Afrika steht mehr und mehr im Fokus der Erdölförderungen. In den letzten Jahren sind neue Ölvorkommen vor der Atlantikküste Westafrikas gefunden worden. Bis 2015 wollen allein die USA ein Viertel ihrer weltweiten Ölimporte aus Afrtika bestreiten. Schaut man in die Vergangenheit, hat sich der Ölreichtum in Afrika allerings zum Fluch für die Länder ausgewirkt. In Nigeria, dem weltweit sechstgrößten Erdölproduzenten der Welt, hat die Ölförderung des niederländisch-britischen Ölkonzerns Royal Dutch Shell seit den späten 50er Jahren ganze Natur- und Lebensräume zerstört und das Land in Armut zurückgelassen. Nnimmo Bassey spricht über die Verbrechen von Shell im Nigerdelta, über das Abfackeln von Gas, Prozesse gegen den Ölkonzern und die Auswirkungen von Emmissionshandel und Klimawandel auf den afrikanischen Kontinent.
Nnimmo Bassey, Vorsitzender von Friends of the Earth International und Träger des "Alternativen Nobelpreises", Nigeria
David Goeßmann: Das war Alberto Acosta, ehemaliger Energieminister von Ecuador.
Fabian Scheidler: Afrika steht zunehmend im Fokos der Erölförderung. In den letzten Jahren sind neue Ölvorkommen vor der Atlantikküste Westafrikas gefunden worden. Allein 600 Millionen Barrel wurden im Ölfeld "Jubilee" vor Ghanas Küste nachgewiesen. Jetzt kämpfen insbesondere die USA und China um Zugang zu den Ölreserven. Bis 2015 wollen allein die USA ein Viertel ihrer weltweiten Ölimporte aus Afrika bestreiten.
David Goeßmann: Schaut man in die Vergangenheit hat sich der Ölreichtum in Afrika allerdings zum Fluch für die Länder ausgewirkt. In Nigeria, dem weltweit sechstgrößten Erölproduzenten, hat die Ölförderung des niederländischen Ölkonzerns Royal Dutch Shell seit den späten 50er Jahren ganze Natur- und Lebensräume zerstört und das Land in Armut zurückgelassen. Shell wird zudem verantwortlich gemacht für Korruption und Menschenrechtsverletzungen.
Fabian Scheidler: Auf dem Weltsozialforum in Dakar im Februar sprachen wir mit Nnimmo Bassey aus Nigeria. Bassey ist Vorsitzender von Friends of the Earth International, Träger des alternativen Nobelpreises und vor allem bekannt für sein jahrelanges Engagement gegen die Verbrechen von Shell im Nigerdelta.
David Goeßmann: Willkommen bei Kontext TV, Nnimmo Bassey.
Fabian Scheidler: Herr Bassey, Sie haben sich viel mit dem Klimawandel beschäftigt, sie waren auf dem Kopenhagener Gipfel in 2009, wo Ihnen, obwohl Sie akkreditiert waren, die Teilnahme verwehrt wurde.. Sie beschäftigen sich viel mit Klimawandel – und der Klimawandel findet bereits statt. Könnten Sie erläutern, welche Auswirkungen der Klimawandel heute bereits auf die afrikanischen Länder hat und wie bedroht der Klimawandel Afrika in der Zukunft?
Nnimmo Bassey: Ja, der Klimawandel wirkt sich bereits auf vielfältige Art aus und diese Auswirkungen werden zunehmen. Schaut man sich die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen oder die Abschlusserklärung von Kopenhagen an, wird klar, dass diese nur von einigen wenigen Ländern verfasst wurden, und die Verhandlungen und Positionen der meisten anderen Länder nicht beachtet wurden. Letztlich wurden die meisten Länder praktisch gezwungen, die Abschlusserklärungen zu unterzeichnen. Man koppelte es einfach an finanzielle Gegenleistungen. Das ist das Zuckerbrot für die schwächeren und ärmeren Länder. Was wir in Cancun gesehen haben, könnte man im wesentlichen als Kopenhagen Teil 2 beschreiben, weil auch diese Vereinbarung nicht das Ergebnis multilateraler Verhandlungen im Plenum war, sondern in Hinterzimmern ausgehandelt wurde. Die Cancun-Erklärung hatte etwas breitere Akzeptanz, unterschied sich im Wesentlichen aber nicht von der Kopenhagener Erklärung. Es ist nun einmal so: Die marktgetriebene Klimapolitik kann nicht zu echten Lösungen führen. Wir haben eine Situation, in der die gesamte Welt glaubt, dass Marktmechanismen den Klimawandel aufhalten können. Es geht im wesentlichen um Emissionshandel und Emissionskompensation. Alle nur denkbaren Schönfärbereien werden benutzt, um sinnlose Ansätze gegen den Klimawandel zu propagieren. Doch in Wahrheit verstärken sie die Probleme. Nehmen Sie zum Beispiel den sogenannten Clean Development Mechanismus, bei dem es um Emissionskompensationen geht. Es ist schlichtweg ein Mechanismus, der es der Industrie auf der Nordhalbkugel, in Nordamerika und Europa erlaubt, die Umwelt weiterhin zu verschmutzen. Und zugleich verbreitet man das Gefühl, etwas Gutes für die Umwelt zu tun, indem die Industrie Umweltschutzmassnahmen wie zum Beispiel Aufforstungen auf der Südhalbkugel unterstützt, die den multinationalen Firmen zusätzliche Verschmutzungsrechte geben. Das ganze läuft unter der Annahme, dass die Verschmutzung im Norden durch die Bäume im Süden aufgewogen wird. Es gibt da das sogenannte REED-Programm, ein UN-Abkommen zur „Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern". Das ermöglicht es den reichen Ländern, den Wald auf der Südhalbkugel an sich zu reißen. Und das ist noch nicht alles. Jetzt greift man auch nach Ackerland, man versucht sich sogar die Gewässer anzueignen. Zum Schluß wird die gesamte Atmosphäre in Besitz genommen. Eine der Auswirkungen dieser Programme ist, dass es Menschen auf dem afrikanischen Kontinent gibt, denen der Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen verwehrt ist. Länder mit Waldwirtschaft können schon heute ihre Wälder nicht mehr so nutzen wie zuvor, weil reiche Staaten und Unternehmen die Wälder dort rein als Kohlenstoffspeicher betreiben wollen. Aber ein Wald ist nicht nur ein Kohlenstoffspeicher. Er ist ein Lebensraum. Menschen leben in ihm und vom ihm. Sie leben nicht nur von den Bäumen, sondern auch von den Wasservorräten in den Wäldern. Sie nutzen den Wald für Heilpflanzen. Sie betreiben dort Landwirtschaft und das auf eine sehr nachhaltige Weise. All das wird von den neuen Emmissionsprogrammen im Kampf gegen den Klimawandel beeinträchtigt. Eine andere Auswirkung ist, dass mit dem Temperaturanstieg die Wüstenbildung in Afrika zunimmt. In Afrika gibt es bereits zwei sehr große Wüsten, die Sahara und die Kalahari-Wüste im Süden. Nigeria zum Beispiel, wo ich lebe, ist bereits in elf von 36 Bundesstaaten ernsthaft betroffen von starker Wüstenbildung. Das bedeutet, dass Hirten aus dem Norden weiter nach Süden verdrängt werden. Fischer verlieren ihre Fischgründe. In den Wäldern vertrocknet den Bauern das Land. Es gibt in Nigeria bereits einen durch Klima-Effekte hervorgerufenen Flüchtlingssstrom in Richtung Süden. Entweder bleibt der Regen aus, das führt zu Dürren. Oder es gibt zuviel Regen und das Land wird weggeschwemmt. In manchen Gebieten fehlt es schon an Nahrung. Wird dem nicht Einhalt geboten, steht der Kontinent vor enormen Problemen. Ein anderer Effekt ist der Anstieg des Meeresspiegels. Dieser Anstieg ist zur Zeit noch nicht besonders groß, aber wir haben schon jetzt ein ernstes Problem mit Erosionen entlang der Atlantikküste. Und das wird durch die Bauaktivitäten der Öl-Konzerne noch verstärkt. Ölkonzerne bauen Kanäle landeinwärts, um mit Lastkähnen ins Landesinnere zu gelangen und natürlich führen solche Aktivitäten auch zu Erdrutschen in der Region. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei unvermindertem Klimawandel und einem Absinken des küstennahen Landes in Westafrika ein Anstieg des Meeresspiegels von nur einem Meter zu einer Überflutung des Landes bis zu 90 Kilometer einwärts führen wird. Das hätte dramatische Auswirkungen auf die Bevölkerung, da viele der bevölkerungsreichen Städte in Westafrika sich an der Küste befinden. In Nigeria liegen fast alle Großstädte an der Küste. Wenn nun diese Regionen überflutet werden, wird das zu einem riesigen Flüchtlingsstrom weg von den Küsten führen. Die Wüstenbildung treibt also die Menschen aus dem Norden in den Süden und der Anstieg des Meeresspiegels treibt sie aus dem Süden in den Norden. Man kann sich leicht vorstellen, zu welchen immensen Konflikten das führt. Bereits jetzt gibt es in Nigeria eine Vielzahl an Konflikten. Die Medien stellen diese häufig als religiös motivierte Konflikte dar. Das sind sie aber nicht wirklich. Es sind Verteilungskämpfe, es sind wirtschaftliche Konflikte, Kämpfe um Ressourcen, die aus Bequemlichkeit in die religiöse Ecke gesteckt werden. Der Klimawandel wird diese Verteilungskämpfe verschärfen. Wir haben schwerwiegenden Probleme wie Ernteverluste, Verlust von Ackerland. Und dann sind da diese unfassbaren Verbrechen der Öl-Konzerne, die in Nigeria tätig sind. Sie fackeln einfach das Gas ab, das bei der Förderung von Rohöl entsteht. In Nigeria werden riesige Mengen dieses Gases ungenutzt verbrannt. Gas im Wert von 2,5 Milliarden Dollar geht in Nigeria pro Jahr in Rauch auf. Rund um die Uhr brennen die Gasfackeln. Es gehen riesige Mengen an Kohlendioxid, Methan und anderer Treibhausgase in die Atmosphäre. Das passiert täglich und das schon seit Jahrzehnten. Nun, warum findet das statt? Wissen die Konzerne nicht, dass es falsch ist? Wissen die Regierungen nicht, dass es falsch ist? Die nigerianische Regierung hat das Abfackeln von Gas im Jahre 1984 verboten. Das ist lange her. Wir haben im Jahr 2005 geklagt und das Gericht in Nigeria bestätigte, dass das Abfackeln von Gas illegal ist. Doch die Ölfirmen machen weiter. Man beruft sich auf Gewohnheitsrecht. Ölkonzerne wie Shell fackeln schon seit 1958 das Gas ab. Shell sagt, dass es damals keinen lokalen Markt für Erdgas gab. Daher sei es übliche industrielle Praxis in der Region. Doch das sogenannte Flaring verstößt klar gegen nigerianisches Gesetz und ist nicht hinnehmbar. Menschen sterben deswegen an Krebs- und Bluterkrankungen, an allen möglichen Arten von Bronchitis. Die giftigen Gasverbrennungen sind für zahlreiche Krankheiten verantwortlich. Und dann sind da noch die Umweltverschmutzungen und die Ölpest.
David Goeßmann: Sie haben mehrfach gegen Shell Klage eingereicht, können Sie das erläutern?
Nnimmo Bassey: Ja, wir haben eine Reihe von Klagen gegen diese Klima-Kriminellen eingereicht. Und dann haben wir im Jahr 2005 mit den betroffenen Kommunen gegen Shell beim obersten Gerichtshof in Benin City geklagt. Viele Klagen laufen noch, nur die am obersten Gerichtshof wurde schnell entschieden. Die Gemeinden haben die Gerichte gebeten zu entscheiden, ob das Abfackeln von Gas erlaubt ist oder aber gegen ihre Menschenrechte verstößt. Das Gericht entschied, dass das Abfackeln von Gas illegal ist, und das seit 1984. Es sagte, dass damit gegen die Menschenrechte des nigerianischen Volkes verstoßen werde. Das Flaring müsse sofort aufhören. Aber das Abfackeln von Gas findet weiter statt. Bis zum heutigen Tag.
David Goeßmann: Aber Sie haben einen der Prozesse gewonnen.
Nnimmo Bassey: Ja, Shell wurde aufgefordert, das Abfackeln einzustellen, aber nichts geschah. Sie halten sich nicht an Gesetze. Was sie nach dem Urteil versucht haben, war, den Prozess selber, der zu diesem Sieg führte, anzufechten. Sie haben eine Absichtserklärung abgegeben, das Urteil anzufechten. Seit dieser Erklärung ist aber nichts mehr passiert. Deshalb ist dieses Urteil noch nicht rechtsgültig. Es gibt noch andere, ähnlich gelagerte Fälle. Es wurde eine Klage gegen Shell in Den Haag erhoben, in den Niederlanden, darin geht es um Umweltverschmutzung und Ölpest. Und, wissen Sie, wenn Shell Verletzung von Menschenrechten vorgeworfen wird, sagen sie: "Nun, wir waren das nicht, es waren die nigerianischen Sicherheitskräfte oder die nigerianische Polizei oder das nigerianische Militär. Warum verklagt ihr die nicht? Wir haben nichts gemacht." Also haben wir sie wegen Umwelt- und Ölverschmutzung angeklagt, um zu sehen, ob Shell sich wirklich mit dieser Argumentation herauszureden versucht. Aber jetzt behaupten sie auf einmal, dass der Großteil der Ölverschmutzung durch Sabotageakte der lokalen Bevölkerung verursacht wird. Das stimmt aber nicht. Natürlich gibt es Fälle von Sabotage, klar, niemand leugnet, dass Leute an den Rohren hantieren, aber nicht annähernd so viel, wie die Öl-Konzerne die Öffentlichkeit glauben machen wollen. Nun, warum schieben sie das auf Sabotageakte? Nach nigerianischem Gesetz braucht die Ölfirma keinen Schadensersatz zahlen, wenn die Umweltschäden auf einen Sabotageakt zurückzuführen sind. Es besteht also ein immenser wirtschaftlicher Anreiz zu behaupten, dass jede Verunreinigung durch Sabotage verursacht wird