29.06.2011
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Einleitung: 

Zahlreiche lateinamerikanische und afrikanische Länder sind seit den 70er Jahren durch den Anstieg des Ölpreises und die Finanzindustrie in die Schuldenfalle getrieben worden, sagt Immanuel Wallerstein. Auch osteuropäische Länder seien davon betroffen worden. Anfang der 80er Jahre wurde zum Beispiel das verschuldete Polen vom Internationalen Währungsfonds zu sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen gezwungen. Folge waren ausbeuterische Arbeitsbedingungen, so Wallerstein. Die Solidarnosc-Bewegung entstand als Reaktion darauf. Rumänien unter Ceaucescue galt dem IWF in dieser Zeit als Musterknabe, weil es beim Schuldenabbau besonders hart gegen die eigene Bevölkerung vorging.

Gäste: 

Immanuel Wallerstein, Senior Research Scholar an der Yale University, USA. Mitbegründer der Weltsystem-Theorie, von 1994-1998 Präsident der International Sociological Association und Autor zahlreicher Bücher

Transkript: 

David Goeßmann: In vielen Aspekten ist Afrika immer noch einer der ärmsten Kontinente und z.B. an den Rand des Welthandels gedrängt.

Fabian Scheidler: Warum ist das so und welche Rolle spielte die Schuldenkrise der 70er und 80er Jahre?

Immanuel Wallerstein: Die Schuldenkrise war zerstörerisch, aber erst der zweite Schritt. Der erste Schritt ist der ernsthafte Anstieg des Ölpreises. Der Anstieg des Ölpreises stellte eine Umstrukturierung  des Flusses des Mehrwerts zu den ölproduzierenden Staaten dar. Das nationale Einkommen der nicht-ölproduzierenden Staaten, der Großteil der afrikanischen Staaten, fiel signifikant, da sie mehr bezahlen mussten und ihre Güter bei fallender weltweiter Produktion ein geringeres Einkommen erzielten. Das Geld der ölproduzierenden Länder konnte also nicht ausgegeben werden. Es wurde bei Banken angelegt. Die Banken waren größtenteils in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Die Banker haben – Sie müssen sich dieses unglaubliche Bild vorstellen – Vertreter ausgesandt, um die Finanzminister überall in der Welt zu treffen. Sie sagten: „Ihr habt Zahlungsbilanzschwierigkeiten, wir werden euch Geld leihen.“ Sie haben Ihnen das Geld stapelweise geliehen. Die Finanzminister haben das Geld angenommen, weil  sie sonst politische Schwierigkeiten in ihren Ländern bekommen hätten. Es war eine einfache Lösung. Natürlich abgesehen davon, dass Schulden die unangenehme Eigenschaft haben, dass sie zurückbezahlt werden wollen, besonders, da sie sich immer mehr anhäufen. Die Schuldenkrise beginnt, wenn die Länder beginnen müssen ihre Schulden zurück zu bezahlen. Normalerweise wird behauptet die Schuldenkrise habe 1982 in Mexico begonnen. Das ist falsch. Die Schuldenkrise begann in den 1980er Jahren in Polen. Polen war ein großer Kreditnehmer. Die meisten der osteuropäischen Staaten waren in dieser Zeit stark verschuldet, nicht nur die afrikanischen oder lateinamerikanischen Staaten. Ab einem bestimmten Punkt konnte die polnische Regierung ihre Schulden nicht mehr bezahlen. Was haben sie dann getan? Sie haben selbst entschieden, die von der Weltbank empfohlene Strategie zu verfolgen und die Arbeiter auszuquetschen. Das führte zur Solidarnosc-Bewegung. So einfach war das. Das gleiche geschah in Mexiko 1982. Da die Menschen im Westen nicht verstanden, dass die osteuropäischen Länder Teil der kapitalistischen Weltwirtschaft waren und sich ebenso wie Lateinamerika Gelder liehen, konnten sie nicht verstehen, dass es bei Solidarnosc genau darum ging. Es war eine Rebellion der Arbeiter gegen einen Staat, der versuchte seine Arbeiter auszuquetschen, um seine Schulden zurück zu zahlen. Interessanterweise hatte der Internationale Währungsfond in den 1980er Jahren eine Liste mit guten und schlechten Jungs. Der führende gute Junge der Welt, der beste Junge der Welt, das war Rumänien, weil Rumänien all seine Schulden zurück bezahlte, indem es die Menschen ausquetschte.. Natürlich wissen Sie, was dann in Rumänien passierte. Am Ende wurde Ceausescu in höchst gewalttätiger Weise abgesetzt.
Die Schuldenkrise war eigentlich die erste Blase, die platzte, in einer ganzen Reihe von Blasen von 1970 bis heute.

Fabian Scheidler: Und nach der Schuldenkrise gab es die Strukturanpassungsprogramme.?

Immanuel Wallerstein: Ja, es gab Strukturanpassungsprogramme. Aber, wenn Sie es genau betrachten wollen, dann müssen Sie darauf achten, wer sich als nächstes verschuldet. Die Dritte-Welt-Länder und osteuropäische Länder, die sich verschuldet hatten und ihre Schulden nicht zurückbezahlen konnten, waren die erste Gruppe von Schuldnern. Die zweite Schuldner-Gruppe waren die Junk Bonds. Was sind Junk Bonds? Im Prinzip bedeutet es, dass sich auch die Konzerne große Mengen an Geld leihen, die sie nicht zurückbezahlen können. Zwar stellt dies einerseits den Unternehmen finanzielle Mittel zur Verfügung und dadurch verdienen andere natürlich eine große Menge an Geld, aber andererseits werden dadurch diese Industrien bzw. Konzerne zerstört. Dann gibt es eine weitere Kategorie an Schuldnern, zu denen zum Beispiel die US-Regierung gehört. Weiterhin gibt es all die privaten Schuldner in der ganzen Welt und das gipfelte dann im Platzen der Immobilienblase. Schlussendlich kommen jetzt die Staaten hinzu, die sich wie verrückt Geld leihen und denen es unmöglich ist oder unmöglich sein wird, ihre Schulden zurück zu bezahlen.