19.05.2011
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Einleitung: 

Während die Bundesregierung die Eurokrise als ein Problem der Überschuldung einzelner EU-Staaten wie Griechenland darstellt, sagt Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNCTAD, dass die Ursachen in der nach wie vor unbewältigten Finanzkrise liegen. Überhöhte Zinsen für Länder wie Griechenland hätten keine reale Basis in der Ökonomie sondern beruhten auf Spekulation. Dem gefährlichen Treiben im globalen Finanzcasino hätten die Regierungen bisher so gut wie keine Schranken gesetzt.

Gäste: 

Heiner Flassbeck: Chefökonom der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf

Transkript: 

Fabian Scheidler: Die Bundesregierung stellt Deutschland gern als Musterknaben dar, der sich in der Krise vorbildlich verhalten habe und daher jetzt wieder auf Wachstumskurs ist. Doch anderswo in Europa wächst die Kritik an der Rolle Deutschlands in der Krise. Lohndumping und rücksichtslose Exportorientierung würden andere Länder an die Wand drücken. Wir sprachen mit Reiner Flassbeck, Chefökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, kurz UNCTAD, in Genf, über Ursachen der Krise und die Verantwortung der Bundesregierung. Herr Flassbeck, nach der Finanzkrise 2008 erleben wir nun eine Krise der Staatsfinanzen in vielen europäischen Ländern, darunter Griechenland, Irland, Portugal und Spanien. Wie hängen diese beiden Krisen miteinander zusammen?

Heiner Flassbeck: „Nun, das ist falsch, dass wir jetzt eine Staatskrise erleben, manche sagen ja schon Staatskrise, manche sagen Staatsschuldenkrise, man muss da sehr vorsichtig sein. Was wir haben, ist in der Tat [,wir haben] eine Krise, die durch die Finanzkrise ausgelöst worden ist; auch Länder wie Griechenland und andere, die jetzt in großen Schwierigkeiten sind, hatten vor der Krise, vor der Finanzkrise, das darf man nicht vergessen, hatten ihre Staatsschulden abgebaut, waren in einer relativ vernünftigen Lage; in Griechenland kam dann diese dumme Schummelei dazu, aber ansonsten ist es ja sehr ähnlich in vielen Ländern, alle südeuropäischen Länder haben ihre Staatsschulden sogar absolut abgebaut, was eine besondere Leistung ist; und insofern kann man jetzt nicht einfach dazu übergehen, aus der Finanzkrise eine Staatsschuldenkrise zu machen, es ist immer noch eine Finanzkrise, die Staaten haben eingegriffen, haben die Banken, haben die Zocker auf vielen Märkten dieser Welt gerettet, und insofern wird das nicht sofort eine Staatsschuldenkrise. Das möchten Manche gerne und deswegen wird das auch gerne so verwendet, weil sie dann sagen können: >Ach ja, guck mal, der Markt ist ja nicht schuld, es ist ja eigentlich doch wieder der Staat, der an allem Schuld ist.> Davon sollte man sich nicht leiten lassen.

David Goeßmann: Wie groß sind die Rettungssummen insgesamt, die die Regierungen westlicher Länder für die Banken ausgegeben haben?

Heiner Flassbeck: Ja, ich weiß es auch nicht ganz genau, das kann man ja auch nicht ganz  genau sagen, weil man ja auch erst abwarten muss, was davon zurückkommt, aber es geht jedenfalls in die hunderte von Milliarden, irgendwas in der Größenordnung  von einer halben Trillion {Anm. d. Red.: wohl versehentlich das englische "trillion", zu deutsch: Billion}, das kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen; und das hat die Staatsverschuldung in den westlichen Ländern, also in den Industrieländern, um etwa 15-20, in manchen Ländern um 25 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt erhöht, das ist eine unerhörte Steigerung innerhalb ganz kurzer Zeit; und wie gesagt, wir dürfen nicht vergessen, wer dafür verantwortlich ist, nämlich ein unverantwortliches Finanzsystem, was aber jetzt immer noch so weitermacht wie vorher, was sich überhaupt nicht geändert hat; und wenn man das in Deutschland sieht, das ist zum Beispiel in dieser kurzen Zeit wesentlich mehr als zur deutschen Vereinigung an zusätzlichen Lasten mitgebracht hat.   

Fabian Scheidler: Banken und Hedgefonds wird vorgeworfen, durch Wetten gegen Staaten wie Griechenland mit sogenannten Kreditausfallversicherungen zur Zuspitzung der Krise beigetragen zu haben. Welche Rolle haben Banken und andere Finanzakteure in Ihren Augen gespielt?

Heiner Flassbeck: Ja, das ist überhaupt keine Frage, natürlich ist das alles Spekulation, man darf jetzt nicht glauben, dass ein Zins, der jeden Tag in den Zeitungen steht, von Griechenland für zuletzt zwanzig Prozent für zehnjährige Anleihen, dass das irgendetwas Objektives hat, das ist reine Spekulation, das ist ein rein spekulativ, total überzogener Preis, der nichts mit der Realität gemeinsam hat, genau wie übrigens der Ölpreis, viele Rohstoffpreise und viele andere Preise auch; auch Währungen werden ja heute  auf hochspekulativen Märkten gehandelt, und wir haben deswegen nichts mit Wahrheit oder so etwas zu tun, oder auch mit Angebot und Nachfrage nur zu tun; nein, das sind alles hochspekulative Preise, die völlig falsch sind, die auch über Jahre vollkommen falsch sind, wo der Markt keineswegs ein richtiges Ergebnis erzielt; insofern muss man das relativieren; zunächst mal der andere Punkt ist: das was Sie fragen, ist natürlich richtig, natürlich haben da viele in den letzten zwei Jahren ganz massiv Geld mitverdient, je mehr Panik erzeugt wird, umso mehr kann man mit einer sogenannten Kreditausfallversicherung für griechische Staatsanleihen, umso mehr kann man damit verdienen, weil dann die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass man einen Dummen sozusagen findet, der das Ding kauft. Nur hier ist die Politik natürlich in erheblichem Maße mitschuld, weil die Politik musste dafür sorgen, dass diese Spekulation beendet wird und nicht immer weiter macht; mit Gerüchten, mit neuen Gerüchten, mit Gerüchten über Staatsbankrott und Ähnlichem. Wenn man das so treibt in Europa, muss man sich nicht wundern, dass das ausgenutzt wird.