02.09.2021
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Einleitung: 

Hans-Josef Fell warnt vor den katastrophalen Folgen der Erderhitzung. Schon jetzt gäbe es Regionen auf der Welt, selbst in Deutschland, wo eine menschliche Zivilisation, so wie wir sie kennen, nicht mehr möglich sein werde. Das sei schon vor Jahrzehnten bekannt gewesen. Aber es wurde nicht gehandelt. Jetzt müsse man so schnell wie möglich aus den Treibhausgasen aussteigen, spätestens bis 2030, um das 2-Grad-Ziel noch einhalten zu können. Zudem sollte mit einer kohlenstoffsenkenden Land- und Forstwirtschaft die Atmosphäre gereinigt und die Materialwirtschaft mit Wiederverwertung emissionsfrei gemacht werden. Doch die Regierungen subventionieren weiter Kohle, Gas und Öl, während sie die billigeren Erneuerbaren Energien blockieren. „Man lässt nicht einmal mehr der Ökonomie freien Lauf.“ Mit einer Technikrevolution seien heute Null-Emissionen in kurzer Zeit machbar. „In zehn Jahren haben die Personal Computers die Welt erobert, der Mobilfunk hat zehn Jahre gedauert, es brauchte zehn Jahre, bis die Autos die Pferdekutschen abgelöst haben. Das geht. Die Menschheit hat das oft gemacht.“

Gäste: 

Hans-Josef Fell: Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes

Transkript: 

David Goeßmann: Herzlich willkommen zu einer neuen Sendung. Mein Name ist David Goeßmann. Unser Gast ist heute Hans-Josef Fell. Er war als grüner Bundestagabgeordneter und langjähriger Sprecher seiner Fraktion für Energiepolitik Mitautor des sogenannten Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, das im Jahr 2000 in Kraft trat und in 100 Ländern kopiert wurde. Heute ist er Präsident der Energy Watch Group und gemeinsam mit Klimaaktivisten wie Bill Mckibben Botschafter für 100% Erneuerbare. Fell hat zahlreiche Preise erhalten. Er schreibt regelmäßig über Energie- und Klimapolitik und ist Autor von mehreren Büchern, darunter: „Globale Abkühlung - Strategien gegen die Klimaschutzblockade“. Willkommen bei uns in der Sendung, Hans-Josef Fell.

Hans-Josef Fell: Danke für die Einladung.

David Goeßmann: Wir haben schlimme Überschwemmungen in Deutschland mit vielen Toten gesehen. In Tschechien wütete im Sommer ein Tornado mit einer Windgeschwindigkeit von 300 bis 400 Stundenkilometern. In Südeuropa und der Welt haben Brände ganze Landstriche vernichtet. Dazu 50 Grad Celsius in Kanada und Hitzewellen bis zum Polarkreis. Es sind zudem erneut klimawissenschaftliche Berichte veröffentlicht worden, die zeigen, dass der Golfstrom sich bereits verlangsamen könnte, andere Kipppunkte wie das Abschmelzen des Antarktischen Eisschilds wahrscheinlich schneller erreicht und Wetterextreme in der Zukunft wohl schlimmer sein werden als bisher erwartet. Und das alles, während das Treibhausgas-Budget für das 1,5 Grad-Ziel in den nächsten Jahren verbraucht sein wird, wenn nicht radikal umgesteuert wird. Wo stehen wir in der Klimakrise heute?

Hans-Josef Fell: Wir stehen an dem Punkt, den wir vor 30, 40 Jahren als schlimmste Horrorvision gesehen haben. Es wird Auswirkungen katastrophaler Art auf die Menschheit geben und wir sind mittendrin. Die Aufzählung kann man ja fortführen. Aktuell hat Japan eine Überschwemmungskatastrophe, wo 1,4 Millionen Menschen aufgefordert wurden ihre Häuser zu verlassen. Wahrscheinlich, wenn sie zurückkommen, werden die Häuser zum Großteil nicht mehr stehen. Die Katastrophen nehmen in einer Intensität und immensen Geschwindigkeit zu, dass wir jetzt schon Regionen auf dieser Erde haben, wo eine menschliche Zivilisation, wie wir sie eigentlich kennen und wünschen, nicht mehr existieren kann, auch in Deutschland. Und das heißt doch, dass wir in den letzten Jahrzehnten massive Versäumnisse hatten, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Gewusst hat es jeder, der es wissen wollte. Das heißt auch, dass wir eigentlich vollkommen neu denken müssen. Beispielsweise habe ich immer gesagt, 1980, wir haben kein Kohlenstoffbudget mehr. Die Atmosphäre damals war schon zu voll mit klimagasen, irgendwo bei 360 oder 340 ppm. Schon 60 über dem vorindustriellen Niveau und inzwischen sind wir bei fast 420 ppm Kohlendioxidäquivalenten in der Atmosphäre. Das ist massiv viel zu viel. Als sie das letzte Mal bei 400 ppm war, da war der Meeresspiegel 30 Meter höher und in Kanada waren tropische Regenwälder. Das ist es, wo wir latent jetzt schon sind. Wir diskutieren immer noch nicht in der Gesellschaft darüber. Die Klimaforscher, tolle Arbeit machen sie mit Modellen. Dabei brauche ich nur mal kurz nachdenken: wenn heute die Atmosphäre voll ist, habe ich kein Kohlenstoffbudget mehr. Die Emissionen stoppen, das ist das eigentliche, was wir seit Jahrzehnten hätten machen müssen. Aufhören, Schluss machen, keine neuen Emissionen mehr in die Atmosphäre. Und damit kommt auch die Empfehlung, die wir seit Jahrzehnten hören in Verruf: Emissionsreduktion als Beitrag zum Klimaschutz. Wie sollte das funktionieren. Ich gebe noch immer neue Emissionen in die Atmosphäre, die schon zu voll ist mit Treibhausgasen. Dann wird das doch alles noch beschleunigt mit der Erderwärmung, wenn ich nur Emissionen reduziere auf die Hälfte, auf zwei Drittel oder was weiß ich wie viel. Wir müssen klar denken. Die Atmosphäre ist zu voll, es darf keine Treibhausgasemissionen mehr geben und wir müssen gleichzeitig die Atmosphäre reinigen und Unmengen Kohlenstoff herausholen. Das ist nicht Klimaneutralität. Das ist eine falsche Zielvorstellung. Denn Klimaneutralität bedeutet, dass wir noch Emissionen machen und die dann mit Kohlenstoffsenken irgendwo ausgleichen. Das ist nicht das Ziel. Dann bleibt es ja bei dem hohen Niveau der Treibhausgaskonzentrationen. Also neues Denken mit zwei Säulen: absoluter Stopp in höchster Geschwindigkeit, allerspätestens bis 2030. Dann haben wir vielleicht die Chance, noch zwei Grad Celsius auf der Welt zu halten. 1,5 Grad Celsius können wir nicht mehr halten. Das ist vorbei, das hat auch der IPCC vor kurzem gesagt und andere aus der Klimaforschung. Keine Emissionen mehr ab 2030 und auch bis dahin Unmengen Kohlenstoff rausholen aus der Atmosphäre. Und beides geht.

David Goeßmann: Sie haben ja schon das Problem angesprochen. Wir haben viel zu wenig über die Klimakrise in der Vergangenheit gesprochen. Das hat sich ein wenig geändert. Klimaproteste und Kampagnen haben in den letzten zwei, drei Jahren die Klimakrise stärker auf die Agenda bringen können. In den Medien wird öfter über die Krise berichtet als zuvor, wenn auch weiter viel zu wenig und dem Notstand nicht angemessen. Regierungen stehen in ihren Ländern unter Druck, mehr für Klimaschutz zu tun. In Deutschland entschied das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Klage von Aktivistinnen und Klimaschützern, dass die Bundesregierung früher aus den Treibhausgasen aussteigen muss. Auch auf EU-Ebene und in den USA gibt es einige positive Signale. Wie ist Ihre Einschätzung der klimapolitischen Lage?

Hans-Josef Fell: Also über die Klimakrise hat die Menschheit schon lange, Jahrzehnte, immer gesprochen, auch davor gewarnt, dass alles schlimm kommen wird. Aber wie man Klimaschutz organisiert, darüber hat die Weltgemeinschaft kaum geredet. Man hat keine wirklichen wirksamen Konzepte entwickelt und diejenigen, die sie entwickelt haben, die wurden diffamiert. Das sind Spinner, Utopisten, geht nicht und so weiter. Ich weiß wovon ich rede. Wir haben in den 90er Jahren begonnen mit eurosolar und einigen anderen. Hermann Scheer war da ganz vorne mit dabei. Im Energiesektor, der der Hauptemissionssektor ist: 60 Prozent aller Klimagasemissionen kommen durch das nutzen von Erdöl, Erdgas und Kohle. Das heißt, das muss vollständig beendet werden. Dann haben wir Zweidrittel der Emissionen in etwa weg. Und das heißt: 100 Prozent erneuerbare Energien ist das Zentrum des Klimaschutzes. Wir haben in den 90er Jahren diese These aufgebracht und haben gesagt, wir müssen im Energiesektor auf 100 Prozent erneuerbare Energien kommen. Das wurde vollkommen ignoriert von der Gesellschaft bis heute. Wir sehen zwar viele Staaten und Kommunen, die dieses Ziel haben. Kalifornien hat ein Gesetz dafür und andere. Aber Deutschland weiterhin nicht. Das angebliche Zugpferd des Klimaschutzes. Nichts zu hören von der Bundesregierung, dass man auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen müsste, den Kern des Klimaschutzes. Natürlich ist das nicht ausreichend, denn wir müssen auch die anderen Emissionssektoren in den Griff kriegen. Da ist beispielsweise die Landwirtschaft, die mit intensiver Landbewirtschaftung, mit Massentierhaltung, immense Emissionen verursacht. Hier müssen wir zu einer kohlenstoffsenkenden Land- und Forstwirtschaft kommen. Unterm Strich muss die genau das bringen, was wir brauchen, nämlich die Reinigung der Atmosphäre vom Kohlenstoff. Und der dritte große Sektor ist die gesamte Stoffwirtschaft, die Materialien, diese ungeheuren Mengen, die wir seit Jahrzehnten produzieren, die die Meere vermüllen und in die Müllverbrennungsanlagen gelangen. Der Kunststoff, der auch in die Müllverbrennungsanlagen geht, ist ja aus Erdöl und Erdgas gemacht. Und wenn man es verbrennt, ist es doch in der Atmosphäre. Das sind keine Lösungen. Darüber müssen wir reden. Eine abfallfreie, emissionsfreie, giftfreie Materialwirtschaft hin bekommen. Die Lösungen sind alle da. Was habe ich in meinem Leben erfahren an Forschungsergebnissen und richtig zündenden Ideen. Fast nichts ist daraus geworden, außer bei den erneuerbare Energien. Aufgrund des erneuerbaren Energien Gesetzes haben wir eine industrielle Explosion hinter uns. Nun sind sie die günstigste Art der Energieerzeugung geworden und dennoch werden sie blockiert. Man lässt nicht einmal mehr der Ökonomie freien Lauf. Man nimmt nicht einmal die billigste Energie, nein, man subventioniert noch die teuren und verschmutzenden Energien aus Erdöl, Erdgas, Kohle und auch Uran, die Atomenergie. Man subventioniert sie immer mehr, damit sie die Konkurrenz der Erneuerbaren noch ein paar Jahre überwinden können statt Schluss zu machen mit den Subventionen des Alten, den Erneuerbaren den Lauf zu lassen. Und dann würden wir das sehen, was man immer in der Weltgeschichte gesehen hat, wenn es Technikrevolutionen gegeben hat. In zehn Jahren haben die Personal Computers die Welt erobert, der Mobilfunk hat zehn Jahre gedauert, es brauchte zehn Jahre, bis die Autos die Pferdekutschen abgelöst haben. Das geht. Die Menschheit hat das oft gemacht. Diese Null-Emissionen-Technologien können wir in zehn Jahren über die Welt verbreiten, in hoher Geschwindigkeit. Aber durch die Widerstände, die da sind durch die hohen Subventionen, die das fossil-atomare System immer bekommt, die meisten Forschungsgelder gehen immer noch da rein statt in die erneuerbaren Energien, und die Hemmnisse, die wir dann haben bei Genehmigungsverfahren und anderes, geschieht das nicht. Was habe ich jetzt wieder in meinem Wahlkreis erlebt. Eine Kommune: der Bürgermeister will Windräder. Die Genossenschaft steht dahinter. Seit zehn Jahren machen sie Versuche und kriegen keine richtige Genehmigung, müssen Fundamente auf- und abbauen, weil sich die Gesetze geändert haben. Es ist absurd. Die setzen zwei Millionen in den Sand und können einfach nicht die Windräder bauen, die jeder im Ort will. Was ist das für eine Gesellschaft, die den Klimaschutz massiv blockiert und behindert.