21.12.2015
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Einleitung: 

Um einen katastrophalen Klimawandel noch verhindern zu können, braucht es einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbau, sowohl in der Produktion als auch im Konsum. Eine progressive Kohlenstoffsteuer etwa könnte übermäßigen Flugverkehr drosseln und auch in anderen Bereichen wirksamer sein als Emissionshandel. Aber nicht nur der Preis für Kohlenstoff muss steigen, es braucht auch direktes staatliches Eingreifen. In der Energieerzeugung ist ein rascher Ausstieg aus der Braunkohle - spätestens bis 2030 - nötig. In der Handelspolitik müssen "Freihandelsabkommen" wie TTIP verhindert werden, um eine weitere Zunahme des ressourcenfressenden Güterverkehrs zu stoppen, so Tadzio Müller von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Im Verkehrssektor gehe es um eine Abkehr vom Auto und von der Exportfixierung besonders in Deutschland. Und in der Landwirtschaft würde eine Wende von der klimaschädlichen industriellen Landwirtschaft hin zu einer kleinbäuerlich-biologischen Agrarproduktion weltweit erheblich dazu beitragen, den Planeten zu kühlen.

Gäste: 
Alice Bows-Larkin, Klimawissenschaftlerin "Tyndall Centre"
Kevin Anderson, Klimawissenschaftler u. Co-Direktor "Tyndall Centre"
Janet Redman, "Institute for Policy Studies"
Pablo Solón, Ex-Klimaunterhändler von Bolivien
Tadzio Müller, Referent für Klimapolitik, "Rosa-Luxemburg-Stiftung"
Themba Austin Chauke, "La Via Campesina"
Lyda Fernanda Forero, "Transnational Institute"
Juliette Rousseau, Sprecherin "Coalition Climat 21"
Transkript: 

Fabian Scheidler: Welche Möglichkeiten, einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern, gibt es jenseits der UN-Verhandlungen? Wofür kämpfen soziale Bewegungen aus dem globalen Süden und dem Norden? Welche Veränderungen brauchen wir in unseren Gesellschaften? Wie können wir in wenigen Jahrzehnten aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas austeigen?

Alice Bows-Larkin: Wenn man sich nur auf die Technik fokussiert, sieht es unmöglich aus. Gerade weil es sehr lange dauert, eine treibhausgas-arme Infrastruktur zu etablieren. Es könnte mehrere Jahrzehnte dauern, bis man ausreichend erneuerbare Energiequellen für das Energiesystem erschlossen hat. Wir fokussieren uns auch sehr oft auf unser Stromnetz, und wie schnell wir es verändern können. Aber ein Großteil unserer CO2-Emissionen geht auf Wärmeerzeugung und Transport zurück. Sehr schwierige Bereiche. Man muss eventuell das Wärmenetz elektrifizieren. Im Transportwesen sehen wir mehr Elektrofahrzeuge auf den Straßen. Für den CO2-Ausstieg muss jedoch die komplette Autoflotte dekarbonisiert sein. Dann kommen noch Branchen wie Schiff- und Luftfahrt hinzu. Das braucht alles Zeit. Das heißt nicht, dass es nicht noch andere Möglichkeiten gibt. Es ist nicht das ganze Bild, es gibt neben der Angebotsseite noch die Nachfrageseite: das betrifft das Niveau unseres Energieverbrauchs, unseren Konsum von Ressourcen, Energie, Wasser und so weiter. Die Nachfrageseite zu verändern ist keine leichte Aufgabe. Aber es gibt viele Ansatzmöglichkeiten, die wir bei weitem noch nicht so angegangen sind wie auf der Angebotsseite. Zum Beispiel Energieeffizienz; Normen und Vorschriften für Konsumgüter, so dass diese effizienter werden. Aber auch die Frage, wie viele dieser Dinge wir tatsächlich benötigen. Und die Art, wie wir sie nutzen. Ist es zum Beispiel sinnvoll für Akademiker, mehrmals im Jahr zu Konferenzen zu jetten, anstatt nur einmal jährlich, wie es üblich war, als ich in der akademischen Welt Fuß gefasst hatte. Es gibt viele Dinge in unserem Lebensstil, die wir anders tun und tun könnten, und darauf sollten wir uns konzentrieren.

Kevin Anderson: Eine progressive CO2-Steuer könnte auf Kraftstoff angewandt werden. Zum Beispiel im Luftverkehr: Beim ersten Flug zahlt man den einfachen Flugpreis. Beim zweiten Flug den doppelten Preis. Beim dritten Flug den sechsfachen Preis. So setzt man einen Anreiz für Vielflieger, ihr Verhalten komplett zu verändern. Trotzdem könnte man mit der Familie jährlich noch in den Urlaub fliegen. (Das wäre weiterhin möglich.) Die Staaten müssen solche Werkzeuge klug anwenden. Sie müssen viel kreativer vorgehen. Wenn man sich der Ansätze von unten bedient, gibt es Dinge, die clevere Regierungen tun könnten, um für Hochemittenten Anreize zu schaffen, Emissionen zu drosseln. Leute wie wir treiben die Innovationen voran. Wir wenden neue Technologien als Erste an. Wir können auch Verhaltensweisen verändern. Wenn die Menschen dazu gezwungen sind, ihr Verhalten, ihre Technologien zu überdenken, dann treiben wir damit nachhaltige Lebensweisen voran. Das fördert Innovationen. Das führt zu einem System, in dem neue Technologien auftauchen, welche das Problem teilweise beseitigen können. Aber am Ende des Tages liegt es an uns, unser Verhalten, unseren Lebensstil zu ändern – in Kombination mit neuer Technologie.

Janet Redman: Wenn wir über Verteuerung von Kohlenstoff sprechen, dann vergessen wir ein wenig, dass es einen zweiten Weg gibt. Und zwar Regulierungen. Zwischen den USA und Deutschland fand vor Jahren eine interessante Diskussion zum Thema "Saurer Regen" statt. Deutschland hat strengere Vorschriften erlassen als die USA. Wir haben im Prinzip ein Cap-and-Trade-System, also einen Marktmechanismus, eingeführt. Ihr in Deutschland habt den sauren Regen schneller und billiger beseitigt als wir. Trotzdem basiert das globale Cap-and-Trade-System für CO2 auf dem US-amerikanischen System. Die Frage ist: Warum arbeiten wir nicht beim Klimaschutz mit Regulierungen, die mit Preisanreizen ergänzt werden könnten? Die Antwort liegt wohl darin, dass die Branche der fossilen Kraftstoffe zu den einflussreichsten Lobbys der Welt gehört. Wenn wir also über Luft- und Schifffahrt reden, dann sollten wir uns zuerst die regulierenden Instanzen ansehen, die internationalen Foren, die sich hiermit beschäftigen, und dafür sorgen, dass diese Vorschriften umgesetzt werden.

Pablo Solón: Wir müssen unsere eigenen, konkreten Alternativen formulieren. Das ist die Herausforderung für alle, die sich mit diesem Problem beschäftigen. Alle Initiativen, ob vergangene oder jene, die hier realisiert werden, haben einen gemeinsamen Kern: Die Lösung des Problems besteht darin, was wir selbst tun können – in unseren Kommunen, unseren Ländern oder Regionen. Wir müssen etwas tun. Wir müssen es in die Hand nehmen, die Regierungen und Unternehmen werden es nicht tun.

Themba Austin Chauke: Wir fordern von den Regierungen, und von allen, die in der Lebensmittelproduktion aktiv sind, dass sie die Kleinbauern dabei unterstützen, Lebensmittel zu erzeugen. Mit diesem Ansatz, so glauben wir, können wir den Planeten abkühlen. Andere Ansätze sind gescheitert, weil sie viele fossile Kraftstoffe verwenden. Und diese bilden eine Gefahr für die Erde, den Boden, für die Menschen. Sie sind nicht gesund. Industrielle Lebensmittelproduktion ist nicht gesund. Wir glauben, dass die kleinbäuerliche Produktion gesünder ist und die Welt ernähren kann.

Tadzio Müller: In der Handelspolitik muss TTIP verhindert werden, denn wenn TTIP durchkommt, schadet das dem Klima mehr. Unter anderem – um nur ein Beispiel zu nennen – wegen der massiven Ausweitung globaler Handelsströme. Wenn TTIP durchkommt, schadet das dem Klima viel mehr, als hier jemals das Klima geschützt werden kann. Ein anderer Punkt wäre in der Energiepolitik: Es muss endlich ein Datum, ein sehr nahes Datum für den Kohleausstieg her. Irgendwann zwischen 2020 und 2030. Dieser Kohleausstieg muss natürlich sozial gerecht abgefedert werden, also brauchen wir einen gerechten Übergang in den Braunkohlerevieren. Die Bundesregierung hat ja 2013/2014 mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes eigentlich den Ausbau der erneuerbaren eingeschränkt und hat die Energiedemokratie, also die Bürgerenergiewende schwerer gemacht. Das müsste sich natürlich ändern. Man müsste also in der Transport- und der Industriepolitik weg gehen von diesem Modell: Wir pushen die Autoproduktion so hoch und pushen unsere Autofirmen als nationale Champions, die global die Autowelt erobern sollen. Das wäre reale Klimapolitik. Also z.B. Energiedemokratie, eine reale Energiewende, nein zu TTIP und Schluss mit diesem sozialzerstörerischen Exportmodell.

Lyda Fernanda Forero: Die Werte unseres Systems basieren auf Dingen, wie etwa dem Besitz von Gütern, oder Immer-Mehr-Konsumieren-Müssen, immer mehr besitzen wollen, immer besser sein müssen – anstatt einfach ein gutes Leben zu führen. Diese Werte unserer Zivilisation sind der Kern des Problems. Erst wenn wie diese verändern, können wir über einen Systemwandel nachdenken.

Juliette Rousseau: Es gibt mir Hoffnung, wenn Menschen zusammen kommen und in einer organisierten, institutionalisierten Weise Ungehorsam leisten. Wenn sie stark genug daran glauben, dass die Dinge anders sein können – dass die Welt anders aussehen könnte. Und dass sie dafür Risiken eingehen. In Frankreich bewegen wir uns gerade sehr schnell – nicht langsam – auf einen autoritären Staat zu. Das macht das Engagement für mich umso wertvoller. Denn Menschen, die auf die Straße gehen, um ihre Werte zu verteidigen – für eine andere Vision der Erde – gehen ein immer höheres Risiko ein. Es gibt mir Hoffnung, dass manche von uns der Keim für eine andere Welt sind.