07.03.2017
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Einleitung: 

Der neue Nationalismus und Protektionismus in den USA habe kaum Aussicht auf Erfolg und würde die Lage der Weltwirtschaft nur verschlimmern. Donald Trumps Politik berge darüber hinaus die Gefahr, dass ein Handelskrieg in einen militärischen Krieg umschlägt. Die Linke habe in dieser Lage paradoxer Weise gute Chancen, wenn Sie ein überzeugendes Konzept für eine andere Wirtschaftsordnung entwickelt. Es gelte aus den Fehlern des Sozialismus des 20. Jahrhunderts zu lernen. Arbeiterkooperativen seien ein Weg, um die Teilung der Menschen in Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu überwinden und damit die Grundlagen für ein neues, demokratisches Wirtschaftssystem zu schaffen. Angesichts der Tatsache, dass fast alle Menschen von Finanzbeziehungen wie Bargeld, Konten und Schulden abhängig sind, sei außerdem ein privatwirtschaftliches, profitorientiertes Finanzsystem „irrational“ und „verrückt“. Banken und Versicherungen müssen, so Wolff, von den Beschäftigten und der Öffentlichkeit gemeinsam kontrolliert werden.

Gäste: 

Richard D. Wolff, Ökonom, Prof. em. an der University of Massachusetts, Amherst. Sein jüngstes Buch heißt "Capitalism's Crisis Deepens: Essays on the Global Economic Meltdown" ("Die Krise des Kapitalismus verschärft sich. Essays über den globalen wirtschaftlichen Zusammenbruch").

Transkript: 

Fabian Scheidler: Wie sehen die Optionen für die Zukunft aus? Können wir zurückkehren zu einem Goldenen Zeitalter – zumindest manche nennen ja den Keynesianismus der Nachkriegszeit im Westen das Goldene Zeitalter des regulierten Kapitalismus? Können wir wirklich zu einem solchen Zustand zurückkommen oder brauchen wir eine systemische Alternative? Und wenn ja, wie könnte die aussehen? Sie beziehen sich auf den Sozialismus, aber was kann das heißen nach all den geschichtlichen Erfahrungen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts?

Richard Wolff: Vor ein paar Minuten habe ich noch gesagt, ich würde keine Voraussagen machen und jetzt werde ich doch eine kleine Prognose wagen: Ich gehöre nicht zu den Leuten, die denken, dass der Kapitalismus zusammenbrechen wird, denn ich mag das Geschäft der Kaffeesatzleserei nicht. Aber ich sage Ihnen, dass ich keinen Ausweg sehe. Ich sehe nicht, wie der Kapitalismus in seine alten Zentren zurückzuholen ist. Ich denke, dass Donald Trump, der das für die Vereinigten Staaten versucht, damit scheitern wird. Er hat zu viele Gegner, eingeschlossen die Wirtschaft, die ihm das vermutlich nicht gestatten werden. Falls er es aber schafft, wird sich die Situation in Westeuropa und Japan massiv verschärfen. Denn wenn er Erfolg hat, geht dies zu Lasten der übrigen Welt. Darin hat sein Versuch Ähnlichkeit mit der Geschichte Deutschlands in den 1930er und 1940er Jahren. Man kann diese Probleme nicht nur im Innern eines Landes lösen, es hat immer auch Konsequenzen für alle anderen und es wird die ganze Welt gegen einen aufbringen. Das ist genau die Gefahr, in der die USA jetzt sind, und sie haben nichts aus der Geschichte Deutschlands gelernt; sie kennen diese Geschichte wahrscheinlich nicht einmal. Wir sind also mit einem System konfrontiert, das ein ganzes Bündel von Problemen produziert, die es selbst nicht lösen kann, oder von dem zumindest ich nicht erkennen kann, welche Lösungen es wählen wird. Um noch einmal auf die USA zurückzukommen: Falls Trump dazu übergeht, beispielsweise die Exportökonomien Indiens, Chinas und Brasiliens zu bedrohen, werden wir uns in einer Situation wiederfinden, die in der Vergangenheit von einem Handelskrieg zu einem militärischen Krieg geführt hat. Dann wären alle Überlegungen über die Zukunft sowieso hinfällig. In dieser Hinsicht bin ich vermutlich ein Pessimist. Andererseits denke ich, dass diejenigen von uns, für die die Lösung nicht darin besteht, bloß für das eine oder andere neue Gesetz oder das eine oder andere internationale Abkommen zu kämpfen, eine neue Richtung entwickeln können. Ich meine diejenigen, die erkennen, dass wir es mit einer systemischen Krise zu tun haben, und dass die einzig vernünftige Lösung deshalb darin bestehen muss, darüber nachzudenken, welche alternativen Systeme es geben könnte – mit anderen Problemen, die beherrschbarer wären als die Probleme des Kapitalismus, denn die Probleme des Kapitalismus sind, wie ich glaube, nicht beherrschbar. Und an diesem Punkt muss die Linke, zu der ich gehöre, nicht nur kritisch mit dem Kapitalismus und seinen Holzwegen umgehen, sondern auch mit der Geschichte des Sozialismus, in dessen Tradition wir stehen. Ich will das so einfach wie möglich ausdrücken: Der Sozialismus, der im 19. Jahrhundert entstanden ist und das 20. Jahrhundert geprägt hat, war auf seine Weise sehr erfolgreich, ist aber nicht tief genug gegangen. Es war ein Sozialismus, der lehrte: „Die Probleme des Kapitalismus sind das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Märkte, deshalb brauchen wir die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und staatliche Planung“. Es ging also um öffentliches Eigentum und Planung gegen Privateigentum und Märkte. Was dabei ins Hintertreffen geriet, war die Art, wie die Arbeitsplätze aussehen, an denen wir uns von 8 Uhr morgens bis 5 Uhr nachmittags und zwar an fünf oder sechs Tagen in der Woche, aufhalten. Also dort, wo wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen. Wenn man die Arbeitsplätze nicht verändert, werden alle Bemühungen, den Rest der Gesellschaft zu verändern, nicht funktionieren. Sehr vereinfacht gesagt: Ich glaube, dass diese Veränderung weder in der Sowjetunion noch in der Volksrepublik China gelungen ist. Aber wie könnte sie aussehen? Bevor ich Ihnen gleich meine Antwort gebe, möchte ich sagen, dass darin wirklich die neue Richtung, ein neues System, wie ich es sehe, liegen kann, das vielleicht in der Lage ist, unsere Probleme in den Griff zu bekommen. Die Antwort lautet: Man muss die Arbeitsplätze revolutionieren, weil das nie zuvor unternommen wurde. Alles Nachdenken über Staatseigentum oder vergesellschaftete Betriebe muss neu ansetzen. Der Dreh- und Angelpunkt muss die Frage sein: Wie müsste ein System gestaltet werden, wenn es sich wirklich an einer radikalen Veränderung der Arbeitsplätze orientiert? Hier in den Vereinigten Staaten benutzen wir dafür den Ausdruck „Arbeiterkooperative“. Es bedeutet schlicht: Die Entscheidungen am Arbeitsplatz werden demokratisch gefällt: Ein Arbeitnehmer, eine Stimme. In jedem Unternehmen, jeder Fabrik, jedem Laden, jedem Büro entscheiden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeinsam darüber, was produziert, wie produziert, wo produziert wird und wie die Gewinne verteilt werden. Wir sprechen also über die Demokratisierung der Arbeitswelt, und es geht um eine radikale Veränderung der Art. wie alle Arbeitsplätze organisiert werden. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer nimmt nicht nur die Rolle des Arbeitnehmers ein, sondern auch die des Arbeitgebers. Es zerstört die Basis des Kapitalismus, der die Menschen in eine kleine Gruppe von Arbeitgebern und eine riesige Gruppe von Arbeitnehmern spaltet. Das wäre das Ende des Kapitalismus, genauso wie die Befreiung der Sklaven das Ende der Sklavenhalterökonomie bedeutete und die Befreiung der Leibeigenen das Ende des Feudalismus. Die Befreiung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, indem sie dazu befähigt werden, zugleich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu sein, würde das Ende des Kapitalismus bedeuten und ein neues System schaffen. Ich denke, wenn wir das der Masse der Menschen verdeutlichen, die unter dem Kapitalismus leiden, werden sie erkennen, dass dies eine Revolution ist, die etwas mit ihnen zu tun hat. Es geht nicht darum, irgendeiner Regierung alle möglichen Autoritäten zu verleihen, es geht vielmehr darum, ihr eigenes Leben zu verändern und die Regierung zum ersten Mal einer demokratischen Kontrolle der Basis zu unterstellen, so dass sie wieder darauf hoffen können, dass die Regierung in ihrem Interesse handelt, statt im Interesse der Arbeitgeber. Ich würde es so zusammenfassen: Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts wird sich stärker auf die Mikroebene der Betriebe als auf die Makroebene von Eigentum und Planung konzentrieren. Darin besteht die notwendige Austarierung von Mikro- und Makroebene und darin wäre die Beschränkung des Sozialismus des 19. und 20. Jahrhunderts überwunden.

Fabian Scheidler: Welche Rolle könnten Finanzinstitute für diesen Wechsel spielen? Es ist wahrscheinlich, dass neue Bankenkrisen entstehen werden, eine beispielsweise zeichnet sich bereits in Italien ab. Was sollten die Menschen tun und was sollten sie fordern, um eine solche Veränderung des Kapitalismus im Bereich des Finanzwesens und des Geldsystems voranzutreiben, damit ein System entsteht, das allen Menschen dient und nicht nur einigen wenigen? Wie würde es aussehen und wie könnte es umgesetzt werden? Zum Beispiel in der Situation einer neuen Finanzkrise?

Richard Wolff: Meine erste Antwort besteht darin, jeden daran zu erinnern, dass sich alle westlichen kapitalistischen Staaten in einer Weise entwickelt haben, die es den privaten Unternehmen erlaubte, die finanzielle Landschaft zu beherrschen. Privatbanken, private Versicherungsunternehmen, all die privaten Unternehmen. Sobald dies passiert, unterwirft man das Geldsystem und das Finanzsystem dem Profitinteresse, dem Zwang, Profite zu generieren, der alle kapitalistischen Unternehmen bestimmt und das ist ein grundsätzlich irrationaler Schritt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der jeder von uns von finanziellen Beziehungen abhängig ist: Bargeld, Schulden, Bankguthaben, Ersparnisse und all die Dinge, auf die wir uns im Alltag verlassen. Zu erlauben, dass etwas, das wir alle brauchen, von Menschen gesteuert wird, die uns nicht repräsentieren und ein ganz anderes Ziel haben, nämlich daraus Profit zu ziehen, bedeutet, ein System zu schaffen, das von Anfang an verrückt ist. Deshalb ist aus meiner Sicht folgendes Argument entscheidend – das durchaus auch von der Masse der Menschen verstanden wird: Banken und Versicherungen sind viel zu wichtige gesellschaftliche Einrichtungen, als dass wir sie privaten Händen überlassen dürfen. Banken und Versicherungen sollten Funktionen des Staates sein, wobei das Wort „Staat“ allerdings bedeutet, dass es zwei Entscheidungsträger gibt, nämlich einmal das Kollektiv der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, eben der Bankfiliale, dem Versicherungsbüro usw., und zum anderen der Öffentlichkeit, der sie dienen. Beide Gruppen sollte eine strukturelle Beziehung verbinden, indem sie gemeinsam Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen, aber kein privates Profitinteresse. Es würde keine Untergruppe mehr geben, die das Recht hat, damit Geld zu machen. Vielmehr sind es die demokratisch bestimmten Repräsentanten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieser Einrichtungen sowie die Öffentlichkeit, die bestimmen sollten, wie das System arbeitet. Ich weiß, dass hier in den Vereinigten Staaten bereits eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner so etwas unterstützen würde.