Camila Moreno von der Global Forest Coalition/Friends of the Earth Brasilien, und Alexandra Almeida von Accion Ecologica/Oil Watch Ecuador, berichten aus der Perspektive Lateinamerikanischer Bewegungen von Alternativen zur derzeitigen Sackgasse im Klimaschutz. Die Erhaltung von Wäldern, die Rechte und das Wissen indigener Bevölkerungen und die Anerkennung der Klimaschulden der Industrieländer sind dabei ebenso zentral wie die Forderung, Öl und Kohle im Boden zu lassen.
Fabian Scheidler: Die Menschen im globalen Süden werden besonders unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben – und das, obwohl sie historisch am wenigsten dazu beigetragen haben. Die Vereinten Nationen rechnen bereits bis zum Jahr 2035 mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen weltweit – die weitaus meisten aus Ländern des Südens.
Viele ärmere Länder, die besonders hart betroffen sein werden, haben außerdem nicht die Mittel, um sich gegen die Folgen zu schützen. Bangladesch etwa droht eine Überschwemmung von 2/3 der Landfläche, ist aber zu arm um sich Dämme wie die Niederlande leisten zu können.
Auch aus diesem Grund wächst der Druck von Entwicklungsländern auf die Industrieländer, sowohl ihre Emissionen massiv zu vermindern als auch Ausgleichszahlungen zu leisten.
Kritik aus dem Süden gibt es aber nicht nur an zu geringen Reduktionszielen und finanziellen Zusagen sondern auch an den „,marktbasierten Mechanismen“, die – so die Kritiker – negative Effekte gerade auf die ärmsten Menschen in den Ländern des Südens haben können.
Wir freuen uns zu diesem Thema nun zwei Gäste aus Lateinamerika begrüßen zu dürfen, die beide mit der internationalen Klimakarawane von Genf nach Kopenhagen reisen und dabei in Berlin Station machen:
Camila Moreno von der Global Forest Coalition aus Brasilien und Alexandra Almeida von der Accion Ecologica aus Ecuador. Willkommen bei Kontext. Die Klimakarawane zieht von Genf nach Kopenhagen. Warum diese Verbindung? Wie ist der Ablauf und was ist das politische Ziel der Karawane?
Alexandra Almeida: Wir sind ungefähr 60 Leute von Bewegungen aus Ländern des Südens, die zur Klimakarawane eingeladen wurden. Die Karawane startete in Genf, da dort die Welthandelsorganisation WTO ihre jüngsten Verhandlungen über Handelsabkommen abhielt. In Kopenhagen auf dem Klimagipfel wird die Karawane dann enden. Das zentrale Ziel der Klimakarawane ist es, die zwei zentralen Themen zusammenzubringen: die globale Handelspolitik, die sich bereits und vor allem in den Ländern des Südens massiv negativ ausgewirkt hat, mit dem globalen Klimawandel. Beide Aspekte gehören zusammen, die Handelspolitik als Ursache, der Klimawandel als Auswirkung.
David Goeßmann: Der jüngste Klimabericht des UN-Umweltprogramms geht davon aus, dass der Amazonas-Regenwald – mit einer Fläche so groß wie ganz Westeuropa – bei einem Temperaturanstieg von 3 bis 4 Grad zusammenbrechen und zur Savanne werden könnte. Was wären die Folgen für die Menschen in der Region – und was geschieht dort heute schon?
Alexandra Almeida: Ecuador hat lediglich 0,2 Prozent am gesamten Einzugsgebiet des Amazonas, macht aber rund 50 Prozent der Landesfläche aus. Das Gebiet ist reich an Biodiversität. Der humide tropische Regenwald macht die Beziehung zwischen Wasser, Klima und Wald besonders deutlich. Das Amazonasgebiet ist in Ecuador bereits sehr gefährdet, da dort die Erdölproduktion stattfindet, die wiederum sowohl auf lokaler und globaler Ebene Auswirkungen hat. Gefährdet ist insbesondere die indigene Bevölkerung, 9 ethnische Gruppen und dazu die mestizische Campesinobevölkerung. Sie sind betroffen durch die Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft, den Verlust von Biodiversität. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels in Form von Trockenheits- und Dürreperioden, die bisher nicht bekannt waren. Die Deforestation hat in Ecuador enorme Ausmaße. Das Land hat in Lateinamerika eine der höchsten Entwaldungsraten.
Fabian Scheidler: Camila, ein wichtiger Teil der Kopenhagen-Verhandlungen sind marktbasierte Instrumente, darunter der sogenannte „Clean Development Mechanism“. Sie erwähnten schon Staudammprojekte im Amazonasgebiet. Diese Staudammprojekte werden teilweise auch in Form von CDM-Zertifikaten zertifiziert. Was sind die Folgen in Brasilien im Amazonas von Clean Development Mechanism allgemein und speziell von solchen Staudammprojekten?
Camila Moreno: Wir betrachten den CDM, den Clean Devolopment Mechanism, und alle marktbasierten Lösungen sehr kritisch, bezeichnen sie als falsche Lösungen. Brasilien ist nach China und Indien der weltweit drittgrösste Markt für CDM-Projekte, die meisten davon sind Staudammprojekte. In Brasilien gibt es eine 25 Jahre alte Bewegung der von Staudämmen betroffenen Menschen. Die gibt es, weil der sogenannte regenerative Energiemix, den Brasilien hat, den wir aber gar nicht als nachhaltig sehen, dazu führt, dass Menschen von ihrem Land vertrieben werden, um Platz für Staudämme zu schaffen. Die lokale Bevölkerung hat keine wirkliche Möglichkeit, Nein zu einem Projekt zu sagen, es gibt keine Konsultationen. Im Kern geht es darum die staatliche Energiesicherheit und deren Priorität durchzudrücken. Der Druck nimmt zu. Sie haben möglicherwiese vom Megastaudammprojekt Xingu gehört, der weltweit der zweit – oder drittgrößte Staudamm werden soll. Betroffen wären indigene Gemeinschaften in einem geschützten Gebiet. Die haben ihren massiven Widerstand gegen das Projekt bereits angekündigt und sagen, sie werden gegen das Projekt kämpfen, auch wenn sie dafür sterben müssten. Dennoch drückt die Regierung das Projekt weiter durch. Dabei gibt es ausreichend Evidenz über die negativen Auswirkungen dieser Projekte, die weiter in der Rubrik 'saubere Energie' laufen. Es besorgt uns, dass derartige Projekte unter den CDM fallen. In Kopenhagen hoffen wir, diese Art Mythos dekonstruieren zu können.
David Goeßmann: Camila, ich möchte noch eine Frage daran anschließen. Und zwar wird in Kopenhagen auch etwas verhandelt, das nennt sich REDD. Es ist ein Abkommen zur „Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern“. Was wird genau verhandelt und was hat es damit auf sich?
Camila Moreno: Seit Beginn der Verhandlungen im Rahmen der UN-Rahmenklimakonvention in den frühen 1990er Jahren ist Brasilien ein wichtiger Akteur. Brasilien hat am stärksten auf das Prinzip historischer-differenzierter Verantwortlichkeiten gedrängt. Später war Brasilien ein starker Förderer von CDM und ist es jetzt von REDD. In gewisser Hinsicht sind wir sehr kreativ.
Wir sind sehr besorgt, was die Entwicklungen im Rahmen von REDD in Brasilien betreffen. Da Brasilien weltweit über das größte Tropenwaldgebiet verfügt, hat es sich immer – als einziger Player - gegen die Einbeziehung von Wäldern in Klimaschutzmechanismen gewehrt. Dann wurden Wälder im Jahr 2005 doch in die Verhandlungen einbezogen und seit der Bali Road Map in 2007 ist REDD der Hauptmotor eines neuen Klimavertrages. Brasilien hat als einziges Land in den letzten 3 Jahren gefordert, dass REDD durch freiwillige Gelder und zusätzliche Kredite finanziert werden soll, nicht aber als Ausgleichsmaßnahme (offset) oder marktbasierte Mechanismen. Doch diese Position hat sich mittlerweile komplett gewandelt. Öffentlich wurde dies vor circa 2 Wochen gemacht. In Kopenhagen will die brasilianische Regierung nun ein marktbasiertes REDD verhandeln, das jedoch maximal 10 Prozent der CO2-Emissionen betreffen soll.
Wir seitens der kritischen Zivilgesellschaft in Brasilien sind sehr besorgt. Denn dieser Positionswechsel ist kein technischer Aspekt, es ist ein zentraler politischer Wechsel mit Auswirkungen auf den verbleibenden tropischen Regenwald weltweit. Wäre Brasilien dagegen, wären die kommenden Verhandlungen andere. Jede Debatte über Entwicklung, jede Dabatte darüber, was indigene Gemeinschaften unter Entwicklung verstehen ist nun gebunden an das internationale Finanzsystem. Es läuft gegenwärtig in Brasilien eine massive Einschüchterungekampagne gegen lokale, vor allem indigene Gemeinschaften, auch gegenüber den Provinzgoverneuren, dieses neue Marktinstrument zu akzeptieren. Die USA machen massive Lobbyarbeit dafür, ebenso große NGOs, die für einen Markt-basierten Umweltschutz argumentieren und auch Kohlenstoff-Broker sind sehr interessiert und big business. REDD ist aber auch ein zusätzlicher starker Impuls für einen weiteren strukturellen Wandel im Amazonasgebiet. Denn wer ein REDD-Projekt umsetzen möchte, muss dafür über das notwendige Landeigentum verfügen. Brasilien verfügt in seinen Waldgebieten nach wie vor über einen enormen Anteil an öffentlich-staatlichem Land im Amazonasgebiet. Und all das soll und wird dann in den Markt geworfen. In Europa war der land grab – der Landraub – eine sehr große Sorge in den letzten 2 Jahren. Wird REDD in Amazonien umgesetzt, wird die Dimension des Landraubs ein vielfaches größer sein! Für uns ist das ein historischer Moment, denn wenn die Regeln für solche Projekte erst einmal gesetzt sind, wird die Realität für die Menschen vor Ort eine deutlich andere sein.
Fabian Scheidler: Alexandra, aus einigen lateinamerikanischen Ländern werden inzwischen Forderungen und Vorschläge laut, die über die bisherigen Klimaverhandlungen hinausgehen. Ecuador schlägt die Einrichtung von Fonds vor, um fossile Energieträger im Boden zu lassen; Bolivien und andere Staaten fordern Reparationszahlungen für die so genannten „Klimaschulden“ der industrialisierten Länder. Was ist Ihre Meinung dazu?
Alexandra Almeida: In Ecuador gibt es einen Vorschlag, der von Umweltorganisationen vorgebracht und dann von der Regierung aufgegriffen wurde. Der Vorschlag besteht darin, eines der größten Ölvorkommen von circa einer Milliarde Barrel, das innerhalb des Nationalparkes Yasuni liegt, unberührt zu lassen. Der Yasuni ist reich an Biodiversität, außerdem Lebensraum von indigenen Völkern, die dort seit Jahrhunderten in freiwilliger Isolierung leben. Der Vorschlag besagt, das Öl für immer im Boden zu lassen. Damit soll einer der weltweit biodivers reichsten Regionen geschützt, ein Genozid an indigenen Gruppen verhindert und auch ein Beitrag wider den Klimawandel geleistet werden. Das Öl im Boden zu lassen, nicht zu fördern, zu verbrennen ist der einzig wirksame Mechanismus, um zum Klimaschutz beizutragen. Denn alle anderen Lösungsansätze oder Mechanismen haben versagt. Die Erdölproduktion ist der Hauptverursacher des Klimawandels. In vielen Ländern des Südens wie Bolivien und Ecuador hat die Erdölproduktion zudem zu massiven negativen lokalen Auswirkungen geführt. In Ecuador gibt es zahlreiche Fälle, in denen die Bevölkerung in der Nähe von Erdölproduktionsstätten hohe Krebserkrankungsraten aufweist. Diese Aktivitäten haben dann zu einer ökologischen Schuld von Unternehmen auf lokaler und globaler Ebene geführt. Und die Forderung ist es, diese ökologische Schuld anzuerkennen und auszugleichen.
David Goeßmann: Was ist aus Ihrer Sicht jetzt nötig, um Klimagerechtigkeit weltweit durchzusetzen?
Camila Moreno: Zuerst müssen wir die gesamte Basis hinterfragen, auf der die westliche Kultur erbaut wurde. Klima -und Energiekrise sind konkreter Beleg zu hinterfragen, wofür all die aufgebaute Rationalität gedient hat? Welche Welt wurde da geschaffen? Vor meinem lateinamerikanischen Hintergrund und Erfahrungen gesprochen, müssen wir lernen, zurückgehen zu dem alten Wissen, das in alten indigenen Kulturen steckt. Es geht darum, eine andere Kosmologie zu schaffen, mit anderen Werten als den herrschenden Marktorientierten.
Alexandra Almeida: Klimagerechtigkeit zu erreichen ist ein Muss. Wir möchten, dass dieser Planet nicht zerstört wird. Andernfalls werden wir in kurzer Zeit keinen mehr haben. Wir müssen uns bewußt machen, dass wir auf der Basis von Erdöl und fossilen Rohstoffen existieren und einen Übergang finden müssen zu einer anderen Zivilisation, wenn wir weiterhin auf diesem Planeten leben wollen. Die Antworten und Lösungen liegen nicht bei den Regierungen oder auch den Vereinten Nationen. Sie liegen bei den Völkern, die im wesentlichen in den Ländern des Südens leben. Dort gibt es das Wissen darüber, das die aktuellen Krisen vorhersagte. Dort gibt es aber auch Stimmen zu den Lösungen, um in eine neue andere Richtung zu schauen, die uns hilft, den Planeten zu erhalten.