18.01.2013
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Einleitung: 

Amy Goodman und zwei weitere Kollegen von Democracy Now wurden am 1. September 2008 in St. Paul bei der Berichterstattung über den Parteitag der Republikaner von der Polizei festgenommen, während sie eine Friedensdemonstration filmten. Der Fall erregte großes Aufsehen. Eine Protestwelle zwang die Polizei, die Journalisten wieder frei zu lassen. Über 40 Reporter wurden an jenem Wochenende festgenommen. Democracy Now verklagte die Polizei sowie den Geheimdienst, gewann den Vergleich und erhielt eine finanzielle Entschädigung. Die Polizei wurde außerdem verpflichtet, ein Konzept zum Umgang mit Reportern zu entwickeln. Ein wichtiger Erfolg, sagt Goodman, denn die Polizei werde in den USA immer stärker militarisiert. Die gewalttätigen Repressionen der Behörden gegenüber der Occupy-Bewegung, gegen jedwede Form des Widerspruchs seien besorgniserregend. Das dürfe nicht hingenommen werden.

Gäste: 

Amy Goodman: Gründerin, Produzentin und Moderatorin der globalen Graswurzel TV- u. Radio-Sendung Democracy Now, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Autorin von zahlreichen Büchern, darunter "The Silenced Majority. Stories of Uprisings, Occupations, Resistance, and Hope" (2012), New York City

Transkript: 

David Goeßmann: Sie und Kollegen von Democracy Now sind während der Berichterstattung über den Parteitag der Republikaner vor vier Jahren festgenommen worden. Erklären Sie uns, was dort passiert ist und stellen Sie es in Zusammenhang mit Übergriffen auf kritische Medien in den USA.

Amy Goodman: Die gewalttätigen Repressionen der Behörden gegenüber der Occupy-Bewegung, gegen jedwede Form des Widerspruchs besorgen mich zutiefst. Am 1. September 2008 berichtete ich vom republikanischen Parteitag. Es war „Tag der Arbeit“ in den USA, und ich berichtete an diesem Morgen mit meinen Kollegen von Democracy Now über eine große Friedensdemonstration. 10.000 Teilnehmer, angeführt von Soldaten, teilweise in voller Uniform, als Protest gegen die Kriege. Einige hatten gedient, andere hatten sich geweigert. Sie gingen auf das Kongresszentrum zu. Als wir beim Parteitag ankamen, ging ich hinein, um Delegierte im Konferenzzentrum zu interviewen und meine Kollegen gingen ins Fernsehstudio, um einige Bänder zu digitalisieren. Nach einigen Stunden Interviews bekam ich einen Anruf unseres leitenden Produzenten, der sagte: „Kommt schnell zur 7. Straße Ecke Jackson“. Das ist eine Kreuzung in St. Paul, Minnesota, wo der Parteitag stattfand. Wir rannten aus dem Konferenzzentrum zur Kreuzung, aber die Bereitschaftspolizei hatte den Bereich umstellt. Ich forderte die Polizei auf, mich zu meinen Kollegen zu bringen, die einen Presseausweis bei sich hatten. Ich trug meinen eigenen Presseausweis sichtbar an mir, wurde aber innerhalb von Sekunden in den Polizeikessel gezogen, sie verdrehten mir den Arm, legten mir Handschellen an und warfen mich gegen ein Auto oder eine Wand und anschließend auf den Boden. Und dann wurde ich wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ festgenommen. Es war allerdings keine Staatsgewalt, die den Namen verdient hätte, in der Nähe. Ich verlangte zu Sharif Abdel Kouddous und einem weiteren Kollegen gebracht zu werden. Ich konnte aber nur Sharif auf der anderen Seite des Parkplatzes erkennen. Er stand dort, blutüberströmt und in Handschellen, ich wurde auch dort hingeführt und man ließ uns dort warten. Auch er trug seinen Presseausweis für jeden sichtbar. Wir forderten unsere Freilassung, als plötzlich der Geheimdienst auftauchte und uns die Presseausweise vom Hals riss. Als ich in den Einsatzwagen der Polizei gebracht wurde, sah ich Nicole Salazar mit blutigem Gesicht und sie erzählte mir was vorgefallen war. Sie waren aus dem Fernsehstudio runter gerannt und die Bereitschaftspolizei lief auf die Reporter zu. Nicole rief „Presse! Presse!“ und hielt ihre Kamera hoch. Sie hatte nicht vor ihre eigene gewaltsame Festnahme zu filmen, aber genau das passierte. Die Bereitschaftspolizei schlug von allen Seiten auf sie ein, warf sie mit dem Gesicht zum Boden. Jemand drückte sein Knie oder seine Stiefel in ihren Rücken und zog sie an den Beinen mit dem Gesicht zum Boden über die Straße. Und das erste was ihr abgenommen wurde, war ihre Kamera. Und sie nahmen sofort die Batterie aus der Kamera, sie ließen keinen Zweifel daran, worum es ihnen ging. Nicole und Sharif wurden also wegen Landfriedensbruch festgenommen. Ich wurde in einer Polizeigarage festgehalten, wo Käfige für die Demonstranten bereit standen. Es gab aufgrund unserer Festnahme aber eine landesweite Protestwelle, E-Mails, Tweets, Anrufe, Faxe, so dass die Behörden uns Stunden später freilassen mussten. Aber mehr als 40 Reporter wurden in dieser Woche festgenommen. Denselben Abend wurde ich zum Konferenzzentrum gebracht, da mich einige Sender interviewen wollten. Ich war im Studio des Senders NBC, das ist der Sender, der von den Olympischen Spielen berichtete. Und als das Interview abgeschlossen war, fragte mich ein NBC-Reporter: „Ich verstehe das nicht, wieso wurde ich nicht festgenommen?“. Und ich erwiderte: „Haben Sie denn von der Demonstration berichtet?“ und er sagte „Nein“. 90% des Lebens spielt sich draußen ab. Niemand wird in einer Skybox oder einem Studio von NBC festgenommen – auch ich nicht. Es ist unsere Aufgabe als Journalisten, an diesen Parteitagen teilzunehmen, mit den Delegierten zu sprechen, in den Ausstellungsbereichen für Firmen zu recherchieren, um herauszufinden, wer die Parteitage der Demokraten und Republikaner finanziell unterstützt. Aber es ist auch unsere Aufgabe, von der Straße zu berichten, wo die tausenden nicht geladenen Gäste demonstrieren. Auch sie haben etwas sehr Wichtiges zu sagen. Demokratie ist nun mal ein Durcheinander. Wir müssen dieses Gewusel abbilden. Am nächsten Tag ging ich zur Pressekonferenz des Polizeipräsidenten, der den Einsatz als sehr erfolgreich bezeichnete. Ich berichtete was Sharif, Nicole und mir passiert war und fragte: „Welche Anweisungen wurden den Einsatzkräften gegeben? Wie sollen wir in einem solchen Umfeld unsere Arbeit erledigen?“ Er erwiderte, dass wir uns jeder Zeit in die Bereitschaftspolizei einbetten lassen könnten. Einbetten lassen! So wie es Reporter an der Front im Irak und Afghanistan getan haben. Ich will damit nicht sagen, dass solche Reporter nicht auch mutig sind. Aber die Berichterstattung ist zwangsläufig einseitig. Es ist eine Berichterstattung aus der Perspektive desjenigen, der eine Waffe im Anschlag hat. Man schläft bei der Truppe, man isst mit ihr, das eigene Leben liegt in der Hand der Soldaten. Und wie wird diese Berichterstattung wohl ausfallen? Nun, man müsste dann auch Reporter in irakische Krankenhäuser, afghanische Dörfer und der Friedensbewegung einbetten, um ein vollständiges Bild des Krieges zu bekommen. Ich denke, durch das Einbetten von Reportern haben die Medien einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Und der Vorschlag, dieses desaströse Modell der Berichterstattung auf die amerikanische Inlandsberichterstattung anzuwenden, indem man sagt: „So sollte auch aus amerikanischen Städten berichtet werden“ ist inakzeptabel. Am nächsten Tag sah ich einen Fox-Reporter, der in die Bereitschaftspolizei eingebettet war, wie sie gemeinsam die Straße entlang gingen. Ich glaube, das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sollten uns dort nicht einbetten. Wir sollten uns nicht in die Truppen einbetten, nicht in Kriege und auch nicht in die Führungsschicht in Washington. Wir haben die Polizei von Minneapolis und St. Paul, sowie den Geheimdienst verklagt. Uns wurde eine große finanzielle Entschädigung zugesprochen. Die Polizei wurde außerdem dazu verpflichtet, ein Konzept zum Umgang mit Reportern zu entwickeln. Denn: Wir waren ja nicht allein. Über 40 Journalisten wurden in jener Woche verhaftet. Dann kam die Occupy-Bewegung. Man versuchte Occupy gewaltsam zu unterdrücken. Wissen Sie, wie viele tausend Protestierende in den USA verhaftet wurden? Wie viele Journalisten, die über Proteste berichteten, verhaftet wurden? Nach dem Vergleich haben wir im Occupy-Lager am Zuccotti-Park, der von der Polizei abgeriegelt war, eine Pressekonferenz abgehalten, die im Vorfeld der Demokratischen und Republikanischen Parteitage in Florida und North Carolina eine Botschaft an die Polizei senden sollte: Es ist inakzeptabel diejenigen, die von diesen Veranstaltungen, die eigentlich ein Grundpfeiler der Demokratie sind, berichten, in Handschellen zu legen. Nein, das ist nicht akzeptabel. Wir haben in den USA ein Gesetz namens Posse Comitatus, das besagt, dass Soldaten nicht im Inneren eingesetzt werden dürfen. Und das ist gut so. Ich glaube, die Behörden versuchen dieses Gesetz zu umgehen, indem die Polizei militarisiert wird. Es sind also keine Soldaten, aber die Polizei ist dermaßen militarisiert, dass sie sich nicht mehr groß vom Militär unterscheidet. Seit dem 11. September 2001 verfügt sie über ein Milliardenbudget, örtlichen Polizeibehörden stehen Drohnen zur Verfügung, sie haben Panzer und ein Überwachungsarsenal, das beispiellos ist. All das muss in Frage gestellt werden, denn hier geht es um Übergriffe auf eine überwiegend friedliche Bewegung.