Naidoo unterstützt das Projekt "Global Carbon Removal", das Methoden vorantreiben will, die Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden. Um vor allem Entwicklungsländer vor den Folgen der Erderhitzung zu bewahren, müsse auch über wissenschaftlich überprüfte Möglichkeiten in diese Richtung nachgedacht werden. Dafür brauche es ein unabhängiges wissenschaftliches Gremium. Damit könne auf lange Sicht auch die Temperatur wieder heruntergebracht werden auf 1 Grad Celsius. Naidoo fordert von den Bewegungen, sich selber zu reflektieren und sich der Tatsache zu stellen, warum man bisher nicht genug erreichen konnte. Das liege auch daran, dass man oft zu weit entfernt von den normalen Menschen in ihrem Überlebenskampf sei. Das müsse sich ändern. Die Klimakrise und die Lösungen müssten stärker die Lebensumstände der Menschen, den Gerechtigkeitsaspekt und den Kampf gegen Armut ins Zentrum stellen. Der als Fellow an der Bosch Stiftung im Moment in Berlin lebende Naidoo ist beeindruckt von der jungen Klimabewegung in Deutschland. Die Proteste müssten sich aber noch steigern, das sehe man am lauen Wahlausgang, obwohl die Bewegungen Klima oben auf die Agenda setzen konnten. "Die Menschen in Deutschland sollten nicht auf die nächste Wahl warten, sondern müssen jetzt mobilisiern." Hoffnungen geben Naidoo die jungen Menschen. Man dürfe es nicht zulassen, dass die 1%, die für die Zerstörung des Planeten verantwortlich sind, damit durchkommen.
Kumi Naidoo ist ein südafrikanischer Umwelt- und Menschenrechtsaktivist. Er war Generalsekretär von Amnesty International und Direktor von Greenpeace. Im Moment ist er Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin.
David Goeßmann: Gerade wurde eine neue Partnerschaft zur CO2-Speicherung gestartet. Erklären Sie bitte, was das genau ist, da wir unterschiedliche Arten der Kohlenstoffbindung haben, wie zum Beispiel CCS-Technologien, also das Speichern von CO2 unter der Erde, oder natürliche Arten der Kohlendioxid-Bindung. Dann gibt es noch das Problem der Länder, die zukünftige CO2-Speicherung bereits anrechnen, um aktuell weiter fossile Brennstoffe zu verbrennen. Worum geht es also bei dieser Initiative?
Kumi Naidoo: Lassen Sie mich zuerst sagen, dass ich 2009, auf dem Klimagipfel in Kopenhagen, CO2-Speicherung niemals in Betracht gezogen hätte, weil das nur den Verschmutzern eine Ausrede verschafft, weiterhin fossile Brennstoffe zu verbrennen, während sie behaupten: “Wir werden in Zukunft Technologien haben, die das CO2 aus der Atmosphäre holen”. Als ich 2015 im Pazifik war, hab ich einen Slogan gehört, der mich zu Tränen gerührt hat. Die Leute riefen: „One point five to stay alive, 1,5 Grad, um am Leben zu bleiben”. Es war hart, das zu hören. Sechs Monate später traf ich dieselben Leute bei den Pariser Klimaverhandlungen wieder und sie luden mich ein, auf ihrer Demo ein paar Worte zu sagen, und ich fing an zu skandieren: „One point five to stay alive“, aber sie sagten: „Hör auf, der Slogan geht jetzt anders“. Der neue Slogan war: „One point five, we *might* survive, 1,5 Grad, dann Überleben wir vielleicht”. Wir haben jetzt schon rund 1,2 Grad und bewegen uns rasant auf 1,5 zu. Daher müssen wir uns fragen: „Wie retten wir die Menschen der pazifischen Inselstaaten, in Küstenregionen, in verschiedenen Ländern wie Bangladesch, Ghana, der Karibik und so weiter. Wir dürfen diese Menschen nicht sterben, ihre Kulturen und Industrien nicht vernichten lassen, was die Regierungen der mächtigen Staaten bereit sind zuzulassen. Wenn das der Fall ist, dann müssen wir ernsthaft nach wissenschaftsbasierten Lösungen suchen – zu unterscheiden von den Ausflüchten, die auf Industriepropaganda beruhen wie: „Wir haben diese super CCS-Sache entworfen, mit der wir CO2 aus der Luft saugen“. Einerseits müssen alle Lösungen von einer unabhängigen Organisation geprüft und zugelassen werden. Der Weltklimarat IPCC könnte zum Beispiel diese Rolle übernehmen, der bereits naturbasierte CO2-Sequestrierungsstrategien unterstützt. In seinem letzten Bericht ruft er dazu auf, eine Billion Bäume zu pflanzen. Das ist nicht unstrittig, wenn damit Verschmutzern erlaubt wird, weiter CO2 zu emittieren. Auch muss es mit den Menschen vor Ort besprochen werden, wo die Bäume gepflanzt werden sollen, insbesondere, wenn es sich um indigene Völker handelt. Welche Bäume sollen gepflanzt und von wem betreut werden? Das muss von eine unabhängigen Organisation geregelt werden, nicht von Industrien, die Geld machen wollen und Regierungen korrumpieren. Wir fordern zudem lange schon einen Stopp der Subventionen für fossile Brennstoffe. Mary Robinson sagt: „Warum nennen wir das eigentlich Subventionen? Das sind doch Steuern, die verwendet werden, um Leute am Ende umzubringen“. Und dann heißt es: „Erneuerbare Energien sind zu teuer“. Aber wenn man die Subventionen abschafft, sind erneuerbare Energien noch billiger, als sie es sowieso schon sind. Es geht im Kern also um wirtschaftliche Interessen. Die traurige Wahrheit ist, dass die Regierungen von Öl- und Gasunternehmen kontrolliert werden, nicht von den Menschen, die sie wählen. Die Konzerne entscheiden, was passiert und welche Informationen verbreitet werden, weil sie großen Einfluss auch auf die Medien haben. Aber die gute Nachricht ist, dass das immer mehr Leute verstehen und Widerstand gegen die Öl- und Gasunternehmen leisten. Hoffentlich kann dieser Widerstand den Kurs der Regierungen ändern, auch wenn die fossilen Unternehmen die Wahlen weiter kaufen. So wurde zum Beispiel die Wahlkampfkampagne von George Bush komplett von der Öl- und Gasindustrie bezahlt. Wenn man sich die Bush-Bilanz ansieht, dann hat er acht Jahre lang der Öl- und Gasindustrie treu gedient. Zum Beispiel, indem er gegen den Irak in den Krieg zog. Sie nannten den illegalen Krieg „Operation Iraqi Freedom“ . Zuerst hieß er „Operation Iraqi Liberation“, bis jemand bemerkte, dass die Initialen OIL ergeben, Öl also. Daher wurde es in Freedom geändert. Jeder weiß, welche Verwüstung der Ölkrieg nach sich gezogen hat. Die USA sind dabei gar nicht an Demokratie interessiert. Die Regierung arbeitet überall auf der Welt mit autoritären Staaten zusammen. Zugleich ist die Medienlandschaft, in der wir uns bewegen, stark von der Öl- und Gasindustrie und ihren Partnern beeinflusst. Daher transportieren die Medien nicht wirklich die Wahrheit. Doch wir sollten uns an den Spruch im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika erinnern: „Zeitweise lassen sich die Leute täuschen, manche Leute die ganze Zeit, aber nie alle Leute die ganze Zeit“. Und ich glaube, dass die Zeit für die Öl- und Gasindustrie abgelaufen ist. Wie gesagt, sie stellt die größte Delegation hier auf der Konferenz. Sie ist doppelt so groß, wie die größte Regierungsdelegation aus Großbritannien . So absurd ist die Machtpolitik, die die Klimaverhandlungen dominiert.
David Goeßmann: Sie sind Fellow bei der Robert Bosch Academy in Berlin. Erzählen Sie uns davon und was Sie über die Klimapolitik und Klimabewegungen in Deutschland denken.
Kumi Naidoo: Ich verfolge in der Bosch Academy zwei Aspekte. Einerseits gehe ich der Frage nach, warum der Aktivismus versagt hat und was sich ändern muss. Es stimmt ja, dass die Regierungen nicht so weitermachen können wie bisher. Das heißt aber auch, dass wir unseren Aktivismus überdenken müssen. Albert Einstein hat einmal gesagt, dass es verrückt sei zu glauben, man könne das Gleiche tun, aber ein anderes Ergebnis erzielen. Deshalb müssen wir uns als Aktivist*innen in den Bewegungen fragen: „Was funktioniert, was nicht?“ Wir können schließlich nicht so tun, als ob wir gewinnen, wenn es eine Minute vor Zwölf ist und uns die Zeit ausgeht. Wir sollten eingestehen, dass wir besser werden müssen. Wir können nicht damit zufrieden sein, Schlachten zu gewinnen, aber den Krieg um Klimagerechtigkeit, wirtschaftliche Gerechtigkeit oder Rassengerechtigkeit zu verlieren. Zweitens: Einer der Gründe, weshalb wir meiner Meinung nach nicht gewinnen, insbesondere in Bezug auf das Klima, ist, dass es ein schwieriges Thema ist. Ich habe in meiner Zeit bei Greenpeace immer gesagt: Einer der größten Feinde der Klimabewegung ist die Klimabewegung. Denn die Art, wie wir reden – Grade, Teilchen pro Million und jede Menge Abkürzungen –, das geht an den Leuten größtenteils vorbei. Sogar gebildete Menschen finden es schwierig mitzukommen. Ich habe Verwandte, viele aus der Arbeiterschicht sind, die sagen, das ist einfach zu viel. Nun stellen sie fest, dass auf den Regen kein Verlass mehr ist, manchmal kommt er gar nicht, dann viel zu viel. Manche beklagen sich: „Wir kommen bei der Debatte nicht mit. Die Sprache ist zu kompliziert“. Deshalb bin ich über meine Arbeit mit Olafur Eliasson sehr froh, einem in Berlin wohnhaften Künstler, der eine große Inspiration für mich und viele andere ist. Er hat Großartiges geleistet. Ich glaube sogar, dass jemand wie Olafur mehr für das Klimabewusstsein getan hat als viele NGOs, die Einfluss haben und Geld besitzen. Er spricht die Emotionen an und öffnet damit die Debatte. Ich stelle mir mit Olafur und anderen Künstlern die Frage: „Wie können wir Kunst und Aktivismus zusammenbringen?“ Man nennt das „Artivism“. Das passiert übrigens weltweit. Wir überlegen, wie wir damit in großem Maßstab gewöhnliche Leute erreichen können, die 12 oder mehr Stunden am Tag arbeiten und nicht viel Zeit haben, Bücher zu lesen und auf Versammlungen zu gehen. Wir müssen einen Weg finden, den Klimakampf auf die Menschen auszurichten. Sicherlich geht es auch um Eisbären in der Arktis. Aber wir müssen die Krise auch Leuten beibringen, die am Hungertuch nagen oder sich geographisch sehr weit von der Arktis entfernt befinden. Da kann man schwer erwarten, dass sie mit Eisbären solidarisch sind, wenn sie täglich bangen müssen, ob sie Wasser und Essen für ihre Kinder und sich selbst bekommen. Ich möchte erreichen, dass Menschen erkennen, dass wir uns auf dem Selbstmordpfad befinden, wenn wir nicht zu einer wechselseitigen Beziehung mit der Natur zurückfinden. Wir sind auf dem Weg Richtung Massenaussterben. Ich bin von der Klimabewegung in Deutschland und von den jungen Leuten daher sehr beeindruckt. Als ich Direktor von Greenpeace war, habe ich die Freiwilligen immer am meisten geschätzt. Sie haben mich inspiriert, in ganz Europa, in allen unseren Abteilungen. Ich finde, Freiwillige sind das Rückgrat aller Bewegungen. Und ich wünsche mir, dass diese Inspiration weiter wächst und immer schneller den Wandel vorantreibt. Letztendlich zählen aber die Wahlergebnisse in Deutschland. Obwohl das Klima ganz oben auf der Liste stand...
David Goeßmann: Wir hatten vor der Wahl 100.000 Leute in Berlin auf der Straße...
Kumi Naidoo: Ich hab das persönlich gesehen und finde das total beeindruckend. Aber ich glaube, dass wir mindestens 10 Million Demonstrierende in Deutschland brauchen, wenn wir gewinnen wollen. Denn das ist das Ausmaß des Problems. Aber ich glaube, dass der Grundstein gelegt ist. Die Leute sollten nicht auf die nächsten Wahlen warten. Sie müssen jetzt in Deutschland, in Europa, in jedem Land der Welt mobil machen, um eine Chance zu haben, unsere Regierungen davon zu überzeugen, schneller zu handeln. Sie können nicht weiter das Problem wie in den letzten Jahrzehnten aufschieben. Sie müssen endlich Initiative ergreifen. Die Regierungen und Öl- und Gasunternehmen wurden von ihren Wissenschaftler*innen früh gewarnt, bevor wir es wussten. Sie haben uns die Informationen aber vorenthalten und, als sie dann doch öffentlich wurden, ihre Milliarden Dollar benutzt, um die Debatte zu manipulieren und politisches Handeln hinauszuzögern. Es ist ein Verbrechen und dafür sollten sie sich rechtfertigen müssen.
David Goeßmann: Was gibt Ihnen Hoffnung?
Kumi Naidoo: Hoffnung geben mir die jungen Leute. Sie bringen frische Sichtweisen in den Kampf. Sie schauen sich die alten Probleme mit neuen Augen an. Es ist schmerzhaft, wenn mich junge Leute fragen: „Soll ich überhaupt noch Kinder bekommen?“ Und das fragen sie mich? Ich höre diese Frage so oft. Es ist beschämend, dass wir unsere Kinder dazu gebracht haben, diese Frage stellen zu müssen. Und wenn junge Leute mich fragen, „Kumi, glaubst du nicht, dass es zu spät ist“, dann sage ich, „Hör mal, unsere Handlungsmöglichkeiten sind gering und schwinden, aber so lange wir noch eine Chance haben, kämpfen wir. Aber selbst, wenn man meint, es sei zu spät, darf man nicht aufgeben. Diejenigen, die die Zerstörung zu verantworten haben, dürfen nicht so einfach damit davonkommen.“ Es sind nicht gewöhnliche Menschen, die dieses Problem verursacht haben. Es sind diejenigen, die Wissen und Geld haben, um die Zerstörung zu beenden. Meine Hoffnung ist, dass wir unseren Handlungsspielraum ausweiten können und die Wende schaffen. Wissenschaftsbasierte CO2-Speichermöglichkeiten können uns möglicherweise helfen, um nicht nur definitiv unter 1,5 Grad zu bleiben, sondern langfristig den Temperaturanstieg auf unter 1 Grad zurückzubringen. Es ist möglich, wenn wir zusammenarbeiten und die Vorstellungskraft für die Wende aufbringen. Wenn wir diese Imagination, die unseren Regierungen fehlt, in Taten verwandeln, dann werden wir diese Krise abwenden können.
David Goeßmann: Vielen Dank für das Interview, Kumi Naidoo.
Kumi Naidoo: Ich danke.