Der Infrastrukturumbau von fossilen Energien hin zu erneuerbaren müsse fair ablaufen und die Arbeiter einschließen, sagt Janet Redman vom Institute for Policy Studies. Dafür brauche man eine progressive Kohlenstoffsteuer und staatliche Ordnungspolitik. Die Maßnahmen sollten vor allem die Reichen dazu bringen ihren Lebensstil zu schrumpfen, während arme Schichten die Chance erhielten, sich weiter zu entwickeln. Die Möglichkeiten, über technische Lösungen die Emissionen gemäß des 2-Grad-Ziels zu reduzieren, seien jedoch begrenzt. Daher, so Bows-Larkin, müsste auch die Nachfrage an Energie reduziert werden. Kleinbäuerliche und kommunale Lösungen sollten stärker verfolgt werden. In Deutschland, so Klimaaktivist Tadzio Müller, müsse das klimaschädliche Handelsabkommen TTIP verhindert, die Autoindustrie geschrumpft und der Kohleausstieg in einem Jahrzehnt vollzogen werden. Dazu sei auch ziviler Ungehorsam notwendig.
David Goeßmann: Viele zentrale Fragen standen nicht auf der Agenda hier in Paris bei den UN-Verhandlungen. Wie kann ein tiefgreifender Umbau unserer Infrastrukturen von Produktion und Konsum auf den Weg gebracht werden? Welche nationalen Reduktionsziele und Regulierungen brauchen wir dazu? Welche Rolle spielen Landwirtschaft, Verkehr und unsere Energieerzeugung? Inwiefern brauchen wir eine grundsätzliche Neuorientierung unserer Wirtschaft und ihrer Ziele?
Janet Redman: Der Energiesektor ist natürlich ein sehr wichtiger Bereich des Klimaschutzes. Aber natürlich besteht die Wirtschaft nicht nur aus dem Energiesektor und den dort entstehenden Emissionen. Wir müssen uns auch die industrielle Produktion und Landwirtschaft ansehen. Sie haben den Verkehr angesprochen, ein weiterer wichtiger Punkt. Wir sollten beim Verkehr zwei Dinge beachten. Wir brauchen öffentliche Verkehrssysteme, um Transport und Mobilität in Zukunft zu ermöglichen. Die Forschung zeigt uns, dass ein öffentliches Verkehrssystem ein großer Gewinn für unsere Gesellschaft wäre. Es ist gut für unsere Kommunen, weil es auch denen Zugang zu Mobilität verschafft, die bisher keinen haben. Es schafft auch neue Arbeitsplätze. Das ist ein wichtiger Bestandteil eines gerechten, fairen Übergangs. Es geht nicht nur um die neuen Technologien und Wirtschaftsbranchen. Wir müssen beachten, was mit den Arbeitnehmern geschieht, deren Arbeitsplätze sich verändern werden. Im Falle der Erdöl- und Kohleindustrie und so weiter werden Arbeitsplätze komplett verschwinden. In den USA und anderen Ländern kann man das bereits beobachten. Wir müssen auch über die Arbeitsplätze in der Schiff- und Luftfahrt nachdenken. Es werden neue Fähigkeiten in anderen Arbeitsfelder gefragt sein. Die Arbeiter müssen dabei mitgenommen werden. In den USA haben wir mit dem Freihandelsabkommen NAFTA schlechte Erfahrungen gemacht. Damals sind die Übergänge schlecht abgelaufen. Man hat gesagt: „Du verlierst deinen Job an jemand anderen in einem anderen Land. Aber wir bilden dich für den Übergang aus.“ Doch das ging schief, da die Arbeiter dann für Arbeitsplätze ausbildet wurden, die noch nicht existierten. Wir benötigen also enorme Investitionen in Arbeitsplätze, die bereits existieren, bevor die Menschen aus ihren alten Jobs herausgelöst und neu ausgebildet werden. Es ist ein Prozess der Neuausrichtung.
Alice Bows-Larkin: Wenn man sich nur auf die Technik fokussiert, sieht es unmöglich aus. Gerade weil es sehr lange dauert, eine Infrastruktur mit geringer CO2-Emission zu etablieren. Es könnte mehrere Jahrzehnte dauern, bis man ausreichend erneuerbare Energiequellen für das Energiesystem erschlossen hat. Wir fokussieren uns auch sehr oft auf unser Stromnetz, und wie schnell wir es verändern können. Aber ein Großteil unserer CO2-Emissionen geht auf Wärmeerzeugung und Transport zurück. Sehr schwierig. Man muss eventuell das Wärmenetz elektrifizieren. Im Transportwesen gehören Elektrofahrzeuge immer mehr zum guten Ton und zum Straßenbild. Für den CO2-Ausstieg müssen allerdings alle Fahrzeuge elektrisch fahren. Dann kommen noch Branchen wie Schiff- und Luftfahrt hinzu. Das braucht alles Zeit. Das heißt nicht, dass man keine Wahl hat. Man muss das Ganze betrachten, auch die Nachfrageseite: das Niveau des Energieverbrauchs, unser Konsum von Ressourcen, Energie, Wasser und so weiter. Die Nachfrageseite zu verändern ist keine einfache Aufgabe. Aber es gibt viele Ansatzmöglichkeiten, die wir uns bei weitem noch nicht so genau angesehen haben wie die Angebotsseite. Zum Beispiel Energieeffizienz; Normen und Vorschriften für Konsumgüter, so dass diese effizienter werden. Aber auch die Frage, wie viele dieser Dinge wir brauchen. Wie wir sie nutzen. Ist es zum Beispiel sinnvoll für Akademiker, mehrmals im Jahr zu Konferenzen zu jetten, anstatt nur einmal jährlich, wie es üblich war als ich in der akademischen Welt Fuß gefasst hatte. Es gibt viele Dinge in unserem Lebensstil, die wir verändert haben, und darauf sollten wir uns konzentrieren.
Kevin Anderson: Wir sagen nicht, dass alle in unserer Gesellschaft ihren Lebensstil schrumpfen müssen. Wir sagen auch nicht, dass die gesamte Weltwirtschaft schrumpfen sollte. Alice und ich sind uns einig darin, dass die ärmeren Teile der Welt kurz- bis mittelfristig durchaus Wirtschaftswachstum brauchen. Dies bedeutet auch, dass ihre CO2-Emissionen ansteigen werden, denn sie werden einiges an fossilen Brennstoffen benötigen, während sie hoffentlich immer mehr auf erneuerbare Energien umsteigen. All das ist wichtig für ihre Lebensqualität. Eine Abkehr vom Wachstum brauchen wir aber in den reichen Teilen der Welt, insbesondere bei den Wohlhabenden in den reichen Länder. Die ärmeren Schichten kämpfen oft um elementare Dinge und verbrauchen nicht viel Energie. Ihr ökologischer Fußabdruck ist klein. Doch für die Art von Menschen, wie sie hier bei der COP sind, für die Top 10 % der Weltbevölkerung, die den Hauptanteil der Emissionen verursachen, bedeutet der Kampf gegen den Klimawandel scharfe Einschnitte. Wir als Hochemittenten werden unseren Lebensstil schrumpfen müssen. Kevin Anderson: Natürlich gibt es bei einem CO2-armen Lebensstil gewisse Aspekte, die das Leben lebenswerter machen. Doch wir sollten uns nichts vormachen. Denn es wird nicht einfach werden. Wir übertreiben oft darin, wie einfach dieser Übergang sein wird. Wenn einige aber beginnen, wird es für die anderen leichter. Denn je mehr Menschen sich einem CO2-armen Lebensstil verpflichten, desto eher wird das zu einem neuen „Normalzustand“. In unseren akademischen Zirkeln kann ich das bereits beobachten. Ich kenne Kollegen, die inzwischen sehr darauf achten, wie oft sie fliegen. Sie vermeiden sogar Taxis. Das ist positiv für uns alle, denn Sie machen es für uns alle leichter. Dieser Aspekt der Gemeinsamkeit ist sehr wichtig. CO2-arm muss zum neuen Normalzustand werden – dann wird alles sehr viel einfacher.
Mariama Williams: Das Klima wird nicht einfach mit Geld gerettet. Wir müssen die Art und Weise, wie wir leben und produzieren, verändern. Dagegen stehen mächtige Interessen unterschiedlicher Wirtschaftszweige wie der Erdölindustrie, der Zementindustrie usw., die Geld verlieren werden. Daher müssen wir in einem gerechten Wandel auch die Interessen der Arbeitsnehmer beachten und schützen. Es ist keine leichte Aufgabe. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Janet Redman: Eine CO2-Steuer ist in vielerlei Hinsicht interessant. Man muss sie nur so gestalteten, dass sie nicht regressiv ist und Einkommensschwache trifft. Sie sollte auch nicht die Länder treffen, die die Versorgung ihrer Bevölkerung über Schiff- und Luftfahrt abdecken müssen. Der Gleichheitsgrundsatz trifft auf alle Steuern und auch CO2-Steuern zu, egal von welchem Land man spricht. Wir sehen das gerade in den USA. Viele sagen heute: Eine Klimasteuer wäre wohl sinnvoller als das Cap-and-Trade-System. Das Gleiche gilt für die Luft- und Schifffahrt. Besser wäre es, keinen Emissionsrechtehandel einzuführen. Doch egal für welche Methode man sich entscheidet, wichtig ist zu sehen, dass es hier um Gleichheit geht. Länder, die ihre Güter z.B. per Luft- oder Schifffahrt importieren müssen, um ihre Bevölkerung zu versorgen, sollten durch Ausnahmeregelungen geschützt werden.
Wenn wir über Preisfindungsmechanismen für CO2 sprechen, dann vergessen wir oft, dass es einen zweiten Weg gäbe. Und zwar Vorschriften. Zwischen den USA und Deutschland fand vor Jahren eine interessante Diskussion zum Thema "Saurer Regen" statt. Deutschland hat strengere Vorschriften erlassen als die USA. Wir haben quasi ein Cap-and-Trade-System eingeführt. Ihr habt den sauren Regen schneller und billiger beseitigt, als wir. Trotzdem ist das globale Cap-and-Trade-System für CO2 nach unserem System geformt worden. Daher fragen wir uns: Warum setzen wir nicht zuerst die Verordnungen und setzen dann Preisfindungsmechanismen als flankierende Maßnahme ein? Die Antwort liegt wohl darin, dass die Branche der fossilen Kraftstoffe zu den einflussreichsten Lobbyisten der Welt gehört. Wenn wir also über Luft- und Schifffahrt reden, dann sollten wir uns zuerst die regulierenden Instanzen ansehen, die internationalen Foren, die sich hiermit beschäftigen, und dafür sorgen, dass diese Verordnungen erlassen werden.
Pablo Solón: Es gibt bereits Alternativen. Lokale Landwirtschaft, lokaler Konsum ist gut fürs Klima. Viele Kleinbauern „kühlen“ gewissermaßen den Planeten durch ihre Anbauweise. Wir müssen die Idee des „Lokalen“ fördern und Alterativen für Verkehr und Energie schaffen. Bei uns sagt man: Die Regierung soll nicht nur schön reden – sie muss auch handeln. Die Zeit großer Reden ist vorbei. Wir müssen Handeln! Das Problem in Bolivien ist, dass wir große Staudammprojekte fördern und wenig für den Ausbau der Solarenergie tun. Wir sollten wie Deutschland die Solarenergie fördern. Wir haben eine der höchsten Sonneneinstrahlungen der Welt, sie ist drei Mal höher als in Deutschland. Aber wir erzeugen nicht mal 5 Megawatt an Solarenergie. Das müssen wir ändern. Aber wenn die Regierung nichts unternimmt, müssen wir als Zivilgesellschaft in den Familien und Kommunen handeln. Klimaschutz muss von unten aufgebaut werden.
Lyda Fernanda Forero: Gerade fand das Treffen der Kleinbauernbewegung „La Via Campesina“ statt. Sie sagen, dass die Kleinbauern den Planeten kühlen. Wir brauchen also keine neuen Methoden. Wir brauchen mehr Platz für kleinbäuerlichen Anbau, der die eigene Versorgung sicherstellt. So packen wir das Problem bei der Wurzel. Einige Organisationen sprechen von Energie-Demokratie. Sie fordern den Ausbau der Erneuerbaren, aber in kleinem Maßstab. Er soll von Bürgern und Kommunen gestaltet werden, nicht von großen Unternehmen. Das wäre die Lösung.
Tadzio Müller: In der Handelspolitik muss TTIP verhindert werden, denn wenn TTIP durchkommt, schadet das dem Klima massiv. Unter anderem – um nur ein Beispiel zu nennen – wegen der massiven Ausweitung globaler Handelsströme. Wenn TTIP durchkommt, schadet das dem Klima viel mehr, als hier jemals das Klima geschützt werden kann. Ein anderer Punkt ist die Energiepolitik: Es muss endlich ein Datum, ein sehr nahes Datum für den Kohleausstieg her. Irgendwann zwischen 2020 und 2030. Dieser Kohleausstieg muss natürlich sozial gerecht abgefedert werden, also brauchen wir einen gerechten Übergang in den Braunkohlerevieren. Die Bundesregierung hat ja 2013/2014 mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes eigentlich den Ausbau der Erneuerbaren eingeschränkt und hat die Energiedemokratie, also die Bürgerenergiewende schwerer gemacht. Das müsste sich natürlich ändern. Man müsste also in der Transport- und der Industriepolitik weg gehen von diesem Modell: Wir pushen die Autoproduktion so hoch und pushen unsere Autofirmen als nationale Champions, die global die Autowelt erobern sollen. Das wäre reale Klimapolitik.
Pablo Solón: Wenn Regierungen und Unternehmen diese Krise nicht erfolgreich meistern können, dann müssen gesellschaftliche Organisationen, die Zivilgesellschaft, die Jugend, die Frauen, die Arbeiter, die Landwirte, indigene Gruppen sich des Problems annehmen. Die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel. Seit der Gipfel in Paris läuft bin ich davon mehr überzeugt denn je. Wir müssen unsere Regierungen und die Unternehmen dazu zwingen, die Emissionen in unseren Ländern zu reduzieren. So wie das in Deutschland mit „Ende Gelände“ funktioniert hat. Bei der Kampagne haben 1500 Aktivisten einen der größten Tagebaue Deutschlands für einen Tag lahmgelegt. Oder schauen wir in die USA, wo sich Menschen jahrelang zivilen Ungehorsam ausgeübt haben, bis die Regierung endlich sagte: Ok, es gibt keine Keystone XL Pipeline und wir werden keinen Teersand aus Kanada exportieren, wie es ursprünglich geplant war. Diese Aktionen müssen stark zunehmen. Ich hoffe, dass das weltweit geschieht. Es ist eine der Alternativen, die wir haben.
Tadzio Müller: Deswegen wird z. B. in Deutschland die sehr erfolgreiche "Ende Gelände"-Kampagne aus dem letzten Jahr, wo im August 2015 fast 1500 Leute mit den Mitteln des friedlichen zivilen Ungehorsams den Braunkohle-Tagebau in Garzweiler besetzt und für einen Tag lahmgelegt haben. Diese Kampagne wird also im Jahr 2016 fortgesetzt und "Ende Gelände" wird im Mai, über's Pfingstwochenende in der Lausitz wieder eine ähnliche Aktion machen. Es gibt darüber hinaus eine globale Vernetzung von derartigen ungehorsamen Aktionen gegen fossile Brennstoffe, denn wir alle wissen: Fossile Brennstoffe müssen im Boden gelassen werden. Das ist eine Sache, die die Klimagerechtigkeitsbewegung in den nächsten Jahren natürlich sehr stark vorantreiben wird.