06.06.2011
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Einleitung: 

Um aus der Wachstumsfalle herauszukommen, ist eine tiefgreifende Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft nötig, sagt Tim Jackson, Autor des Buches „Wohlstand ohne Wachstum“. Renditehungrige Finanzmärkte und eine Kultur des Konsumismus würden „perverse Anreizstrukturen“ für mehr Konsum und Ressourcenverbrauch schaffen. Um dem zu begegnen, reicht freiwilliges ethisches Investment nicht aus, es braucht eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse zugunsten des Gemeinwohls.

Gäste: 

Tim Jackson, Professor für Ökonomie an der Universität Surrey, Autor des Buchs "Wohlstand ohne Wachstum"

Transkript: 

David Goeßmann: Ihr Buch hat den Titel „Wohlstand ohne Wachstum“.Sie fordern, dass die Gesellschaft einen neuen Weg einschlagen muss. Was meinen Sie damit?

Tim Jackson: Das setzt da ein, wo ich eben aufgehört habe: Man hat uns weisgemacht, dass materielle Güter uns alles geben, was wir zum Leben brauchen: Unser Selbstverständnis, den Sinn unseres Daseins, die Verbindung zu anderen Menschen. Die Frage drängt sich auf: Ist das vertretbar? Ist das der richtige Weg zu Glück und Gemeinwohl? Tut es meinen zwischenmenschlichen Behziehungen gut, wenn ich immer mehr Dinge kaufen muss, um sie aufrechtzuerhalten? Oder kann Wohlstand auch losgelöst von Einkommenssteigerung und materiellem Wachstum betrachtet warden? Was bedeutet Wohlstand wirklich für uns Menschen? Wir sollten damit anfangen, Einkommen und materiellen Reichtum nicht mehr als Mittel zum Aufbau sozialer Beziehungsgeflechte zu sehen, sondern uns auf das konzentrieren, was uns wirklich wichtig ist: Unsere Familie, unsere Freunde, unser Gemeinwesen, unsere Teilhabe an der Gesellschaft, den Sinn unseres Lebens und unsere Aufgabe in diesem. Das sind ergiebige Denkansätze für eine andere Gesellschaftsordnung. Sie benötigen jedoch – wie ich in meinem Buch zu beschreiben versuche - eine andere Wirtschaftslehre. Eine, die nicht mehr von der Grundannahme eines egoistischen, materialistischen Menschen ausgeht, sondern Raum für eine ganzheitlicheres Menschenbild lässt. Eine, die Investitionen als langfristige Angelegenheit begreift. Sie benötigen auch eine Reform der Finanzmärkte, um diese vorsichtiger und stabiler zu machen und sicherzustellen, dass sie die für unser Überleben notwendigen Umweltinvestitionen tätigen können. Diese neue Wirtschaftlehre muss auch die Unternehmen verändern: Ihren Umgang mit Eigentum, die Bewertung ihrer Gewinne und ihre Finanzierung. Auch das ist keine leichte Aufgabe. Sie fordert ein Überdenken unserer Wirtschaftsordnung von uns, damit diese die wahre Bedeutung von Wohlstand für uns besser wiederspiegelt. Denn das Englische Wort prosperity stammt eigentlich vom lateinischen Wort für Hoffnung ab. Ironsicherweise haben wir die Hoffnung gegen mehr Einkommen eingetauscht, was heißt, dass wir um des höheren Einkommens willen unsere Hoffnung auf künftiges Glück zerstören. Ich rufe dazu auf, zu einem Wohlstandsbegriff zurückzukehren, der Hoffnung für die Zukunft gibt.

Fabian Scheidler:  Wie kann man Banken dazu bringen, für das Gemeinwohl zu arbeiten? Im Moment sind sie vor allem an der Maximierung des Profits ausgerichtet, und das führt nicht unbedingt zu ökologisch und sozial sinnvollen Investitionen. Was kann getan werden, um Banken in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen?

Tim Jackson: Einige Unternehmen schlagen bereits diesen Weg ein, indem sie beispielsweise ethisch vertretbare Formen der Geldanlage den Vorzug geben und andere vermeiden, weil sie der Umwelt schaden oder sie verschmutzen oder aus gesellschaftlichen Gründen abzulehnen sind. In Ansätzen hat die Wirtschaft also begonnen, aus sich selbst heraus, Veränderungen herbeizuführen, die jedoch noch nicht weit genug gehen. Hinzu kommt, dass ethische motivierte Entscheidungen für ein Unternehmen oft Wettbewerbsnachteile mit sich bringen. Was muss sich also ändern? Wir müssen Unternehmen, die nach ethischen Grundsätzen entscheiden, gezielt fördern, indem wir Mechanismen in Gang setzen, die ein solches Verhalten begünstigen. Und wir müssen über die Organisationsform der Aktiengesellschaft nachdenken und darüber, ob diese eine angemessene Struktur für Unternehmen in einer nachhaltigen Welt ist. Oder ob wir die treuhänderische Pflicht, Gewinnerwartungen der Anteilseigner ohne Rücksicht auf die Kosten für die Gesellschaft zu erfüllen, revidieren müssen. Eigentlich versteht es sich von selbst, dass wir finanzielle Strukturen oder Eigentumsformen, die zur Bereicherung einer Minderheit führen und Raubbau an der Umwelt betreiben, nicht dulden sollten. Wir sollten Strukturen aufbauen, welche die Umwelt schützen. Die Gewinne sollten der Gemeinschaft zurückgeben werden. Es geht um die Schaffung von sozialverträglichen Anlageformen, die das Gemeinwohl und die Lebensgrundlage der Menschen schützen. Es gibt eine Fülle möglicher Ansatzpunkte: Einerseits die Unterstützung kleiner Betriebe, die bereits das richtige tun. Oder die Schaffung eines Umfelds, in dem die ethisch operierende Unternehmen in verschiedenen Branchen gedeihen und überleben können. Andererseits geht es um das Sanktionieren eindeutig schlechten, rücksichtlosen und risikoreichen Verhaltens. Man kann verhindern, dass der Finanzsektor weiterhin das Geld der Leute in hochriskante Profitgeschäfte steckt und erwartet, dass für Verluste der Staat aufkommt und sich damit auf Jahrzehnte belastet. Um unsere Wirtschaftsordnung zu verändern sind verschiedene Eingriffe denkbar: von einem anderen Ernährungssystem bis hin zu politischem Aktivismus.

David Goeßmann: Gegen Wachstumskritik wird oft eingewnedet, dass die Arbeitslosigkeit stiege, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst. Wie denken Sie darüber?

Tim Jackson: Das ist ja gerade das verfahrene an der Situation: Wachstum ist nicht nachhaltig, aber ein Nullwachstum ist tendenziell instabil. Wir wissen nicht, wie man Volkswirtschaften ohne Wachstum am Laufen halten kann. Interessanterweise stellt man bei genauerem Hinsehen jedoch fest, dass Nullwachstum nicht per se, sondern nur innerhalb einer wachstumsbasierten Wirtschaft instabil ist. Eine Stellschraube, an der man drehen muss, um Nullwachstum stabil zu machen, ist die der Arbeitsplätze. Das Problem ist gewissermaßen arithmetischer Art: Weniger Wachstum führt lediglich zum Verlust von Arbeitsplätzen, weil wir ständig die Arbeitsproduktivität steigern. Jeder Arbeiter muss von Jahr zu Jahr mehr schaffen und daher muss unsere Wirtschaft wachsen, denn sonst brauchen wir im nächsten Jahr weniger Arbeitskräfte um die gleiche Menge an Arbeit zu verrichten. Dann verlieren Menschen ihren Job, müssen von Arbeitslosengeld leben und können weniger konsumieren, wodurch wiederum weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Das macht aus dem positiven Wachstumskreislauf einen Teufelskreis, der zum Zusammenbruch führt. Das ist die Gefahr einer wachstumslosen Wirtschaft: Dass durch eine Steigerung der Arbeitsproduktivität die Beschäftigung zurückgeht und das System kollabiert. Dagegen kann man rein arithmetisch gesehen zweierlei unternehmen. Einerseits bei steigender Produktivität der Arbeit die Arbeitszeit reduzieren und die vorhandene Arbeit gerechter verteilen, anstatt Leute zu entlassen. Die mit Arbeit überlasteten Menschen geben Arbeitszeit an die Arbeitslosen ab. Eine solche Politik ist sinnvoll, weil sie nicht auf eine Vergrößerung der Wirtschaft setzt, um Arbeitsplätze zu sichern, sondern Produktivitätsgewinn in Zeitgewinn umwandelt. Sie war bereits seit den frühen klassischen Ökonomen vor knapp hundert Jahren bestens bekannt und ist absolut vertretbar. Aber das arithmetische Problem lässt sich noch auf andere Weise angehen, indem man fragt: Warum wollen wir die Arbeitsproduktivität ständig erhöhen? Denn sicherlich möchte niemand gewisse unangenehme Arbeiten erledigen und diese sollte man den Menschen erleichtern oder ersparen. 
Aber es gibt ebenso Arbeiten, bei denen es auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, etwa bei der Beziehung eines Arztes zu seinem Patienten, eines Lehrers zu seinen Schülern oder eines Sozialarbeiters zu dem, den er betreut. Das alles sind menschliche Dienstleistungen, die unsere Lebensqualität erhöhen und für die ein Streben nach mehr Arbeitsproduktivität keinen Sinn ergibt, da sie ja erst durch die von Menschen verrichtete Arbeit ihren Wert erhalten. Damit bieten sich zwei Möglichkeiten des Nullwachstums. Einerseits kürzere Arbeitszeiten und andererseits eine Verlagerung der Arbeit auf Bereiche, in denen die Produktivität nicht steigt und die somit Arbeitskraft in der Wirtschaft binden können. Das ist ein sehr aussichtsreicher Weg zur Überwindung des Dilemmas und zur Verwirklichung von Nullwachstum in einer anderen Wirtschaftsform.

Fabian Scheidler: Welche Kräfte verhindern einen Übergang?

Tim Jackson: Die behindernden Kräfte sind komplex und miteinander verwoben. Eine davon ist die Struktur und Funktionsweise der Finanzmärkte. Sie erwarten von Investitionen kurzfristige und hohe Renditen, und lassen dabei die tatsächlichen Kosten für die Gesellschaft außer Acht. Dieses Finanzsystem ist von Grund auf unfair. Es schanzt einer Minderheit Profite zu und geht dafür moralisch vollkomen inakzeptable Risiken ein. Und das hat uns vor zwei Jahren an den Rand des Abrunds gebracht. Hiervon geht eine starke hemmdende Kraft aus und Reformen sind dringend notwendig. Und auch die Unternehmen sind durch die Art und Weise, wie sie ihre Geschäftstätigkeit finanzieren, eng an diesen Finanzsektor gebunden. Sie stecken in der Falle, weil sie wachsen müssen, um zu überleben, und ihre Produktion steigern müssen, um ihre Schulden bei der Finanzwelt abzubezahlen. Und was sie produzieren, müssen sie auch verkaufen. Also machen sie uns als Verbrauchern weis, dass wir ihre Produkte brauchen. So entsteht eine Kette, in der wir überredet werden Geld, das wir nicht haben, für Dinge auszugeben, die wir nicht brauchen, um Menschen, die uns egal sind vorübergehend zu beeindrucken. Diese Anreizkette ist ebenso pervers wie wirkungsvoll. Das sind die Kräfte, die wir aushebeln müssen.

David Goeßmann: Ist eine nicht-wachsende Wirtschaft im Rahmen einer kapitalistischen Ordnung und globaler Konkurrenz möglich?

Tim Jackson: Ich möchte mich ungern auf die Systemfrage festnageln lassen, denn die Debatte dreht sich immer um die Dichotomie zwischen Kapitalismus einerseits und Kommunismus als einziger Alternative. Diese Dichotomie halte ich jedoch für irreführend, zumal das erfolgreichste kapitalistische Land ja ein kommunistisches ist, nämlich China. Ich halte diesen Gegensatz in der heutigen Welt also für überholt. Aber Ihre Frage ist berechtigt: Kann der Kapitalismus den Übergang bewerkstelligen? Um nicht in Wortklauberei zu verfallen, würde ich die Antwort lieber so formulieren: Die gegenwärtige Form des Kapitalimsus kann den Übergang nicht leisten. Daher müssen wir unbedingt die Art und Weise, wie Renditen erwirtschaftet und berechnet werden, verändern. Wir müssen die Eigentumsstrukturen reformieren und das Vorrecht der Kapitaleigner abschaffen, die Überschüsse zu ihren Gunsten zu verteilen. Hier sind Reformen notwendig. Sie betreffenden die Finanzmärkte, die Gewinnmaßstäbe, die Eigentumsstrukturen und die Rechte und Pflichten der Unternehmen am Markt. Und dann drängt sich die Frage auf: Ist das System dann immer noch ein kapitalistisches? Ich glaube, man kann es nennen, wie man möchte. Wenn jemand den Namen Kapitalimus mag, meinetwegen. Fest steht jedoch, dass es nicht mehr die heutige Form des Kapitalismus sein wird, denn die hat sich überlebt.

David Goeßmann: Vielen Dank für das Interview, Herr Jackson.