Die Beschneidung der Bürgerrechte unter Präsident Obama sei noch extremer als unter George W. Bush, so Chris Hedges. Mit der Ausweitung der Drohnenangriffe und den "Kill Lists" des Präsidenten könnten nun auch US-Bürger ohne Gerichtsverfahren getötet werden. Das Spionagegesetz werde benutzt, um unbequeme Whistleblower, die auf Missstände aufmerksam machen, aus dem Verkehr zu ziehen, wie zuletzt den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Kiriakou, der zu 30 Monaten Haft verurteilt wurde, weil er Kriegsverbrechen offenlegte. Unter dem "National Defense Authorization Act" können Bürger ohne Gerichtsverfahren unbefristet gefangen gehalten werden. Nicht zuletzt weil dieses Gesetz auch Journalisten betrifft, hat Hedges die Obama-Regierung verklagt - und in erster Instanz Recht bekommen.
Chris Hedges, Journalist, Pulitzer-Preisträger, Wissenschaftler am The Nation Institute, bis 2003 Büroleiter für den Mittleren Osten der New York Times, Buchautor (zuletzt "Days of Destruction, Days of Revolt")
Theresia Reinhold: Wie ist Ihre generelle Einschätzung der Politik Obamas?
Chris Hedges: Obama führte die Politik der Bush-Regierung bezüglich der imperialen Kriege fort; und lassen Sie uns hier deutlich sein: diese Kriege sind illegal. Präventiver Krieg ist unter der Rechtsordnung seit den Nürnberger Tribunalen illegal und muss als krimineller aggressiver Krieg gewertet werden. Obama erweiterte die Drohnenangriffe, er hat Tötungslisten, auf denen die Namen von US-Bürgern stehen, zum Beispiel Anwar al-Alwaki, der im Juli 2012 getötet wurde, und zwei Wochen später sein16 Jahre alter Sohn - der auf keiner Terrorismus-Liste stand.
Obamas Angriff auf Freiheiten der Zivilgesellschaft in den USA ist schlimmer als unter Bush. Die Interpretation des „Authorization for Use of Military Force Act" zur Autorisierung militärischer Gewalt von 2001 räumte ihm das Recht ein, amerikanische Bürger zu töten. Der „FISA Amendment Act" legalisierte rückwirkend, was unter unserer Verfassung traditionell illegal war: das heimliche Überwachen und Abhören von Millionen Amerikaner. Das Spionagegesetz wurde benutzt, um Whistleblower zum Schweigen zu bringen - und wir haben gerade gesehen, wie der ehemalige CIA-Mitarbeiter Kiriakou zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, weil er Kriegsverbrechen offen legte; und schlussendlich der „National Defense Authroziation Act" NDAA. Trotz seiner Rhetorik ist Obama in Sachen konstitutioneller Rechte schlimmer als selbst George W. Bush.
Theresia Reinhold: Im Jahr 2012 haben Sie - später unterstützt von Noam Chomsky und anderen - die Regierung Obamas wegen des NDAA angeklagt. Worum geht es in diesem Gesetz?
Chris Hedges: Das „Gesetz zur Autorisierung Nationaler Verteidigung" wirft 200 Jahre innenpolitische Gesetzgebung um und erlaubt es dem Militär auf Amerikanischem Boden einzugreifen, Amerikanische Bürger zu verhaften, sie in Militäreinrichtungen festzuhalten, einschließlich unserer ausgelagerten Strafkolonien, ihnen ein faires Verfahren vorzuenthalten und sie dort auf unbestimmte Zeit gefangen zu halten. Das ist ein ziemlich erstaunliches und drakonisches Gesetz und es wird von beiden Parteien unterstützt. Vor einem Jahr wurde es von Präsident Obama unterzeichnet. Im Januar 2012 erhoben Bruce Afran und ich Anklage. Zu einem Teil natürlich, weil ich als Auslandskorrespondent der New York Times beträchtliche Zeit mit Einzelpersonen oder Gruppen zu tun hatte, die auf der Terrorismus-Liste des State Departement stehen, inklusive Al-Qaida, und es wird keine Ausnahme für Journalisten gemacht. Nach diesen Vorgaben können Journalisten wie ich sehr einfach, wie es Paragraph 1021 nennt, als „Unterstützer" für diese Gruppen angesehen und inhaftiert werden - das wurde von Richterin Forrest bestätigt. Deswegen haben wir dies vor Gericht gebracht.
Am 6. Februar, entschied Richterin Forrest, dass Paragraph 1021 gegen die Verfassung verstößt, und erließ eine Unterlassungsklage, was bedeutet, dass das Gesetz ungültig ist. Die Regierung Obama legte Berufung ein und dann ging es vor das Berufungsgericht, wo wir heute waren. Dieses Gericht wird entscheiden, ob es Richterin Forrests Urteil aufrechterhält oder verwirft. Wenn es das Urteil aufrecht erhält, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Regierung damit innerhalb von Wochen vor den Obersten Gerichtshof geht. Sollte das Gericht das Urteil verwerfen, werden wir uns an das Obersten Gerichtshof wenden, aber wenn der Supreme Court die Klage ablehnt, bedeutet dies, dass das Gesetz steht.
Theresia Reinhold: Sie arbeiteten viele Jahre als Auslandskorrespondent für die New York Times. Warum haben Sie die Zeitung 2003 verlassen?
Chris Hedges: Das ist alles aktenkundig. Ich verurteilte den Krieg im Irak, als ich Büro-Chef der New York Times im Mittleren Osten war. Ich schrieb ein Buch mit dem Titel „Krieg ist eine Kraft, die uns Bedeutung verleiht" und war zu Gast in Fernsehsendungen und die Menschen fragten mich als jemanden, der so lange im Mittleren Osten gewesen ist, nach den Gründen für die Invasion im Irak - und ich verurteilte diesen Krieg. Das führte dazu, dass die New York Times in einem offiziellen Brief von mir verlangte nicht mehr über den Krieg zu sprechen. Ich habe mich geweigert und bin gegangen.