21.01.2022
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Einleitung: 

Afrika ist bereits stark betroffen von der Klimakrise, sagt Nnimmo Bassey. Schwere Dürren, Überschwemmungen und Zyklone haben letztes Jahr schwere Schäden angerichtet. Das liegt auch daran, dass die Erderhitzung in Afrika um 50 Prozent höher ist im Vergleich mit dem globalen Durchschnitt. Das heißt: 1,5 Grad bedeuten für Afrika deutlich mehr. „Letztlich lassen wir Afrika damit verbrennen.“ Gleichzeitig werden die Ursachen der Klimakrise in Afrika weiter verstärkt. In Uganda bohren Ölkonzerne nach Öl und exportieren es durch Pipelines in Tansania. Kanadische Unternehmen suchen nach Öl im Okavango-Gebiet, in Botswana und Namibia. Proteste dagegen werden oft gewaltsam unterdrückt. So sind über 1000 Umweltschützer*innen weltweit seit dem Pariser Klimagipfel 2015 getötet worden. Die Täter werden aber nicht belangt. Bassey kritisiert den UN-Klimaprozess, der keine Ergebnisse bringe. Seit Kopenhagen und Paris werden von den Staaten nur freiwillige Selbstverpflichtungen ohne Sanktionsmechanismus angeboten. Auch bei der Frage „Verluste und Schäden“ hat es auf der COP26 keinen Fortschritt gegeben. Die reichen Staaten sind wie zuvor nicht bereit, über ihre Verantwortung zu sprechen. Wenn diese Blockade anhält, sollten sich die armen Länder aus der COP zurückziehen, sagt Bassey.

Gäste: 

Nnimmo Bassey ist ein nigerianischer Dichter und Umweltschützer. Er ist Direktor der Organisation Health of Mother Earth Foundation. Von 1993 bis 2013 war er Leiter von Environmental Rights Action und von 2008 bis 2012 Vorsitzender von Friends of the Earth International. Er ist Träger des Alternativen Nobelpreises. Das Time Magazine wählte ihn 2009 zu einem der Heroes of the Environment („Helden der Umwelt“).

Transkript: 

Nnimmo Bassey: Ich bin Nnimmo Bassey. Ich leite die Organisation Health of Mother Earth Foundation mit Sitz in Nigeria. Ich bin vor allem hier auf der COP, um andere Umweltaktivist*innen aus der ganzen Welt zu treffen, mehr über die einzelnen Kämpfe zu erfahren und Ideen auszutauschen darüber, wie wir Politiker*innen begreiflich machen können, dass wir keine Zeit mehr haben, den Klimawandel mit politischen Versprechen abzuhandeln, sondern dass wir echte Maßnahmen ergreifen müssen.  Als wir uns 2011 und 2015 getroffen haben, nahm man noch an, es sei möglich, den Temperaturanstieg gegenüber der vorindustriellen Zeit noch auf ungefähr 1 Grad Celsius zu begrenzen. Tatsächlich wurde 2009 auf der COP 15 in Kopenhagen darüber diskutiert, dass alles, was darüber hinausgeht, für Afrika Selbstmord bedeuten würde. Aber im Laufe der Zeit ist die Welt zu der Überzeugung gelangt, dass ein Temperaturanstieg von 2 Grad in Ordnung ist. Die Menschen hängen romantisch an 1,5 Grad und vergessen dabei, dass wir bereits 1,1 Grad globale Erwärmung haben und tief in der großen Krise stecken. Es finden heftige Stürme, Tornados  und andere gravierende Folgeschäden statt. Und diese Extremwetterereignisse verursachen Katastrophen auf der ganzen Welt, Brände in den USA, Überschwemmungen in Europa, wie wir sie noch nie erlebt haben. An der Ostküste Südafrikas wüteten starke Wirbelstürme, allein ein Zyklon hat in Mosambik 8000 Menschen getötet. Man kann überall sehr intensive Wetterereignisse beobachten. Wir befinden uns also tatsächlich in „Injury Time“, in einer Art Spielzeitverlängerung, einer Phase der Klimaschädigung. Es ist Zeit, dass die politischen Entscheidungsträger*innen endlich erkennen, dass jetzt etwas getan werden muss. Ansonsten werden wir abrutschen und keine Chance mehr haben, nach oben zu kommen.

David Goeßmann: Was sich in den letzten zehn Jahren verändert hat, ist der Diskurs über das Klima, die Klimakrise, vor allem in den reichen Ländern, weil Millionen von Menschen auf die Straße gehen, zivilen Ungehorsam leisten und sich organisieren. Sprechen Sie über die Klimabewegung. Was sind ihre Erfolge und was sind ihre Herausforderungen?

Nnimmo Bassey: Die Klimabewegung ist in den letzten zehn Jahren in einer Weise gewachsen, wie wir es kaum erwartet haben. Sie wird jetzt von jungen Menschen angeführt, und das zu Recht, denn sie müssen mit den Folgen leben. Wenn die ambitioniertesten Regierungen hier auf der COP 26 nun sagen, dass sie bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen wollen, dann sind das noch ganze 30 Jahre. Einige dieser politischen Führer werden dann nicht mehr da sein, um die Folgen ihres Handelns zu sehen. Die jungen Leute wissen also, dass sie in gewissem Sinn den Stier bei den Hörnern packen müssen. Sie haben erkannt, dass jetzt gehandelt werden muss. Sie müssen die Politiker*innen zwingen, das zu tun, was notwendig ist. Die wissenschaftlichen Warnungen und die Mobilisierung der jungen Leute haben auch die bisher moderaten zivilgesellschaftlichen Bewegungen aufgeweckt. Die Kluft zwischen den Radikalen und denen, die eher der Mitte zuzurechnen sind, wird kleiner. Die Menschen erkennen offensichtlich, dass die angebotenen Lösungen falsch sind und nicht nur von radikalen Gruppen angeprangert werden, sondern tatsächlich nicht funktionieren. Nehmen wir das aktuelle Konzept von Netto-Null: Jeder weiß, dass Netto-Null nicht gleich Null ist, sondern nur bedeutet, dass man die Umwelt weiter verschmutzt, während man die Verschmutzung anderswo ausgleichen möchte oder nur vorgibt, das zu tun. Die ganze Sache mit dem Kohlenstoffausgleich ist nur ein Weg, um Zeit zu gewinnen, damit die fossile Brennstoffindustrie mit dem Blut und auf den Gräbern der Armen weitermachen kann.

David Goeßmann: Seit der COP 2015 in Paris sind über tausend Umweltschützer im Kampf gegen die Interessen der Mächtigen getötet worden. Sie kämpfen gegen die Verbrechen der Ölkonzerne in Nigeria an der Seite des Ogoni-Stamms. Erzählen Sie uns von den Morden und was gerade im Nigerdelta passiert.

Nnimmo Bassey: Immer mehr Naturschützer*innen werden getötet, weil sie sich gegen Großkonzerne und repressive Regierungen stellen, die Hand in Hand mit transnationalen Konzernen und anderen Unternehmen arbeiten, die weder transparent sind noch rechenschaftspflichtig sein wollen. Im Nigerdelta im Besonderen wurden vor 26 Jahren Ken Saro-Wiwa und acht Ogoni-Anführer hingerichtet. So fällt der 26. Jahrestag dieser Exekution genau in die Mitte der 26. COP. Und 26 Jahre nach der Hinrichtung gibt es bei diesem Klimagipfel noch immer keine Anzeichen, dass die Regierungen auf der COP den Einfluss der fossilen Brennstoffindustrie begrenzen wollen, nicht einmal den auf die Klimaverhandlungen. Wir haben also weiter einen sehr steilen Aufstieg vor uns. Denn diejenigen, die für Menschenrechtsverletzungen und für das Verschwindenlassen von Menschen verantwortlich sind, und diejenigen, die Militärs in den Ländern benutzen, um die Bevölkerung zu unterwerfen und zu unterdrücken, haben weiter das Steuer bei der Klimadiskussion in ihren Händen. Solange sich nicht wirklich etwas daran ändert, wird es sehr schwierig bleiben, Fortschritte zu erwirken.

David Goeßmann: Was sind die Auswirkungen des Klimas, der globalen Klimaerwärmung im globalen Süden. Wir haben große Dürren in Afrika erlebt, in Madagaskar standen eine Million Menschen vor dem Hungertod. Wie fühlen sich 1,1 oder 1,2 Grad Celsius im Süden an?

Nnimmo Bassey: Der Temperaturanstieg in Afrika liegt etwa 50 Prozent über dem globalen Durchschnitt. 1,1 oder 1,2 Grad im globalen Durchschnitt bedeuten also für Afrika etwas mehr. Die Temperatur ist in Afrika bereits höher gestiegen, als im Paris-Abkommen als ideale Grenze festgesetzt wurde. Wenn die Staatengemeinschaft also von 1,5 oder deutlich unter 2 Grad spricht, dann heißt das in Wirklichkeit: Afrika wird weit darüber hinausschießen. Und das bedeutet: Man lässt Afrika verbrennen. Aber niemanden scheint das zu interessieren. Im Moment stehen wir in Afrika vor großen Herausforderungen, wie Sie schon sagten: Nahrungsmittelknappheit in Madagaskar. Überall auf dem Kontinent kämpfen die Menschen gegen Küstenerosion und Landverlusten. Die neuesten Daten sprechen von 2 Metern, die pro Jahr verloren gehen an den Küsten. Das ist dramatisch, wir verlieren Gebäude, wir verlieren Infrastruktur. Wir haben Probleme mit voranschreitender Wüstenbildung in Gegenden wie Nordnigeria. Anstatt unsere Wälder zu schützen, findet massives Abholzen statt, ein sich verschlimmerndes Problem. Fossile Brennstoffindustrien betreiben riesige Gasöfen, die Kohlendioxid, Methan, Stickstoff und Natriumschwefeloxide in die Atmosphäre freisetzen, auch das verschärft die Situation weiter. Wir befinden uns in einer wirklich verzweifelten Situation, da die Verursacher der globalen Erwärmung weiter räuberisch über den Kontinent hinwegziehen. In Uganda arbeiten Ölfirmen mit allen Mitteln daran, Öl zu fördern und es in Piplines durch Tansania für den Export zu befördern. Konzerne aus Kanada suchen im Okavango-Delta, in Botswana und Namibia nach Öl. Sie behaupten, dort die größten Ölvorkommen seit langem gefunden zu haben. Mit der Förderung dieser Rohstoffe würden Millionen von Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre gelangen. Wir haben immer noch Konflikte in Nigeria und auf dem ganzen Kontinent. Die Lage ist wirklich ernst. Die Ursachen der globalen Erwärmung werden durch den Abbau und die Verbrennung fossiler Brennstoffe weiter verstärkt. Und die Folgen zwingen die Menschen zur Migration. Es gibt viele Klimaflüchtlinge aus Afrika. Durch den Wasserstress im Norden Nigerias und an anderen Orten entzünden sich gewalttätige Konflikte, die nur oberflächlich betrachtet religiöser Natur sind, in Wirklichkeit aber Klimakonflikte sind. Das führt zu vielen weiteren Problemen. Ein Grund mehr, dass sich die afrikanischen Staats- und Regierungschefs bei Konferenzen wie der COP 26 auf die Klimafolgen konzentrieren sollten, unter denen die Staaten leiden. Sie sollten daher nicht bloß um Klimafinanzierung betteln, sondern die Rückzahlung von Klimaschulden einfordern. Die Schulden müssen bezahlt werden. Diejenigen, die sich einen großen Teil des Kohlenstoffbudgets in der Atmosphäre angeeignet haben, sollten verantwortlich gemacht werden und schwächere Länder dafür entschädigen. Nur so kann die globale Treibhausmenge in der Atmosphäre zukünftig auf einem sicheren Niveau gehalten werden. Wenn über „Verluste und Schäden“ durch den Klimawandel gesprochen wird und über Sachen, über die die reichen, mächtigen Nationen nicht bereit sind zu diskutieren, dann sollten die Vertreter der Entwicklungsländer das entweder weiter in Verhandlungen fordern oder sich ganz von der COP zurückziehen.

David Goeßmann: Wir haben wieder Versprechungen von Regierungen – vor allem aus den Industrieländern – gehört, den Planeten zu retten. Wie schätzen Sie das ein?

Nnimmo Bassey: Vor Kopenhagen wurde über verbindliche Emissionsreduzierungen gesprochen, also darüber, dass die Industrieländer verpflichtet sind, ihre Emissionen auf ein bestimmtes Niveau zu senken, und zwar auf eine Art und Weise, die überprüfbar ist. Aber seit Kopenhagen und seit dem Pariser Abkommen ist alles freiwillig, so dass alle versprechen können, was sie in gerade so passt. Es gibt auch keine Möglichkeit, sie für das, was sie versprochen haben, zur Rechenschaft zu ziehen. Einige Staaten versprechen sogar auf der COP 26 jetzt, die Entwaldung bis 2030 zu beenden, ein Versprechen, das sie schon vor einigen Jahren gegeben haben. Es sind die immer gleichen, hohlen Wohlfühl-Ankündigungen. Sie sind mehr oder weniger heiße Luft, sie enthalten nichts Substantielles, keine ernstgemeinten Maßnahmen.