Von „Klimawandel“ zu sprechen ist so, als bezeichne man eine feindliche Invasion als „unerwarteten Besuch“. Was auf uns zukommt, sei kein gradueller langsamer Wandel, sondern das rasche Umkippen von komplexen natürlichen Systemen. Noch schneller als der Klimakollaps schreite die Zerstörung von Artenvielfalt, Böden und Süßwasserreserven durch die industrielle Landwirtschaft voran. Laut UN hat die Welt nur noch 60 Ernten vor sich, wenn sich die Landwirtschaft nicht grundlegend ändert. Besonders besorgniserregend: Die Bestäubung von wichtigen Nahrungspflanzen wie Reis und Mais könnte bei weiterer Erwärmung zusammenbrechen, denn diese Pflanzen werden nur nachts unterhalb einer bestimmten Temperatur bestäubt. Der größte Faktor für die ökologische Zerstörung sei der Fleischkonsum; für Viehfutter und Weiden würden weltweit Wälder wie der Amazonas zerstört. In den Meeren sei der industrielle Fischfang bereits für einen „eskalierenden Zusammenbruch von Ökosystemen“ verantwortlich.
George Monbiot, Kolumnist beim Guardian und Buchautor ("United People: Manifest für eine neue Weltordnung", "Hitze", "Out of the Wreckage. A New Politics for an Age of Crisis")
Fabian Scheidler: Mit Blick auf die Krise unseres Planeten sprechen Sie von einem möglichen Klimakollaps bzw. von einem Umweltkollaps im Gegensatz zu allmählichen Veränderungen. Wie muss man sich das vorstellen?
George Monbiot: Das Wort Kollaps beschreibt einfach viel besser, was da auf uns zukommt, als der Begriff „Klimawandel“, der eigentlich gar nichts aussagt. Von Klimawandel zu sprechen ist als bezeichne man eine feindliche Invasion als „unerwarteten Besuch“. Der Begriff ist lächerlich neutral und passiv, dabei geht es um eine existenzielle Bedrohung. Komplexe Systeme wie das unseres Planeten reagieren auf Veränderungen nicht linear und graduell, sondern nehmen immer mehr Druck auf, bis sie irgendwann schlagartig von einem stabilen Zustand in einen neuen stabilen Zustand übergehen, der unter Umständen vollkommen anders aussieht als der ursprüngliche. Eigentlich besteht die Erde aus einer Vielzahl komplexer Systeme, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Die Atmosphäre, die Meere, die Landflächen, die Böden, die Tiere und Pflanzen, und viele andere. Sie existieren nicht getrennt voneinander, sondern beeinflussen einander, reagieren auf einander. Wenn ein System plötzlich den Zustand ändert, reißt es andere mit. Wir können aber nicht vorhersagen, was der kritische Punkt ist. Das wissen wir erst, wenn wir ihn erreicht haben. Wir können Vermutungen aufstellen, aber es bleiben Vermutungen. Wenn wir Gewissheit haben, wird es zu spät sein, um sie anzupassen. Und es besteht die akute Gefahr, dass das Erdsystem von einem grundsätzlich bewohnbarer Zustand in einen unbewohnbaren umschlägt. Selbst wenn der Prozess sich schleichend und linearer abspielen würde, wäre immer noch sehr gefährlich. Der Temperaturunterschied zwischen jetzt und der letzten Eiszeit beträgt durchschnittlich nur 4°. Ein Anstieg von weiteren 4° bis Ende des Jahrhunderts würde das Klima komplett verändern. Das allein wäre katastrophal. Aber weil das System immer mehr Belastung aufnehmen muss und dabei an seinen Grenzen gerät, kann es durchaus zu einer sehr plötzlichen Veränderung kommen, die die Orte, an denen wir heute leben, völlig unbewohnbar macht.
Fabian Scheidler: Könnten Sie ein Beispiel für eine solchen jähen Umbruch nennen?
George Monbiot: Im letzten Sommer haben wir in Teilen der USA und Europas furchtbare Waldbrände erlebt, wie man sie vielleicht eher für die Mitte des Jahrhunderts vorhergesagt hätte. Das liegt an einer Kettenreaktion, bei der die globale Erwärmung das Austrocknen der Böden beschleunigt, wodurch die Vegetation vertrocknet und weniger Regenwolken entstehen usw. Irgendwann macht es „Bumm“ und das Ganze geht in Flammen auf. Ähnlich ist es mit den Sturmfluten. Die Mangrovenwälder werden zerstört, zum Beispiel um dort Garnelen zu züchten. Gleichzeitig nehmen die Weltmeere durch die Erderwärmung mehr Energie auf und das führt zu Sturmfluten. Da die Küsten nun ungeschützt sind, stehen plötzlich ganze Landstriche unter Wasser und Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage. Letztes Jahr gab es zahlreiche schlimme Sturmfluten. Hurrikans haben in manchen Gegenden der USA mehr Zerstörung angerichtet als je zuvor. Auch in anderen Teilen der Welt, insbesondere Südostasien waren die Schäden immens. Aber das ist erst der Anfang, nach nur einem Grad Erderwärmung. Das ist nichts gegen das, was uns in diesem Jahrhundert noch erwartet.
Fabian Scheidler: Ein Schlüsselfaktor in der Zerstörung der Umwelt ist die industrielle Landwirtschaft, über die Sie ausführlich geschrieben haben. In Deutschland hat eine neuere Studie ergeben, dass die Zahl der Insekten in nur 27 Jahren in Deutschland um 76% abgenommen hat. Ein neues Wort wurde sogar für diese Art von Aussterben geschaffen: „Insektageddon“. Können Sie etwas zu der Art und Weise sagen, in der die industrielle Landwirtschaft und die Massentierhaltung zur Zerstörung des Klimas, der Böden und der Süßwasserquellen beitragen?
George Monbiot: Das ist die Sorge, die mich nachts wachhält. Der Brexit hält mich nicht wach und Donald Trump hält mich nicht wach. Nicht, dass mir das nichts ausmacht. Aber ich bin sowieso verdammt wach, weil ich mir über die Lebensmittelversorgung den Kopf zerbreche. Sie kennen vielleicht die berühmte Statistik der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, die besagt, dass wir bei gleichbleibender Verlustrate von Böden noch 60 Jahre Ernten übrig haben. Wir sehen, wie ein massiver Raubbau an den Grundwasserreservoirs stattfindet. Wir sehen außerdem einen Zusammenbruch der Pflanzenbestäubung, nicht nur, weil die Insekten verschwinden, sondern auch weil bei windbestäubten Anbaupflanzen wie Reis und Mais jenseits einer bestimmten Temperatur die Bestäubung, die nachts passiert, unterbunden wird. Wir haben keine Ahnung, wie diese Pflanzen reagieren werden, aber die Reaktion könnte sehr schwerwiegend ausfallen. Nur ein Grad mehr an Hitze in der Nacht könnte die Bestäubung in vielen der wichtigsten Ernteregionen der Welt beenden. Gleichzeitig haben wir eine wachsende Bevölkerung, aber viel wichtiger noch als all dies ist, dass eine wachsende Bevölkerung zum Fleischverzehr übergeht. Über die letzten 50 Jahre haben wir bereits eine Vervierfachung des Fleischkonsums erlebt. Aber dennoch ist der weltweite durchschnittliche Fleischkonsum nur halb so hoch wie der in Ländern wie Deutschland oder Großbritannien, und nur ein Drittel so hoch wie in den USA. Also haben wir womöglich noch einiges vor uns. Fleischessen ist eine unfassbar ineffiziente Art der Landnutzung. Man braucht viel mehr Land für eine fleischbasierte als für eine pflanzenbasierte Ernährung, massiv mehr Land. Und das trifft zu, egal ob wir die Tiere für die Fleischproduktion mit Getreide füttern oder weiden lassen, wobei Weidewirtschaft noch ineffizienter ist. Und all das Land, das zu Weideland gemacht wird – tropische Wälder, entwässerte Feuchtgebiete und so weiter –, ist Land, das zuvor aus reichhaltigen Ökosystemen bestand und was auch wieder zu reichhaltigen Ökosystemen werden könnte, wenn es die Fleischproduktion nicht gäbe. Zugleich essen die Tiere, die mit Getreide gefüttert werden, natürlich dieses Getreide Menschen weg. 53% allen Pflanzenproteins wird heute an Tiere anstatt an Menschen verfüttert. Ein Riesenteil geht dabei verloren, bevor die Tiere von Menschen gegessen werden, da es höchst ineffizient ist, das Protein erst einmal ein Tier durchlaufen zu lassen. Das Ergebnis ist ein weltweiter Landhunger: ein weltweiter Hunger nach Wasser zur Bewässerung, ein weltweiter Hunger nach Dünger. Dabei überschreiten wir schon die planetare Schwelle für Naturdünger um das Doppelte und es wird wahrscheinlich noch viel schlimmer. Das Ganze ist ein massiver Angriff auf die Ökosysteme der Welt. Der Fleischkonsum ist bei weitem der größte negative Faktor für die Biodiversität und den natürlichen Reichtum auf der Erde. In den Meeren ist der Fischverzehr der größte Faktor. Wir regen uns zu Recht über Plastik auf, und Plastikmüll im Meer ist furchtbar, aber nicht annähernd so schlimm wie der industrielle Fischfang, der gerade überall auf der Welt einen eskalierenden ökologischen Zusammenbruch von Ökosystemen bewirkt. Wirklich schockierende, schreckliche Dinge gehen da vor sich, darunter auch der massive Beifang und die massive Überfischung, und dennoch scheint uns das gleichgültig zu sein. Das ist kein Problem, dass uns Sorgen macht. Dabei hat das wirklich riesige Dimensionen, größer noch als der Zusammenbruch des Klimas. Oder besser gesagt: Es geht schneller als der Klimakollaps. Die ökologische Ausrottung wird primär von der Lebensmittelindustrie vorangetrieben, weshalb wir dringend auf eine pflanzenbasierte Ernährung umsteigen müssen. Das ist der größte Faktor, den Sie beeinflussen können. Dann können wir auch noch überlegen, wie wir diese Pflanzen anbauen. Wir müssen das auf ganz andere Weise machen. Es gibt viele verschiedene Wege, wie man das machen kann, aber das Wichtigste ist, einfach keine Tierprodukte mehr zu essen, was absolut entscheidend ist sowohl für das menschliche Überleben als auch für das Überleben des Rests des lebenden Planeten.
Fabian Scheidler: Aber ist es nur die Entscheidung des Verbrauchers oder ist es nicht eher auch eine politische Entscheidung wie wir Industrien subventionieren? Was müsste sich auf der politischen Seite ändern, um die Landwirtschaft auf einer globalen Ebene zu verändern?
George Monbiot: Zunächst muss gesagt werden, dass dies einer der wenigen Bereiche ist, wo Verbraucherentscheidungen tatsächlich einen Riesenunterschied machen, weil es sehr einfach ist, zu entscheiden, ob man Tierprodukte isst oder Pflanzenprodukte. Dagegen beim Einkauf zu entscheiden, welches von zwei Plastikteilen das ethisch vertretbarere ist, ist fast unmöglich. Da gibt es perverse Konsequenzen egal, welche Entscheidung man trifft. Auf der andere Seite muss aber auch gesagt werden, dass wir weitaus mehr Macht haben, wenn Verbraucherentscheidungen in politische Entscheidungen eingebettet sind, wenn also Regierungen tatsächlich regieren – was natürlich genau das ist, was die Milliardäre nicht wollen. Deshalb müssen wir uns als Bürger engagieren. Wir müssen politischen Wandel fordern und wir brauchen ein Ende der Subventionen für die Fleischproduktion. Wir brauchen radikale Reformen der EU-Agrarpolitik und der Agrarpolitik weltweit. Momentan bezahlt die EU Landwirte nach Hektar, was einen riesigen, perversen Anreiz schafft, Land zu roden, um es in die Landwirtschaft einzubinden, auch wenn man es gar nicht nutzt. Ich habe dies in Rumänien selbst gesehen, wo viele zehntausende Hektar an wirklich schönen Biotopen zerstört wurden, nur um Subventionen zu beanspruchen. Denn man kann Subventionen nur für Land beanspruchen, das in sogenanntem „landwirtschaftlichem Zustand“ ist und keine „unzulässigen Merkmale“ aufweist – soll heißen: keinen Lebensraum für Wildtiere. Deshalb werden diese ganzen Biotope zerstört, um dann sagen zu können: „Schauen Sie, alles in landwirtschaftlichem Zustand.“ – „Bauen Sie darauf irgendetwas an?“ – „Na ja, wir haben ein paar Schafe. Eigentlich bauen wir nichts an.“ – „Ach, schon okay, das macht nichts, solange es in landwirtschaftlichem Zustand ist.“ Die beste Methode, das Land in landwirtschaftlichem Zustand zu halten, ist, darauf Tiere grasen zu lassen. Das ist völlig pervers. Wir zahlen 55 Milliarden Euro pro Jahr, um die Biotope Europas zu verwüsten. Warum? Das ist Wahnsinn, völliger Wahnsinn. Das muss sich ändern.
Fabian Scheidler: Wie verhalten sich die Fleischproduktion und der Fleischkonsum dazu, was im Amazonas-Regenwald geschieht und zur Wahl des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, von dem viele Umweltschützer befürchten, dass er den Regenwald noch viel schneller abholzen wird als bisher. In was für einem Beziehung steht das, was in Brasilien geschieht, zu unserem System hier?
George Monbiot: Die zwei größten negativen Einflussfaktoren auf Biotope in Brasilien sind die Viehhaltung und der Anbau von Soja als Tierfutter. Über 90% allen Sojas, das in Brasilien und Argentinien angebaut wird, wird zu Tierfutter gemacht. Das ist so extrem, dass Sie, wenn Sie weniger Soja verbrauchen möchten, direkt Soja essen sollten, weil in einem Block Tofu weniger Soja drinsteckt als in einem Stück Fleisch, wegen des ganzen Soja, das ineffizient an Tiere verfüttert wird. Man könnte den Sojaanbau in Südamerika um 90% verringern, wenn wir auf eine pflanzenbasierte Ernährung umstiegen. Die Politik hat einiges damit zu tun. Zum Beispiel fordern sehr mächtige Landeigentümer massiv, dass ihnen erlaubt wird, weiterhin Bäume zu fällen und das Land in Weideland umzuwandeln, obwohl es keinen wirtschaftlichen Sinn ergibt. Da geht es in Wirklichkeit vor allem um finanzielle Spekulation und Kreditbeschaffung zu ganz anderen Zwecken. Denn wenn Sie erstmal die Bäume auf einem Stück Land gefällt haben und einen Zaun drum herum gezogen haben, können Sie sagen: „Das ist mein Land, ich habe einen Rechtsanspruch darauf“ und dann können Sie es als Sicherheit für Hypotheken und für andere Geschäfte verwenden, einschließlich Drogenhandel, wie ich selbst gesehen habe. Was man da also eigentlich macht, ist, Land in Anteilsscheine zu verwandeln, in Kapital. Das steckt hinter diesen Prozessen. Inzwischen sind die Agrarpolitik und die Verwaltung des Regenwalds de facto an den Verband der Rindfleischproduzenten in Brasilien übertragen wurden. Also sind jetzt alle biologischen Schutzgebiete und alle indigenen Schutzgebiete in Gefahr. Ein ganzer Wald ist in Gefahr und das hat möglicherweise verheerende Folgen für den Rest der Welt.