderivate, die im Land verkauft werden, sind traditionell hoch subventioniert. Wir importieren also zu hohen Kosten Erdölderivate und verkaufen sie dann zu einem großen Teil noch hoch subventioniert. Ein erster fundamentaler Schritt besteht somit darin, diese Situation zu beenden. Ein weiterer fundamentaler Schritt sind Veränderungen in der Matrix der Energierproduktion im Land. Ecuador verfügt über enorme Energiepotenziale bei Windenergie, Solarenenergie, Geothermie oder Wasserkraft, die erst noch erschlossen werden müssen. Zusätzlich würde ich sagen, müssen sich Konsum und Produktion von Energie verändern. Es kann nicht darum gehen immer mehr staatliches Einkommen zu erzielen, wie es bisher läuft, sondern es muss darum gehen den Lebensstil zu ändern. Wir sprechen hier vom 'Guten Leben'. Da setzt einen tiefgreifenden Prozess bei der Verteilung der Güter, Einkommen, von Land und Wasser voraus. Es geht darum eine Gesellschaft zu errichten, die auf sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit aufbaut.
Fabian Scheidler: Ich würde gern auf den Yasuni Nationalpark zu sprechen kommen. Sie haben vorgeschlagen, dass dort ein Ölfeld unter dem Amazonas Regenwald nicht erschlossen wird. Dass das Öl also im Boden bleibt. Der Parkt gilt als Ort mit der höchsten Biodiversität. Im Gegenzug soll Ecuador für die Nichterschließung finanzielle Kompensationen von Industrieländern erhalten. Sprechen Sie über diesen Vorschlag, den Sie auch damals als Energieminister mit eingebracht haben und über den aktuellen Stand und die deutsche Beteiligung an diesem Projekt.
Alberto Acosta: Dieses Projekt ist in Deutschland und weltweit bereits sehr gut bekannt. Es befindet sich momentan in einer entscheidenden Definitionsphase. Die ursprüngliche Initative ging von der Zivilgesellschaft in Ecuador aus, als Reaktion auf die jahrzehntelange Erdölausbeutung im Amazonasgebiet von Ecuador. Sie wurde dann von Präsident Rafael Correa aufgenommen und gegenüber der internationalen Gemeinschaft formuliert und vorgetragen. Wir sprechen bei dem Projekt nicht von einer Kompensation, sondern von einem Beitrag, ausgehend vom Prinzip der gemeinsamen Verantwortung. Alle Menschen haben die Aufgabe, zur Lösung globaler Umweltprobleme beizutragen. Diese gemeinsame Verantwortung ist jedoch differenziert: Die reichen Länder haben eine größere Verantwortung als die armen Länder.
Ausgehend vom Prinzip globaler Umweltgerechtigkeit ist unser Vorschlag, dass die internationale Gemeinschaft Finanzierungen leistet, um das Erdöl im Boden zu belassen. Momentan ist das Projekt in einer schwierigen Phase. Einerseits unterstützt Präsident Correa das Projekt bei vielen Gelegenheiten, bei anderen Gelegenheiten entzieht er ihm jedoch diese Unterstützung wieder. Das hat zu mangelndem Vertrauen in den Vorschlag geführt. Hinzufügen möchte ich noch, dass die Haltung von Bundesentwicklungsmininster Niebel einem Dolchstoß für das Projekt gleicht, was sehr schwerwiegend ist. Denn die Unterstützung die das Projekt durch die bundesdeutschen Parlamentarier über alle Fraktionen hinweg erfuhr, war ein wesentlicher Rückhalt für diese Initative und wirkte sich auch in Ecuador aus. Jetzt kommt es vor allem auf die ecuadorianische, die internationale auch die deutsche Zivilgesellschaft an, sich dieses Projektes anzunehmen, um es weiter voranzubringen.
David Goeßmann: Wir sehen bei den UN-Konferenzen zum Klimawandel, dass es keine Ergebnisse gibt. Im April 2010 gab es in Cochabamba, Bolivien, den World Peoples Summit on Climate Change. Zehntausende Menschen kamen dorthin. Erklären Sie unseren Zuschauern und Zuhörern, was die Ergebnisse dieser Konferenz waren, dieser Gegenkonferenz waren, die Ziele, die verfolgt wurden, und wie die weiter Zukunft aussehen könnte.
Alberto Acosta: Das Treffen in Cochabamba war so wichtig, weil es die Möglichkeit bot, dass sich VertreterInnen aus aller Welt treffen konnten, um globale Lösungen für die Erde zu diskutieren, und das ohne die Anwesenheit von Regierungen, die oftmals von den Interessen transnationaler Konzerne dominiert werden und weder die Fähigkeit noch den Willen haben, langfristige Entcheidungen zu treffen. Erinnern wir uns, dass dem Kyotoprotokoll – das bald ausläuft – nicht einmal alle Länder beigetreten sind. So haben die USA als ein zentraler Verursacher von Umweltproblemen das Protokoll nie unterschrieben. Die Menschen und Organisationen der Zivilgesellschaft versammelten sich daher in Cochabamba, um eine Charta der Erde zu diskutieren. Ich persönlich denke, dass es sehr wichtig ist, mit einer Diskussion über eine Universale Deklaration über die Rechte der Natur – der Mutter Erde – zu beginnen. Eine solche Deklaration könnte eine viel stärkere Alternative sein im Vergleich zu den Resultaten staatlicher Übereinkünfte, die eher kurzfristig sind, die notwendigen Lösungen aufschieben und im Hintergrund dazu führen, dass sich die Probleme verschärfen.
Fabian Scheidler: Herr Acosta, hier in Europa blicken wir manchmal etwas bewegt auf Lateinamerika, weil sich viel verändert.Wenn man aber auf die Welt als Ganzes sieht, Jahrzehnte von Klimaverhandlungen haben kaum einen nennenswerten Fortschritt gebracht. Sind Sie selbst optimistisch, dass die enormen sozialen und ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigt werden können. Und wenn ja wie?.
Alberto Acosta: Ja, ich bin optimistisch. Ich glaube, dass die Menschheit die Verantwortung dafür annehmen muss, zu verhindern, dass wir weiter auf den Abgrund zulaufen. Wir können nicht auf dem Weg zu einem globalen Suizid weitermachen. Die Menschheit wird die adäquaten Antworten finden, von lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Perspektive. Ein erster globaler Schritt könnte die Entwicklung einer universalen Deklaration der Rechte der Natur sein. Weiterhin müssen wir die Anstrengungen für ein internationales Tribunal stärken, das Umweltverbrechen bestraft, damit es einen Mechanismus gibt, über den zum Beispiel transnationale Konzerne angeklagt werden können, die massive Zerstörungen verursachen – wie beim Bergbau, bei der Erdölförderung oder der Kohlegewinnung. Und dann müssen wir die notwendige Bewusstheit erlangen in unseren Gesellschaften, in jedem Land, um Druck auf die Regierenden auszuüben, damit sie mit Verantwortung agieren.