11.07.2013
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Einleitung: 

Yayi Bayam Diouf aus dem Senegal berichtet vom Tod ihres Sohnes: Weil europäische Trawler die Fischgründe vor den Küsten Westafrikas leerfischten, sei die Fischerei im Senegal und in Mauretanien in der Krise. Für junge Menschen gebe es kaum eine Perspektive. Yayi Bayam Dioufs Sohn und seine Freunde versuchten daher, mit Einbäumen die kanarischen Inseln zu erreichen. Nach vier Tagen aus See erfasste sie kurz vor der Küste eine Welle, alle 80 Bootsinsassen ertranken. Yayi Bayam Diouf fordert von der EU die Körper der Ertrunkenen zurück – bisher ohne Antwort. Sie engagiert sich außerdem mit anderen Frauen für wirtschaftliche Chancen im Senegal und fordert ein Recht auf Freizügigkeit und die Abschaffung von Frontex.

Gäste: 

Yayi Bayam Diouf, Frauenkollektiv COFLEC, Senegal

Transkript: 

Kontext TV: Die Europäische Union ist nicht nur durch ihre Flüchlingspolitik für die Dramen an den europäischen Grenzen mitveranwortlich, sondern auch aufgrund ihrer aggressiven Wirtschaftspolitik, die lokale Ökonomien in Afrika zerstört. Ein Beispiel ist, wie wir eben schon gehört haben, die Krise des westafrikanischen Fischfangs. Seit riesige Fangflotten aus Europa die Fischgründe dort leerfischen, ist ein Großteil der örtlichen Fischer arbeitslos geworden. Der Weg nach Europa wird zur einzigen Hoffnung. Die senegalesische Aktivistin Yayi Bayam Diouf schildert die Gründe, warum ihr Sohn bei dem Versuch, Europa zu erreichen, sterben musste – und erzählt von ihrer bisher vergeblichen Suche nach seiner Leiche.

Yayi Bayam Diouf: Ich heiße Yayi Bayam Diouf und komme aus dem Senegal. Ich leite den Verband „Frauen gegen illegale Einwanderung“. Ich nehme hier an dem Forum in Tunis teil, weil ich der Afrikanischen und der Europäischen Union zeigen will, dass Menschen frei geboren werden und das Recht auf Freizügigkeit und ein Leben in Würde haben. Ich möchte unsere Geschichte erzählen. Wir sind Frauen, und unsere Kinder haben mit Einbäumen versucht, nach Europa zu kommen, auf der Suche nach einem besseren Leben. Trotz der Maßnahmen der EU, trotz der Kontrolle und Überwachung durch die Frontex-Agentur, sind 80 unserer Kinder verschwunden, bei einer riskanten Überfahrt. Ich hatte einen einzigen Sohn. Er ist im Meer ertrunken. Seither fordere ich von der EU die Rückgabe seines Leichnams und den seiner Freunde, die mit ihm untergegangen sind. Bisher habe ich keine Antwort erhalten. Unterdessen versuchen die EU-Behörden, diejenigen, die lebend an ihre Ufer gekommen sind, auf demütigende Weise auszuweisen. Sie missachten die Menschenrechte, sie schicken sie ohne Papiere in ihre Heimatländer zurück. Wir haben unsere Kinder verloren, und ich wiederhole die Forderung, dass ihre Leichname zurückgeschickt werden, damit die Familien trauern können.

Unsere Familien leben vom Fischfang. Das ist unser Hauptwirtschaftszweig, davon lebten wir bisher zufrieden. Dann haben die Afrikanischen Staaten mit der EU Fischereiabkommen geschlossen. Dabei wurden alle unsere Küstengebiete verscherbelt und wir als kleine Fischer müssen jetzt mit den Trawlern konkurrieren – und auf einmal herrschen bei uns Armut und Arbeitslosigkeit. Die jungen Leute sind morgens schon am Strand und beobachten die Trawler. Das ist frustrierend und tut weh. Und obendrein gibt es Frontex, eine Polizeiorganisation der Europäischen Union. Sie sind mit Hubschraubern und Flugzeugen unterwegs. Unsere Jugend wird dazu getrieben, zu fliehen, den Ozeanen zu trotzen. Sie riskieren sogar den Tod, um nach Europa zu kommen. Das ist für uns alle eine dramatische Entwicklung.

Die Fischfangsaison fängt für uns im März an, wenn es noch kalt ist. Dann gehen unsere Leute nach Mauretanien, um dort zu fischen. Die Leute dort haben zwar Fische, aber kennen sich nicht aus mit Fischfang, sie können ihn nicht nutzen. Unsere Jungen Leute gehen als Vertragsfischer drei bis vier Monate dorthin, um Fisch zu fangen. Danach kommen Sie zurück und feiern und alles ist gut. Als mein Sohn und andere 2008 nach Mauretanien kamen, haben sie festgestellt, dass der Fischfang dort nicht ergiebig war. Es war nicht wie die Jahre davor. Sie wagten nicht in die Heimat zurückzukehren, ohne Geld, ohne Fisch, das empfanden sie als Schmach. Also haben sie sich gesagt: Es muss was passieren, organisieren wir uns. Lasst uns aufbrechen in Richtung kanarische Inseln, nach Spanien, in die EU, um dort ein besseres Leben zu suchen. Sie haben sich mit zwei Einbäumen auf den Weg gemacht, sie wollten die Überfahrt zusammen schaffen. Aber sie waren überhaupt nicht dafür ausgerüstet. Nach vier Tagen auf See hatten sie nichts mehr zu essen und keinen Treibstoff. Eine fast 15 Meter hohe Bugwelle erfasste sie, wie mir gesagt wurde, der Einbaum zerbrach und sie fielen ins eiskalte Wasser und ertranken. Ein Verwandter aus Teneriffa rief mich an und sagte es mir, er hatte den Einbaum gesehen, auf dem mein Sohn mit den Freunden war. Sie ertranken alle im Meer vor Teneriffa.

Fabian Scheidler: Hat Ihr Sohn mit Ihnen über seine Absichten, nach Europa zu gehen, gesprochen?

Yayi Bayam Diouf: Zuerst hat er nichts gesagt. Als er aber in Nouadhibou im Norden Mauretatiens ankam und sah, dass die Situation aussichtslos war, rief er mich an und bat mich, für ihn und die anderen zu beten. Es gibt hier keinen Fisch, hat er gesagt, und wir schämen uns, mit leeren Händen zurückzukommen. Lass mich nach Europa gehen, für ein besseres Leben. Alle haben sie ihre Mütter angerufen. Ich habe ja gesagt, wir sind eine patriarchale Gesellschaft. Die Männer bei uns sind polygam, sie können bis zu vier Ehefrauen haben, diese Polygamie ist ein sozioökonomischer Faktor. Je mehr Söhne man hat, desto mehr Erfolg hast Du in der Fischerei, und umso höher steigst Du in der sozialen Hierarchie. Und wenn es ein Kind nach Europa schafft, schickt es Geld, und die Mutter des Jungen genießt mehr Achtung in der Familien und der Gemeinschaft. Daher finanzieren die Frauen die Reisen der Söhne. Auch ich habe damals ja gesagt. Aber jetzt sagen die Frauen NEIN zu dieser Art der Auswanderung.

Das war 2008. Es war sehr schwer für uns, unsere besten jungen Leute zu verlieren. Ich hatte ein Jahr daran gearbeitet, sie zu überzeugen zuhause zu bleiben. Aber wie sollte das gehen? Wissen Sie, ich gehöre einer patriarchalen Kultur an, wo der Mann die Macht hat und die Frau von Geburt an ein Opfer ist. Wir haben eine traditionelle Regierung, eine Gemeinschaft, ein Sozialsystem, wo die Frau nicht vorgesehen ist. Für mich war das Verschwinden unserer Kinder der Auslöser, um öffentlich darüber sprechen zu können. Es war sehr schwierig, sich als Frau damit Gehör zu verschaffen und akzeptiert zu werden. Schließlich wurde ich stellvertretende Vorsitzende des Ältestenrates – als Frau. Daher habe ich mir gesagt, wir Frauen müssen uns mehr engagieren, wir müssen kämpfen, Möglichkeiten für unser Land aufzeigen, die würdevoll und aufrichtig sind, gemeinsam daran arbeiten.

Das Ziel unseres Verbandes ist es, eine gemeinsame Haltung innerhalb unserer Gemeinschaft zu den Gefahren der irregulären Auswanderung zu finden. Außerdem wenden wir uns an die Europäische Union. Wir sprechen uns gegen den Einsatz von Frontex aus, die in unserem Land als europäische Polizei agiert. Frontex wird, wie wir erfahren haben, zum Teil über die Entwicklungshilfe finanziert. Ich denke, dass Repression in der Entwicklungspolitik keinen Platz haben darf. Aus diesem Grund muss die EU diese schreckliche Flüchtlingspolitik ändern.

Für uns sind diese Einreisebestimmungen der EU sehr problematisch. Hier in Afrika verbarrikadieren sich selbst die Botschaften, man kann sich ihnen nicht einmal nähern. Ich hatte eine Einladung nach Spanien und nach Frankreich, habe ein Visum beantragt – und es wurde abgelehnt. Als ich aber von der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Deutschland eingeladen wurde, hat man das Visum genehmigt. Diese Europäische Union behandelt also nicht alle gleich. Daher fordern wir von der EU eine stärkere Kohärenz bei der Migrationspolitik. Und wir müssen Alternativen entwickeln, seien sie auch noch so bescheiden. Wir engagieren uns daher für kleine Veränderungen. Wir haben unserer eigenes Mikrokredit-System geschaffen, weil wir als Frauen sonst keine Bankkonten bekommen, ein Mikrokredit-System, das wunderbar funktioniert. Wir wollen auch der EU zeigen, dass wir nicht arm sind. Wir sind in einer schwierigen Lage. Wir können nur gemeinsam, der Norden mit dem Süden, Lösungen finden anstelle von Repressionen. Ich denke, dass die jungen Menschen genau wegen dieser Repression das Land auf so gefährlichen Wegen verlassen. Die Jungen tun alles, um Frontex zu umgehen, und um nach Europa zu kommen, selbst wenn sie den Tod riskieren.