02.03.2011
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Einleitung: 

Weitere zentrale Themen beim WSF waren „Land grabbing“ (der großflächige Aufkauf von Ackerland durch Investoren), Klimagerechtigkeit, Wasser und die Gefahren von Geo-Engineering. Zum Thema Migration und der Grenzschutzpolitik der EU gab es mehrere Karawanen nach Dakar. Wir sprachen mit Wangui Mbatia vom People’s Parliament, Kenia, und Nnimmo Bassey, Nigeria, darüber, warum das Forum für soziale Bewegungen wichtig ist.

Gäste: 
Fatimatou Djibou, La Via Campesina, Niger
Nicola Bullard, Focus on the Global South, Thailand
Pat Mooney, ETC Group, Kanada
Wangui Mbatia, People's Parliament, Kenia
Nnimmo Bassey, Vorsitzender von Friends of the Earth International, Nigeria
Transkript: 

David Goeßmann: Im Zentrum des Weltsozialforums in Dakar standen neben den politischen Aufständen in Nordafrika die Klima- und Nahrungsmittelkrise sowie die Migrationspolitik. So protestierten insbesondere westafrikanische Initiativen gegen die Politik der EU-Grenzschutzagentur Frontex und illegale Abschiebungen. Sie zogen in mehreren Auto- und Bus-Karawanen aus unterschiedlichen Orten in Afrika nach Dakar.
Karawanen-Sprecher: Es gab eine Karawane aus Mauretanien, aus dem Niger, aus Mali, Marokko, Guinea-Bissau, Gambia, der Elfenbeinküste, aus Nigeria, Benin, Togo und Kamerun. Und aus Guinea. Und aus West-Sahara.
David Goeßmann: Unterwegs hielten die Karawanen-Aktivisten politische Versammlungen in Dörfern und Gemeinden ab. Es ging dabei auch um die Nahrungsmittelkrise.
Fabian Scheidler: Verschärft wird diese Krise durch das sogenannte Land-Grabbing, die großflächige Landnahme durch Investoren. Dabei werden große Anbaugebiete in Lateinamerika, Asien und vor allem in Afrika von Staaten, Unternehmen, Banken und Fonds aufgekauft. Angetrieben wird das Land-Grabbing insbesondere von der Produktion von Energiepflanzen. Durch die Förderung von Agrartreibstoffen durch Beimischungsquoten wie beim E-10-Benzin in der EU und den USA ist eine Art Wettlauf um Ackerland entstanden. In den letzten Jahren sind Flächen in zweistelliger Millionenhöhe von ausländischen Investoren aufgekauft worden. Auch deutsche Unternehmen wie "Flora EcoPower" und die Deutsche Bank Gruppe sind daran beteiligt. Die Agrargroßprojekte verdrängen Bauern in Entwicklungsländern von ihrem Land oder verletzen ihre Landrechte. Hier ein Auszug aus der Abschlusserklärung zu Land-Grabbing auf dem Weltsozialforum:
Fatimatou Djibou: Wir appelieren an die Parlamente und Regierungen, dass der massive Aufkauf von Land, der zur Zeit stattfindet und in der Zukunft stattzufinden droht, gestoppt wird, und dass alles gestohlenes Land wieder zurückgegeben wird.
Fabian Scheidler: Das Thema Land-Grabbing wird in unserer nächsten Sendung mit dem Schwerpunk Afrika ausführlicher behandelt.
David Goeßmann: Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Durban, Südafrika, im Dezember wurde in Dakar auch die Klimakrise diskutiert. Eine zentrale Forderung ist dabei "Klimagerechtigkeit". Die Industrieländer sollen danach ihre "Klimaschulden" gegenüber dem globalen Süden, der besonders stark vom Klimawandel betroffen ist, ausgleichen.
Nicola Bullard: Der erste Teil der Klimaschulden besteht in den historischen Emissionen der industrialisieren Länder. Sie haben von dem globen Gemeingut der Atmosphäre weit mehr ausgenutzt als das, was ihnen fairer Weise zusteht. Ein Teil der Schulden, die sie zurückzahlen müssen, besteht also darin, ihre Emissionen zu reduzieren. Sie müssen ihre atmosphärischen Schulden zurückzahlen, indem sie radikal den Ausstoß von Treibhausgasen verringern. Klimaschulden kann man nicht in Dollar oder Euro beziffern. Es ist eine moralische Schuld, eine Schuld, die eine grundlegende Kursänderung in der globalen ökonomischen Regulierung und dem Handelssystem erfordert. Es zwingt den Norden, wesentliche Veränderungen vorzunehmen, in Hinsicht auf ihr globales Verhalten, aber auch nach innen hin.
David Goeßmann: Wasser war eines der drängenden Probleme des Weltsozialforums. In einem Aufruf für ein Alternatives Wasserforum heißt es:"Das Recht auf Wasser und der weltweite Zugang zu Wasser müssen effektiv umgesetzt werden." Als Gegenentwurf wird für März 2012 in Marseille das Alternative Wasserforum geplant, mit dem eine demokratische, soziale und ökologisch orientierte Wasserpolitik eingefordert werden soll.. Bewegungen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Lokalpolitiker und Bürger werden aufgerufen, daran teilzunehmen.
Fabian Scheidler: Im Zusammenhang mit Klima- und Ernährungskrise wurden auf dem Forum auch kritisch die gefahren großtechnischer Lösungsvorschläge wie „Geo-Engineering“ und Nano-Technologie erörtert – besonders auch in Hinsicht auf den Erdgipfel Rio +20, der 2012 in Brasilien stattfinden wird.
Pat Mooney: Als wir das erste Mal zum Weltsozialforum kamen und anfingen über Nanotechnologie zu sprechen, da war das für viele kein Thema. Das änderte sich. Heute wollen viele in der Zivilgesellschaft mit uns darüber reden. Viele Gewerkschaften und Bewegungen sagen nun: Ja, wir sind besorgt darüber. Es ist dasselbe mit Geo-Engeneering. Auf diesem Forum sagen viele Aktivisten aus Afrika, Asien und Europa, dass das ein wichtiges Thema ist und sie wollen daran teilnehmen und es verstehen."
Fabian Scheidler: Ein ausführliches Interview mit Pat Mooney, Träger des alternativen Nobelpreises, über die Gefahren von Nanotechnology, Geo-Engineering und synthetischer Biologie werden wir in den nächsten Wochen auf www.Kontext-TV.de veröffentlichen.
David Goeßmann: Das Weltsozialforum ist für viele politisch aktive Menschen weltweit ein Ort der Vernetzung und Inspiration. Wir sprachen mit Wangui Mbatia aus Kenia und Nnimmo Bassey aus Nigeria darüber, was das Forum für sie bedeutet. Wangui Mbatia ist Mitorganisatorin des People’s Parliament in Nairobi, das besonders für arme Menschen ein Forum der Selbstorganisation bietet. Nnimmo Bassey ist Dichter, Umweltaktivist, Vorsitzender von Friends of the Earth International, Träger des Alternativen Nobelpreises und besonders bekannt für sein Engaments gegen die Ölbohrungen von Shell im Nigerdela.
Wangui Mbatia: Zum einen hat das Weltsozialforum einen Raum geschaffen, in dem alternatives Denken akzeptiert wird. Es ist ein Platz, in dem alternative Lösungen, die wir lange Zeit diskutiert haben und die ihren Weg nie wirklich in den Mainstream gefunden haben, diskutiert werden können, und das ist sehr wichtig. Das Forum ist auch ein wichtiger Ort des Zusammenkommens, es bringt Menschen aus den verschiedenen Teilen der Welt zusammen und ich denke, das ist extrem wichtig, da die Welt allzu oft eingeteilt wird in Europa, Nordamerika, Afrika. Und Afrika wird noch unterteilt in Nordafrika, den Arabischen Teil, und dann in Westafrika und das Subsaharische Afrika. Es gibt also zu viele Ein-und Aufteilungen auf der Welt und ich denke, das Weltsozialforum versucht diese zu reduzieren. Wenn man zum Forum kommt, ist das Interessante nicht nur, dass man eine Menge Diskussionen über eine Menge Dinge haben kann, sondern dass man auch ein bestimmtes Gefühl erhält. Das Forum ist ein Platz, wo Menschen, die persönlich und direkt in bestimmte Angelegenheiten involviert sind, die Chance bekommen, gehört zu werden und sich auszutauschen. Es geht hier nicht um einen Forscher, der eine bestimmte Wirtschaftskrise in Tunesien studiert und jetzt eine Untersuchung vorlegt, sondern um – zum Beispiel – einen Tunesier, der in Tunesien lebt und die Wirtschaftskrise daher versteht. Und er spricht mit einem Iraner, der wiederum mit einem Brasilianer oder einem Deutschen spricht. Das ist das Weltsozialforum, deshalb ist es wertvoll.
Nnimmo Bassey: Ich denke, das Weltsozialforum ist ein großartiger Ort für die Mobilisierung sozialer Bewegungen, für den Austausch von Ideen und das persönliche Kennenlernen von Angesicht zu Angesicht. Und weil das Forum hochgradig dezentralisiert ist, bringt es die Menschen aus den verschiedensten Regionen und Ländern dazu, sich zu mobilisieren und zusammen zu arbeiten. Wenn man auf einem globalen Forum wie dem in Dakar hier ist, dann kann man Solidarität aufbauen und Beziehungen knüpfen. Für mich ist das die großartigste Leistung des Forums. Und es ist Teil der Zukunft, denn die Zukunft wird nicht auf der Basis von Wettbewerb aufgebaut. Wettbewerb wird die Welt an den Abgrund bringen, wir müssen also auf Solidarität aufbauen. Und das Forum zeigt der Welt klar und deutlich, dass Dinge in Kooperation erreicht werden können und Menschen aus der ganzen Welt zusammenkommen und übereinstimmen, wie Fortschritte erzielt werden können.
Wangui Mbatia: Es gibt einem, wenn man von einer sozialen Bewegung kommt, eine bestimmte Art von Bestätigung. Du kommst zum Weltsozialforum und findest heraus, dass du eigentlich gar nicht verrückt bist und dass die Anderen sogar noch verrückter sind als du. Es gibt also eine bestimmte Art von Bestätigung. Ich bin jetzt zum zweiten Mal dabei, und das Forum gibt einem Energie. Du kommst hin und siehst, was die Anderen tun und stellst fest: ‚Moment mal; hier gibt es eine Menge Leute, die eine Menge unterschiedlicher Dinge tun‘. Du bekommst also nicht nur eine Art Bestätigung, sondern auch einen bestimmten Auftrieb, du fühlst dich voller Tatendrang. Und am Wichtigsten: Man hat die Möglichkeit zu lernen. Das Weltsozialforum ist für mich eine ausgezeichnete Gelegenheit, aus den gegenseitigen Erfahrungen zu lernen, weil es so viele Menschen aus so unterschliedlichen Orten an denselben Platz bringt. Und weil die meisten Diskussionen im WSF nicht Mainstream sind und in den Medien nicht auftauchen, ist es umso wichtiger, einen Ort zu haben, wo man eine Diskussion zwischen den Dalit, den Unberührbaren in Indien, und den illegalen Einwanderern in Europa haben kann, die auf manche Weise unter denselben Umständen leiden wie die Dalit in Indien – die Jobs, die die Dalit gezwungen sind zu verrichten, sind nicht so verschieden von den Jobs, die illegale Einwanderer in Europa haben. Und diesen Ort zu haben, wo du diese Diskussionen führen kannst, das ist das, was das Forum ausmacht.
Nnimmo Bassey: Ich sehe das Weltsozialforum als einen Ort der Mobilisierung für Kampagnen, die Menschen in den verschiedensten Regionen vorantreiben müssen. Man bekommt eine Richtung, wie man die Dinge zu Hause angehen soll. Eine andere Welt ist also möglich, das ist nicht nur ein Slogan, es ist eine “Road Map”, ein Fahrplan. Wir wollen eine neue Welt schaffen, wir wollen gegen zerstörerische Entwicklungen und Handlungen vorgehen, wir wollen Widerstand gegen undemokratische Herrschaft aufbauen, wir wollen mobilisieren, um zusammenzustehen. Wir wollen das eigene Leben selbst in die Hände nehmen, wie in Tunesien, Ägypten, Jemen, Jordanien und wo immer es noch passiert. Wir hoffen, dass die Sahara nicht ein Puffer ist, so dass diese Aufstände sich nicht nach Süden ausbreiten können. Hier in Afrika können wir davon gut etwas mehr gebrauchen. Das WSF ist ein sehr wichtiges Forum für Menschen, um sich zu treffen, zu diskutieren, Ideen zu auszutauschen und sich zu mobilisieren. Zum Beispiel treffen sich Menschen bereits, um sich auf den nächsten UN-Klimagipfel in Durban, Südafrika, vorzubereiten, um diese Verhandlungen in die Öffentlichkeit zu bringen. Es sollte ein Gipfel von den Menschen sein, der draußen stattfindet, nicht nur in den klimatisierten Räumen.
Wangui Mbatia: Der Wert des Forums besteht darin, dass hier das herrschende System herausfordert wird. Man führt Diskussionen über das Versagen des Kapitalismus und über Alternativen, funktionierende Alternativen, die das Modell verabschieden‚ dass Kapitalismus zwar schlecht, aber immer noch die beste Alternative sei. Die Tatsache also, dass man Menschen kennen lernt, die Alternativen haben, und man einen Ort hat, sich darüber auszutauschen, das ist der eigentliche Wert des Weltsozialforums.