05.10.2012
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Einleitung: 

Dem Vorschlag von Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker folgend ist in Griechenland eine Privatisierungsagentur nach dem Vorbild der deutschen Treuhand eingerichtet worden. Öffentliche Güter würden mit intransparenten Verfahren zu Schleuderpreisen verhökert, so Marica Frangakis. In der Agentur geben private Unternehmen und die Troika den Ton an. Die lukrativen Teile der griechischen Agrarbank ATE zum Beispiel, die noch bis vor kurzem in Staatsbesitz war, wurden an die private Piräus-Bank verkauft, die laut EU-Stresstest mit finanziellen Schwierigkeiten kämpft. Preis und Konditionen blieben geheim, als der Deal eingefädelt wurde. Auch die gewinnträchtige staatliche Fußballwettagentur werde ohne transparentes Verfahren verkauft.

Gäste: 

Marica Frangakis, Vorstandsmitglied des Nicos Poulantzas Instituts, Athen, und Mitglied der EuroMemorandum-Gruppe

Transkript: 

Fabian Scheidler: Jean-Claude Juncker plädiert für eine Institution nach dem Modell der deutschen Treuhand, um öffentliche Güter in Griechenland zu privatisieren. Was passiert gerade in Griechenland bezüglich Privatisierung?

Marica Frangakis: Der Wunsch von Jean-Claude Junker wurde erfüllt. Wir haben eine Agentur für Privatisierung nach dem Modell der Treuhand. Privatisierung ist gerade in. Wenn man sich einen Überblick über die Sache verschafft, wird einem klar, worum es eigentlich geht: Griechisches Eigentum wird zu Ramschpreisen verscheuert und zwar mit intransparenten Verfahren. Die griechische Privatisierungsagentur wurde mit einem riesigen Portfolio griechischen Vermögens ausgestattet. Diese Wirtschaftsgüter werden auf der Basis von Entscheidungen des Rates der Privatisierungsagentur verkauft. In diesem Rat sind Repräsentanten von Aktiengesellschaften – aber keine aus der Regierung – und dazu gibt es Beobachter des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der EU. Dieses Rahmenwerk ist undurchschaubar und schlimmer als das Treuhand-Modell. Es ist eine schlechte Karikatur der Treuhand. Selbst das Treuhand-Modell war kein erfolgreiches Modell, weil es zu hohen Schulden führte und zu einer enormen Arbeitslosigkeit in Ost-Deutschland. Das Gleiche haben wir hier nur unter größerem Druck. Insofern erwarte ich wesentlich schlimmere Ergebnisse. Ich gebe hier nur zwei einschlägige Beispiele: Eine der verbleibenden zwei öffentlichen Banken in Griechenland, die ATEBank – eine sehr wichtige Bank, da ein Großteil der Landwirtschaftsflächen an diese Bank verpfändet ist –  wird an eine private griechische Bank verkauft. Wir wissen von den Stress-Tests, die die Europäische Union vor kurzem durchgeführt hat, das diese private Bank finanzielle Schwierigkeiten hat. Wir wissen nichts über die Bedingungen, zu denen diese Bank die ATEBank übernehmen wird. Die Sache wurde an einem schönen Morgen in den Zeitungen angekündigt: „Bank Sowieso erwirbt die ATEBank.“ Was jedoch nicht darin stand war: Wer hat das entschieden? Zu welchen Bedingungen? Zu welchem Preis? Noch dazu wird die ATEBank zerspittert in eine gute Bank und eine Bad Bank. Sie können sich den Umbruch in der griechischen Wirtschaft vorstellen: Die ATEBank ist die Landwirtschaftsbank Griechenlands, sie ist quasi die Landwirtschaft Griechenlands – und die Landwirtschaft macht 12 Prozent der gesamten Erwerbsquote aus. Das ist ein sehr gutes Beispiel des Umbruchs, der bevorsteht.

Bei dem anderen Beispiel einer bevorstehenden Privatisierung, die derzeit abgewickelt wird, handelt es sich um die Fußball-Wettagentur. Aus historischen Gründen befindet sie sich in öffentlicher Hand und war die gewinneinbringendste Gesellschaft Griechenlands im letzten Jahr. Und jetzt wird sie privatisiert. Und wir wissen nicht, an wen sie verkauft wird, für wieviel, usw. Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, was Privatisierung ist: Es ist ein politisches Spiel, ein Projekt, in dem es darum geht, das zu privatisieren, was noch in öffentlichem Eigentum ist. Ich glaube, dass die Sparpolitik ein Vorwand ist für einen Wechsel der Eigentumsverhältnisse. Das wird entscheidend sein für die Zukunft der griechischen Wirtschaft und der griechischen Gesellschaft.

Fabian Scheidler:: Sie sagten kürzlich einmal, dass die Sparpolitik weniger ein ökonomisches als ein politisches Projekt sei und dass die Griechen als Versuchskaninchen für dieses Projekt dienten. Was meinen Sie damit?

Marica Frangakis:: Die Sparpolitik und die Strategie dahinter ist keine ökonomische Notwendigkeit. Das hat David Harvey gesagt. Ich fand, es war eine sehr prägnante Aussage. Die Sparpolitik ist keine ökonomische Notwendigkeit, sie wird das Problem nicht lösen können. Die Sparpolitik ist angeblich ein Weg aus der Krise, tatsächlich aber zieht sie die Menschen tiefer hinein. Es ist daher eher ein politisches Projekt: Ressourcen werden neu verteilt und zwar weg von großen Teilen der Gesellschaft, weg von den 99 Prozent und hin zu dem einen Prozent; der Reichtum wird verlagert; Einkommen werden verlagert; Besitz wird verlagert. Sonderinteressen, private Interessen-Gruppen werden gestärkt – die Interessen der Eliten – und zwar zu Lasten der Massen. Aus diesem Grund sage ich, dass es ein politisches Projekt ist und weniger eine ökonomische Notwendigkeit. Jetzt zu Griechenland. Griechenland war ein schwaches Glied in der Kette: Es war in hohem Maße angreifbar. Und weil es ein kleines Land ist mit einer schwachen politischen Elite – unsere Regierung hat noch nicht einmal verhandelt, die Politiker haben getan, was man ihnen gesagt hat, und sie machen es heute noch –, gerade deshalb bot Griechenland eine Gelegenheit um zu testen, wie weit man die Sparpolitik treiben kann, wieviel Druck die Bevölkerung ertragen kann. So als würde man jemanden auf einen elektrischen Stuhl setzen und langsam den Strom erhöhen um herauszufinden, ab wann diese Person stirbt oder ab wann sie sich erhebt. Denn wir können uns erheben. Wir sind nicht an den Stuhl gebunden. Ich weiß, dass die Griechische Gesellschaft sich in einer schwierigen Lage befindet, aber die Griechen versuchen einen Ausweg zu finden. In den letzten Wahlen haben die Menschen die alte Regierung abgewählt und sich nach links orientiert. Natürlich hatten wir auch den Aufstieg der Faschisten ...