19.07.2016
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Einleitung: 

Der EU entgehen pro Jahr schätzungsweise 1.000 Milliarden Euro an Steuergeldern aufgrund von Steuerflucht und Schattenwirtschaft – genug um damit sämtliche EU-Staatshaushalte zu sanieren. Unternehmen wie Ikea, Amazon und McDonald's zahlen dank Steueroasen wie Luxemburg fast keine Steuern. Während EU-Kommission und Bundesregierung Mitgliedsländern wie Griechenland Lohnsenkungen, Privatisierungen und Mehrwertsteuererhöhungen aufzwingen, haben sie sich bei der Bekämpfung von Steuerflucht wenig engagiert. In dieser Sendung geht es außerdem um das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada, die Zukunft der EU nach dem Brexit und die Bankenkrise in Italien.

Gäste: 

Sven Giegold, Mitglied des Europäischen Parlaments (Die Grünen)

Der EU entgehen pro Jahr schätzungsweise 1.000 Milliarden Euro an Steuergeldern aufgrund von Steuerflucht und Schattenwirtschaft. Das genüge, um alle Staatsschulden der EU-Länder zu tilgen, so Sven Giegold. Die Luxemburg-Leaks hatten ans Licht gebracht, wie unter dem ehemaligen Finanzminister und Minsterpräsdident von Luxemburg, Jean-Claude-Juncker, Firmen wie Ikea, McDonald's, Amazon, Google und EON Briefkastenfirmen aufmachen konnten, mit der Zusage, so gut wie keine Steuern zu zahlen. Doch statt die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wurden die Whistleblower Antoine Deltour und Raphael Halet sowie der Journalist Edouard Perrin angeklagt. Die EU brauche dringend einen Schutz von Whistleblowern, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, so Giegold.

Die EU-Kommission greift inzwischen tief in die Budgethoheiten von Mitgliedsländern wie Griechenland ein, um dort Kürzungsprogramme, Lohnsenkungen, Privatisierungen und Mehrwertsteuererhöhungen durchzusetzen. Doch bei der Bekämpfung der Steuerflucht sei in den vergangenen 18 Jahren immer wieder gebremst worden, besonders von Großbritannien und den Benelux-Ländern. Auch für die Bundesregierung sei der Kampf gegen Steuerflucht keine Top-Priorität. Statt die Einnahmensituation von Staaten zu verbessern, habe man sich einseitig auf Ausgabenkürzungen konzentriert. Das liege auch daran, dass deutsche Unternehmen von dem Steuervermeidungssystem profitieren. Die Bundesregierung sperre sich auch gegen Transparenzregeln, die eine entscheidende Voraussetzung für eine Bekämpfung der Steuerflucht sind.  

Das Freihandels- und Investitionsschutzabkommen CETA zwischen der EU und Kanada dürfe nicht in Kraft treten, so Giegold. Das Abkommen greife erheblich in kommunale Daseinesvorsorge und öffentliche Unternehmen ein und würde durch die erstmals in dieser Form verankerten Schiedsgerichte Investoren inakzeptable Klagemöglichkeiten eröffnen. Das Abkommen widerspreche auch dem in der EU verankerten Subsidiaritätsprinzip. Der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen CETA habe es nun aber erreicht, dass das Abkommen – anders als von der EU-Kommission vorgehesen – von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss. In Luxemberg und der belgischen Wallonie zeichne sich ein Nein ab, ebenso im deutschen Bundesrat. Doch es sei noch unklar, ob die Bundesregierung – die das Abkommen unterstützt – es tatsächlich an den Bundesrat weiterleiten wird.

Seit der Griechenlandkrise und dem Brexit befindet sich die EU in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Tatsächlich weise die EU, so Sven Giegold, erhebliche Demokratiedefizite auf. Doch eine Rückkehr zum Nationalstaat sei keine Lösung. Denn die Nationalstaaten seien selbst zutiefst neoliberal geprägt und kein Hort der Demokratie. In Berlin gebe es, anders als in Brüssel, zum Beispiel nicht einmal ein Lobbyistenregister. Der Macht großer Unternehmen könnten einzelne Staaten zu wenig entgegensetzen. Die EU biete dagegen die Chance, in einem großen Wirtschaftsraum soziale Standards durchzusetzen. Angesichts des Vertrauensverlustes von EU-Institutionen sei derWechsel des ehemaligen Kommissionschefs Barroso zu der Bank Goldman Sachs ein fatales Signal. Es brauche eine Karenzfrist von mindestens drei Jahren, um solchen Drehtüreneffekten vorzubeugen. Doch bisher blockierten Konservative, Sozialdemokraten und Liberale diesen Vorstoß.

Das italienische Bankensystem schiebt faule Papiere mit einem Volumen von etwa 350 Milliarden Euro vor sich her und steht vor dem Kollaps. Premierminister Renzi will Bankenrettungen auf den Weg bringen, doch seit Anfang 2016 gelten neue EU-Regeln, die eine Rettung wie 2008/2009 verbieten und die Beteiligung der Gläubiger fordern. Doch sieht die Regelung ein Schlupfloch vor, dass die italienische Regierung zu nutzen versucht, indem sie die angeschlagene Bank Monte dei Paschi di Siena mit einem verwässterten Stresstext für solvent erklären will. Für die Rettung der italienischen Banken setzen sich vor allem die Deutsche Bank, Blackrock und Societé Général ein, die erhebliche Einlagen in den gefährdeten Instituten halten. Es sei entscheidend, dass diese Gläubiger nun haften, so Sven Giegold, damit Banken nicht mehr mit einem Freibrief rechnen können. Kleinanleger dagegen könnten entschädigt werden, da der Verkauf von Risikopapieren an sie ohnehin illegal war.