28.10.2011
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Einleitung: 

Das Öl wird zunehmend knapper, der Zugang zu leicht zu fördernden fossilen Brennstoffen nähert sich dem Ende. Daher wird die Förderung von sogenannten unkonventionellen Energiequellen attraktiver. Dazu zählen u.a.die Ölsande in Kanada. Kritiker bezeichnen sie als die dreckigste Energiequelle der Erde. Nun soll eine Pipeline, die Keystone XL Pipeline, von den kanadischen Ölsanden zu den Raffenerien am Golf von Mexiko gebaut werden. Der NASA-Klimaexperte James Hanson bezeichnet sie als "Lunte zur größten CO2-Bombe des Kontinents". Im Interview mit Kontext TV erklärt der renommierte US-Klimaaktivist Bill McKibben, was hinter den Ölsanden steckt und warum gegen die Pipeline protestiert wird. Er spricht über Peak Oil und erläutert, warum es notwendig ist, wieder unter eine atmosphärische CO2-Konzentration von 350 parts per million zu kommen.

Gäste: 

Bill McKibben, Klimaaktivist, Buchautor und Gründer der Organisation 350.org, USA

Transkript: 

David Goeßmann: Willkommen bei Kontext TV. Erdöl ist der Stoff, auf dem die moderne industrielle Zivilisation aufbaut. Ob in der Energieversorgung, dem Transport, der Landwirtschaft, der Medikamenten- oder Kunststoffherstellung: Ohne Erdöl geht so gut wie nichts.

Fabian Scheidler:Doch die Förderung des schwarzen Goldes ist mit enormen ökologischen Zerstörungen verbunden, wie nicht zuletzt die BP-Katastrophe im Golf von Mexiko vor mehr als einem Jahr gezeigt hat. Die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle ist die Hauptursache des Klimawandels, der schon jetzt die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen unterminiert. Und nicht zuletzt: Erdöl ist endlich. Viele namenhafte  Geologen gehen davon aus, dass wir bereits das weltweite Födermaximum – das sogennante Peak Oil – überschritten haben.

David Goeßmann: In dieser Sendung werden wir uns mit den Folgen der Erdölförderung, dem Widerstand dagegen und Auswegen aus der Ölfalle beschäftigen. Dazu sprachen wir mit einigen der profiliertsten Aktivisten und Expertinnen, darunter Nnimmo Bassey aus Nigeria, Alberto Acosta aus Ecuador und Bill McKibben aus den USA.

Fabian Scheidler: Unser erster Gast ist Bill McKibben. Er ist prominenter Buchautor und Umweltaktivist in den USA. Sein 1989 erschienener Bestseller "The End of Nature", übersetzt "Das Ende der Natur"  gilt als das erste Buch über den Klimawandel für ein breites Publikum. Weltbekannt wurde McKibben als Gründer der internationalen Klimawandelbewegung 350.org. Das Magazin „Foreign Policy“ führt ihn in der Liste der 100 wichtigsten globalen Vordenker. Time Magazine nannte McKibben einmal den "besten grünen Journalisten des Planeten". Welcome to Kontext TV, Bill McKibben. Was ist Peak Oil? Was bedeutet das für unser Leben und für die Wirtschaft?

Bill McKibben: Peak Oil bezeichnet die Tatsache, dass sich das leicht und billig zu fördernde Öl dem Ende nähert - also das Öl, von dem wir seit den letzten Jahrhunderten abhängig sind und das sich mit relativ wenig Aufwand in sehr großen Mengen aus dem Boden pumpen läßt. Damit wird bald Schluß sein. Die großen Ölfelder wie in Saudi Arabien erschöpfen sich langsam. Doch leider finden sich gleichzeitig riesige Mengen von dem, was man unkonventionelle Quellen an Öl, Gas und Kohle nennen kann. Das wird reichen, um damit den Planeten zu zerstören. Also Peak Oil wird den Planeten nicht retten. Es gibt noch genug fossile Treibstoffe in den sogenannten Ölsanden in Kanada, genug Schiefergas in den Vereinigten Staaten und Westeuropa oder Ölreserven tief unter dem Meer. Wir wissen, dass die Förderung dieser Vorräte sehr schädlich für die Umwelt ist, wie die BP Katastrophe im Golf von Mexiko gezeigt hat. Also, ich würde Ihnen gerne sagen, dass wir bald keine fossilen Treibstoffe mehr haben. Aber das scheint im Moment noch nicht der Fall zu sein. Das Ende des Öls würde hilfreich sein. Es wäre gut gewesen, wenn wir vor 40 Jahren kein Öl mehr gehabt hätten. Dann hätten wir den Übergang zu den neuen Energien schon heute geschafft. Es gibt aber zwei Kern-Probleme: Das erste ist wie gesagt das unkonventionelle Öl, womit der Energie-Nachschub erstmal gesichert ist. Und zweitens wird heute Öl durch Kohle ersetzt. Kohle ist aber noch dreckiger als Öl.

Fabian Scheidler: Die USA bekommen den größten Teil ihres Öls aus Kanda, nicht aus Saudi Arabien. In Kanada gibt es die sogenannten Ölsande. Kritiker nennen sie die dreckigste Energiequelle des Planeten. Was hat es mit den Ölsanden auf sich?

Bill McKibben: Die Ölsande von Alberta sind der zweitgrößte Kohlenstoff-Speicher der Welt. Nur die Ölfelder von Saudi Arabien sind größer. Und die sind insbesondere verantwortlich für den globalen Temperaturanstieg. Wenn man dieses Öl aus Kanada verbrennt, dann ist das sehr folgenreich. Der große Klimatologe der NASA, James Hansen, sagt, wenn wir die Ölsande auf einmal verbrennen, dann würden wir die atmosphärische Konzentration von Kohlendioxid von derzeit 390 Teilchen pro Millionen auf über 540 erhöhen. Das würde letztlich das Ende des Klimas bedeuten. Daher ist eine große Protestbewegung entstanden. In diesem Sommer fand vor dem Weißen Haus in Washington der größte Akt zivilen Ungehorsams in den USA seit 35 Jahren statt. Wir werden am 6. November wieder vor dem Weißen Haus demonstrieren, um Präsident Obama dazu zu bewegen, die Pipeline von Kanada zu verhindern.

David Goeßmann: In einem Aufruf zu Protesten gegen die sogenannte Keystone XL Pipeline, schrieben Sie zusammen mit Naomi Klein und dem NASA-Klimaexperten James Hanson dass – Zitat – die  Pipeline eine 2000 Kilometer lange Lunte zur größten CO2-Bombe des Kontinents ist –  ein Weg, der die endgültige Überhitzung des Planeten wesentlich beschleunigen würde.

Bill McKibben: Wenn wir den gesamten Kohlenstoff oder einen bedeutenden Teil davon verbrennen anstatt zu erneuerbaren Energien zu wechseln, dann werden wir den Klimawandel nicht einmal verlangsamen können. Wir haben eine kleine Chance, um uns vom Öl zu verabschieden. Aber stattdessen scheinen wir alles daran zu setzen, alle irgend verfügbaren Quellen wie die Ölsande auszubeuten. Wenn wir das tun, dann wird die Wucht des Klimawandels nicht mehr aufzuhalten sein.

Fabian Scheidler: Es gibt viel Protest gegen die Pipeline von Umweltschützern und Bauern. Bei einem Akt zivilen Ungehorsams vor dem Weißen Haus wurden 1200 Protestierende festgenommen. Sie waren darunter. Präsident Obama könnte das Projekt noch stoppen. Was steckt hinter dieser Protestbewegung?

Bill McKibben: Umweltschützer realisieren, dass sie stärker auftreten müssen als sie das bisher getan haben. Wir müssen uns gegen die Geldmacht der fossilen Treibstoffindustrie erheben. Wir haben nicht genügend finanzielle Mittel, um mit dieser Lobby mitzuhalten. Daher sollten wir andere Formen ausprobieren, Druck aufzubauen. Der zivile Ungehorsam in diesem Sommer war ein Versuch das zu tun. Einige gingen für ein paar Tage ins Gefängnis. Damit haben wir ein vernachlässigtes Thema zu einem zentralen nationalen Problem gemacht.

David Goeßmann: Sie haben die Organisation 350.org gegründet, benannt nach der geschätzten Obergrenze von CO2 in der Atmosphäre, die für den Planeten noch verkraftbar ist. Die Erde ist derzeit bereits bei 390 parts per million CO2. Warum ist die Zahl 350 so wichtig und warum ist es notwendig, die CO2-Konzentration unter dieser Grenze zu halten?

Bill McKibben: Im sogenannten Holozäns, das sind die letzten 10.000 Jahre menschlicher Zivilisation, befand sich die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre bei 275 CO2 - Teilchen pro Millionen. Dieser Wert stieg mit der Verbrennung von Kohle, Gas und Öl an. Und die Frage war: Wann ist die Konzentration zu hoch. Eine Reihe von Wissenschaftlern ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die sichere Obergrenze bei 350 Teilchen pro Millionen liegt. Beim Überschreiten dieser Grenze würden die Auswirkungen gravierend sein. Schon heute sehen wir, dass große Teile des Eises abschmelzen, der Wasserkreislauf sich verändert, da wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann. Die Chemie der Meere gerät gleichzeitig durcheinander, indem durch das absorbierte Kohlendioxid aus der Atmosphäre die Meere übersäuern. Das sind einige Gründe, warum die Zahl 350 so wichtig ist. Daher ist es auch so schlimm, dass wir schon über der Grenze liegen. Noch mehr CO 2 in die Atmosphäre zu blasen, ist lebensmüde.

Fabian Scheidler: Wie könnte es gelingen, unter die Grenze von 350 parts per million zu kommen? Indem wir das Öl im Boden lassen? Aber warum sollten Staaten wie Saudi-Arabien oder Kanada das tun? Und was brauchen wir an internationalen Abkommen? Was können wir zum Beispiel von dem UN-Klimagipfel in Durban, Südafrika, im Dezember erwarten?

Bill McKibben: Wir brauchen auf jeden Fall eine internationale Vereinbarung. Aber ich glaube nicht, dass wir so etwas in nächster Zeit erhalten. Das Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen bedeutete praktisch, dass wir keine substantielle Vereinbarung in den nächsten Jahren erwarten dürfen. Für uns Klimaschützer heißt das, in der Zwischenzeit alles in unserer Kraft stehende zu tun, um Kohlenstoff im Boden zu halten. Wir hoffen, dass wir damit die Zeit gewinnen, bis eine zwischenstaatliche Einigung erreicht ist Kohlenstoff muß in Zukunft einen ernst zu nehmenden Preis erhalten. In den USA wird das erstmal nicht geschehen. Die Australier scheinen damit zu beginnen. Das ist ein gutes Zeichen. Da die USA aber blocken, ist es auch schwierig für die Chinesen und andere. Daher bleibt uns vorerst nichts anderes übrig, als möglichst viel Kohlenstoff im Boden zu halten.

David Goeßmann: Ich würde gern auf die Ölkatstrophe im Golf von Mexiko im April 2010 kommen. Wir hören darüber in den Medien kaum noch etwas. Was sind die langfristigen Folgen der Explosion der Deepwater Horizon und der Chemikalien, mit denen das Öl gebunden werden und unter die Meeresoberfläche verteilt werden sollte?

Bill McKibben: Die Antwort ist: Wir wissen nicht, was die Auswirkungen sind. Das ist Teil des Problems. Es wurden ein Menge Chemikalien in den Golf von Mexiko gekippt, ohne zu wissen, was das für Auswirkungen haben wird. Ich war gerade in Florida und sprach dort mit Wissenschaftlern, die die Effekte der Katastrophe untersuchen. Sie sagen, es wird lange dauern, bis wir wirklich wissen, was die Konsequenzen sind. Aber das spektakuläre Öl-Desaster sollte nicht die weiter stattfindende Katastrophe überdecken. Denn selbst wenn das Öl sicher an die Küste gebracht worden wäre,  in die BP Raffenerien, und als Benzin in unseren Autos verbrannt worden wäre, dann hätte es auf anderem Wege die Meere getroffen. Denn das Kohlendioxid in der Luft läßt die Meere übersäuern und schädigt sie nachhaltig. Bei Deep Water Horizon wußte man schlicht nicht, was in diesen enormen Tiefen vor sich geht, was die Risiken sind. Das ist schon ein Grund, damit aufzuhören. Ein noch wichtigerer Grund ist aber, dass der aus diesen Ölquellen geförderte Kohlenstoff den Planeten vergiftet. Wir sollten aufhören, diesen Stoff weiter zu produzieren.

Fabian Scheidler: Wir erleben mehr und mehr extreme Wetterereignisse weltweit. In diesem Sommer richtete Hurrican Irene beispiellose Zerstörungen bis hinaus nach New York und selbst nach Vermont – wo Sie leben – an. Gleichzeitig leiden Millionen von Menschen in Ostafrika unter extremer Dürre. Im letzten Jahre verwüstete eine nie dagegwense Regenflut große Teile von Pakistan. Was haben diese Katastrophen mit dem Klimawandel zu tun – und was kommt in Zukunft auf uns zu?

Bill McKibben: Warme Luft kann mehr Wasser halten als kalte. Die Atmosphäre ist heute vier Prozent feuchter als vor 40 Jahren. Das ist eine ziemlich große Veränderung bei einem elementaren physikalischen Phänomen. Der Effekt ist: In trockenen Regionen finden mehr Dürren statt. Und sobald das Wasser in der Luft ist, kommt es auch wieder runter. Das geschah im letzten Jahr in Pakistan, in Queensland in Australien während der Weihnachtszeit, in den US-Bundesstaaten Mississippi und Missouri dieses Frühjahr, in Vermont, wo ich lebe, diesen Sommer, in den letzen Wochen dann in Thailand. Die Regenmengen haben bisher nicht gekannte Ausmaße angenommen. Es finden immer mehr Dürren und Überschwemmungen statt. Und das wird sich weiter verstärken, wenn mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen wird.