11.07.2011
Share: mp3 | Embed video
Einleitung: 

In Indien findet bereits Klimachaos statt, Dürren und Überschwemmungen vernichten die Lebensgrundlagen von Bauern. 2009 gab es eine schwerwiegende Dürreperiode. In einigen Gebieten Indiens ging der Regen um 75 Prozent zurück. Letztes Jahr gab es demgegenüber im Zentral-Himalaya Gebiet soviel Regen, dass ganze Regionen überflutet wurden.Dörfer begannen die Berge herunter zu rutschen. Grobe Schätzungen zeigen, dass dieser “Regen zur falschen Zeit” Indien 30 Milliarden Dollar an Schaden kostete. 

Gäste: 

Vandana Shiva, Bürgerrechtlerin und Ökologin, Indien, Trägerin des Alternativen Nobelpreises

Transkript: 

Fabian Scheidler: Indien ist in letzter Zeit von extremen Dürren und Störungen des Monsunzyklus heimgesucht worden. Was sind die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen in Indien – und was ist in der Zuklunft zu erwarten?

Vandana Shiva: 2009 gab es eine schwerwiegende Dürreperiode. In einigen Gebieten Indiens ging der Regen um 75 Prozent zurück. In der Region, wo ich lebe, im Zentral-Himalaya Gebiet von Uttarakhand, einem neuen Bundesstaat, der aus dem Himalaya-Staat hervorging, unternahmen wir eine erste Untersuchung. Wir gingen von Dorf zu Dorf. Dreiviertel der Wasserläufe waren vertrocknet. Frauen warteten vier Tage auf Tankfahrzeuge mit Wasser. Die Quellen des Wassers im Himalaya trocknen zunehmend aus. Die Gletscher gehen zurück. Währenddessen wird eine künstliche Diskussion darüber geführt, dass das nicht der Fall ist. Dabei gehen die Gletscher, die den Ganges nähren, jedes Jahr um 23 Meter zurück. Ich bin in die Jharkhand-Region gereist, wo wir Saaten aufbewahrt hatten. Gottseidank hatten wir das getan. So konnten unsere Bauern in unserem Netzwerk Hirse anbauen, die nur 255 Milimeter Regen braucht. Bauern, die Reisfelder aus der grünen Revolution mit den notwendigen Chemikalien und Bewässerungen betrieben, mussten mit der Aussaat der Jungpflanzen bis August warten. Eigentlich sollte das im Juni stattgefunden haben. Es gab keine keine Ernte, gar nichts. Letztes Jahr hatten wir soviel Regen, dass ganze Regionen überflutet wurden. In meiner Region gab es zunehmend Erdrutsche. Dörfer begannen die Berge herunter zu rutschen. Ein grobe Schätzung im Jahr 2009 zeigt, dass dieser “Regen zur falschen Zeit” Indien 30 Milliarden Dollar an Schaden kostete. Das ist die Summe, die die gesamte Welt für Klimaschäden als Kompensation in eine Fonds einbringen will. Vielleicht wird es auch nicht einmal ein Fonds werden. Jedenfalls zehren die Kosten für eine Regensaison in einem Land bereits die gesamte global veranschlagte Summe auf.
Und das ist ja nicht alles. Die Zerstürung der indischen Landwirtschaft und der in anderen Teilen der Welt, die Waldbrände in Russland, die Überschwemmungen im Indus-Becken im letzten Jahr. 200 Menschen wurden in der oberen Region des Indus-Beckens, in Ladakh, wo der Indus entspringt, weggeschwemmt. 2000 Menschen starben in den Überschwemmungen in Pakistan. Es sterben also heute bereits Menschen an den Folgen des Klimawandels. Ich nenne es Klimaverwüstung und Klimachaos. Uns wurde von den Klimaskeptikern eingeredet, dass der Klimawandel nicht stattfindet. Die fossile Brennstoffe Industrie lügt, um weiter an der Zerstörung dieses Planeten zu arbeiten. Sie wollen weiter Profite machen. Aber die Kosten dafür sind zu groß, das sehen wir bereits heute. Es geht hier nicht um Zukunftsmodelle. Nicht in hundert Jahren, sondern jetzt muss gehandelt werden.

David Goeßmann: In Deutschland haben die Menschen die Politik dazu gebracht, aus der Atomenergie auszusteigen. In Indien wird gleichzeitig das größte Atomkraftwerk der Welt gebaut. Wohin geht Indien in Sachen Energiegewinnung?

Vandana Shiva: Zur Zeit liegen zwei Tatsachen klar auf dem Tisch: zum einen das durch fossile Treibstoffe erzeugte Klimachoas; zum anderen das absehbare Ende eben dieser  fossilen Energieträger. Den Höhepunkt der Förderung, das sogenannte Peak Oil, haben einige Geologen schon auf das Jahr 2006 datiert. Daher ist die Notwendigkeit von Alternativen sehr offensichtlich  Und erneuerbare Energien hätten die Alternative der Wahl sein müssen. Wenn die Vereinbarungen zum Klimawandel Länder wie Indien geholfen hätten, direkt in die Wind- und Solarenergie zu springen - man muss doch nur nach Deutschland schauen, wie Einspeisetarife für Erneuerbare geholfen haben - dann würde jeder Haushalt sein eigener Energiehersteller werden. Können Sie sich vorstellen, was das für Indien mit seinen 1,2 Milliarden Menschen bedeuten würde? Wir haben keinen Mangel an Sonne. Aber Indien wurde von den USA in die nukleare Richtung gedrängt. Man sprach von sauberer Atomenergie. Im Jahr 2005 unterschrieben Indien und die USA eine Vereinbarung zur Atomenergie. Vor zwei Jahren ist unsere Regierung fast zusammmen gebrochen, weil diese Vereinbarung undemokratisch zustande kam und das Parlament die Entscheidung nicht verabschiede hattet. Tatsächlich verkündete die Regierung die Vereinbarung in Japan, nicht in Indien. Die linken Parteien stellten sich gegen diese Untergrabung  der Demokratie. Dann fand eine Vertrauensabstimmung statt. Man sprach vom "Stimmenkauf"-Skandal. Nur durch die Zerstörung der Demokratie konnte die nukleare Agenda in Indien durchgesetzt werden. Die ehemalige US-Verteidigungsministerin Condolezza Rice hat nachweislich damals gesagt: "Wir behalten das Öl, ihr lasst die Finger vom Öl und konzentriert euch auf Atomkraft." Kein einziges Atomkraftwerk ist in den USA seit langem gebaut worden. Wenn das eine so gute Quelle von Energie und derart effizient ist, warum um alles in der Welt bauen die USA keine eigenen Atomkraftwerke? Warum haben sie Indien in die nukleare Richtung gedrängt? Das geht nicht nur auf Kosten der Demokratie. Es kostet Leben. Eine Person wurde in Jaitapur während einer Protestveranstaltung erschossen. Im Moment findet eine öffentliche Anhörung zum größten Atomkraftwerk statt, dass vom französischen Unternehmen Areva gebaut werden soll. Zwei Bauern starben bei einem Atomkraft-Protest in Haryana. Bauern sagen, dass sie ihr Land niemals abgeben werden. Atomkraft bedeutet in Indien nicht nur höhere Gefährdung, sondern auch Landaneignung. In Indien kann man Land nur mit vorgehaltenem Gewehr Land aneignen. In Ratnagiri gibt es die eine besondere Art von  Mongos. Ich habe auf dem Flug heute morgen gesehen, wie Kisten mit diesen Mangos ankamen. Diese Mangos sind köstlich. Aber das Umweltgutachten der Regierung sagt, dass dieses Gebiet, wo die Mangos wachsen, Ödland sei. Diese Gegend im Herzen Westindiens mit einer vielfältigen Kultur, mit einem der reichhaltigsten Küstengebiete Indiens, wo die Fischer große Mengen an Fisch fangen können, wird für immer zerstört sein. Und das alles nach Fukushima. Die Regierung macht genauso weiter, verschließt die Augen. Sie tut so, als ob das Problem mit dem nuklearen Müll und seiner Lagerung gelöst seien. Als ob die Sicherheitsfragen nach Fukushima gelöst seien. Das ist tragisch. Wir in den Bewegungen, den Umweltbewegungen versuchen unser Bestes zu tun, um die Regierung zur Vernunft zu bringen.