25.03.2010
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Einleitung: 

Viele lateinamerikanische Staaten werden zunehmend unabhängig von den Vereinigten Staaten. Zeichnet sich eine globale Machtverschiebung ab?

Gäste: 

Noam Chomsky, Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge/USA und politischer Aktivist

Transkript: 

Fabian Scheidler: Die zunehmende Unabhängigkeit von lateinamerikanischen Staaten, die sich losmachen von den Vereinigten Staaten: Beinhaltet das Ihrer Meinung nach eine Machtverschiebung?

Noam Chomsky: Das ist sehr wichtig. In den letzten zehn Jahren bewegt sich Lateinamerika zum ersten Mal seit der europäischen Eroberung in Richtung auf eine Art Unabhängigkeit. Die Länder befreien sich. Sie waren bisher immer abhängig von europäischen oder US-Machtinteressen. Nun schließen sie sich mehr und mehr zusammen.

Der Fluch von Lateinamerika war es lange, eine reiche Region zu sein, der es eigentlich besser gehen sollte als Ostasien, aber die geplagt wurde von einer sozialen Struktur, in der ein winziger Sektor des Wohlstands größtenteils europäisiert ist oder sich in den Händen von Europäern befindet, zum Beispiel wohlhabenden Deutschen in Haiti.

Bis heute gibt es eine europäisierte weiße Elite in Lateinamerika, die kontrolliert und die die Resourcen dominiert. Und dann gibt es ein Meer von Elend. Die Wohlhabenden übernehmen keinerlei Verantwortung für die jeweiligen Länder.

Die Entwicklung geht aber seit einiger Zeit in eine andere Richtung. Die USA mögen das keineswegs. Sie haben ihre Militärbasen in Lateinamerika verloren. Doch es findet gleichzeitig eine Re-Militarisierung auch unter Obama statt.

Bush fing damit an und etablierte eine neue Militärbasis in Kolumbien, das einzige Land, das noch unter US-Dominanz steht. Der Coup in Honduras stellt für die USA möglicherweise eine Chance dar. Man besitzt dort eine wichtige Militärbasis, von der aus man schon Nicaragua bombardierte. Die Obama-Administration unterstützte die Wahlen unter dem Micheletti-Militärregime in Honduras, anders als die anderen lateinamerikanischen Staaten und selbst Europa.

Die USA bekamen gerade zwei neue Marinestützpunkte in Panama. Die sogenannte vierte Flotte wurde reaktiviert, die lateinamerikanische und karibische Gewässer abdeckt. Sie wurde 1950 abgewickelt, weil es keine Verwendung mehr dafür gab nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurde 2008 wieder eingesetzt und wird seitdem weiter entwickelt.

Von einer der US-Militärstützpunke in Kolumbien soll die ganze Hemisphäre überwacht werden. Und man hofft, dass dieses Überwachungsprogramm verbunden werden kann mit einem globalen Beobachtungssystem.

Die USA sind militärisch, sowohl bei den Ausgaben, als auch technologisch weit an der Spitze und haben ein System für globale Kontrolle aufgebaut. Die Vereinigten Staaten besitzen ungefähr 800 Militärbasen, einschließlich eines globalen militärischen Überwachungssystems.

Die US-Militärprojekte, die jetzt entwickelt werden, sind sehr erschreckend. Es gibt Pläne für Weltraum gestützte Waffen, Pläne, um offensive Waffensysteme in sehr präzise arbeitende Beobachtungssysteme einzubinden. Mit diesem Instrumentarium kann man erfahren, ob jemand in der Türkei oder anderswo gerade über die Straße geht.

Man arbeitet an Drohnen, die es erlauben, Krieg ohne Soldaten zu führen. Es sind gezielte Tötungen möglich. Die neue Generation von Drohnen, die jetzt geplant werden, nutzen Nanotechnologie, so dass die Drohnen in Zukunft miniaturisiert werden können. Damit kann man in Wohnzimmer von jemanden eindringen und Anschläge verüben.

Das wird in aller Öffentlichkeit geplant. Es wird auf eine Art geheim gehalten, weil die Medien nicht darüber berichten. Die Informationen sind aber öffentlich zugängliche.

Lateinamerika ist dabei besonders im Fokus, weil es sich unabhängig macht. Dort findet man auch das vielleicht beste Beispiel für Demokratie in der Welt: Bolivien. Es ist das ärmste Land in Südamerika. Die indigene Bevölkerung, lange Zeit sehr stark unterdrückt, hat dort die politische Arena betreten. Sie wählten jemanden aus ihrer Mitte.

Die Politik des Präsidenten Evo Morales wird von den Bedürfnissen und Interessen der Menschen bestimmt, nicht umgekehrt. Die Wahl Morales war dabei nur ein kurzer Ausschnitt in einem langen Kampf um drängende Probleme und politische Fragen: die Kontrolle von Resourcen, Probleme der Gerechtigkeit und so weiter. Ich kenne kein westliches Land, das sich in Sachen Demokratie mit Bolivien vergleichen ließe.

Die USA mögen das natürlich nicht. Es gibt es in Lateinamerika jetzt eine Sezessionsbewegung von der alten europäisierten Elite, mit Unterstützung der USA. Aber die südamerikanischen Länder stehen an der Seite Boliviens.

Einige Bauern wurden in einer Gegend in Bolivien getötet, die traditionell von den Eliten kontrolliert wird. Es fand daraufhin ein Treffen der neuen Vereinigung von südamerikanischen Nationen statt. Diese Vereinigung unterstützte Morales, verurteilte die Gewalt der Sezessionsbewegung.

Morales wies darauf hin, dass Südamerika zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten unabhängig von der Kontrolle westlicher Mächte, insbesondere der USA handele. Aufgrund diese Unabhängigkeitsbestrebungen entwickeln die USA weitere Militärprogramme, um das zu stoppen.