Kein Land bietet nationale Maßnahmen an, um das Paris-Ziel erreichen zu können, sagt Kevin Anderson. Zugleich geben die Regierungen wie beim Klimagipfel in Glasgow (COP26) weiter vor, die Temperatur unter 2 Grad Celsius halten zu wollen. Dafür müssten die Industriestaaten jedoch bis spätestens 2035 dekarbonisiert sein, was sie aber nicht planen. Zudem seien Emissionsszenarios, die den Eindruck erwecken, als ob das 2-Grad-Ziel haltbar sei, wenn alle Staaten ihre Versprechen einlösen, „extrem irreführend“. Denn darin eingerechnet sind sogenannte „negative Emissionen“. Wir befinden uns tatsächlich auf dem Weg in eine Welt, die 3 bis 4 Grad wärmer sein wird. „Dann werden wir auf einem anderen Planeten leben“. Eine Kursänderung ist technisch weiter möglich, sagt Anderson, sie wird jedoch blockiert. Das mächtige „Davos-Cluster“, eine Gruppe von Spitzenpolitikern, Unternehmensführern und Meinungsmachern, zeigt sich unfähig und nicht gewillt, die notwendigen Veränderungen einzuleiten. Daher muss die Wende von unten, von organisierten Bewegungen und der Zivilgesellschaft kommen.
Kevin Anderson ist ein renommierter britischer Klimawissenschaftler, der an den Universitäten in Manchester und Uppsala forscht. Er ist ehemaliger Direktor des Tyndall Center for Climate Change Research.
Die Industriestaaten müssten für ein 2-Grad-Ziel bis spätestens 2035 dekarbonisiert sein. Doch kein Land bietet Maßnahmen an, um das Paris-Ziel erreichen zu können. Der Klimagipfel in Glasgow hat gezeigt, dass die Verantwortlichen die Klimakrise nicht ernst nehmen, sagt Kevin Anderson. Gleichzeitig seien Emissionsszenarios, die den Eindruck erwecken, als ob das 2-Grad-Ziel haltbar sei, wenn alle Staaten ihre Versprechen einlösen, „extrem irreführend“. Denn in den Szenarios wird davon ausgegangen, dass in der Zukunft Technologien, die es bisher nicht gibt, große Mengen an Treibhausgasen wieder zurückholen. Rechnet man die illusorische Emissionsminderung heraus, sei die Welt tatsächlich auf einem Kurs, der 3 Grad plus bedeutet. Selbst ambitionierte Länder wie Schweden oder Großbritannien sind weit entfernt vom Notwendigen. Ihre Pläne führen tatsächlich zu einer Erwärmung von 2,5 bis 3 Grad und nicht unter 2 Grad. Der Grund dafür: „Die Länder gehen davon aus, dass ihr Reduktionstempo dem der Entwicklungsländer entspricht. Das ist aber unvereinbar mit dem Prinzip der ‚gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung‘“, dem Gerechtigkeitsprinzip, dem sich die reichen Länder verpflichten haben. Zudem sind in die Klimapläne „negative Emissionstechnologien“ (CCS, BECCS) für die Zukunft eingerechnet, die das Budget der Länder künstlich vergrößern. Ein unwissenschaftlicher und gefährlicher Spin.
Wir befinden uns auf einem Weg in eine Welt, die 3 bis 4 Grad wärmer sein wird, sagt Anderson. Das würde den Kollaps vieler ökologischer und gesellschaftlicher Systeme bedeuten. „Dann werden wir auf einem anderen Planeten leben“. Um den Kurs zu ändern, braucht es noch in diesem Jahrzehnt eine Energie- und Konsumptionsrevolution, vorangetrieben von echten Klimainvestitionen. Bisher verhindert aber ein mächtiges „Davos-Cluster“ aus Spitzenpolitikern, Unternehmensführern und Meinungsmachern die Kursänderung. „Wenn die Bürger:innen ihre Macht nutzen, können sie eine andere Machtstruktur etablieren, die uns aus der gegenwärtigen Sackgasse führt“. Vor allem braucht es einen tiefgreifenden Infrastrukturumbau, der zugleich neue Jobs schafft. Das hohe Reduktionstempo verlangt zudem Einschränkungen vor allem vom oberen 1 Prozent der Gesellschaft, dessen Kohlenstoff-Fußabdruck doppelt so groß ist wie der der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung. Die zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Proteste geben Anderson Hoffnung, dass die Wende, die technisch noch möglich ist, politisch durchgesetzt werden kann.