02.09.2021
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Einleitung: 

Seit Jahrzehnten hat die fossil-atomare Wirtschaft Zweifel an der Machbarkeit der Energiewende verbreitet und die Vorkämpfer*innen für 100 Prozent Erneuerbare diffamiert. Klimaschutz wird bis heute als Belastung für die Ökonomie dargestellt. Aktuelle Studien wie die der Energy Watch Group, die zeigen, dass der Umstieg auf Erneuerbare bis 2030 günstiger als das konventionelle System ist, werden hingegen weiter von den großen Medien ausgeblendet. Die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass der Umstieg nicht mit Komfortverzicht verbunden ist. Fell selbst lebt mit seiner Familie seit langem in einem ökologischen Null-Emissions-Haus, unabhängig vom Stromnetz, inklusive Sauna und zwei E-Autos. „Ich habe Luxus mit allen Stromanwendungen. Aber ich mache keine Emissionen, null“. Denn die Energiewende sei zugleich eine Effizienzrevolution, bei der leicht zugänglicher Ökostrom Unmengen an Kohle, Gas und Öl ersetzt. Auch die Behauptung, die Energiewende sei aufgrund begrenzter Ressourcen und Umweltverschmutzung eine ökologische Sackgasse, stimme nicht. Schon heute werden viele Materialien für Solarzellen, Windräder oder Batterien wie Kobalt, Neodym oder Lithium entweder durch andere Stoffe ersetzt, nachhaltiger gefördert oder wiederverwertet. Das sollte weiter vorangetrieben werden, wie in China zu beobachten, während man Ökodumping in den Förderländern verbieten muss.

Gäste: 

Hans-Josef Fell: Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes

Transkript: 

David Goeßmann: Es hat, seit die Klimakrise die politische Bühne Ende der 80er Jahre betrat, immer Zweifel an einem schnellen Wechsel auf Erneuerbare gegeben. Was sagen uns die wissenschaftlichen Studien heute: Können wir gefährliche Klimaerhitzung noch durch eine schnelle Energiewende verhindern? Die Industriestaaten müssen ja schon bis 2035 ihre Treibhausgase auf null fahren, um das 2-Grad-Ziel zu halten. Geht das rein technisch und in dem benötigten Tempo überhaupt noch? Sie haben von der Energy Watch Group vor kurzem selbst eine Untersuchung dazu veröffentlicht. Was sind die Ergebnisse der Studien?

Hans-Josef Fell: Also zunächst mal wirklich die Erinnerung, dass es diese großen Zweifel in den 80er, 90er Jahren gab, dass das überhaupt möglich ist, das waren organisierte Zweifel aus der Interessenslage der fossilen atomaren Wirtschaft, das Neue zu diffamieren. Ich kann mich noch gut erinnern, ich glaube es war 1995, da hat Bayernwerk, Vorläufer von E.on, eine bundesweite Plakataktion gemacht: Man muss kein Feind des Klimaschutzes sein, wenn man die Wahrheit nennt. Und die Wahrheiten sind: mehr als vier Prozent Ökostrom geht technisch nicht. Heute sind wir bei 50 Prozent. Also das sind bewusst gelegte Zweifel, die immer als Ziel hatten, diejenigen, die Optimisten sind wie wir als unrealistisch zu diffamieren. Und das hat wunderbar funktioniert. Das höre ich mein Leben lang, ich wäre unrealistisch. Der Realist waren tatsächlich wir. Wir haben geglaubt, dass die Solarenergie die billigste der Welt wird. Heute ist sie es. Also man muss diese organisierten Zweifel aus der Interessenslage des Alten, die muss man überwinden. Dafür ist Wissenschaft natürlich entscheidend. Leider haben wir in den letzten Jahrzehnten kaum eine Wissenschaft gehabt, die wirklich den Klimaschutz, wie man ihn macht, in den Mittelpunkt stellt. Wie macht man 100 erneuerbare Energien? Wie macht man eine Materialwirtschaft, die emissionsfrei ist? Es gab einzelne Wissenschaftler, die an einzelnen Objekten wunderbare Ergebnisse gebracht haben. Beispielsweise Verpackungsmaterialien aus biologischen nachwachsenden Rohstoffen, die dann selbst verrotten, wenn sie benutzt wurden. Das macht doch mehr Sinn, als Verpackungen zu verbieten. Sie einfach so zu nehmen und mit den Essensresten kommen sie in die Biotonne und das ist der geschlossene Kreislauf. Dann muss ich nicht Plastikmüll verbieten, wenn alles richtig getan wird. Die Ergebnisse sind seit 20 Jahren da. Das ist alles vollständig da. Aber es gab keine richtige Forschung darüber, wie man ein Gesamtsystem, die ganze Welt oder eine Nation, umstellen kann. Das haben wir dann mit der Energy Watch Group mit befreundeten anderen immer stärker auf den Weg gebracht. Vor drei Jahren haben wir die erste Studie zusammen mit der Technischen Universität Lappeenranta in Finnland und Professor Christian Breyer gemacht. Toll, was der so alles auf den Weg gebracht hat, forschungsmäßig. Da wurde die gesamte Welt simuliert mit 100 Prozent erneuerbaren Energien, an jedem Ort der Erde, zu jeder Jahresstunde. Das Ergebnis ist, es geht. Nur, das Forschungsergebnis war nie in den großen deutschen Medien. Die meisten Kommentatoren haben immer noch gesagt, das geht nicht, es ist zu teuer. Die Schwankungen von Sonne und Wind kann man nicht ausgleichen. Obwohl wir es wissenschaftlich exakt nachgewiesen haben, dass es überall geht. Es ist übrigens billiger, das Erneuerbare-Energien-System als das konventionelle. Einfach deswegen, weil wir gar nicht mehr Geld ausgeben müssen, um aus Saudi-Arabien Erdöl und aus Russland Erdgas und aus Kolumbien Kohle zu kaufen, wo dann Unrechtsregime mit diesen Einnahmen Schlimmes machen. Wie beispielsweise heute die Unrechtsregime die Taliban unterstützen. Wie furchtbare Kriege in dieser Region Welteroberung machen. Das nur als Schlenker nebenbei. Der Wegfall dieser Gelder für die konventionellen Rohstoffe ist entscheidend. Es wird billiger, denn die Energie selbst, die wir dann von unserer Solaranlage bekommen, die muss ich nicht bezahlen, die Sonnenstrahlen. Wir haben jetzt im Frühjahr eine Studie veröffentlicht, dass 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 in Deutschland in allen Energiesektoren mit jeglicher Versorgungssicherheit möglich ist und dass auch günstiger ist als das konventionelle System. Nur, haben sie es in den Medien gelesen? Ja, der Spiegel hat es gebracht. Kein anderer hat es aufgegriffen. Immerhin, wir haben uns gefreut. Aber diese Blockade auch in den großen Medien gegenüber dem, was im Klimaschutz alles möglich ist und wie offensiv es möglich ist und was alles für Vorteile damit verbunden sind. Noch immer heißt es überall, Klimaschutz ist eine Belastung für die Wirtschaft. Das hat die fossile Wirtschaft jahrzehntelang gut geschafft, sich selbst, die fossile Wirtschaft, als Gesamtwirtschaft zu definieren. Nein, Wirtschaft ist doch viel mehr. Ein Solarunternehmen ist doch auch Teil der Wirtschaft und die profitieren doch vom Klimaschutz. Das ist doch keine Belastung für die Wirtschaft, wenn mehr Solaranlagen gebaut werden. Der Klimaschutz an sich ist, wenn man ihn richtig betrachtet, keine Belastung für die Wirtschaft, sondern ist ein Benefit, ist ein Vorteil. Wir kriegen noch viel mehr Arbeitsplätze, ökonomische Entwicklung. Wir müssen nicht mehr so viel Geld rauswerfen, Steuergelder für die Subventionierung des Alten. Und schon gar nicht mehr für die Schäden. 30 Milliarden jetzt im Ahrtal für den Wiederaufbau. Die Schäden, die kommen, die werden wir nicht mehr bezahlen können. Das fällt alles weg, wenn wir es geschafft haben. Das muss in die Köpfe: Klimaschutz ist ein Vorteil für die Gesellschaft und für die Wirtschaft. Das können wir inzwischen wissenschaftlich belegen. Wir sind nicht die einzigen, sondern es gibt in der Welt eine ganze Menge von Forschern, ich will ausdrücklich nennen Marc Jacobson von der Stanford Universität in Kalifornien und weitere, die haben schon seit Jahren da dran geforscht. Sie kommen immer zu gleichen Ergebnissen wie wir in der Energy Watch Group. Wir haben im Frühjahr eine Resolution verabschiedet unter all diesen Forschern, die da tief drinnen stecken. Wir senden die Botschaft: die Welt kann bis 2030 bzw. 2035 vollständig auf 100 Prozent Erneuerbar umstellen. Die exponentiellen Wachstumsgeschwindigkeiten, die fertigen Technologien sind alle da. Wir können das machen und es wird ökonomisch vorteilhaft. Es braucht eine einzige Stellschraube: den politischen Willen es zu tun. Der fehlt.

David Goeßmann: Es gibt Kritik an technischen Lösungen auch von Umweltschützern. Einige argumentieren, dass Solarpanelen, Windkrafträder und die für E-Autos benötigen Batterien sehr viel Energie und Ressourcen verschlingen, also umweltschädlich sind. Was denken Sie: Ist die Energiewende in den ökologischen Grenzen, die der Klimaforscher Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung analysiert hat (also hinsichtlich Biodiversität, Wasservorräte und so weiter) Ihrer Meinung nach machbar? Oder anders gefragt: Müssen wir nicht auch über eine deutliche Verringerung der Nachfrage an Energie und Ressourcen reden, also auch über Verzicht und Änderung des Lebensstils, um die planetaren Grenzen einhalten zu können?

Hans-Josef Fell: Also Verzicht und Verhaltensänderungen sind natürlich auch ein wichtiges Element, ganz ohne Zweifel. Es ist aber kein Element, das uns retten kann. Es ist viel zu schwach, viel zu wenig und vor allem spreche ich nicht gerne über Verzicht. Denn wenn man das mit 100 Prozent erneuerbaren Energien beispielsweise macht, wie in meinem Haus: ich habe keinen Komfortverzicht. Ich habe meine Saune, die ich bediene. Ich habe Luxus mit allen Stromanwendungen und anderes. Aber ich mache keine Emissionen, null, und ich zahle keine Stromrechnungen mehr. Ich hab's billiger. Ich zahle keine Benzinrechnung mehr. Mich interessiert nicht, was an den Tankstellen für Zahlen angemalt werden und ob sie noch mehr steigen. Etwas, was die ganze Menschheit umtreibt, die gucken ja fast nur noch auf die Tankstellen, wie hoch ist der Preis. Das ist ihre Lebensgrundlage, billiges Benzin zu bekommen. Raus aus dieser Denkweise. Das ist entscheidend. Also das kann man, da muss man nicht mehr Verzicht machen. Und wenn endlich der öffentliche Personennahverkehr bestens organisiert ist, wenn endlich die Fahrradstraßen überall in den Städten da sind und mit Null-Emissionen bestens organisiert sind, dann habe ich auch keine Notwendigkeit, mich einzuschränken in der Mobilität. Verzicht ist immer verbunden mit: … und dann kann ich nicht mehr so leben wie bisher. Nein, wir kriegen mehr Möglichkeiten und Effizienz ist entscheidend wichtig: weniger Energie zu verbrauchen. Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist gleichzeitig die größte Effizienzrevolution. Das kommt aus allen unseren Studien raus. Und das, obwohl wir etwa zwei bis drei Mal mehr Strom erzeugen müssen als heute, weil der ja in die Elektroautos, in die Wärmepumpen, in den grünen Wasserstoff für die Industrie muss. Da brauchen wir viel mehr Strom. Aber gleichzeitig fällt auch die Nutzung von Erdgas und Kohle im Verkehr und in den Heizungen weg. Das macht unterm Strich viel mehr aus. Das Elektroauto hat einen Wirkungsgrad von 90 Prozent, der Verbrennungsmotor, wenn er gut ist, 30 Prozent. Das ist eine Effizienzrevolution. Wenn der Solarstrom direkt ins Elektroauto geht, reduziere ich massive Energiemengen.

David Goeßmann: Was ist mit den seltenen Erden, für Batterien, und was mit dem Wasser?

Hans-Josef Fell: Noch ein Beispiel: das Kohlekraftwerk verschwendet zwei Drittel der eingesetzten Kohleenergie, indem es Dampfwolken erzeugt und Abwärme weg bringen muss. Hab ich nicht am Windrad. Hab ich nicht an der Solaranlage. Es ist die Effizienzrevolution an sich. Materialien sind ein ganz wesentlicher Punkt. Hier ist es ganz wichtig, dass wir eine richtig gute Politik auch in der Materialienwirtschaft organisieren. Das ist nicht trivial, es ist eine Aufgabe, die wir endlich machen müssen. Das steht auf wichtigen Füßen. Erstens: wir müssen natürlich alle Materialien möglichst in die Wiederverwendung geben. Die Materialien einer ausgedienten Batterie kommen in die Fabrik, wo sie alle wieder zurückgeholt werden. Man braucht kein neues Bergwerk dazu. Die Wiederverwendung kann auch woanders noch besser sein. Ich habe das schon gesehen in Sichuan in China und war richtig erstaunt. Sie sind ja schon ganz weit. Die haben alle Busse auf elektrisch umgestellt, seit drei Jahren. Die Taxis fahren alle elektrisch, ein Großteil der privaten Autos auch. Die haben schon ganz viele ausgediente Batterien. Dann haben sie mich zu einem Bauwerk geführt, 500 Meter lang, 200 Meter breit. Da waren nur ausgediente Batterien drin. Sie sagten: die nutzen jetzt unsere Elektrizitätsunternehmen, um den Schwankungsausgleich vom Elektrizitätssystem zu gewährleisten. Erst wenn sie dann noch einen schlechteren Wirkungsgrad haben, dann holen wir die Materialien da raus. Da hinten kommt schon die Fabrik, die die alten Batterien wieder verwerten soll, also recycling. Wiederverwendung ist ganz entscheidend. Dann Substitution von problematischen Materialien. Was hab ich gehört: Die Windräder brauchen Neodym und können deswegen nicht den Umstieg gewährleisten, wegen der seltenen erden, da haben wir Beschränkungen. Gibt genug Windräder, die ohne Neodym in ihren Magneten auskommen. Was höre ich: Die Batterien, die brauchen alle das Kobalt, also Kinderarbeit im Kongo und so weiter. Es gibt genug Kobalt-freie Batterien, Panasonic und Tesla machen es schon. Zudem: das Kobalt, was wir heute aus dem Kongo und anderswo holen, steckt hauptsächlich in unseren harten Materialien drinnen, die hohe Temperaturen aushalten müssen, zum Beispiel in den Verbrennungsmotoren der Autos. Das hat die Automobilwirtschaft verschwiegen, als sie die Kampagne gefahren hat gegen die Elektroautos wegen des Kobalt und der Kinderarbeit. Aber auch das Lithium aus der Atacamawüste ist kein grundsätzliches Problem. Da wird viel mit punktuellen Ereignissen gearbeitet, da kann man immer ein Kamerateam hinschicken, wo gerade mal ein Wasserproblem vielleicht verursacht wird. In der Summe ist das kein Thema. Die chilenische Regierung hat beste Regularien geschaffen, dass das nicht passiert. Und auch die Firmen halten sich dran. Ich habe sie zum Teil auch sogar schon richtig analysiert und angeschaut. Da sind immer Halbwahrheiten, die aufgebauscht werden und die überdecken, dass es im konventionellen Bereich ja auch die Materialfrage gibt. Es ist doch unglaublich, was ein Kohlekraftwerk selbst an Eisen, Beton, Kupfer und anderen Stoffen drinnen hat. Die kommen doch auch nicht ohne Materialien aus. Das ist doch nichts Neues, dass wir die brauchen. Aber die Aufgabe ist, um es zu wiederholen, Recycling, Wiederverwendung, Substitution. Und etwas muss noch dazu kommen: eine Good Governance, eine gute Politik in den Förderländern. Man muss eben dazu kommen, dass man bald nicht mehr aus dem Kongo kauft und das verbietet für unsere Unternehmen, sondern nur von dort, wo eben Kinderarbeit verboten ist, wo Öko-Dumping verboten ist. Wenn man das mit Europa organisiert, einer der größten Märkte dafür, dann entsteht das auch. Wenn sie nichts mehr nach Europa verkaufen, die Umweltsünder, sondern nur noch die, die Standards einhalten, die gut definiert sind, dann entwickelt sich das auch in diese Richtung. Das Materialienproblem ist keine Frage. Und dann: was heißt hoher Energierucksack? Viele Solarunternehmen machen ihre Produktion der Solarmodule, Wafer und anderes schon mit Solarenergie. Da sehen wir, wie der Weg ist.